Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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Kohl und Scheerer (1989: 89) unterscheiden anders:  
Kohl und Scheerer (1989: 89) unterscheiden anders:  
*Wenn das Verhalten weiterhin einen Straftatbestand darstellt, die Sanktion aber nicht Strafe, sondern Maßregel heißt, liegt gar keine Entkriminalisierung vor. Denkbar wäre allenfalls, auch nicht unproblematisch, von einer Entpönalisierung zu sprechen, da die poena, die peinliche Kriminalstrafe, ja entfällt, wenn auch die Sanktionsdrohung erhalten bleibt.
*Wenn das Verhalten weiterhin einen Straftatbestand darstellt, die Sanktion aber nicht Strafe, sondern Maßregel heißt, liegt gar keine Entkriminalisierung vor. Denkbar wäre allenfalls, auch nicht unproblematisch, von einer Entpönalisierung zu sprechen, da die poena, die peinliche Kriminalstrafe, ja entfällt, wenn auch die Sanktionsdrohung erhalten bleibt.
*Wo hingegen das Verhalten vom Straftatbestand zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird, liegt eine ''echte'' - wenn auch nicht ''ersatzlose'' - Entkriminalisierung vor. Kohl und Scheerer schlugen vor, in solchen Fällen von einer ''transformierenden'' Entkriminalisierung zu sprechen: das Verhalten bleibt zwar verboten und das Verbot bleibt auch weiterhin sanktionsbewehrt, aber was Kriminalunrecht war, wird nun in Verwaltungsunrecht transformiert. Zuständigkeiten und Verfahrensweisen ändern sich und werden zumindest in einer Hinsicht milder: es entfällt bis auf Weiteres die Drohung mit der Kriminalstrafe und der Freiheitsstrafe und damit entfällt auch das Odium des Kriminellen, d.h. die besondere Intensität sozialer Ächtung für Tat und Täter. Der Vorwurf der bloßen Umetikettierung trifft diese Fälle nicht, weil sich mit der Rücknahme der Kriminalstrafe tatsächlich etwas ändert.  
*Wo hingegen das Verhalten vom Straftatbestand zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird, liegt eine ''echte'' - wenn auch nicht ''ersatzlose'' - Entkriminalisierung vor. Kohl und Scheerer schlugen vor, in solchen Fällen von einer ''transformierenden'' Entkriminalisierung zu sprechen: das Verhalten bleibt zwar verboten und das Verbot bleibt auch weiterhin sanktionsbewehrt, aber was Kriminalunrecht war, wird nun in Verwaltungsunrecht transformiert. Zuständigkeiten und Verfahrensweisen ändern sich und werden zumindest in einer Hinsicht milder: es entfällt bis auf Weiteres die Drohung mit der Kriminalstrafe und der Freiheitsstrafe und damit entfällt auch das Odium des Kriminellen, d.h. die besondere Intensität sozialer Ächtung für Tat und Täter. Der Vorwurf der bloßen Umetikettierung trifft diese Fälle nicht, weil sich mit der Rücknahme der Kriminalstrafe tatsächlich etwas ändert. - Beispiel ist die Umwandlung der strafbaren Straßenverkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz vom 24.5.1968. Tatbestände werden formal aus dem Strafrecht ausgegliedert, um anschließend in einer anderen Rechtsmaterie, z. B. in einem Katalog für Ordnungswidrigkeiten, wieder aufzutauchen. Das ist eine tatsächliche Entkriminalisierung, die nicht dadurch weniger wirklich wird, dass sie die Rechtsmaterie "nur" verlagert. Denn immerhin fallen der spezifische Zwangscharakter und die spezifische Ächtung weg. Das Verhalten gilt nicht mehr als "crimen" mit all den Konsequenzen, die das hat.


Beispiel ist die Umwandlung der strafbaren Straßenverkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz vom 24.5.1968. Tatbestände werden formal aus dem Strafrecht ausgegliedert, um anschließend in einer anderen Rechtsmaterie, z. B. in einem Katalog für Ordnungswidrigkeiten, wieder aufzutauchen. Das ist eine tatsächliche Entkriminalisierung, die nicht dadurch weniger wirklich wird, dass sie die Rechtsmaterie "nur" verlagert. Denn immerhin fallen der spezifische Zwangscharakter und die spezifische Ächtung weg. Das Verhalten gilt nicht mehr als "crimen" mit all den Konsequenzen, die das hat.
Die '''Bestimmungsgründe''' von Entkriminalisierungen können zweck- oder wertrational sein. Der Europaratsbericht (Council of Europe 1980: 15) unterschied:
 
Die Bestimmungsgründe von Entkriminalisierungen variieren zwischen Zweck- und Wertrationalität. Der Europaratsbericht (Council of Europe 1980: 15) unterschied:
#Entkriminalisierung als Anerkennung eines bislang geächteten Verhaltens (Typ A: Wandel moralischer Bewertung)
#Entkriminalisierung als Anerkennung eines bislang geächteten Verhaltens (Typ A: Wandel moralischer Bewertung)
#Entkriminalisierung als Beschränkung staatlicher Einmischung in weltanschauliche Fragen (Typ B: Wandel in der Auffassung von den Befugnissen des Strafgesetzgebers)
#Entkriminalisierung als Beschränkung staatlicher Einmischung in weltanschauliche Fragen (Typ B: Wandel in der Auffassung von den Befugnissen des Strafgesetzgebers)
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