Czernowitz: Unterschied zwischen den Versionen

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Die heute zur Ukraine gehörende Stadt Czernowitz (bzw. Tschernowitz; ukrainisch Чернівці/Tscherniwzi; russisch Черновцы/Tschernowzy, rumänisch Cernăuţi, polnisch Czerniowce) war bis zum Zweiten Weltkrieg ein vielsprachiges und multiethnisches Zentrum geistigen Lebens mit einer reichhaltigen jiddischen Kultur, vergleichbar mit dem damaligen Sarajevo oder auch Thessaloniki. Der Kriminologe Franz Exner lehrte an der seinerzeit deutschsprachigen Franz-Josephs-Universität von 1912-1916 und verfasste während dieser Zeit seine "Theorie der Sicherungsmittel" (1914).  
Die heute zur Ukraine gehörende Stadt Czernowitz (bzw. Tschernowitz; ukrainisch Чернівці/Tscherniwzi; russisch Черновцы/Tschernowzy, rumänisch Cernăuţi, polnisch Czerniowce) war bis zum Zweiten Weltkrieg ein vielsprachiges und multiethnisches Zentrum geistigen Lebens mit einer reichhaltigen jiddischen Kultur, vergleichbar dem damaligen Sarajevo oder auch Thessaloniki. Der Kriminologe Franz Exner lehrte an der seinerzeit deutschsprachigen Franz-Josephs-Universität von 1912-1916 und verfasste während dieser Zeit seine "Theorie der Sicherungsmittel" (1914).  




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=== Kultureller Kontext ===
=== Kultureller Kontext ===


Seine kulturelle Blüte erlebte Czernowitz als Vielvölkerstadt mit Ukrainern, Polen, Rumänen, Ruthenen, Juden, Roma und Deutschen während seiner Zugehörigkeit zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie und Hauptstadt des "Kronlandes" Bukowina. Aus Czernowitz stammten u.a. der Rechtssoziologe Eugen Ehrlich (1862-1922), der Biochemiker Erwin Chargaff (1905–2002), der Schriftsteller Gregor von Rezzori (1914-1998), die Kunsthistorikerin (und Ehefrau von Hermann Hesse) Ninon Ausländer (1895–1966), die Lyrikerin Rose Ausländer (1901–1988), die deutschsprachige jüdische und chinesische Schriftstellerin Klara Blum (1904-1971) und der Dichter Paul Celan (1920-1970). Der letzte lebende polnische jiddischsprachige Dichter aus und in Czernowitz ist Josef Burg (* 1912). Wilhelm Reich und Wilhelm Stekel gingen in Czernowitz aufs Gymnasium.
Seine kulturelle Blüte erlebte Czernowitz als Vielvölkerstadt mit Ukrainern, Polen, Rumänen, Ruthenen, Juden, Roma und Deutschen während seiner Zugehörigkeit zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie und Hauptstadt des "Kronlandes" Bukowina. Aus Czernowitz stammten u.a. der Rechtssoziologe Eugen Ehrlich (1862-1922), der Biochemiker Erwin Chargaff (1905–2002), der Schriftsteller Gregor von Rezzori (1914-1998), die Kunsthistorikerin (und Ehefrau von Hermann Hesse) Ninon Ausländer (1895–1966), die Lyrikerin Rose Ausländer (1901–1988), die deutschsprachige jüdische und chinesische Schriftstellerin Klara Blum (1904-1971) und der Dichter Paul Celan (1920-1970). Wilhelm Reich und Wilhelm Stekel gingen in Czernowitz aufs Gymnasium. Der letzte jiddischsprachige Dichter aus und in Czernowitz war Josef Burg (1912-2009).  


Durch die Ermordung der Juden und die Umsiedlung und Vertreibung ganzer Volksgruppen, vor allem der Deutschen und der Rumänen, ging diese Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend verloren. Die jüdische Gemeinde von Czernowitz in der Diaspora hält heute noch durch die Zeitung «Die Stimme» weltweit Kontakt untereinander.
Durch die Ermordung der Juden und die Umsiedlung und Vertreibung ganzer Volksgruppen, vor allem der Deutschen und der Rumänen, ging diese Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend verloren. Die jüdische Gemeinde von Czernowitz in der Diaspora hält heute noch durch die Zeitung «Die Stimme» weltweit Kontakt untereinander.
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== Literatur ==
== Literatur ==
* Adorján, Johanna (2008) Es gibt keinen Hass. Es ist ein Wunder. Josef Burg lebt in Czernowitz und schreibt Jiddisch. Besuch bei einem Dichter, dessen Sprache fast verschwunden ist. FAZ 14.12.2008: 25.  
* Adorján, Johanna (2008) Es gibt keinen Hass. Es ist ein Wunder. Josef Burg lebt in Czernowitz und schreibt Jiddisch. Besuch bei einem Dichter, dessen Sprache fast verschwunden ist. FAZ 14.12.2008: 25.  
* Helmut Braun (Hrsg.): Czernowitz: Die Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole, Ch. Links Verlag, Berlin 2005.
* Braun, Helmut, Hg. (2005) Czernowitz: Die Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole, Ch. Links Verlag, Berlin.
* Gaby Coldewey (Hrsg.): Zwischen Pruth und Jordan, Lebenserinnerungen Czernowitzer Juden, Köln 2003.
* Gaby Coldewey (Hrsg.): Zwischen Pruth und Jordan, Lebenserinnerungen Czernowitzer Juden, Köln 2003.
* Andrei Corbea-Hoisie: Czernowitzer Geschichten. Über eine städtische Kultur in Mittel(Ost)-Europa. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar, 2003.
* Corbea-Hoisie, Andrei (2003) Czernowitzer Geschichten. Über eine städtische Kultur in Mittel(Ost)-Europa. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar.
* Andrei Corbea-Hoisie (Hrsg.): Jüdisches Städtebild Czernowitz. Frankfurt/Main 1998.
* Andrei Corbea-Hoisie (Hrsg.): Jüdisches Städtebild Czernowitz. Frankfurt/Main 1998.
* Cecile Cordon und Helmut Kusdat (Hrsg.): An der Zeiten Ränder. Czernowitz und die Bukowina. Geschichte - Literatur - Verfolgung - Exil. Wien 2002.
* Cecile Cordon und Helmut Kusdat (Hrsg.): An der Zeiten Ränder. Czernowitz und die Bukowina. Geschichte - Literatur - Verfolgung - Exil. Wien 2002.
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* Florence Heymann: Le Crépuscule des Lieux. Identités Juives de Czernowitz. Paris 2003.
* Florence Heymann: Le Crépuscule des Lieux. Identités Juives de Czernowitz. Paris 2003.
* Kurt Scharr: Städtische Transformationsprozesse in der Westukraine seit der Unabhängigkeit 1991 am Beispiel der Entwicklung von Czernowitz. Eine Bestandsaufnahme. In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft. 146. 2004, S. 125–146.
* Kurt Scharr: Städtische Transformationsprozesse in der Westukraine seit der Unabhängigkeit 1991 am Beispiel der Entwicklung von Czernowitz. Eine Bestandsaufnahme. In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft. 146. 2004, S. 125–146.
* Martens, Michael (2009) Der letzte Zeuge. Zum Todes des jiddischen Dichters Josef Burg. FAZ 12.08.09: 29.
* Too Small to Matter by Edith Elefant Sommerfeld (2006)
* Too Small to Matter by Edith Elefant Sommerfeld (2006)
* Erinnerungen an Czernowitz by Zvi Yavetz (2007)
* Erinnerungen an Czernowitz by Zvi Yavetz (2007)

Version vom 20. August 2009, 00:03 Uhr

Die heute zur Ukraine gehörende Stadt Czernowitz (bzw. Tschernowitz; ukrainisch Чернівці/Tscherniwzi; russisch Черновцы/Tschernowzy, rumänisch Cernăuţi, polnisch Czerniowce) war bis zum Zweiten Weltkrieg ein vielsprachiges und multiethnisches Zentrum geistigen Lebens mit einer reichhaltigen jiddischen Kultur, vergleichbar dem damaligen Sarajevo oder auch Thessaloniki. Der Kriminologe Franz Exner lehrte an der seinerzeit deutschsprachigen Franz-Josephs-Universität von 1912-1916 und verfasste während dieser Zeit seine "Theorie der Sicherungsmittel" (1914).


Kriminologie

Kultureller Kontext

Seine kulturelle Blüte erlebte Czernowitz als Vielvölkerstadt mit Ukrainern, Polen, Rumänen, Ruthenen, Juden, Roma und Deutschen während seiner Zugehörigkeit zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie und Hauptstadt des "Kronlandes" Bukowina. Aus Czernowitz stammten u.a. der Rechtssoziologe Eugen Ehrlich (1862-1922), der Biochemiker Erwin Chargaff (1905–2002), der Schriftsteller Gregor von Rezzori (1914-1998), die Kunsthistorikerin (und Ehefrau von Hermann Hesse) Ninon Ausländer (1895–1966), die Lyrikerin Rose Ausländer (1901–1988), die deutschsprachige jüdische und chinesische Schriftstellerin Klara Blum (1904-1971) und der Dichter Paul Celan (1920-1970). Wilhelm Reich und Wilhelm Stekel gingen in Czernowitz aufs Gymnasium. Der letzte jiddischsprachige Dichter aus und in Czernowitz war Josef Burg (1912-2009).

Durch die Ermordung der Juden und die Umsiedlung und Vertreibung ganzer Volksgruppen, vor allem der Deutschen und der Rumänen, ging diese Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend verloren. Die jüdische Gemeinde von Czernowitz in der Diaspora hält heute noch durch die Zeitung «Die Stimme» weltweit Kontakt untereinander.

Universität

Die Franz-Josephs-Universität Czernowitz war 1875 anlässlich der 100jährigen Zugehörigkeit zu Österreich von Constantin Tomaszczuk gegründet worden. Sie befand sich teilweise im Pädagogium in der Bischofsgasse, teilweise (Naturwissenschaften und verschiedene Sammlungen) im Priesterhaus bei der erzbischöflichen Residenz. Bis zum Ende der deutschen Universität im Jahre 1918 lehrten dort u.a. Joseph Schumpeter (1909-1911), Friedrich von Kleinwächter, Eugen Ehrlich und Franz Exner. Als die Monarchie zerfiel, hörte auch "Cisleithanien", der Teil der Monarchie, zu dem die Bukowina gehört hatte, zu bestehen auf. Czernowitz gehörte kurz zu Polen (Oktober/November 1918) und dann als Cernăuţi - unterbrochen durch eine kurze erste sowjetische Besatzung (1940) zu Rumänien (November 1918-1944), gefolgt von einer erneuten sowjetischen Herrschaft (1944-1991), die u.a. den Sitz der Universität in die ehemalige erzbischöfliche Residenz verlegte. Seit 1991 ist Tscherniwzi Teil der Ukraine und die Universität heißt Yuri Fedkovych National University Tscherniwzi.

Franz Exner

Der Strafrechtler und Kriminologe Franz Exner lehrte von 1912-1916 an der Universität Czernowitz. Er verfaßte während dieser Zeit seine kriminalpolitische Schrift "Die Theorie der Sicherungsmittel" (1914), in der er sich für ein zweispuriges, aus Strafen und Maßnahmen bestehendes Strafrecht stark machte.

Literatur

  • Adorján, Johanna (2008) Es gibt keinen Hass. Es ist ein Wunder. Josef Burg lebt in Czernowitz und schreibt Jiddisch. Besuch bei einem Dichter, dessen Sprache fast verschwunden ist. FAZ 14.12.2008: 25.
  • Braun, Helmut, Hg. (2005) Czernowitz: Die Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole, Ch. Links Verlag, Berlin.
  • Gaby Coldewey (Hrsg.): Zwischen Pruth und Jordan, Lebenserinnerungen Czernowitzer Juden, Köln 2003.
  • Corbea-Hoisie, Andrei (2003) Czernowitzer Geschichten. Über eine städtische Kultur in Mittel(Ost)-Europa. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar.
  • Andrei Corbea-Hoisie (Hrsg.): Jüdisches Städtebild Czernowitz. Frankfurt/Main 1998.
  • Cecile Cordon und Helmut Kusdat (Hrsg.): An der Zeiten Ränder. Czernowitz und die Bukowina. Geschichte - Literatur - Verfolgung - Exil. Wien 2002.
  • Harald Heppner (Hrsg.): Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Böhlau Verlag, Köln 2000.
  • Florence Heymann: Le Crépuscule des Lieux. Identités Juives de Czernowitz. Paris 2003.
  • Kurt Scharr: Städtische Transformationsprozesse in der Westukraine seit der Unabhängigkeit 1991 am Beispiel der Entwicklung von Czernowitz. Eine Bestandsaufnahme. In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft. 146. 2004, S. 125–146.
  • Martens, Michael (2009) Der letzte Zeuge. Zum Todes des jiddischen Dichters Josef Burg. FAZ 12.08.09: 29.
  • Too Small to Matter by Edith Elefant Sommerfeld (2006)
  • Erinnerungen an Czernowitz by Zvi Yavetz (2007)
  • Pädagogik in Osterreich: Die Geschichte des Faches an den Universitaten vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Band 3: Padagogik an den Universitaten Czernowitz, Salzburg und Linz (German Edition) by Wolfgang Brezinka (2008)
  • Mythos Czernowitz by Verena Rotter (2005)
  • Czernowitz by Francesca Marciano (2005)


Filme

  • „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“, Deutschland 1998/1999, Dokumentarfilm, 132 Min., Regie: Volker Koepp
  • „Dieses Jahr in Czernowitz“, Deutschland 2003/2004, Dokumentarfilm, 134 Min., Regie: Volker Koepp
  • „Czernowitz, einstige Kronstadt der K.K. Österreich-Ungarischen Monarchie“, Deutschland 2006, Doku-film, 80 Min., Produzenten: Oksana Czarny, geb. Nakonechna und Reinhold Czarny - RCP -;
  • "Bukovina Style - Czernowitz, Gestern und Heute" Deutschland 2008; medienpädagogisches Dokumentarfilmprojekt 36 Min. Regie: Stefan Koeck, Drehbuch und Redaktion: Michael Petrowitz

Links

siehe: „http://de.wikipedia.org/wiki/Czernowitz“