Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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== Auf längere Sicht==
== Auf längere Sicht==
=== Entkriminalisierung als Perspektive ===
"Wenn Politik dahin tendiert, sich auszuweiten und sich dabei aller (im Rahmen der Verfassung zulässiger) Mittel, also auch des Strafrechts, zur Verfolgung ihrer Zwecke zu bedienen, so sollte Strafrechtswissenschaft sich als Strafbegrenzungswissenschaft verstehen. Sie sollte mit jedem ihrer drei Elemente der tendenziell unbegrenzten Strafwilligkeit der Politik rechtliche Grenzen signalisieren. In der Sache bedeutet dies eine abolitionistische Perspektive, also eine Perspektive der Entkriminalisierung - wohlgemerkt eine Perspektive, d.h. weder ein geschlossenes System noch ein kurzfristig umzusetzendes Aktionsprogramm, sondern einen Fluchtpunkt kriminalpolitischen und strafrechtswissenschaftlichen Denkens und Argumentierens
=== Reduktion auf das Kernstrafrecht ===
=== Reduktion auf das Kernstrafrecht ===
Das Strafrecht ist eine Institution des Rechtszwangs par excellence. Im Strafrecht kristallisiert sich der Anspruch der Herrschaft auf weitgehende und im Extremfall totale Verfügung über die Existenz der Untertanen: je autoritärer das Regime, desto härter das Strafrecht. Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit begrenzt das Strafrecht zunächst einmal auf das absolut notwendige Ausmaß. Schon der große Montesquieu wusste: "Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch." Hundert Jahre später erklärte Mittermaier (1819) es zum "Grundfehler" seiner Zeit, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen.“ Und kein geringerer als Franz von Liszt forderte unmissverständlich, dass ein Verhalten nur dann unter Strafe gestellt werden dürfe, wenn und soweit es dafür eine Notwendigkeit bestehe: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“ (zit. nach Roos 1981: 7 f.). Gustav Radbruch erklärte 1927 in seiner Schrift „Abbau des Strafrechts“, dass das Ziel der strafrechtlichen Entwicklung nicht die Verbesserung des Strafrechts sei, sondern das Ersetzen des Strafrechts durch etwas Besseres. Seitdem wurde eine Begrenzung des Strafrechts immer wieder gefordert. Strafrecht, so die Lehre der ultima ratio, darf als schwerstes staatliches Eingriffsinstrument nur eingesetzt werden, wenn andere gesellschaftliche oder gesetzliche Regulierungsmöglichkeiten unzureichend sind, um wichtige Rechtsgüter zu schützen.
Das Strafrecht ist eine Institution des Rechtszwangs par excellence. Im Strafrecht kristallisiert sich der Anspruch der Herrschaft auf weitgehende und im Extremfall totale Verfügung über die Existenz der Untertanen: je autoritärer das Regime, desto härter das Strafrecht. Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit begrenzt das Strafrecht zunächst einmal auf das absolut notwendige Ausmaß. Schon der große Montesquieu wusste: "Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch." Hundert Jahre später erklärte Mittermaier (1819) es zum "Grundfehler" seiner Zeit, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen.“ Und kein geringerer als Franz von Liszt forderte unmissverständlich, dass ein Verhalten nur dann unter Strafe gestellt werden dürfe, wenn und soweit es dafür eine Notwendigkeit bestehe: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“ (zit. nach Roos 1981: 7 f.). Gustav Radbruch erklärte 1927 in seiner Schrift „Abbau des Strafrechts“, dass das Ziel der strafrechtlichen Entwicklung nicht die Verbesserung des Strafrechts sei, sondern das Ersetzen des Strafrechts durch etwas Besseres. Seitdem wurde eine Begrenzung des Strafrechts immer wieder gefordert. Strafrecht, so die Lehre der ultima ratio, darf als schwerstes staatliches Eingriffsinstrument nur eingesetzt werden, wenn andere gesellschaftliche oder gesetzliche Regulierungsmöglichkeiten unzureichend sind, um wichtige Rechtsgüter zu schützen.
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