Entkriminalisierung und Entrümpelung: Unterschied zwischen den Versionen

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Nachdem der Bremer Strafverteidigertag 2017 auf die Reform des Strafprozesses und des Sanktionenwesens - insbesondere auf die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und die  Ersetzung der lebenslangen durch eine Höchststrafe von 15 Jahren - gedrungen hatte, geht es 2018 nicht zuletzt um eine "sinnvolle und effiziente Modernisierung des Strafrechts". Dazu will man sich auch der zeitgeschichtlichen Dimension versichern und fragt: ''Wann sind Forderungen zur Entkriminalisierung von wem und mit welchen Gründen erhoben worden und warum sind sie gescheitert? Welche Ideen sind es nach wie vor wert, umgesetzt zu werden?'' Die Devise heißt: ''Entkriminalisierung und Entrümpelung'' undsetzt einen Kontrapunkt zum punitiven Aktionismus, der die jüngste Phase der Rechtspolitik kennzeichnete.
Nachdem der Bremer Strafverteidigertag 2017 auf die Reform des Strafprozesses und des Sanktionenwesens - insbesondere auf die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und die  Ersetzung der lebenslangen durch eine Höchststrafe von 15 Jahren - gedrungen hatte, geht es 2018 nicht zuletzt um eine "sinnvolle und effiziente Modernisierung des Strafrechts". Dazu will man sich auch der zeitgeschichtlichen Dimension versichern und fragt: ''Wann sind Forderungen zur Entkriminalisierung von wem und mit welchen Gründen erhoben worden und warum sind sie gescheitert? Welche Ideen sind es nach wie vor wert, umgesetzt zu werden?'' Die Devise ''Entkriminalisierung und Entrümpelung'' setzt einen Kontrapunkt zum populistisch-punitiven Aktionismus der jüngsten Phase der Rechtspolitik.


== Neues Gerümpel ==
== Neues Gerümpel ==
In der Ära Maas kam zu dem alten viel neues Gerümpel und tatsächlich bezieht sich der  jüngst von Arthur Kreuzer (2017)  unter dem Titel "Reformiert endlich das Strafrecht!" publizierte Aufruf schwerpunktmäßig auf die Notwendigkeit, zunächst einmal all das wieder wegzuschaffen, was sich seit dem Amtsantritt von Justizminister Heiko Maas (17.12.2013) angesammelt hat. Man denke an die:
In der Ära Maas kam zu dem alten viel neues Gerümpel und tatsächlich bezieht sich der  jüngst von Arthur Kreuzer (2017)  unter dem Titel "Reformiert endlich das Strafrecht!" publizierte Aufruf schwerpunktmäßig auf die Notwendigkeit, zunächst einmal all das wieder wegzuschaffen, was sich seit dem Amtsantritt von Justizminister Heiko Maas (17.12.2013) angesammelt hat. Man denke an die:
# Einführung einer Strafvorschrift gegen das Eigendoping (§ 4 AntiDopG von 2015), einer Vorschrift, die weder geeignet noch erforderlich ist, um ihren Zweck zu erreichen. Geeignet und erforderlich wären nach Kreuzer (2017) Regeln für die Unterbindung und Sanktionierung durch Verbandsstrafen auf der Ebene der Fachverbände. Kriminalstrafen haben sich hingegen dort, wo es sie im Ausland schon gibt, als untauglich erwiesen (bislang keine einzige Verurteilung bekannt). Vor allem aber handelt es sich dabei um eine verfassungswidrige Strafbarstellung eines Verhaltens zum Schutz des Sportlers vor sich selbst. Nach Bott & Mitsch (2018) steht die Vorschrift "nicht nur in Widerspruch zu den sonstigen strafrechtlichen Grundsätzen und der Systematik des StGB. Es bleibt außerdem insbesondere fraglich, welcher positive Zweck zum Schutz der Gesundheit mit einer Strafandrohung gegenüber einem sich aus freien Stücken selbst an der Gesundheit Schädigenden erreicht werden könnte."
# Einführung einer Strafvorschrift gegen das Eigendoping (§ 4 AntiDopG von 2015), einer Vorschrift, die weder geeignet noch erforderlich ist, um ihren Zweck zu erreichen. Geeignet und erforderlich wären nach Kreuzer (2017) Regeln für die Unterbindung und Sanktionierung durch Verbandsstrafen auf der Ebene der Fachverbände. Kriminalstrafen haben sich hingegen dort, wo es sie im Ausland schon gibt, als untauglich erwiesen (bislang keine einzige Verurteilung bekannt). Vor allem aber handelt es sich dabei um eine verfassungswidrige Strafbarstellung eines Verhaltens zum Schutz des Sportlers vor sich selbst. Nach Bott & Mitsch (2018) steht die Vorschrift "nicht nur in Widerspruch zu den sonstigen strafrechtlichen Grundsätzen und der Systematik des StGB. Es bleibt außerdem insbesondere fraglich, welcher positive Zweck zum Schutz der Gesundheit mit einer Strafandrohung gegenüber einem sich aus freien Stücken selbst an der Gesundheit Schädigenden erreicht werden könnte."
# erneute Erweiterung des [https://dejure.org/gesetze/StGB/184b.html § 184b StGB]; nachdem die Vorschrift schon 2008 um das Verbreiten, den Erwerb und Besitz sog. Posing-Fotos erweitert worden war, wurde 2015 das Erfordernis einer Darstellung einer sexuellen Handlung des Kindes fallengelassen, so dass schon etwa die Nahaufnahme eines Gesäßes oder das Bild eines schlafenden Kindes genügt; vor genügt seither durch Absatz 4 der Versuch des Beschaffens stimulierender Kinderbilder für eine gehörige Strafbarkeit (von 3 Monaten bis zu 5 Jahren). Dabei reicht es, Pornolinks anzuklicken. Den Aufruf einer solchen Website rückgängig zu machen, befreit nicht von der Strafbarkeit. Dazu Arthur Kreuzer: Hier wird ein massenhaftes Verhalten auch von jungen Menschen kriminalisiert - mit der absehbaren Folge von Denunziationen unliebsamer Bekannter und dass Unschuldige ins Visier der Justiz geraten.
# erneute Erweiterung des [https://dejure.org/gesetze/StGB/184b.html § 184b StGB] (Paragrafen ohne Gesetzesangabe sind im Folgenden solche des StGB). Nachdem die Vorschrift schon 2008 um Verbreiten, Erwerb und Besitz sog. Posing-Fotos erweitert worden war, ließ man 2015 das Erfordernis einer Darstellung sexueller Handlungen fallen, so dass auch schon Bilder schlafender Kinder oder die Abbildung eines Gesäßes für die Strafbarkeit von 3 Monaten bis zu 5 Jahren genügen. Vor allem wurde durch Absatz 4 der Versuch des Beschaffens solcher Bilder strafbar. Dabei reicht es, Pornolinks anzuklicken. Den Aufruf einer solchen Website rückgängig zu machen, befreit nicht von der Strafbarkeit. Kriminologen wie Kreuzer warnen: hier wird ein massenhaftes Verhalten auch von jungen Menschen kriminalisiert - mit der absehbaren Folge von Denunziationen unliebsamer Bekannter; da können auch viele Unschuldige in die Mühlen der Justiz geraten.
# Kriminalisierung der sogenannten Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB von 2015). Auch hier war eine Kriminalisierung weder nötig noch rechtsstaatlich angemessen oder verhältnismäßig. Völlig genügend wäre es ordnungsbehördliches Ausreiseverbot, dessen Übertretung als Straftat hätte geahndet werden können. Was im Straftatbestand als Vorbereitung bezeichnet wird, nennt selbst der BGH "den Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung" und sieht den "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" tangiert. Kreuzer: "Strafbar ist bereits, wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden zu lassen, die es ihm ermöglichen, später islamistische Aktionen zu unterstützen. Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Ohne dass hier eine wirkliche Straftat vorliegt, will man Tatgeschehen künstlich behaupten, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen."
# Kriminalisierung der sogenannten Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a von 2015). Kriminologisch weder erforderlich noch angemessen. Ein ordnungsbehördliches Ausreiseverbot genügte. Was im Straftatbestand als Vorbereitung bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit allenfalls der "Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung" - so der BGH, der trotz dieser Diagnose wohl aus Staatsraison lediglich den "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" tangiert sehen wollte. Kreuzer: "Strafbar ist bereits, wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden zu lassen, die es ihm ermöglichen, später islamistische Aktionen zu unterstützen. Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Ohne dass hier eine wirkliche Straftat vorliegt, will man Tatgeschehen künstlich behaupten, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen."
# Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB von 2015). Dieser am 10.12.2015 in Kraft getretene Straftatbestand ist überflüssig, weil sich der Zweck der Unterbindung problematischer Sterbehilfeorganisationen besser über das Vereins- und Gewerberecht erreichen lässt. So hingegen läutet man das Sterbeglöckchen für die Selbstbestimmung am Lebensende. Auch hier also die Wiederkehr moralisierenden Strafrechts. Wie heutzutage schon üblich, bedroht auch eine beängstigende Unbestimmtheit des Gesetzes selbst ethisch einwandfreie Sterbebegleiter mit Strafe und bringt sie ohne Not in ein Dilemma zwischen Strafbarkeit wegen Suizidbeihilfe oder unterlassener Hilfeleistung. Beschäftigte müssen mit Denunziationen enttäuschter Angehöriger und erniedrigenden polizeilichen Ermittlungen rechnen. Nicht zuletzt kann das Gesetz auch Ärzte treffen, die aus höchst ehrenwerten Motiven mehrere Schwerstkranke betreuen und ihr Sterben begleiten.
# Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 von 2015). Dieser am 10.12.2015 in Kraft getretene Straftatbestand ist überflüssig, weil sich der Zweck der Unterbindung problematischer Sterbehilfeorganisationen besser über das Vereins- und Gewerberecht erreichen lässt. So hingegen läutet man das Sterbeglöckchen für die Selbstbestimmung am Lebensende. Auch hier also die Wiederkehr moralisierenden Strafrechts. Die Unbestimmtheit des Gesetzes kann auch ethisch lobenswerte Sterbebegleitung völlig unnötig in ein Dilemma zwischen strafbarer Suizidbeihilfe und strafbarer unterlassener Hilfeleistung bringen. Ärzte und in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Hospizen Beschäftigte müssen mit Denunziationen enttäuschter Angehöriger und erniedrigenden polizeilichen Ermittlungen rechnen.  
# von Tatjana Hörnle als "Rückfall in Strafrechtsmoralismus und Prüderie" gescholtene Gleichstellung des sexuellen Übergriffs gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person mit der Vergewaltigung im neuen § 177 StGB von 2016 (im Folgenden sind Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes immer solche des StGB) - einen Akt der Gesetzgebung, der sowohl der zu Recht von Monika Frommel ausgegebenen Devise widerspricht, dass nur klare Fälle von Zwang und Gewalt überhaupt ins Strafrecht gehören, Grenzfälle hingegen ins Zivilrecht oder ins Gewaltschutzgesetz (und dass Beziehungsdelikte ansonsten am besten von Familiengerichten geregelt werden), als auch von Arthur Kreuzer dafür gescholten wurde, dass hier ein neues Massendelikt geschaffen wurde, das "voraussehbar manche Betroffene, aber auch viele nicht Betroffene zu Anzeigen verleiten wird", notwendigerweise zu vielen folgenlosen Verfahrenseinstellungen und viel Frustration führen wird
# von Tatjana Hörnle als "Rückfall in Strafrechtsmoralismus und Prüderie" gescholtene Gleichstellung des sexuellen Übergriffs gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person mit der Vergewaltigung im neuen § 177 StGB von 2016 (im Folgenden sind Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes immer solche des StGB) - einen Akt der Gesetzgebung, der sowohl der zu Recht von Monika Frommel ausgegebenen Devise widerspricht, dass nur klare Fälle von Zwang und Gewalt überhaupt ins Strafrecht gehören, Grenzfälle hingegen ins Zivilrecht oder ins Gewaltschutzgesetz (und dass Beziehungsdelikte ansonsten am besten von Familiengerichten geregelt werden), als auch von Arthur Kreuzer dafür gescholten wurde, dass hier ein neues Massendelikt geschaffen wurde, das "voraussehbar manche Betroffene, aber auch viele nicht Betroffene zu Anzeigen verleiten wird", notwendigerweise zu vielen folgenlosen Verfahrenseinstellungen und viel Frustration führen wird
# Verschlimmbesserung des § 244 StGB aus dem Jahr 2017 durch die Aufwertung des Einbruchs in Privatwohnungen vom Vergehen zum Verbrechen bei gleichzeitiger Streichung der Möglichkeit einer Strafmilderung in minder schweren Fällen - eine Gesetzesänderung, die erstens systemwidrig ist, weil sie im Widerspruch zu der Tatsache sthet, dass sogar der schwerere Tatbestand des bandenmäßigen Einbruchsdiebstahls einen minder schweren Fall kennt, zweitens auf falschen Vorstellungen über die typischen Erscheinungsformen dieses Delikts beruht und drittens entweder zu einer Welle justizieller Überpönalisierungen oder aber zu Umgehungsstrategien praeter legem und/oder oder zum Verfassungsgericht führen wird
# Verschlimmbesserung des § 244 StGB aus dem Jahr 2017 durch die Aufwertung des Einbruchs in Privatwohnungen vom Vergehen zum Verbrechen bei gleichzeitiger Streichung der Möglichkeit einer Strafmilderung in minder schweren Fällen - eine Gesetzesänderung, die erstens systemwidrig ist, weil sie im Widerspruch zu der Tatsache sthet, dass sogar der schwerere Tatbestand des bandenmäßigen Einbruchsdiebstahls einen minder schweren Fall kennt, zweitens auf falschen Vorstellungen über die typischen Erscheinungsformen dieses Delikts beruht und drittens entweder zu einer Welle justizieller Überpönalisierungen oder aber zu Umgehungsstrategien praeter legem und/oder oder zum Verfassungsgericht führen wird
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