Dunkelfeld: Unterschied zwischen den Versionen

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Aus dieser Perspektive scheint es zunächst wünschenswert, wäre die Dunkelfeldforschung in der Lage, genau dieses Defizit durch die Neu- und Weiterentwicklung von empirischen Techniken der Sozialforschung zu beheben. Doch selbst diesem Standpunkt, obwohl er zunächst einleuchtend erscheinen mag, wird im kriminologischen Diskurs nicht uneingeschränkt zugestimmt.
Aus dieser Perspektive scheint es zunächst wünschenswert, wäre die Dunkelfeldforschung in der Lage, genau dieses Defizit durch die Neu- und Weiterentwicklung von empirischen Techniken der Sozialforschung zu beheben. Doch selbst diesem Standpunkt, obwohl er zunächst einleuchtend erscheinen mag, wird im kriminologischen Diskurs nicht uneingeschränkt zugestimmt.


Eine konträre Meinung vertritt u.a. Heinrich Popitz in seinem Aufsatz „Über die Präventivwirkung des Nichtwissens“ (1968). Popitz verteidigt hierbei das Vorhandensein des Dunkelfeldes und die hierzu notwendigen Selektionsprozesse innerhalb der Gesellschaft.  
Eine konträre Meinung vertritt u.a. Heinrich [[Popitz]] in seinem Aufsatz „Über die Präventivwirkung des Nichtwissens“ (1968). Popitz verteidigt hierbei das Vorhandensein des Dunkelfeldes und die hierzu notwendigen Selektionsprozesse innerhalb der Gesellschaft.  


Popitz geht davon aus, das der Funktionalität der Sanktionspraxis für das Normensystem, als Bewahrer des sozialen Friedens einer Gesellschaft, Grenzen gesetzt sind.  
Popitz geht davon aus, das der Funktionalität der Sanktionspraxis für das Normensystem, als Bewahrer des sozialen Friedens einer Gesellschaft, Grenzen gesetzt sind.  
Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht dabei die Annahme, dass sich die Strafe ihre soziale Wirksamkeit nur bewahren kann, wenn der Großteil der Straftäter „nicht bekommt was er verdient.“  
Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht dabei die Annahme, dass sich die Strafe ihre soziale Wirksamkeit nur bewahren kann, wenn der Großteil der Straftäter „nicht bekommt was er verdient.“  
Um dies aufzuzeigen, formuliert er drei Annahmen, welche das Bestreben der völligen Durchleuchtung des Dunkelfeldes in absurdum führen:
Um dies aufzuzeigen, formuliert er drei Annahmen, welche das Bestreben der völligen Durchleuchtung des Dunkelfeldes in absurdum führen:
*Das nicht Vorhandensein eines Dunkelfeldes bedarf einer totalen Verhaltenstransparenz. Das bedeutet, dass formelle oder informelle Instanzen über kurz oder lang alles was ein Individuum tut oder unterlässt erfahren. Dies ist nach Popitz nicht möglich, denn in einer Gesellschaft herrscht immer nur ein partielles Wissen voneinander vor, ein Teil des individuellen Verhaltens bleibt auch in den engsten sozialen Bindungen im Verborgenen, ganz zu schweigen von der Bereitschaft bestimmte Informationen an Institutionen wie z.B. Polizei oder Gerichte weiterzugeben.  
*Das nicht Vorhandensein eines Dunkelfeldes bedarf einer totalen Verhaltenstransparenz. Das bedeutet, dass formelle oder informelle Instanzen über kurz oder lang alles was ein Individuum tut oder unterlässt erfahren. Dies ist nach [[Popitz]] nicht möglich, denn in einer Gesellschaft herrscht immer nur ein partielles Wissen voneinander vor, ein Teil des individuellen Verhaltens bleibt auch in den engsten sozialen Bindungen im Verborgenen, ganz zu schweigen von der Bereitschaft bestimmte Informationen an Institutionen wie z.B. Polizei oder Gerichte weiterzugeben.  
*Popitz wirft die Frage auf, ob ein soziales Normsystem überhaupt in der Lage wäre, die Masse an Normbrüchen auszuhalten, ohne dabei seine eigene Existenzberechtigung in Frage zu ziehen. Das bedeutet, das die Geltungsberechtigung einzelner Normen und als deren Summe, die des ganzen Normsystems zusammenbrechen würde, wenn sich die einzelnen Gesellschaftsmitglieder über das wahre Ausmaß der Normbrüche im Klaren wären.  
*[[Popitz]] wirft die Frage auf, ob ein soziales Normsystem überhaupt in der Lage wäre, die Masse an Normbrüchen auszuhalten, ohne dabei seine eigene Existenzberechtigung in Frage zu ziehen. Das bedeutet, das die Geltungsberechtigung einzelner Normen und als deren Summe, die des ganzen Normsystems zusammenbrechen würde, wenn sich die einzelnen Gesellschaftsmitglieder über das wahre Ausmaß der Normbrüche im Klaren wären.  
*Die Notwendigkeit eines Dunkelfeldes zeigt sich bei Popitz am Deutlichsten in dem von ihm aufgezeigten Zusammenhang zwischen Normbruch und Sanktion. Denn die Sanktion ist der entscheidende Faktor, welcher zur Aufrechterhaltung der Normgültigkeit beiträgt. Das Sanktionssystem wäre aber mit der Fülle der tatsächlich begangenen Normbrüche zweifelsohne überfordert, was zu einem Zusammenbruch führen würde. Nach Popitz ist daher die Nichtentdeckung von Normbrüchen zur Entlastung der Sanktionskomponente wesentlich. Doch auch wenn das Sanktionssystem diese Mehrbelastung tragen könnte, würden die Sanktion und auch der Normbruch ihren Ausnahmecharakter verlieren, was wiederum die Geltungsstruktur der Normen in Frage stellt, wodurch die Schutzfunktion des Sanktionssystems hinfällig wird. (Popitz, 1968)
*Die Notwendigkeit eines Dunkelfeldes zeigt sich bei [[Popitz]] am Deutlichsten in dem von ihm aufgezeigten Zusammenhang zwischen Normbruch und Sanktion. Denn die [[Sanktion]] ist der entscheidende Faktor, welcher zur Aufrechterhaltung der Normgültigkeit beiträgt. Das Sanktionssystem wäre aber mit der Fülle der tatsächlich begangenen Normbrüche zweifelsohne überfordert, was zu einem Zusammenbruch führen würde. Nach [[Popitz]] ist daher die Nichtentdeckung von Normbrüchen zur Entlastung der Sanktionskomponente wesentlich. Doch auch wenn das Sanktionssystem diese Mehrbelastung tragen könnte, würden die Sanktion und auch der Normbruch ihren Ausnahmecharakter verlieren, was wiederum die Geltungsstruktur der Normen in Frage stellt, wodurch die Schutzfunktion des Sanktionssystems hinfällig wird. ([[Popitz]], 1968)


Die Bedeutung des Dunkelfeldes für die Geltungsstruktur von Normen diskutiert auch Klaus Lüddersen in seiner Schrift „Strafrecht und Dunkelziffer“ (1972) Dabei geht er auf die Funktionen ein, welche dem Dunkelfeld in der Diskussion um das Strafbedürfnis bei einzelnen Delikten zugesprochen werden. So ist das Dunkelfeld:
Die Bedeutung des Dunkelfeldes für die Geltungsstruktur von Normen diskutiert auch Klaus Lüddersen in seiner Schrift „Strafrecht und Dunkelziffer“ (1972) Dabei geht er auf die Funktionen ein, welche dem Dunkelfeld in der Diskussion um das Strafbedürfnis bei einzelnen Delikten zugesprochen werden. So ist das Dunkelfeld:
~- in der Diskussion um den §218 (Abtreibung) und §175 (Homosexualität) ein willkommenes Argument um die Gültigkeit dieser Straftatbestände in Frage zu stellen. Denn diese haben keinerlei Überzeugungskraft, wenn die verbotenen Handlungen von „zahllosen Bürgern“ begangen werden und nur Einzelne, wie durch Zufall ausgewählt, bestraft würden.   
~- in der Diskussion um den §218 ([[Abtreibung]]) und §175 ([[Homosexualität]]) ein willkommenes Argument um die Gültigkeit dieser Straftatbestände in Frage zu stellen. Denn diese haben keinerlei Überzeugungskraft, wenn die verbotenen Handlungen von „zahllosen Bürgern“ begangen werden und nur Einzelne, wie durch Zufall ausgewählt, bestraft würden.   
~- im Zusammenhang mit der „Weiße- Kragen- Kriminalität“ (white collar crime) ein Indiz dafür, das der Strafrechtsapparat teilweise zu grobmaschig gestrickt ist und der Staat progressiver agieren muss.
~- im Zusammenhang mit der „Weiße- Kragen- Kriminalität“ ([[white collar crime]]) ein Indiz dafür, das der Strafrechtsapparat teilweise zu grobmaschig gestrickt ist und der Staat progressiver agieren muss.
Das Dunkelfeldargument wird also auf ganz unterschiedliche Art und Weise verwendet. Einmal soll es dazu führen, das Normen gestrichen, auf der anderen Seite verschärft, erweitert oder neu gefasst werden. Und diese Dialektik zeigt sich auch an anderen Stellen in der kriminalpolitischen Diskussion. So widerspricht es der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellung, wenn nur ganz bestimmte Täter gefasst und Sanktioniert werden, andere aber wiederum unerkannt im Dunkelfeld abtauchen. Dadurch wird auch das oft postulierte Gleichheitsprinzip (z.B. Art. 3 GG) ausgehebelt. Dabei stellt sich die frage, wie man dieser Problematik begegnet. Soll man vor dem Hintergrund eines hohen Dunkelfeldes niemand mehr bestrafen und somit dem Gleichheitsprinzip gerecht werden? Nach Lüddersen zeigt sich diese Tendenz bei der Abtreibung und bei den meisten Sittlichkeitsverbrechen. Oder soll man angesichts eines hohen Dunkelfeldes versuchen, möglichst alle Täter zu bestrafen?  Dieser Trend, so Lüderssen, zeigt sich bei der Wirtschaftskriminalität.  
Das Dunkelfeldargument wird also auf ganz unterschiedliche Art und Weise verwendet. Einmal soll es dazu führen, das Normen gestrichen, auf der anderen Seite verschärft, erweitert oder neu gefasst werden. Und diese Dialektik zeigt sich auch an anderen Stellen in der kriminalpolitischen Diskussion. So widerspricht es der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellung, wenn nur ganz bestimmte Täter gefasst und Sanktioniert werden, andere aber wiederum unerkannt im Dunkelfeld abtauchen. Dadurch wird auch das oft postulierte Gleichheitsprinzip (z.B. Art. 3 GG) ausgehebelt. Dabei stellt sich die frage, wie man dieser Problematik begegnet. Soll man vor dem Hintergrund eines hohen Dunkelfeldes niemand mehr bestrafen und somit dem Gleichheitsprinzip gerecht werden? Nach Lüddersen zeigt sich diese Tendenz bei der Abtreibung und bei den meisten Sittlichkeitsverbrechen. Oder soll man angesichts eines hohen Dunkelfeldes versuchen, möglichst alle Täter zu bestrafen?  Dieser Trend, so Lüderssen, zeigt sich bei der [[Wirtschaftskriminalität]].  
Hierbei spielt auch der damit aufkommende Vorwurf der Ungleichbehandlung eine Rolle, welcher sich nicht auf die unzureichende Arbeit der Instanzen der sozialen Kontrolle beschränkt, sondern sich auch in der unterschiedlichen Bewertung von zu missbilligendem Verhalten widerspiegelt. Laut Lüddesen zeigt sich hierin für manchen Betrachter der Klassencharakter des Strafrechts.  (vgl. Lüddersen, 1972)
Hierbei spielt auch der damit aufkommende Vorwurf der Ungleichbehandlung eine Rolle, welcher sich nicht auf die unzureichende Arbeit der Instanzen der sozialen Kontrolle beschränkt, sondern sich auch in der unterschiedlichen Bewertung von zu missbilligendem Verhalten widerspiegelt. Laut Lüddesen zeigt sich hierin für manchen Betrachter der Klassencharakter des Strafrechts.  (vgl. Lüddersen, 1972)


Ein weiterer Aspekt der kriminologischen Relevanz des Dunkelfeldes, zeigt sich bei dessen Bedeutung hinsichtlich des Ausfilterungs- und Selektionsprozesses der Instanzen der offiziellen sozialen Kontrolle bei deren Umgang mit Kriminalität. So sind viele der kriminalpolitischen Interventionen, hinsichtlich des Erlasses neuer Gesetze, der Anwendung der bestehenden Gesetzte in der Praxis und der ermittlungstechnischen Arbeit von Seiten der Polizei und der Ermittlungs- und Strafverfolgungsorgane, lediglich auf Erkenntnisse über die Struktur der Kriminalität, welche sich aus den offiziellen Kriminalstatistiken ergeben, zurückzuführen. Doch wie schon erwähnt, stellen diese für die Kriminologie nur einen Indikator für den Ausfilterungs- und Selektionsprozess der sozialen Kontrolle dar. Hierauf bezieht sich auch die Kritik des „Labeling Approach“, denn demnach sind diejenigen Bedingungen und Fakten, die zur kriminalstatistischen Erfassung geführt haben, nicht zwangsweise identisch mit denen, welche zur Tat geführt haben. (Müller, 1978) Drastischer formuliert, handelt es sich beim Dunkelfeld um eine durch diesen Selektionsprozess „systematisch produzierte Regelmäßigkeit“ (Sack, 1969)  
Ein weiterer Aspekt der kriminologischen Relevanz des Dunkelfeldes, zeigt sich bei dessen Bedeutung hinsichtlich des Ausfilterungs- und Selektionsprozesses der Instanzen der offiziellen sozialen Kontrolle bei deren Umgang mit Kriminalität. So sind viele der kriminalpolitischen Interventionen, hinsichtlich des Erlasses neuer Gesetze, der Anwendung der bestehenden Gesetzte in der Praxis und der ermittlungstechnischen Arbeit von Seiten der Polizei und der Ermittlungs- und Strafverfolgungsorgane, lediglich auf Erkenntnisse über die Struktur der Kriminalität, welche sich aus den offiziellen Kriminalstatistiken ergeben, zurückzuführen. Doch wie schon erwähnt, stellen diese für die Kriminologie nur einen Indikator für den Ausfilterungs- und Selektionsprozess der sozialen Kontrolle dar. Hierauf bezieht sich auch die Kritik des „[[Labeling Approach]]“, denn demnach sind diejenigen Bedingungen und Fakten, die zur kriminalstatistischen Erfassung geführt haben, nicht zwangsweise identisch mit denen, welche zur Tat geführt haben. (Müller, 1978) Drastischer formuliert, handelt es sich beim Dunkelfeld um eine durch diesen Selektionsprozess „systematisch produzierte Regelmäßigkeit“ ([[Sack]], 1969)  


So weisen die offiziellen Statistiken z.B. einen überproportional hohen Anteil von Delinquenten aus den sozial schwächeren Schichten auf. Die Vertreter des Labeling Approach  führen diese Diskrepanz auf eben jenen Selektions- und Stigmatisierungsprozess zurück, welcher sich zum Nachteil dieser Gesellschaftsschichten auswirkt. (Wittich, 1998) Dieser Ungleichverteilung widerspricht auch die Ubiquitätsannahme, welche besagt, dass Kriminalität in allen Gesellschaftsschichten nahezu gleichmäßig verteilt ist. Und die Dunkelfeldforschung war in der Lage, diese Annahme zumindest für die Kinder- und Jugendkriminalität zu bestätigen. Generellere Aussagen könne noch nicht getroffen werden, da es nach wie vor, besonders in Deutschland, an regelmäßig durchgeführten, die offiziellen Kriminalstatistiken begleitenden, Dunkelfelduntersuchungen mangelt. (Steffen, 1993)
So weisen die offiziellen Statistiken z.B. einen überproportional hohen Anteil von Delinquenten aus den sozial schwächeren Schichten auf. Die Vertreter des [[Labeling Approach]] führen diese Diskrepanz auf eben jenen Selektions- und Stigmatisierungsprozess zurück, welcher sich zum Nachteil dieser Gesellschaftsschichten auswirkt. (Wittich, 1998) Dieser Ungleichverteilung widerspricht auch die Ubiquitätsannahme, welche besagt, dass Kriminalität in allen Gesellschaftsschichten nahezu gleichmäßig verteilt ist. Und die Dunkelfeldforschung war in der Lage, diese Annahme zumindest für die Kinder- und [[Jugendkriminalität]] zu bestätigen. Generellere Aussagen könne noch nicht getroffen werden, da es nach wie vor, besonders in Deutschland, an regelmäßig durchgeführten, die offiziellen Kriminalstatistiken begleitenden, Dunkelfelduntersuchungen mangelt. (Steffen, 1993)


==== Literaturhinweise ====
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