Der Mord im Zusammenhang des Tötens: Unterschied zwischen den Versionen

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Nun ja, geben gibt es so etwas schon ... ist heutzutage aber nicht mehr gut angesehen ... der Begriff des natürlichen Verbrechens von Raffaele Garofalo, spätes 19. Jahrhundert: ihm zufolge liegt ein Verbrechen, ein natürliches Verbrechen immer dann vor, wenn - und wir sprechen hier vom ''delitto naturale'' (also, wenn man so will, vom ''malum in se'' im Gegensatz zum ''mere prohibituum'') - wenn das Verhalten grundlegende moralische Empfindungen des Mitleids (''pietà'') oder der Redlichkeit (''probità'') verletzt und deshalb allgemein als abscheulich empfunden wird: ''"Il delitto sociale o naturale è una lesione de quella parte del senso morale, che consiste nei sentimenti altruistici fondamentali (pietà e probità)"'' (Garofalo 1885: 30).
Nun ja, geben gibt es so etwas schon ... ist heutzutage aber nicht mehr gut angesehen ... der Begriff des natürlichen Verbrechens von Raffaele Garofalo, spätes 19. Jahrhundert: ihm zufolge liegt ein Verbrechen, ein natürliches Verbrechen immer dann vor, wenn - und wir sprechen hier vom ''delitto naturale'' (also, wenn man so will, vom ''malum in se'' im Gegensatz zum ''mere prohibituum'') - wenn das Verhalten grundlegende moralische Empfindungen des Mitleids (''pietà'') oder der Redlichkeit (''probità'') verletzt und deshalb allgemein als abscheulich empfunden wird: ''"Il delitto sociale o naturale è una lesione de quella parte del senso morale, che consiste nei sentimenti altruistici fondamentali (pietà e probità)"'' (Garofalo 1885: 30).


Was sagen denn die Leute auf der Straße? Entschuldigen Sie, wir hätten da mal eine Frage. Was ist ein Verbrechen? Ein Verbrechen? Na, das ist zum Beispiel ein Mord. Punkt, Ende aus. Ein Verbrechen - das ist zum Beispiel ein Mord. Die Häufigkeit dieser Antwort, das fiel schon Hans Magnus Enzensberger (1964: 10) auf, steht natürlich "in keinem Verhältnis zur Kriminalstatistik, in der ganz andere Delikte die Hauptrolle spielen. Obwohl er relativ selten ist, spielt der Mord im allgemeinen Bewußtsein eine Schlüsselrolle. Kraft seines Beispiels wird überhaupt erst verstanden, was ein Verbrechen ist" (Enzensberger 1964: 10).
Was ist denn wohl so ein Verbrechen? Fragen wir beliebige Nicht-Juristen, also Leute, die nicht von § 12 StGB verdorben sind: Was ist ein Verbrechen? Die Antwort wird regelmäßig nicht in einer abstrakt-aristotelischen Definition bestehen, sondern in einem Beispiel: Na ja, wird es heißen, ein Verbrechen .... ? Das ist zum Beispiel ein Mord.  
 
Die populäre Bedeutung des Mordes steht natürlich - das fiel schon Hans Magnus Enzensberger (1964: 10) auf - "in keinem Verhältnis zur Kriminalstatistik, in der ganz andere Delikte die Hauptrolle spielen. Obwohl er relativ selten ist, spielt der Mord im allgemeinen Bewußtsein eine Schlüsselrolle. Kraft seines Beispiels wird überhaupt erst verstanden, was ein Verbrechen ist" (Enzensberger 1964: 10).


:Zusammen mit seinem kleinen Bruder, dem Totschlag, öffnet uns der Mord einen Spalt breit die Tür in eine andere Welt jenseits der Alltagsroutine: die Welt von Blut und Gewalt, von Grenzerfahrungen, ungebremster Aggression und teuflischer Grausamkeit. Es ist die Welt der vermischten Nachrichten aus aller Welt, des Traums, des Theaters, der Dokumentarfilme und des sonntäglichen Tatort-Krimis. Unser Gedanken- und Gefühlshaushalt scheint die Befassung mit der Grausamkeit als Kontrastfolie zu benötigen: einerseits als ''divertimento'', also als Nervenkitzel, um sich vor "tödlicher Langeweile" zu bewahren, andererseits aber auch als eine - zum Glück - in die Sphäre der Repräsentation verlagerte psychohygienische Abfuhr konfligierender emotionaler Unruhezustände, als Katharsis eines auch vielen Experten immer noch rätselhaften Angst-Aggressions-Lust-Komplexes. Die Repräsentationen der Gewalt werden intensiv verbreitet, sie werden aber auch zugleich wie süchtig konsumiert - und wie der Leibhaftige geächtet. Gewaltdarstellungen in den Medien werden kritisch bewertet, für die reale Gewalt verantwortlich gemacht und müssen oft genug als Sündenböcke herhalten. Das ist nicht ganz gerecht und übersieht regelmäßig die womöglich für jede Gesellschaft überlebensnotwendige Funktion symbolischer Gewaltarbeit (Schäffauer 2011). Das scheint mir auch und besonders für die filmische und literarische Befassung mit der Figur des Serienkillers zu gelten - eine populäre Ikone, die so viele Ambivalenzen bündelt, dass sie selbst in der Wissenschaft Stirnrunzeln hervorruft; was genau es ist, was eine Rezeption und Durcharbeitung des medialen wie des realen Phänomens blockiert, kann ich an dieser Stelle nicht weiter untersuchen. Bei vielen Serienmördern in der Realität jedenfalls war immer wieder festzustellen, dass ihnen die Fähigkeit zur Differenzierung zwischen materieller und symbolischer Realität abging. Vereinfacht ausgedrückt: wo andere die Dinge im Traum, im künstlerischen Ausdruck oder in anderer sublimierter Form ausdrücken, müssen sie den Akt selbst ausführen. Vielleicht ist es der Verlust an Symbolisierungsfähigkeit, der uns Angst macht; jedenfalls kann man sagen: je deutlicher die realen Konsequenzen dieses Verlustes hervortreten, desto gründlicher werden sie ignoriert.  
:Zusammen mit seinem kleinen Bruder, dem Totschlag, öffnet uns der Mord einen Spalt breit die Tür in eine andere Welt jenseits der Alltagsroutine: die Welt von Blut und Gewalt, von Grenzerfahrungen, ungebremster Aggression und teuflischer Grausamkeit. Es ist die Welt der vermischten Nachrichten aus aller Welt, des Traums, des Theaters, der Dokumentarfilme und des sonntäglichen Tatort-Krimis. Unser Gedanken- und Gefühlshaushalt scheint die Befassung mit der Grausamkeit als Kontrastfolie zu benötigen: einerseits als ''divertimento'', also als Nervenkitzel, um sich vor "tödlicher Langeweile" zu bewahren, andererseits aber auch als eine - zum Glück - in die Sphäre der Repräsentation verlagerte psychohygienische Abfuhr konfligierender emotionaler Unruhezustände, als Katharsis eines auch vielen Experten immer noch rätselhaften Angst-Aggressions-Lust-Komplexes. Die Repräsentationen der Gewalt werden intensiv verbreitet, sie werden aber auch zugleich wie süchtig konsumiert - und wie der Leibhaftige geächtet. Gewaltdarstellungen in den Medien werden kritisch bewertet, für die reale Gewalt verantwortlich gemacht und müssen oft genug als Sündenböcke herhalten. Das ist nicht ganz gerecht und übersieht regelmäßig die womöglich für jede Gesellschaft überlebensnotwendige Funktion symbolischer Gewaltarbeit (Schäffauer 2011). Das scheint mir auch und besonders für die filmische und literarische Befassung mit der Figur des Serienkillers zu gelten - eine populäre Ikone, die so viele Ambivalenzen bündelt, dass sie selbst in der Wissenschaft Stirnrunzeln hervorruft; was genau es ist, was eine Rezeption und Durcharbeitung des medialen wie des realen Phänomens blockiert, kann ich an dieser Stelle nicht weiter untersuchen. Bei vielen Serienmördern in der Realität jedenfalls war immer wieder festzustellen, dass ihnen die Fähigkeit zur Differenzierung zwischen materieller und symbolischer Realität abging. Vereinfacht ausgedrückt: wo andere die Dinge im Traum, im künstlerischen Ausdruck oder in anderer sublimierter Form ausdrücken, müssen sie den Akt selbst ausführen. Vielleicht ist es der Verlust an Symbolisierungsfähigkeit, der uns Angst macht; jedenfalls kann man sagen: je deutlicher die realen Konsequenzen dieses Verlustes hervortreten, desto gründlicher werden sie ignoriert.  
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