Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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==Typen ==
Entkriminalisierung bezeichnet den Vorgang der Rücknahme einer Kriminalisierung. Ein bis dato strafbares Verhalten ist dann nicht mehr strafbar.
 
==Erscheinungsformen==
Entkriminalisierung ist nicht gleichbedeutend mit Legalisierung. Nur dann, wenn mit der Strafbarkeit auch das Verboten-Sein des Verhaltens entfällt, beinhaltet die Entkriminalisierung auch dessen Legalisierung. Neben dieser '''''legalisierenden''' Entkriminalisierung'' gibt es die '''''transformierende''''', bei der zwar die Strafbarkeit wegfällt, nicht aber das Verboten-Sein und die Sanktionsdrohung gegenüber denjenigen, die das fragliche Verhalten an den Tag legen.
 
Für Wolfgang Naucke (1984: 169) sind alle transformierenden Entkriminalisierungen nur Augenwischerei. Er nennt sie "scheinbare Entkriminalisierungen" und nennt als Beispiele den Ersatz der Kriminalstrafe durch Maßregeln der Besserung und Sicherung, durch Unterbringung oder durch Bußen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht. In all diesen Fällen zieht man "die staatliche Strafe ab, wohl wissend, daß damit die Abweichung bleibt, und gibt die Lösung des Problems an die Gesellschaft zurück“. Alles, was hier passiert, ist: "Das Mittel der Unterdrückung wird umetikettiert." (Zur Entkriminalisierung im Sinne einer formal die Strafdrohung abschaffende Rechtsänderung, die aber aufgrund ihrer undurchschaubaren Regelungen in der Praxis gar nicht ankommt und insofern das Adjektiv 'scheinbar' verdient, vgl. Schäfer 2006).
 
Nach Kohl und Scheerer (1989: 89) ist folgendermaßen zu unterscheiden:
*Wenn das Verhalten weiterhin einen Straftatbestand darstellt, die Sanktion aber nicht Strafe, sondern Maßregel heißt, liegt gar keine Entkriminalisierung vor. Denkbar wäre allenfalls, auch nicht unproblematisch, von einer Entpönalisierung zu sprechen, da die poena, die peinliche Kriminalstrafe, ja entfällt, wenn auch die Sanktionsdrohung erhalten bleibt.
*Wo hingegen das Verhalten vom Straftatbestand zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird, liegt eine ''echte'' - wenn auch nicht ''ersatzlose'' - Entkriminalisierung vor. Kohl und Scheerer sprechen hier von einer ''transformierenden'' Entkriminalisierung: das Verhalten bleibt zwar verboten und das Verbot bleibt auch weiterhin sanktionsbewehrt, aber aus dem Kriminalunrecht wird Verwaltungsunrecht. Zuständigkeiten und Verfahrensweisen ändern sich und werden zumindest in einer Hinsicht milder: es entfällt bis auf Weiteres die Drohung mit der Kriminalstrafe und der Freiheitsstrafe und damit entfällt auch das Odium des Kriminellen, d.h. die besondere Intensität sozialer Ächtung für Tat und Täter. Der Vorwurf der bloßen Umetikettierung trifft diese Fälle nicht, weil sich mit der Rücknahme der Kriminalstrafe tatsächlich etwas ändert.
 
Beispiel ist die Umwandlung der strafbaren Straßenverkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz vom 24.5.1968. Wo Tatbestände formal aus dem Strafrecht ausgegliedert werden, um anschließend in einer anderen Rechtsmaterie, z. B. in einem Katalog für Ordnungswidrigkeiten, wieder aufzutauchen, sprechen Kohl und Scheerer (1989: 89) von transformierender Entkriminalisierung. Nach Meinung dieser Autoren handelt es sich dabei durchaus um tatsächliche oder "wirkliche" Entkriminalisierungen, da der spezifische Zwangscharakter und die spezifische Ächtung des Strafrechts wegfallen und das betreffende Verhalten nicht mehr als „crimen“ gilt.
 
 
   
 
==Erscheinungsformen==
Entkriminalisierung kann formell durch einen Akt der Gesetzgebung erfolgen (de jure) oder eher informell durch die faktische Nichtverfolgung und Nicht-Sanktionierung eines formell weiterhin mit Strafe bedrohten Verhaltens (de facto). Nicht selten gehen Tendenzen zur de facto Entkriminalisierung einer Entkriminalisierung de jure voraus.
Der Vorgang der Entkriminalisierung hebt die Strafbarkeit und damit die staatlich verstärkte sozialethische Ächtung einer Verhaltensweise auf. Der „Report on Decriminalisation“ des Europarats (Council of Europe 1980: 13) definiert Entkriminalisierung als die Gesamtheit der Prozesse, bei denen bestimmte Verhaltensweisen dem Zuständigkeitsbereich des Strafrechts entzogen werden, bzw. „by which the 'competence' of the penal system to apply sanctions as a reaction to a certain form of conduct is withdrawn“.
Der Vorgang der Entkriminalisierung hebt die Strafbarkeit und damit die staatlich verstärkte sozialethische Ächtung einer Verhaltensweise auf. Der „Report on Decriminalisation“ des Europarats (Council of Europe 1980: 13) definiert Entkriminalisierung als die Gesamtheit der Prozesse, bei denen bestimmte Verhaltensweisen dem Zuständigkeitsbereich des Strafrechts entzogen werden, bzw. „by which the 'competence' of the penal system to apply sanctions as a reaction to a certain form of conduct is withdrawn“.
=== ''De jure'' und ''de facto'' ===
=== ''De jure'' und ''de facto'' ===
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Entkriminalisierungen können bislang Verbotenes legalisieren (z.B. Erlaubnis zu Herstellung und Verkauf von Alkohol nach Ende der Prohibition in den USA 1933). In dem Fall spricht Wolfgang Naucke (1984) von einer "wirklichen" oder "reinen" Entkriminalisierung. Beate Kohl und Sebastian Scheerer (1989) sprechen von "ersatzloser" Entkriminalisierung. Vorzuziehen wäre womöglich der Begriff der legalisierenden Entkriminalsierung.
Entkriminalisierungen können bislang Verbotenes legalisieren (z.B. Erlaubnis zu Herstellung und Verkauf von Alkohol nach Ende der Prohibition in den USA 1933). In dem Fall spricht Wolfgang Naucke (1984) von einer "wirklichen" oder "reinen" Entkriminalisierung. Beate Kohl und Sebastian Scheerer (1989) sprechen von "ersatzloser" Entkriminalisierung. Vorzuziehen wäre womöglich der Begriff der legalisierenden Entkriminalsierung.


Eine nicht-legalisierende Entkriminalisierung setzt hingegen auf nicht-strafrechtliche Mittel zur Durchsetzung des (bestehen bleibenden) Verbots. Paradebeispiel hierfür ist die Umwandlung der strafbaren Straßenverkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz vom 24.5.1968. Wo Tatbestände formal aus dem Strafrecht ausgegliedert werden, um anschließend in einer anderen Rechtsmaterie, z. B. in einem Katalog für Ordnungswidrigkeiten, wieder aufzutauchen, sprechen Kohl und Scheerer (1989: 89) von transformierender Entkriminalisierung. Nach Meinung dieser Autoren handelt es sich dabei durchaus um tatsächliche oder "wirkliche" Entkriminalisierungen, da der spezifische Zwangscharakter und die spezifische Ächtung des Strafrechts wegfallen und das betreffende Verhalten nicht mehr als „crimen“ gilt. Wolfgang Naucke (1984: 169) sieht in der transformierenden Entkriminalisierung hingegen eine bloß "scheinbare": „Das Mittel der Unterdrückung wird umetikettiert“ (Naucke 1984: 169). Beispiele seien der Ersatz der Kriminalstrafe durch Maßregeln der Besserung und Sicherung, durch Unterbringung oder durch Bußen nach dem Ordnungswidrigkeitsrecht. In all diesen Fällen zieht man "die staatliche Strafe ab, wohl wissend, daß damit die Abweichung bleibt, und gibt die Lösung des Problems an die Gesellschaft zurück“ (Naucke 1984: 169). - In manchen Fällen werden Kriminalisierungen auf so vorsichtige und überkomplizierte Weise aufgehoben, dass sie in der Rechtswirklichkeit gar nicht ankommen. Am Beispiel von Reformen im Sexualstrafrecht spricht Christian Schäfer (2006) auch dann von scheinbarer Entkriminalisierung.


=== Moral-, staats- und/oder effizienzorientiert ===
=== Moral-, staats- und/oder effizienzorientiert ===
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