Der Mord im Zusammenhang des Tötens: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Der evolutionäre Vorteil des Tötens ===
=== Der evolutionäre Vorteil des Tötens ===
Der Mensch ist nicht nur für seine Umwelt "das gefährlichste aller Tiere" (David Livingstone Smith), er ist, biologisch gesehen, auch durchaus "frei, seine Artgenossen zu töten; die instinktive Hemmung dagegen reicht bei ihm nicht aus" (v. Weizsäcker 1979: 85). Mord und Totschlag gehören zu jeder menschlichen Gesellschaft. Sie sind also im Sinne Émile Durkheims (1968) soziologisch normal. Darüber hinaus glaubt die Forschung heute zweierlei zu wissen.


 
Erstens, dass der Mensch über einen Erfindungsreichtum sondergleichen verfügt, was die grausame und egoistische Eliminierungen seiner Artgenossen angeht: diese Fähigkeit soll er schon von seinen Vorfahren übernommen haben, für die sich dieses Verhalten im Laufe von rund sechs Millionen Jahren immer wieder als überlebenswichtig erwiesen hatte. Die Angst des Gejagten und der Triumph des Jägers vereinigten sich im "aggressiven Individuum": ein erheblicher evolutionärer Vorteil für den homo erectus und eine gute Basis für den seit rund 200.000 Jahren existierenden anatomisch modernen Menschen. Selbst noch nach der Erfindung des Ackerbaus und der Viehzucht vor rund 12.000 Jahren war die Grausamkeit gegenüber Fremden noch nicht dysfunktional geworden. 95% dieser Zeitspanne verbrachte der Mensch in kleinen Gemeinschaften, die ganz gut ohne Kontakt mit Fremden auskamen und für die zudem der Anblick von Fremden meist nichts Gutes bedeutete. Viele Forscher sehen in der kulturübergreifend feststellbaren Phase des "Fremdelns" bei sieben bis acht Monate alten Kleinkindern ebenso einen ontogenetischen Ausläufer dieses phylogenetischen Erbes wie in der (aus der Angst vor dem Ermordet-Werden stammenden) Fähigkeit des Menschen, sich in die potentiell bösen Absichten Anderer hineinzuversetzen - einer Kunst, die dann von Vorteil ist, wenn es dem Menschen gelingt, die Angst vor dem Anderen in die Bereitschaft zu dessen Tötung zu verwandeln. Die (von Thomas Hobbes eindrucksvoll geschilderte) Logik der wechselseitigen Antizipation böser Absichten befähigt (und nötigt) das um seine Sicherheit besorgte Individuum, dem Risiko eines Angriffs durch eine eigene Attacke zuvorzukommen. Den für die weitere Entwicklung riskanten ''bellum omnium contra omnes'' konnte dann - nach Hobbes - nur die Herausbildung einer starken, die Partikulargewalten entwaffnenden Zentralmacht verhindern. In der Aggression gegen Fremde sieht Samuel Bowles (2004) sogar die evolutionäre Wiege menschlicher Liebe, Binnensolidarität und Selbstlosigkeit innerhalb der jeweils eigenen Gruppe. Die zunehmende Bevölkerungsdichte machte Kontakte häufiger, aber nicht aber unbedingt friedlicher. Kopfjäger und Kannibalen genossen den evolutionären Vorteil, durch die Tötung und das Verzehren von Fremden andere Feinde abzuschrecken, den eigenen Eiweißbedarf zu decken und zudem das eigene Machtgefühl zu intensivieren. Doch auch jenseits dieser Kulturen war es rational, weil abschreckend, Fremde zu vergewaltigen, zu foltern und/oder zu zerstückeln. Die Grausamkeit war zweckorientiert im Hinblick auf das eigene Überlegen und insofern strategisch rational (Helbling 2006).
 
 
 
 
 


== Die Nichtverfügbarkeit (elusiveness) des Mordes ==
== Die Nichtverfügbarkeit (elusiveness) des Mordes ==
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