Erfundene Memoiren: Unterschied zwischen den Versionen

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*Margaret B. Jones/Margaret Seltzer. Das Buch "Love and Consequences" erschien als Autobiographie von Margaret B. Jones, die angeblich von Indianern abstammte und von einer Adoptionsfamilie zur nächsten gereicht (und sexuell missbraucht worden) war. Dann folgen Drogenmissbrauch und -handel, das Erleiden von Massenvergewaltigungen durch Jugendbanden in Los Angeles und vieles andere mehr. - Das Buch wurde von der TV-Berühmtheit Oprah Winfrey lobend vorgestellt. - Tatsächlich handelt es sich um eine erfundene Geschichte einer wohlbehütet bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsenen weißen Mittelschichtsautorin (M. Seltzer), die eine Privatschule besucht hatte. Ihre Involviertheit in Delinquenz war dennoch spätestens seit den Delikten, die sie beging, um ihr Buch zu lancieren, eine reine Tatsache. Nur waren es eben andere Delikte: "Sie schaffte Zeugen für ihre Bandenkarriere bei, einen Professor, der sie für absolut glaubwürdig hielt - und sie unterzeichnete einen Verlags-Vertrag, in dem sie sich zur Wahrheit der Darstellung verpflichtete" (Jäger 2008). Der Verlag musste 19000 Exemplare zurückrufen. Wer das Buch schon gekauft hatte, wurde entschädigt. Allerdings kosteten Exemplare bei e-bay nach dem Auffliegen des Schwindels schon um die 50 Euro.
*Margaret B. Jones/Margaret Seltzer. Das Buch "Love and Consequences" erschien als Autobiographie von Margaret B. Jones, die angeblich von Indianern abstammte und von einer Adoptionsfamilie zur nächsten gereicht (und sexuell missbraucht worden) war. Dann folgen Drogenmissbrauch und -handel, das Erleiden von Massenvergewaltigungen durch Jugendbanden in Los Angeles und vieles andere mehr. - Das Buch wurde von der TV-Berühmtheit Oprah Winfrey lobend vorgestellt. - Tatsächlich handelt es sich um eine erfundene Geschichte einer wohlbehütet bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsenen weißen Mittelschichtsautorin (M. Seltzer), die eine Privatschule besucht hatte. Ihre Involviertheit in Delinquenz war dennoch spätestens seit den Delikten, die sie beging, um ihr Buch zu lancieren, eine reine Tatsache. Nur waren es eben andere Delikte: "Sie schaffte Zeugen für ihre Bandenkarriere bei, einen Professor, der sie für absolut glaubwürdig hielt - und sie unterzeichnete einen Verlags-Vertrag, in dem sie sich zur Wahrheit der Darstellung verpflichtete" (Jäger 2008). Der Verlag musste 19000 Exemplare zurückrufen. Wer das Buch schon gekauft hatte, wurde entschädigt. Allerdings kosteten Exemplare bei e-bay nach dem Auffliegen des Schwindels schon um die 50 Euro.


*Binjamin Wilkomirski/Bruno Doessekker. "Seine Geschichte von der Kindheit in Konzentrationslagern entpuppte sich vor zehn Jahren als literarisch hochbegabte Flunkerei. Daniel Ganzfried, der Sohn eines Lagerüberlebenden, hatte sich von dem gern weinend auftretenden Doessekker nicht beeindrucken lassen, er war ihm auf die Schliche gekommen und dabei gleich noch jenen Frauen, dei seinen Unterstützerkreis gebildet hatten: der Literaturkritikerin Klara obermüller (sie sprach von der 'Rückgewinnung einer verlorenen Identität' und fügte an: 'Wer daran rühen will, muss sich im Klaren sein, was er tut'), Doessekkers damaliger Ehefrau, dann der Psychoanalytikerin Alice Miller, schließlich seiner Literaturagentin. Sie all waren auf das Kindchenschema hereingefallen, das Doessekker so überaus glaubwürdig vorspielte" (Jäger 2008).  
*Binjamin Wilkomirski/Bruno Doessekker. "Seine Geschichte von der Kindheit in Konzentrationslagern entpuppte sich vor zehn Jahren als literarisch hochbegabte Flunkerei. Daniel Ganzfried, der Sohn eines Lagerüberlebenden, hatte sich von dem gern weinend auftretenden Doessekker nicht beeindrucken lassen, er war ihm auf die Schliche gekommen und dabei gleich noch jenen Frauen, dei seinen Unterstützerkreis gebildet hatten: der Literaturkritikerin Klara obermüller (sie sprach von der 'Rückgewinnung einer verlorenen Identität' und fügte an: 'Wer daran rühen will, muss sich im Klaren sein, was er tut'), Doessekkers damaliger Ehefrau, dann der Psychoanalytikerin Alice Miller, schließlich seiner Literaturagentin. Sie all waren auf das Kindchenschema hereingefallen, das Doessekker so überaus glaubwürdig vorspielte" (Jäger 2008).
 
== Reaktionen ==
 
Die Öffentlichkeit reagiert mit Entrüstung auf derlei Phänomene. Caldwell (2008) meint, man sehe darin eine Art Sakrileg. Die Gegenwart verfüge über keinen positiven Wertekanon mehr, nur noch über eine Ersatzidentität aus Opfer-Verehrungen. Wer zu einer verfolgten Minderheit gehört, hat Zugang zur Gewinnung einer Position moralischer Autorität. Wer nicht, der hat einen signifikant eingeschränkten Zugang dazu. Daher die Attraktivität "geliehener" Identität als Opfer in der Form selbstbeigebrachter (angeblich von Neonazis beigebrachten) Verletzungen (Hakenkreuz-Einritzungen im Gesicht) oder auch in der Form der "geliehenen" Autobiographie. Es ist eine Konkurrenz um das "kulturelle Kapital" der aus der Opfereigenschaft folgenden moralischen Autorität.  


== Literatur ==
== Literatur ==
*Caldwell, Christopher (2008) Tall tales of the would-be victim. aufgerufen am 13.03.08 unter: http://www.effedieffe.com/content/view/2420/183/
*Caldwell, Christopher (2008) Tall tales of the would-be victim. aufgerufen am 13.03.08 unter: http://www.effedieffe.com/content/view/2420/183/
*Jäger, Lorenz (2008) Das Drama eines weiteren begabten Kindes: Wilkomirski, Defonseca und jetzt Margaret Seltzer - sie flunkern uns ihr Leben vor. FAZ 06.03.08: 44.
*Jäger, Lorenz (2008) Das Drama eines weiteren begabten Kindes: Wilkomirski, Defonseca und jetzt Margaret Seltzer - sie flunkern uns ihr Leben vor. FAZ 06.03.08: 44.
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