Entkriminalisierung und Entrümpelung: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Gotteslästerung (§ 166 StGB) ===
=== Gotteslästerung (§ 166 StGB) ===
Im Schönfelder heißt [https://dejure.org/gesetze/StGB/166.html § 166 StGB] natürlich nicht mehr Gotteslästerung oder Blasphemie, sondern "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" und bedroht mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren, wer "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", den Inhalt von anderer Leute religiöser Lehre oder eine Kirche oder Religion beschimpft.  
Im Schönfelder heißt [https://dejure.org/gesetze/StGB/166.html § 166 StGB] natürlich nicht mehr Gotteslästerung oder Blasphemie, sondern "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" und bedroht mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren, wer "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", den Inhalt von anderer Leute religiöser Lehre oder eine Kirche oder Religion beschimpft. Jährlich kommt es zu ca. 15 Verurteilungen.
 
Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Frieden, nicht das Bekenntnis als solches oder die bloßen Gefühle seiner Anhänger. Beschimpfen ist eine besonders gravierende herabsetzende Äußerung. Die beschimpfenden Äußerungen müssen nicht an die Kreise gerichtet sein, in denen sie zur Störung des öffentlichen Friedens führen können. Es genügt, wenn zu befürchten ist, dass sie dort bekannt werden.
 
§ 166 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, d.h. der öffentliche Frieden muss durch die Beschimpfung nicht tatsächlich gefährdet sein, sondern berechtigte Gründe für die Befürchtung, der öffentliche Frieden könnte gestört werden, reichen aus. Die Beurteilung, ob das der Fall ist, soll aus der Perspektive eines objektiven, nicht besonders empfindlichen Beobachters erfolgen.
 
'''Kritik'''
Kritiker sehen in der Vorschrift eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Insbesondere durch eine einseitige Anwendung verleite der Paragraph zu einem Schutz der Mehrheitsmeinung, nicht aber zwangsläufig zum Schutz einer Minderheitsmeinung, da die Interessen kleinerer Gruppen seltener mit dem „öffentlichen Frieden“ gleichgesetzt werden. Sie lehnen den Paragraphen auch als sogenannten Gummiparagraphen ab, insbesondere, weil nicht klar sei, wie „Beschimpfung“ zu definieren ist – darunter könne jede negative Äußerung fallen. Noch fraglicher sei, wann eine solche „Beschimpfung“ geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (die „Eignung“ reicht; sog. abstraktes Gefährdungsdelikt). Kritiker behaupten, eine solche „Friedensstörung“ könne – analog zur Volksverhetzung – a posteriori (nachträglich) konstruiert werden, wenn sich Gläubige beschwerten. Zudem kann die Friedensstörung durch die betroffene Religionsgemeinschaft bewusst herbeigeführt werden, damit der Paragraph zur Anwendung kommen kann, beispielsweise durch Anwendung von Gewalt gegen die "Gotteslästerer" oder durch die Blockade eines Theaters, in dem ein religionskritisches Stück aufgeführt werden soll. Andererseits könne in politischen Wetterlagen, in denen die Verfolgung von Gotteslästerern nicht opportun sei, fast immer damit argumentiert werden, der Beschuldigte sei nicht bekannt genug, um mit seinen Äußerungen eine breite Öffentlichkeit zu schockieren.- Kritisiert wird, dass der Staat damit das kritische Denken unterdrücke: „Das zentrale Merkmal der Aufklärung ist, alles hinterfragen zu dürfen. Das Licht der Vernunft soll in jeden Winkel scheinen, um Unterdrückung, Aberglaube, Intoleranz und Vorurteile zu überwinden. (...) Der Staat macht sich mit solchen Gesetzen zum Unterstützer der Feinde des offenen Diskurses. Vertreter jedweder Ideologie, ob politisch oder religiös, müssen es schlicht ertragen können, dass ihre Weltanschauung hinterfragt, kritisiert und, ja, auch lächerlich gemacht wird.“ - Der Paragraph ist stark in der Kritik von atheistischen Gruppen und Kirchenkritikern sowie von Künstlern, die sich in ihrer Freiheit beschnitten fühlen. Kurt Tucholsky meinte zu diesem „mittelalterlichen Diktaturparagraphen“ (in der vorhergehenden Fassung): „Ich mag mich nicht gern mit der Kirche auseinandersetzen; es hat ja keinen Sinn, mit einer Anschauungsweise zu diskutieren, die sich strafrechtlich hat schützen lassen.“
 
Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon kritisierte nach dem Anschlag auf das Redaktionsbüro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, dass „[d]er öffentliche Friede […] nicht durch Künstler gestört [wird], die Religionen satirisch aufs Korn nehmen, sondern durch Fanatiker, die auf Kritik nicht angemessen reagieren können“. Er forderte die Abschaffung des § 166 StGB: „In der Praxis hat dieser Paragraph zu einer völligen Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt. Namhafte Künstler wie Kurt Tucholsky oder George Grosz wurden mit Hilfe dieses Zensurparagraphen gemaßregelt. Tatsächlich aber wurde der öffentliche Friede niemals durch kritische Kunst bedroht, sondern vielmehr durch religiöse oder politische Fanatiker, die nicht in der Lage waren, die künstlerische Infragestellung ihrer Weltanschauung rational zu verarbeiten.“


"Nach dem Anschlag auf 'Charlie Hebdo': Gotteslästerungsparagraphen 166 StGB abschaffen!", forderte nicht nur die Giordano-Bruno-Stiftung (08.01.2015). Auch die [https://www.fdp.de/forderung/100-2 FDP nahm diese Forderung in ihr Programm auf]: der Staat solle die Kunstfreiheit schützen - und nicht die Gefühle religiöser Fanatiker. "Auch wenn absichtliche Schmähungen Andersgläubiger oder Andersdenkender nicht förderlich für ein friedliches Miteinander sind, halten wir den Blasphemie-Paragraphen 166 StGB für überflüssig und wollen ihn abschaffen."
"Nach dem Anschlag auf 'Charlie Hebdo': Gotteslästerungsparagraphen 166 StGB abschaffen!", forderte nicht nur die Giordano-Bruno-Stiftung (08.01.2015). Auch die [https://www.fdp.de/forderung/100-2 FDP nahm diese Forderung in ihr Programm auf]: der Staat solle die Kunstfreiheit schützen - und nicht die Gefühle religiöser Fanatiker. "Auch wenn absichtliche Schmähungen Andersgläubiger oder Andersdenkender nicht förderlich für ein friedliches Miteinander sind, halten wir den Blasphemie-Paragraphen 166 StGB für überflüssig und wollen ihn abschaffen."
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