Cesare Beccaria: Unterschied zwischen den Versionen

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==Dei delitti e delle pene==
==Dei delitti e delle pene==
Beccarias von humanistischer Rhetorik und [[Utilitarismus|utilitaristischem]] Denken bestimmtes Buch ''[[Verbrechen]] und [[Strafe]]n'' (zuerst anonym veröffentlicht in Livorno, 1764: ''Dei Delitte E Delle Pene''), in dem er die Abschaffung der Willkür in der Kriminaljustiz, der geheimen Prozesse, der [[Folter]] und der [[Todesstrafe]] forderte, wurde in Europa und den USA begeistert aufgenommen.  
Beccarias von humanistischer Rhetorik und [[Utilitarismus|utilitaristischem]] Denken bestimmtes Buch ''[[Verbrechen]] und [[Strafe]]n'' (zuerst anonym veröffentlicht in Livorno, 1764: ''Dei Delitte E Delle Pene''), in dem er die Abschaffung der Willkür in der Kriminaljustiz, der geheimen Prozesse, der [[Folter]] und der [[Todesstrafe]] forderte, wurde in Europa und den USA begeistert aufgenommen (sieben Auflagen in sechs Monaten; Übersetzungen ins Französische, Englische, Deutsche, Polnische, Spanische und Niederländische). Es war der erste unabhängige und von Rücksichten freie literarische Ausdruck der Aufklärung in Italien, die erste systematische und auch für Nichtjuristen lesbare Strafrechtstheorie - die sich zudem in völlig säkularisierter Form darstellte und auf eine grundlegende Veränderung der bestehenden Verhältnisse abzielte: „Die Gesetze, welche die Abfälle der barbarischsten Zeitalter darstellen, werden in dem vorliegenden Buch zu jenem Teil untersucht, der das Strafsystem betrifft; und es wird das Wagnis unternommen, den Lenkern des öffentlichen Glücks die Fehlleistungen dieser Gesetze in einem Stile darzulegen, welcher die unaufgeklärte und unruhige Menge fernhält.“ (Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen – Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, Einleitung, S. 49f., Frankfurt am Main / Leipzig: Insel Verlag Frankfurt am Main 1998.)
 
„Die Gesetze, welche die Abfälle der barbarischsten Zeitalter darstellen, werden in dem vorliegenden Buch zu jenem Teil untersucht, der das Strafsystem betrifft; und es wird das Wagnis unternommen, den Lenkern des öffentlichen Glücks die Fehlleistungen dieser Gesetze in einem Stile darzulegen, welcher die unaufgeklärte und unruhige Menge fernhält.“
(Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen – Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, Einleitung, S. 49f., Frankfurt am Main / Leipzig: Insel Verlag Frankfurt am Main 1998.)
   
   
*erster unabhängiger und von Rücksichten freier literarischer Ausdruck der Aufklärung in Italien
*erste systematische auch für Nichtjuristen lesbare Strafrechtstheorie
*zielte auf eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse ab
*sieben Auflagen in 6 Monaten
*ins Französische, ins Englische, ins Deutsche, in Polnische, ins Spanische und ins Niederländische übersetzt
*Säkularisierung des Strafrechts
===Philosophische Grundlagen===
===Philosophische Grundlagen===


Schließt sich den Theorien des Gesellschaftsvertrages an. Um eines sicheren und fruchtbaren Zusammenlebens willen verzichten die Menschen auf einen Teil ihrer Freiheit und legen ihn „als heiliges Depositum“ in die Hände ihres Herrschers. Differenziert die verschiedenen Ausprägungen der Theorie des Gesellschaftsvertrages nicht. Das Recht ist nach Beccaria die für das Wohl und den Nutzen aller unerlässliche Einschränkung der persönlichen Freiheit. Beccaria bezieht sich mit der Ablehnung der Folter ausdrücklich auf Montesquieus „De l’esprit des lois“ (7. Buch, 12. Kapitel), stellt aber Montesquieus Auffassung vom Adel als nützlicher und notwendiger Zwischengewalt zwischen Krone und Volk zur Sicherung der Freiheit in Frage. Er fragt, ob der Adel „nicht vielmehr eine Schicht bildet, welche alles Ansehen und alle Chancen, an denen die Menschen beteiligt wären, auf einen sehr engen gesellschaftlichen Kreis beschränkt, den fruchtbaren und lieblichen Oasen gleich, die in den weiten Sandwüsten Arabiens auftauchen“ (XXI. Kapitel).  
Grundlage des Werkes ist die Idee des Gesellschaftsvertrags: Um eines sicheren und fruchtbaren Zusammenlebens willen verzichten die Menschen auf einen Teil ihrer Freiheit und legen ihn „als heiliges Depositum“ in die Hände ihres Herrschers. Das Recht ist nach Beccaria die für das Wohl und den Nutzen aller unerlässliche Einschränkung der persönlichen Freiheit.
Mit der Ablehnung der Folter bezieht sich Beccaria ausdrücklich auf [[Montesquieu]] (7. Buch, 12. Kapitel von "De l’esprit des lois"). Allerdings stellt er dessen Auffassung vom Adel als nützlicher und notwendiger Zwischengewalt zwischen Krone und Volk zur Sicherung der Freiheit in Frage. Er fragt, ob der Adel „nicht vielmehr eine Schicht bildet, welche alles Ansehen und alle Chancen, an denen die Menschen beteiligt wären, auf einen sehr engen gesellschaftlichen Kreis beschränkt, den fruchtbaren und lieblichen Oasen gleich, die in den weiten Sandwüsten Arabiens auftauchen“ (XXI. Kapitel).  


===Reformgedanken===
===Reformgedanken===
In der Kriminologie werden häufig Beccarias Reformbemühungen hervorgehoben:
In der Kriminologie werden häufig Beccarias Reformbemühungen hervorgehoben:
*Willkürverbot für die Polizei
*Willkürverbot für die Polizei
*strikte Abhängigkeit des Richters vom Gesetz
*strikte Abhängigkeit des Richters vom Gesetz
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*Primat vorbeugender Kriminalpolitik (lieber Prävention statt Repression)
*Primat vorbeugender Kriminalpolitik (lieber Prävention statt Repression)


Cesare Beccaria wird auch gerne von Gegnern der Todesstrafe zitiert. Im Kapitel 16 von "Von Verbrechen und Strafen" finden sich die meisten auch heute noch angeführten Argumente gegen die Todesstrafe. Es beginnt in der Übersetzung von Thomas Vormbaum (2005: 48) mit den Worten:  
Cesare Beccaria wird auch gerne von Gegnern der Todesstrafe zitiert. Im Kapitel 16 von "Von Verbrechen und Strafen" finden sich die meisten auch heute noch angeführten Argumente gegen die Todesstrafe. Es beginnt in der Übersetzung von Thomas Vormbaum (2005: 48) mit den Worten: ''"Diese nutzlose Häufigkeit der Strafvollstreckungen, die noch niemals die Menschen besser gemacht hat, hat mich veranlaßt, zu untersuchen, ob die Todesstrafe in einer wohl organisierten Regierungsform wirklich nützlich und gerecht ist. - Wie kann das Recht, Seinesgleichen zu töten, beschaffen sein, das die Menschen in Anspruch nehmen? Mit Sicherheit ist es nicht jenes Recht, aus dem Souveränität und Gesetze sich ableiten. Denn diese sind nichts anderes, als die Summe der kleinsten Anteile der persönlichen Freiheit eines jeden; diese stellen den gemeinen Willen dar, der aus den einzelnen Willen zusammengesetzt ist. Wer hätte jemals anderen Menschen die Befugnis, ihn zu töten, einräumen wollen?"''
 
''"Diese nutzlose Häufigkeit der Strafvollstreckungen, die noch niemals die Menschen besser gemacht hat, hat mich veranlaßt, zu untersuchen, ob die Todesstrafe in einer wohl organisierten Regierungsform wirklich nützlich und gerecht ist.
Wie kann das Recht, Seinesgleichen zu töten, beschaffen sein, das die Menschen in Anspruch nehmen? Mit Sicherheit ist es nicht jenes Recht, aus dem Souveränität und Gesetze sich ableiten. Denn diese sind nichts anderes, als die Summe der kleinsten Anteile der persönlichen Freiheit eines jeden; diese stellen den gemeinen Willen dar, der aus den einzelnen Willen zusammengesetzt ist. Wer hätte jemals anderen Menschen die Befugnis, ihn zu töten, einräumen wollen?"''


Während die Notwendigkeit von Strafen aus der egoistischen Natur des Menschen und die Befugnis zu Strafen aus dem Gesellschaftsvertrag erwächst, beschränkt sich diese Befugnis auf das für den Erhalt der Gesellschaft erforderliche Maß. Wichtigster Strafzweck ist die Abschreckung. Strafen müssen unmittelbar, kräftig und unaufhörlich auf die Sinne einwirken. Einziger Maßstab für die Beurteilung von Strafen ist der Schaden, der der Allgemeinheit und Einzelpersonen zugefügt wird.  
Während die Notwendigkeit von Strafen aus der egoistischen Natur des Menschen und die Befugnis zu Strafen aus dem Gesellschaftsvertrag erwächst, beschränkt sich diese Befugnis auf das für den Erhalt der Gesellschaft erforderliche Maß. Wichtigster Strafzweck ist die Abschreckung. Strafen müssen unmittelbar, kräftig und unaufhörlich auf die Sinne einwirken. Einziger Maßstab für die Beurteilung von Strafen ist der Schaden, der der Allgemeinheit und Einzelpersonen zugefügt wird.  
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Allerdings befürwortet Beccaria die Todesstrafe in zwei Fällen: „Der Tod eines Bürgers kann nur aus zwei Beweggründen für notwendig gehalten werden. Der erste ist dann gegeben, wenn er auch unter dem Entzug der Freiheit noch derartige Beziehungen und eine so große Macht hat, daß die Sicherheit der Nation davon betroffen ist und die Tatsache daß er lebt, eine gefährliche Umwälzung der bestehenden Regierungsform hervorrufen könnte. [...] sein Tod wäre der rechte und einzige Zügel, um die anderen von der Begehung eines Verbrechens abzuhalten.“ (Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen – Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, S. 124, Frankfurt am Main / Leipzig: Insel Verlag Frankfurt am Main 1998.)
Allerdings befürwortet Beccaria die Todesstrafe in zwei Fällen: „Der Tod eines Bürgers kann nur aus zwei Beweggründen für notwendig gehalten werden. Der erste ist dann gegeben, wenn er auch unter dem Entzug der Freiheit noch derartige Beziehungen und eine so große Macht hat, daß die Sicherheit der Nation davon betroffen ist und die Tatsache daß er lebt, eine gefährliche Umwälzung der bestehenden Regierungsform hervorrufen könnte. [...] sein Tod wäre der rechte und einzige Zügel, um die anderen von der Begehung eines Verbrechens abzuhalten.“ (Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen – Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, S. 124, Frankfurt am Main / Leipzig: Insel Verlag Frankfurt am Main 1998.)
   
   
Prävention ist wichtiger als das Strafen. Dabei greift Beccaria einen Gedanken von Montesquieus weiterführend auf: „Ich beabsichtige nicht, den gerechten Abscheu zu verringern, den diese Verbrechen [Kindsmord, Homosexualität; K.R.] verdienen; aber indem ich auf ihre Quellen hinweise, glaube ich das Recht zu haben, einen verallgemeinernden Schluß daraus zu ziehen, nämlich daß die Strafe eines Verbrechens nicht im genauen Sinn gerecht (will sagen notwendig) heißen kann, ehe nicht das Gesetz das unter den gegebenen Verhältnissen einer Nation bestmögliche Mittel angewandt hat, um dem Verbrechen vorzubeugen.“ (Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen – Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, S. 144ff., Frankfurt am Main / Leipzig: Insel Verlag Frankfurt am Main 1998.)
Prävention ist wichtiger als das Strafen. Dabei greift Beccaria einen Gedanken von Montesquieus weiterführend auf: „Ich beabsichtige nicht, den gerechten Abscheu zu verringern, den diese Verbrechen [Kindsmord, Homosexualität; K.R.] verdienen; aber indem ich auf ihre Quellen hinweise, glaube ich das Recht zu haben, einen verallgemeinernden Schluß daraus zu ziehen, nämlich daß die Strafe eines Verbrechens nicht im genauen Sinn gerecht (will sagen notwendig) heißen kann, ehe nicht das Gesetz das unter den gegebenen Verhältnissen einer Nation bestmögliche Mittel angewandt hat, um dem Verbrechen vorzubeugen.“ (Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen – Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, S. 144ff., Frankfurt am Main / Leipzig: Insel Verlag Frankfurt am Main 1998.)


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In seinen letzten Lebensjahren litt Beccaria zunehmend unter familiären und gesundheitlichen Problemen. Seine Rolle als Prominenter genoss er überhaupt nicht. 1766 brach er einen Paris-Besuch, der ihn mit der Elite der Zeit zusammenbrachte, vorzeitig ab. Seine Frau starb 1774 nach längerem Leiden. Drei Monate nach dem Tod seiner Frau heiratete er erneut. Seine zwei Brüder und seine Schwester strengten Prozesse an, die ihn viele Jahre beschäftigten. Beccarias letzte Monate waren überschattet von der Tatsache, dass die von ihm begrüßte Französische Revolution in eine Phase des Terrors abglitt.
In seinen letzten Lebensjahren litt Beccaria zunehmend unter familiären und gesundheitlichen Problemen. Seine Rolle als Prominenter genoss er überhaupt nicht. 1766 brach er einen Paris-Besuch, der ihn mit der Elite der Zeit zusammenbrachte, vorzeitig ab. Seine Frau starb 1774 nach längerem Leiden. Drei Monate nach dem Tod seiner Frau heiratete er erneut. Seine zwei Brüder und seine Schwester strengten Prozesse an, die ihn viele Jahre beschäftigten. Beccarias letzte Monate waren überschattet von der Tatsache, dass die von ihm begrüßte Französische Revolution in eine Phase des Terrors abglitt.


== Kritik ==
== Kritik ==
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