Der Mord im Zusammenhang des Tötens: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Was aber ist ein Verbrechen?''' Strafrechtler sagen: das ist doch ganz klar. Ein Verbrechen ist eine rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht ist. Das steht doch schon im Strafgesetzbuch: § 12. Das ist natürlich sehr interessant. Aber gilt das auch für Holland und Saudi-Arabien? Nein natürlich nicht. Diese Definition ist zirkulär, sie ist aktuell und sie ist lokal. Sie gilt hier und heute und sie sagt, was der Gesetzgeber sowieso sagt, also sagt sie nichts. Jedenfalls hilft sie nicht weiter, wenn Wissenschaftler fragen, woran sie sich halten sollen, wenn sie eine historische Studie über die Geschichte des Verbrechens oder eine vergleichende Studie über Verbrechen in verschiedenen Kontinenten verfassen sollen. An welchem Begriff des Verbrechens sollten sie sich denn dann orientieren?   
'''Was aber ist ein Verbrechen?''' Strafrechtler sagen: das ist doch ganz klar. Ein Verbrechen ist eine rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht ist. Das steht doch schon im Strafgesetzbuch: § 12. Das ist natürlich sehr interessant. Aber gilt das auch für Holland und Saudi-Arabien? Nein natürlich nicht. Diese Definition ist zirkulär, sie ist aktuell und sie ist lokal. Sie gilt hier und heute und sie sagt, was der Gesetzgeber sowieso sagt, also sagt sie nichts. Jedenfalls hilft sie nicht weiter, wenn Wissenschaftler fragen, woran sie sich halten sollen, wenn sie eine historische Studie über die Geschichte des Verbrechens oder eine vergleichende Studie über Verbrechen in verschiedenen Kontinenten verfassen sollen. An welchem Begriff des Verbrechens sollten sie sich denn dann orientieren?   


Nun ja, geben gibt es so etwas schon, aber das ist nicht mehr sehr gut angesehen heutzutage. Das ist der Begriff des natürlichen Verbrechen - von Raffaele Garofalo, spätes 19. Jahrhundert. Ihm zufolge ist wäre es ein ''delitto naturale'' (also, wenn man so will, ein ''malum in se'' im Gegensatz zum ''mere prohibituum''), wenn das Verhalten grundlegende moralische Empfindungen des Mitleids (''pietà'') oder der Redlichkeit (''probità'') verletzte und dementsprechend Abscheu erregte: ''"Il delitto sociale o naturale è una lesione de quella parte del senso morale, che consiste nei sentimenti altruistici fondamentali (pietà e probità)"'' (Garofalo 1885: 30).
Nun ja, geben gibt es so etwas schon ... ist heutzutage aber nicht mehr gut angesehen ... der Begriff des natürlichen Verbrechens von Raffaele Garofalo, spätes 19. Jahrhundert: ihm zufolge liegt ein Verbrechen, ein natürliches Verbrechen immer dann vor, wenn - und wir sprechen hier vom ''delitto naturale'' (also, wenn man so will, vom ''malum in se'' im Gegensatz zum ''mere prohibituum'') - wenn das Verhalten grundlegende moralische Empfindungen des Mitleids (''pietà'') oder der Redlichkeit (''probità'') verletzt und deshalb allgemein als abscheulich empfunden wird: ''"Il delitto sociale o naturale è una lesione de quella parte del senso morale, che consiste nei sentimenti altruistici fondamentali (pietà e probità)"'' (Garofalo 1885: 30).


Was sagen denn die Leute auf der Straße? Entschuldigen Sie, wir hätten da mal eine Frage. Was ist ein Verbrechen? Ein Verbrechen? Na, das ist zum Beispiel ein Mord. Punkt, Ende aus. Ein Verbrechen - das ist zum Beispiel ein Mord. Die Häufigkeit dieser Antwort, das fiel schon Hans Magnus Enzensberger (1964: 10) auf, steht natürlich "in keinem Verhältnis zur Kriminalstatistik, in der ganz andere Delikte die Hauptrolle spielen. Obwohl er relativ selten ist, spielt der Mord im allgemeinen Bewußtsein eine Schlüsselrolle. Kraft seines Beispiels wird überhaupt erst verstanden, was ein Verbrechen ist" (Enzensberger 1964: 10).
Was sagen denn die Leute auf der Straße? Entschuldigen Sie, wir hätten da mal eine Frage. Was ist ein Verbrechen? Ein Verbrechen? Na, das ist zum Beispiel ein Mord. Punkt, Ende aus. Ein Verbrechen - das ist zum Beispiel ein Mord. Die Häufigkeit dieser Antwort, das fiel schon Hans Magnus Enzensberger (1964: 10) auf, steht natürlich "in keinem Verhältnis zur Kriminalstatistik, in der ganz andere Delikte die Hauptrolle spielen. Obwohl er relativ selten ist, spielt der Mord im allgemeinen Bewußtsein eine Schlüsselrolle. Kraft seines Beispiels wird überhaupt erst verstanden, was ein Verbrechen ist" (Enzensberger 1964: 10).
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