Differenzierung im Strafvollzug: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Bezug und Relevanz'''
'''Bezug und Relevanz'''
Franz von Liszts kriminalpolitische Forderungen bezogen sich neben der Verbesserung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse insbesondere auf ein auf die konkrete Resozialisierung des Täters ausgestalteten Strafvollzug, der eine Differenzierung der Spezialprävention nach Tätertypen voraussetzt: „Gelegenheitstäter“ sollten eine Bewährungsstrafe als Denkzettel erhalten, „verbesserliche Hangtäter“ eine Freiheitsstrafe, die von Maßnahmen der „Resozialisierung“  begleitet sein sollte,  „unverbesserliche Hangtäter“ sollten dauerhaft verwahrt werden.  
Franz von Liszts kriminalpolitische Forderungen bezogen sich neben der Verbesserung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse insbesondere auf ein auf die konkrete Resozialisierung des Täters ausgestalteten Strafvollzug, der eine Differenzierung der Spezialprävention nach Tätertypen voraussetzt: „Gelegenheitstäter“ sollten eine Bewährungsstrafe als Denkzettel erhalten, „verbesserliche Hangtäter“ eine Freiheitsstrafe, die von Maßnahmen der „Resozialisierung“  begleitet sein sollte,  „unverbesserliche Hangtäter“ sollten dauerhaft verwahrt werden.  
In der vollzuglichen Praxis hat sich bis heute durchweg bestätigt, dass nicht für alle Insassen identische vollzugliche Bedingungen passend sind, dass z. B. suchtmittelabhängige Gefangene und Insassen, denen Vollzugslockerungen gewährt werden oder neu aufgenommene und solche Gefangene, die kurz vor der Entlassung stehen oder zu Gewalttätigkeit Neigende und solche Gefangenen, die nur eine kurze Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen haben, hinsichtlich der Betreuungsstandards, aber auch hinsichtlich der Sicherungsstandards einerseits unterschiedlich behandelt werden können und andererseits unterschiedlich behandelt werden müssen, da in Zeiten knapper Ressourcen diese effizient und zielgerichtet einzusetzen sind.
In der vollzuglichen Praxis hat sich bis heute durchweg bestätigt, dass nicht für alle Insassen identische vollzugliche Bedingungen passend sind, dass z. B. suchtmittelabhängige Gefangene und Insassen, denen Vollzugslockerungen gewährt werden oder neu aufgenommene und solche Gefangene, die kurz vor der Entlassung stehen oder zu Gewalttätigkeit Neigende und solche Gefangenen, die nur eine kurze Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen haben, hinsichtlich der Betreuungsstandards, aber auch hinsichtlich der Sicherungsstandards einerseits unterschiedlich behandelt werden können und andererseits unterschiedlich behandelt werden müssen, da in Zeiten knapper Ressourcen diese effizient und zielgerichtet einzusetzen sind.


'''Entwicklung aus der Praxis'''
'''Entwicklung aus der Praxis'''
Dieses Grundprinzip der Binnendifferenzierung innerhalb einer Justizvollzugsanstalt des geschlossenen Vollzuges soll am Beispiel der in Hamburg neu errichteten JVA Billwerder in seiner Entwicklung veranschaulicht werden.
Dieses Grundprinzip der Binnendifferenzierung innerhalb einer Justizvollzugsanstalt des geschlossenen Vollzuges soll am Beispiel der in Hamburg neu errichteten JVA Billwerder in seiner Entwicklung veranschaulicht werden.
In der zwischenzeitlich abgerissenen Justizvollzugsanstalt Vierlande (Anstalt IX), einer Anstalt des geschlossenen Vollzuges mit 223 Haftplätzen, war ab 2002 ein Binnendifferenzierungskonzept erprobt worden, dass den unterschiedlichen Bedarfen verschiedener Gefangenengruppen durch unterschiedliche vollzugliche Bedingungen Rechnung trug: Alle Gefangenen waren fortan nicht denselben Betreuungs- und Sicherungsstandards unterworfen. Viel mehr unterschieden sich die vollzuglichen Standards je nach Länge der zu verbüßenden Strafen, nach Kooperationsbereitschaft und nach der Eignung der Gefangenen für die ihnen schrittweise gewährte Öffnung innerhalb des Vollzuges bzw. für die Gewährung von Vollzugslockerungen.  
In der zwischenzeitlich abgerissenen Justizvollzugsanstalt Vierlande (Anstalt IX), einer Anstalt des geschlossenen Vollzuges mit 223 Haftplätzen, war ab 2002 ein Binnendifferenzierungskonzept erprobt worden, dass den unterschiedlichen Bedarfen verschiedener Gefangenengruppen durch unterschiedliche vollzugliche Bedingungen Rechnung trug: Alle Gefangenen waren fortan nicht denselben Betreuungs- und Sicherungsstandards unterworfen. Viel mehr unterschieden sich die vollzuglichen Standards je nach Länge der zu verbüßenden Strafen, nach Kooperationsbereitschaft und nach der Eignung der Gefangenen für die ihnen schrittweise gewährte Öffnung innerhalb des Vollzuges bzw. für die Gewährung von Vollzugslockerungen.  
Dieses Konzept der Binnendifferenzierung ist anschließend z. B. auch in der JVA Fuhlsbüttel in Hamburg weiter entwickelt worden. In der JVA Billwerder, die die zwischenzeitlich abgerissene JVA Vierlande ersetzte, ist das dort entworfene Konzept anknüpfend an die dort gemachten Erfahrungen fortgeschrieben worden.
Dieses Konzept der Binnendifferenzierung ist anschließend z. B. auch in der JVA Fuhlsbüttel in Hamburg weiter entwickelt worden. In der JVA Billwerder, die die zwischenzeitlich abgerissene JVA Vierlande ersetzte, ist das dort entworfene Konzept anknüpfend an die dort gemachten Erfahrungen fortgeschrieben worden.


'''Systematik der Differenzierung'''
'''Systematik der Differenzierung'''
Nach Abschluss des Aufnahmeverfahrens werden die Gefangenen durch eine der beiden Zugangsabteilungen einer Behandlungsgruppe zugewiesen: Basisgruppe, Entwicklungsgruppe und Bewährungsgruppe unterscheiden sich hinsichtlich aller den Gefangenen gewährten vollzuglichen Angebote.
Nach Abschluss des Aufnahmeverfahrens werden die Gefangenen durch eine der beiden Zugangsabteilungen einer Behandlungsgruppe zugewiesen: Basisgruppe, Entwicklungsgruppe und Bewährungsgruppe unterscheiden sich hinsichtlich aller den Gefangenen gewährten vollzuglichen Angebote.
• In der BASISGRUPPE wird wenig Aufschluss gewährt, in der Regel wird den Gefangenen zunächst noch keine Arbeit zugewiesen. Die Gefangenen erhalten zwei Stunden Besuch im Monat. Es werden nur wenige Sport- und Freizeitangebote gemacht.
• In der BASISGRUPPE wird wenig Aufschluss gewährt, in der Regel wird den Gefangenen zunächst noch keine Arbeit zugewiesen. Die Gefangenen erhalten zwei Stunden Besuch im Monat. Es werden nur wenige Sport- und Freizeitangebote gemacht.
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Nachdrückliche vollzugliche Auffälligkeiten führen dazu, dass Insassen aus der Bewährungsgruppe wieder zurück in die Entwicklungsgruppe oder zurück in die Basisgruppe verlegt werden können. Für die Gefangenen ist damit verbunden, dass sie einzelne, ihnen zuvor gewährte Spielräume und Freizügigkeiten wieder einbüßen.  
Nachdrückliche vollzugliche Auffälligkeiten führen dazu, dass Insassen aus der Bewährungsgruppe wieder zurück in die Entwicklungsgruppe oder zurück in die Basisgruppe verlegt werden können. Für die Gefangenen ist damit verbunden, dass sie einzelne, ihnen zuvor gewährte Spielräume und Freizügigkeiten wieder einbüßen.  


'''Nachteilige Konsequenzen und Nutzen'''
'''Nachteilige Konsequenzen und Nutzen'''
Damit ist verbunden, dass sich Gefangene mit jedem Wechsel der Vollzugsgruppe mit neuen Mitarbeitern vertraut machen bzw. jeweils Mitarbeiter sich von neuem mit dem einzelnen Gefangenen vertraut machen müssen, was regelmäßig zu Unterbrechungen der Betreuungskontinuität führt.
Damit ist verbunden, dass sich Gefangene mit jedem Wechsel der Vollzugsgruppe mit neuen Mitarbeitern vertraut machen bzw. jeweils Mitarbeiter sich von neuem mit dem einzelnen Gefangenen vertraut machen müssen, was regelmäßig zu Unterbrechungen der Betreuungskontinuität führt.


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Solche hafttypischen subkulturellen Muster profitieren nach aller Erfahrung naturgemäß von statischen und über die Zeit stabilen Strukturen. Vertikale Mobilität verhindert genau solche statischen Strukturen und entzieht damit anstaltsüblichen subkulturellen Mustern den Nährboden.
Solche hafttypischen subkulturellen Muster profitieren nach aller Erfahrung naturgemäß von statischen und über die Zeit stabilen Strukturen. Vertikale Mobilität verhindert genau solche statischen Strukturen und entzieht damit anstaltsüblichen subkulturellen Mustern den Nährboden.
Zudem ermöglicht vertikale Mobilität mit dem Weichsel von einer Vollzugsgruppe in die nächste, dass Insassen dann, wenn sie mit einzelnen Mitarbeitern nicht sachgerecht zusammenarbeiten können bzw. subjektiv Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern erlebten, nicht für lange Zeit auf diese Mitarbeiter fixiert bleiben, sondern sich alsbald im Zuständigkeitsbereich anderer Mitarbeiter untergebracht sehen.  
Zudem ermöglicht vertikale Mobilität mit dem Weichsel von einer Vollzugsgruppe in die nächste, dass Insassen dann, wenn sie mit einzelnen Mitarbeitern nicht sachgerecht zusammenarbeiten können bzw. subjektiv Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern erlebten, nicht für lange Zeit auf diese Mitarbeiter fixiert bleiben, sondern sich alsbald im Zuständigkeitsbereich anderer Mitarbeiter untergebracht sehen.  


'''Fazit'''
'''Fazit'''
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