Entkriminalisierung und Entrümpelung: Unterschied zwischen den Versionen

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==  Mobilität und Konsum ==
==  Mobilität und Konsum ==
===Unfallflucht (§ 142 StGB)===
===Unfallflucht (§ 142 StGB)===
'''Das Gesetz''': Das [https://dejure.org/gesetze/StGB/142.html Unerlaubte Entfernen vom Unfallort] stammt ursprünglich aus § 22 des Gesetzes über das Führen von Kraftfahrzeugen (1909). Die Strafdrohung wurde 1940 unter Freisler auf Gefängnis bis zu drei Jahren angehoben, um die Feigheit zu ächten, die das Fliehen vom Unfallort kennzeichnet. Trotzdem wurde der § 139a RStGB als § 142 StGB in der Bundesrepublik beibehalten.  
'''Das Gesetz''': Das [https://dejure.org/gesetze/StGB/142.html Unerlaubte Entfernen vom Unfallort] wurde 1909 durch § 22 des Gesetzes über das Führen von Kraftfahrzeugen erstmals strafbar. Die Strafbarkeit wurde erweitert und die Strafdrohung auf drei Jahre Gefängnis erhöht, als Justizminister Freisler 1940 damit auch die Feigheit desjenigen ächten wollte, der vom Unfallort flieht. Freislers § 139a RStGB blieb dem StGB trotzdem unverändert als § 142 erhalten. Ziva Kubatta (2008) Zur Reformbedürftigkeit der Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB).  


'''Empirie''':  
'''Empirie''':  
Roland Freisler hatte 1940 die Einführung des damaligen § 139a RStGB mit der Notwendigkeit begründet, die Feigheit zu bestrafen, die das Fliehen vom Unfallort kennzeichne. Die Norm kam aber nie zur Ruhe und wurde nie restlos anerkannt.


'''Kritik''':
'''Kritik''':
Diese Strafnorm  wurde vielfach als verfassungswidrig angesehen, weil sie den Täter u.U. zur Selbstbelastung verpflichtet (nemo tenetur se ipse accusare) und damit gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt. Auch das Argument des BVerfG (1963), dass der Schutzzweck der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche Vorrang vor dem Grundrecht des Täters habe, konnte die Diskussion nicht beenden, so dass es am 1.9.1969 zu sprachlichen Änderungen und am 1.1.1975 und am 21.6.1975 zu weiteren Änderungen kam - bis heute halten einige die Verfassungsmäßigkeit des Tatbestands für zweifelhaft und werfen ihm eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots oder des Schuldprinzips vor, ganz abgesehen von der systemwidrig weiten Ermöglichung des Strafaufhebungsgrunds der tätigen Reue (Meldung binnen 24 Stunden bei geringem Schaden) seit der Gesetzesänderung vom 1.4.1998: der Täter hat die Möglichkeit, nach Vollendung des Delikts durch Verhalten, das im Interesse des Unfallgeschädigten liegt, eine Milderung der Strafe oder sogar Straflosigkeit zu erlangen. - Ob das unerlaubte Entfernen vom Unfallort - das totz seiner Platzierung unter den Delikten gegen die öffentliche Ordnung in Wirklichkeit dem Schutz privater Vermögensinteressen dient (Feststellung von Informationen über Unfallbeteiligte, die für die Geschädigten von Bedeutung sein können) - überhaupt strafbar sein muss, war jüngst Gegenstand von Diskussionen auf dem 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar, wo im Januar 2018 letztlich für "mehr Nachsicht bei minderschweren Fällen von Unfallflucht" plädiert wurde.
*Verfassungswidrige Pflicht zur Selbstbelastung entgegen dem nemo tenetur (se ipse accusare) Grundsatz. Das Argument des BVerfG (1963), dass der Schutzzweck der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche Vorrang vor dem Grundrecht des Täters habe, konnte die Diskussion nicht beenden. Trotz Änderungen am 1.9.1969 und 1.1.1975 sowie 21.6.1975 wird bis heute die Verfassungsmäßigkeit angezweifelt (Verletzung des Bestimmtheitsgebots oder des Schuldprinzips), ganz abgesehen von der systemwidrigen Reichweite der tätigen Reue (1.4.1998). Im Abschnitt über Delikte gegen die öffentliche Ordnung falsch plaziert, da in Wirklichkeit dem Schutz privater Vermögensinteressen dienend.
 
'''Alternativen'''
 
 
'''Forderungen'''
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, war jüngst Gegenstand von Diskussionen auf dem 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar, wo im Januar 2018 letztlich für "mehr Nachsicht bei minderschweren Fällen von Unfallflucht" plädiert wurde.
*Der '''ADAC''' hatte gefordert, bei Bagatellschäden auf Strafverfolgung zu verzichten. Die bisherige Fassung des § 142 StB habe sich nicht bewährt. Unfallverursacher würden sich im Nachhinein aus Angst vor Strafe nicht melden und die Geschädigten so auf ihren Kosten sitzenbleiben. Der VGTZ forderte eine Präzisierung, wie lange Unfallverursacher am Unfallort warten müssen. Das nachträgliche Melden eines Unfalls müsse zudem verstärkt zu Straffreiheit führen.(FAZ v. 27.1.2018: 5: Mehr Nachsicht bei Unfallflucht gefordert.)
*Der '''ADAC''' hatte gefordert, bei Bagatellschäden auf Strafverfolgung zu verzichten. Die bisherige Fassung des § 142 StB habe sich nicht bewährt. Unfallverursacher würden sich im Nachhinein aus Angst vor Strafe nicht melden und die Geschädigten so auf ihren Kosten sitzenbleiben. Der VGTZ forderte eine Präzisierung, wie lange Unfallverursacher am Unfallort warten müssen. Das nachträgliche Melden eines Unfalls müsse zudem verstärkt zu Straffreiheit führen.(FAZ v. 27.1.2018: 5: Mehr Nachsicht bei Unfallflucht gefordert.)


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