Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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==Begriff==
==Begriff und Bestimmungsgründe==
Entkriminalisierung bezeichnet den Vorgang der Rücknahme einer Kriminalisierung. Durch die Entkriminalisierung entfällt die Strafbarkeit eines Verhaltens.
Entkriminalisierung bezeichnet den Vorgang der Rücknahme einer Kriminalisierung. Durch die Entkriminalisierung entfällt die Strafbarkeit eines Verhaltens.


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In der Öffentlichkeit wird der Begriff der Entkriminalisierung oft mit dem der Legalisierung gleichgesetzt. Gelegentlich wird Entkriminalisierung sogar als offizielle Billigung oder Förderung des in Frage stehenden Verhaltens verstanden. Das übersieht zwei wichtige Unterscheidungen, was Arten und Botschaften der Entkriminalisierung angeht: erstens den Unterschied zwischen legalisierenden und transformierenden Entkriminalisierungen und zweitens die unterschiedlichen Bestimmungsgründe für Entkriminalisierungen.  
In der Öffentlichkeit wird der Begriff der Entkriminalisierung oft mit dem der Legalisierung gleichgesetzt. Gelegentlich wird Entkriminalisierung sogar als offizielle Billigung oder Förderung des in Frage stehenden Verhaltens verstanden. Das übersieht zwei wichtige Unterscheidungen, was Arten und Botschaften der Entkriminalisierung angeht: erstens den Unterschied zwischen legalisierenden und transformierenden Entkriminalisierungen und zweitens die unterschiedlichen Bestimmungsgründe für Entkriminalisierungen.  


=== Legalisierung vs. Transformation ===
=== Legalisierende vs. transformierende Entkriminalisierung ===
Entkriminalisierung kann Legalisierung bedeuten, muss aber nicht. Bei der ''legalisierenden'' Entkriminalisierung wird aus einem bei Strafe verbotenen Verhalten ein erlaubtes Verhalten. Beispiel: Anbau und Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken, bislang als Straftaten verfolgt, wurden in Uruguay als erstem Land der Welt mit dem Gesetz 19.172 vom 10.12.2013 wieder erlaubt. Die Entkriminalisierung ist nicht "ersatzlos", weil eine restriktive Regulierung an die Stelle des Verbots tritt, aber sie ist auch nicht nur "scheinbar", sondern "echt", weil sowohl diese Verhaltensweisen aus der Sphäre des Kriminellen herausgeholt wurden. Erlaubt sind der lizensierte Anbau im großen Stil, aber auch der nicht-kommerzielle Anbau von bis zu sechs Cannabis-Pflanzen pro Person (bzw. von bis zu 99 Pflanzen für Marihuana-Clubs mit 15 bis 45 Mitgliedern) und der Apotheken-Kauf von bis zu 40g monatlich pro Person, aufgeteilt in standardisierte 5-Gramm-Päckchen von vier veschiedenen Sorten à knapp 7 USD. Konsumenten müssen sich allerdings in ein Register eintragen und weder Minderjährigen noch Ausländern wird mit dieser Regulation ein legaler Zugang eröffnet.
Entkriminalisierung kann Legalisierung bedeuten, muss aber nicht. Bei der ''legalisierenden'' Entkriminalisierung wird aus einem bei Strafe verbotenen Verhalten ein erlaubtes Verhalten. Beispiel: Anbau und Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken, bislang als Straftaten verfolgt, wurden in Uruguay als erstem Land der Welt mit dem Gesetz 19.172 vom 10.12.2013 wieder erlaubt. Die Entkriminalisierung ist nicht "ersatzlos", weil eine restriktive Regulierung an die Stelle des Verbots tritt, aber sie ist auch nicht nur "scheinbar", sondern "echt", weil sowohl diese Verhaltensweisen aus der Sphäre des Kriminellen herausgeholt wurden. Erlaubt sind der lizensierte Anbau im großen Stil, aber auch der nicht-kommerzielle Anbau von bis zu sechs Cannabis-Pflanzen pro Person (bzw. von bis zu 99 Pflanzen für Marihuana-Clubs mit 15 bis 45 Mitgliedern) und der Apotheken-Kauf von bis zu 40g monatlich pro Person, aufgeteilt in standardisierte 5-Gramm-Päckchen von vier veschiedenen Sorten à knapp 7 USD. Konsumenten müssen sich allerdings in ein Register eintragen und weder Minderjährigen noch Ausländern wird mit dieser Regulation ein legaler Zugang eröffnet.


Anders verhält es sich bei der ''transformierenden'' Entkriminalisierung, bei der zwar die Strafbarkeit entfällt, nicht aber das Verboten-Sein der Handlung. Beispiel: Umwandlung der strafbaren Straßenverkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz vom 24.5.1968. Dadurch wurden Tatbestände formal aus dem Strafrecht ausgegliedert, um anschließend in einer anderen Rechtsmaterie, in einem Katalog für Ordnungswidrigkeiten, wieder aufzutauchen. Das Verhalten wird deutlich weniger starker Ächtung ausgesetzt, deshalb aber noch lange nicht gutgeheißen. Insofern ist es eine echte und keine nur scheinbare Entkriminalisierung (so aber Naucke 1984), aber eben nicht legalisierend, sondern (nur) transformierend.
Anders verhält es sich bei der ''transformierenden'' Entkriminalisierung, bei der zwar die Strafbarkeit entfällt, nicht aber das Verboten-Sein der Handlung. Beispiel: Umwandlung der strafbaren Straßenverkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz vom 24.5.1968. Dadurch wurden Tatbestände formal aus dem Strafrecht ausgegliedert, um anschließend in einer anderen Rechtsmaterie, in einem Katalog für Ordnungswidrigkeiten, wieder aufzutauchen. Das Verhalten wird deutlich weniger starker Ächtung ausgesetzt, deshalb aber noch lange nicht gutgeheißen. Insofern ist es eine echte und keine nur scheinbare Entkriminalisierung (so aber Naucke 1984), aber eben nicht legalisierend, sondern (nur) transformierend.


=== Drei Bestimmungsgründe: Moral, Staatsverständnis, Kosten-Nutzen-Kalkül ===
=== Moral, Staatsverständnis und Kosten-Nutzen-Kalkül ===
Entkriminalisierungen kommen aus zweck- und/oder wertrationalen '''Gründen''' immer dann in Betracht, wenn relevante Akteure entweder
Entkriminalisierungen kommen aus zweck- und/oder wertrationalen '''Gründen''' immer dann in Betracht, wenn relevante Akteure entweder
#das Verhalten nicht mehr so schlimm finden, bzw. ein bislang geächtetes Verhalten anerkennen (der Europarat - Council of Europe 1980: 15 - spricht dann vom Typ A der Entkriminalisierung, der auf einem Wandel moralischer Bewertung beruht), oder wenn sie
#das Verhalten nicht mehr so schlimm finden, bzw. ein bislang geächtetes Verhalten anerkennen (der Europarat - Council of Europe 1980: 15 - spricht dann vom Typ A der Entkriminalisierung, der auf einem Wandel moralischer Bewertung beruht), oder wenn sie
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