Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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*Statt die Existenz problematischer Sterbehilfeorganisationen im Vereins- und Gewerberecht zu unterbinden, ist seit 2015 die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" ein eigener Straftatbestand. Arthur Kreuzer stimmt dem Urteil des Strafrechtlers Henning Rosenau aus Halle zu, für den der Gesetzesbeschluss "der schwarze Freitag für die Selbstbestimmung am Lebensende" war. Kreuzer: "Man glaubte die Zeiten moralisierenden Strafrechts überwunden. Überdies ist die Regelung höchst unbestimmt. Mit Strafverfolgung muss bereits rechnen, wer in Palliativstationen oder Hospizen einen Sterberaum und Sterbebegleitung jemandem zusagt, der sich in einer unerträglichen Krankheitssituation bewusst etwa für das Sterbefasten entscheidet. Sterbebegleiter sehen sich dem Dilemma ausgesetzt: zwischen einer Strafbarkeit wegen Suizidbeihilfe und unterlassener Hilfeleistung. Das politische Ziel, die Palliativmedizin zu stärken, wird in sein Gegenteil verkehrt: In Palliativ- und Hospizarbeit Tätige werden verunsichert. Denunziationen enttäuschter Angehöriger von Verstorbenen sind absehbar, ebenso peinliche und erniedrigende polizeiliche Ermittlungen in den sensiblen intimsten Bereichen des Lebens und Sterbens. Dabei ist vorauszusehen, dass wegen zu erwartender Nachweisprobleme solche Verfahren später eingestellt werden." (Kreuzer 2017).
*Statt die Existenz problematischer Sterbehilfeorganisationen im Vereins- und Gewerberecht zu unterbinden, ist seit 2015 die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" ein eigener Straftatbestand. Arthur Kreuzer stimmt dem Urteil des Strafrechtlers Henning Rosenau aus Halle zu, für den der Gesetzesbeschluss "der schwarze Freitag für die Selbstbestimmung am Lebensende" war. Kreuzer: "Man glaubte die Zeiten moralisierenden Strafrechts überwunden. Überdies ist die Regelung höchst unbestimmt. Mit Strafverfolgung muss bereits rechnen, wer in Palliativstationen oder Hospizen einen Sterberaum und Sterbebegleitung jemandem zusagt, der sich in einer unerträglichen Krankheitssituation bewusst etwa für das Sterbefasten entscheidet. Sterbebegleiter sehen sich dem Dilemma ausgesetzt: zwischen einer Strafbarkeit wegen Suizidbeihilfe und unterlassener Hilfeleistung. Das politische Ziel, die Palliativmedizin zu stärken, wird in sein Gegenteil verkehrt: In Palliativ- und Hospizarbeit Tätige werden verunsichert. Denunziationen enttäuschter Angehöriger von Verstorbenen sind absehbar, ebenso peinliche und erniedrigende polizeiliche Ermittlungen in den sensiblen intimsten Bereichen des Lebens und Sterbens. Dabei ist vorauszusehen, dass wegen zu erwartender Nachweisprobleme solche Verfahren später eingestellt werden." (Kreuzer 2017).


*Seit 2015 gibt es auch die Strafbarkeit des Eigendopings von Wettbewerbssportlern. Das ist nach Kreuzer (2017) ein Beispiel für Doppelmoral: "Denn der Staat finanziert mit Blick auf nationales Prestige ausgewählte Sporteinrichtungen. Bleiben Erfolge aus, dann auch die Fördermittel. Zugleich will der Staat Doping strafrechtlich bekämpfen. Als ob nicht seit Menschengedenken eine anthropologische Konstante sportlichen Wettkämpfen anhaftete: Doping, Fouls, künstliche Leistungssteigerung. Als ob sich nicht alle Lebenswelten künstlicher Mittel zur Leistungssteigerung bedienten. Illusionär geht es dem Gesetz um eine "Ethik des fairen, sauberen und gesunden Sports" mit "Vorbildfunktion für junge Menschen". Obwohl Sportler selbst klagen: Diese vermeintlich heile Welt des Spitzensports mache "kaputt und krank". - Der Gesetzgeber hat ignoriert, dass sportmoralische Normen ebenso wie die in den Wissenschaften zuvörderst von Fachverbänden erarbeitet und kontrolliert werden können und müssen. Er hat Doping unter Strafe gestellt, obwohl die Strafbarkeit nutzlos ist. Die Regierung hat selbst in einer Anfrage bei allen Nachbarländern, die seit Längerem solche Verbote kennen, erfahren: Nirgendwo ist auch nur ein einziger Sportler wegen Dopings strafrechtlich verurteilt worden. - Sportverbände selbst sind es, die über einzig wirksame Mittel verfügen: Anlasslose Dopingkontrollen – der Polizei wären sie versagt. Die Verbände können Sportler bei Positiv-Befunden sofort ausschließen. Sie können rigide Verbandsstrafen verhängen, Titel aberkennen, Geldsanktionen erlassen, Sportler lebenslang sperren." Das Mittel des Stafrechts ist hier ungeeignet, aber auch nicht erforderlich und außerdem unverhältnismäßig.  
*Statt sportmoralische Normen gegen Doping zur Sache der Fachverbände zu machen, die zudem effektiver sanktionieren können - sie können Verbandsstrafen verhängen, Titel aberkennen, Geldsanktionen erlassen, Sportler lebenslang sperren - ist die seit 2015 kriminalisierte Verhaltensweise des Eigendopings sowohl ungeeignet als auch nicht erforderlich und außerdem unverhältnismäßig. "Illusionär geht es dem Gesetz um eine "Ethik des fairen, sauberen und gesunden Sports" mit "Vorbildfunktion für junge Menschen". Obwohl Sportler selbst klagen: Diese vermeintlich heile Welt des Spitzensports mache "kaputt und krank". - Strafbarkeit hingegen ist nutzlos. Wo es im Ausland solche Kriminalisierungen gibt, ist nirgendwo auch nur ein einziger Sportler wegen Dopings strafrechtlich verurteilt worden.  


*Polizeiliches Ausreiseverbot statt künstlicher Konstruktion von Tatgeschehen durch den Strafgesetzgeber: "Aus dem für Aktionismus besonders anfälligen Strafrecht gegen Terrorismus ist die seit 2015 strafbare "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" zu nennen. Strafbar ist bereits, wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden lassen kann, die es ihm ermöglichen, später islamistische Aktionen zu unterstützen. Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Sogar der Bundesgerichtshof hat das jüngst als einen "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" bezeichnet. Die Richter konstatierten, es gehe "faktisch um den Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung". - Zum Problem wurde, dass Tatgeschehen künstlich konstruiert wird, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen, aber ohne wirkliche Straftat. Damit wird in strafrechtlichem Gewand Gefährderbekämpfung betrieben. Das Recht, so etwas zu tun, hat primär die Polizei, zu deren Aufgaben die Gefahrenabwehr zählt. Ausreiseverbote hätten Vorrang. Deren Verletzung könnte als Straftat geahndet werden. Die bisherigen Regeln münden in ein Gesinnungsstrafrecht, Strafbarkeit verlagert sich weit in das Vorfeld etwaiger Rechtsgüterverletzungen. Hier wie oftmals sonst fehlt die '''Verhältnismäßigkeit'''" (Kreuzer 2017).
*Polizeiliches Ausreiseverbot statt künstlicher Konstruktion von Tatgeschehen durch den Strafgesetzgeber: "Aus dem für Aktionismus besonders anfälligen Strafrecht gegen Terrorismus ist die seit 2015 strafbare "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" zu nennen. Strafbar ist bereits, wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden lassen kann, die es ihm ermöglichen, später islamistische Aktionen zu unterstützen. Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Sogar der Bundesgerichtshof hat das jüngst als einen "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" bezeichnet. Die Richter konstatierten, es gehe "faktisch um den Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung". - Zum Problem wurde, dass Tatgeschehen künstlich konstruiert wird, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen, aber ohne wirkliche Straftat. Damit wird in strafrechtlichem Gewand Gefährderbekämpfung betrieben. Das Recht, so etwas zu tun, hat primär die Polizei, zu deren Aufgaben die Gefahrenabwehr zählt. Ausreiseverbote hätten Vorrang. Deren Verletzung könnte als Straftat geahndet werden. Die bisherigen Regeln münden in ein Gesinnungsstrafrecht, Strafbarkeit verlagert sich weit in das Vorfeld etwaiger Rechtsgüterverletzungen. Hier wie oftmals sonst fehlt die '''Verhältnismäßigkeit'''" (Kreuzer 2017).
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