Bindungstheorie: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine Hypothese könnte naheliegen, dass Personen mit diesen Voraussetzungen in kritischen Lebenssituationen leichter zu Verhalten neigen, das als kriminell gesehen wird.  
Eine Hypothese könnte naheliegen, dass Personen mit diesen Voraussetzungen in kritischen Lebenssituationen leichter zu Verhalten neigen, das als kriminell gesehen wird.  


Paulus ist einer solchen Hypothese in Bezug auf Mörder und Serienmörder nachgegangen. Seine Arbeiten aus den Jahren 1997 und 1998 zeigt beispielhaft die Komplexität, mit der Bindungsvoraussetzungen mit den weiteren Bedingungen einer Biographie verflochten sind. Gleichzeitig wird deutlich, wie unscharf Binnendifferenzierungen des Bindungsbegriffs auch in einer bindungsorientierten Forschung ausfallen können:
Paulus ist einer solchen Hypothese in Bezug auf Mörder und Serienmörder nachgegangen. Seine Arbeiten aus den Jahren 1997 und 1998 zeigen beispielhaft die Komplexität, mit der Bindungsvoraussetzungen mit den weiteren Bedingungen einer Biographie verflochten sind. Gleichzeitig wird deutlich, wie unscharf Binnendifferenzierungen des Bindungsbegriffs auch in einer bindungsorientierten Forschung ausfallen können:
In seiner Arbeit "Serienmörder: Ursachen und Entwicklung extremer Gewalt" beschreibt er anhand einer Stichprobe eine mögliche Entwicklung von Gewalt: Am Anfang steht, abgeleitet aus Selbstauskünften befragter Täter, die Annahme einer unsicher-vermeidenden Bindung. Sie führt über weitere negative Beziehungs- und Umwelterfahrungen, insbesondere negativ verarbeitete Frustrationserlebnisse, zum Aufbau aggressiver Verhaltensschemata und aggressiver Phantasien. Im Zusammenhang mit situativen Komponenten führt das zu einer erhöhten aggressiven Verhaltensbereitschaft und tatsächlich aggressivem Verhalten.
In seiner Arbeit "Serienmörder: Ursachen und Entwicklung extremer Gewalt" beschreibt er anhand einer Stichprobe eine mögliche Entwicklung von Gewalt: Am Anfang steht, abgeleitet aus Selbstauskünften befragter Täter, die Annahme einer unsicher-vermeidenden Bindung. Sie führt über weitere negative Beziehungs- und Umwelterfahrungen, insbesondere negativ verarbeitete Frustrationserlebnisse, zum Aufbau aggressiver Verhaltensschemata und aggressiver Phantasien. Im Zusammenhang mit situativen Komponenten führt das zu einer erhöhten aggressiven Verhaltensbereitschaft und tatsächlich aggressivem Verhalten.
In seiner Arbeit "(Entwicklungs-)Psychologische Erklärungsansätze zur Genese einer extrem gewalttätigen Persönlichkeit" bezieht Paulus sich dagegen auf desorganisierte Muster: Er beschreibt Übereinstimmungen zwischen den familiären Lebensumständen der interviewten Täter und Lebensbedingungen, die geeignet sind, Desorganisation von Bindung zu begünstigen (besonders: abweisendes Elternverhalten). Er weist darauf hin, dass die von ihm beschriebenen Serientäter keine Chance hatten, in späteren Lebensphasen günstigere Bindungserfahrungen zu machen. Er schildert Aggression (aggressive Phantasien, spontan aggressive Verhaltensbereitschaften) hier als wesentliches Ergebnis der Desorganisation von Bindung. Im Zusammenhang mit der vorhergehenden Studie wird deutlich, dass die beschriebene Desorganisation als Zusatzbeschreibung eines anfangs als "unsicher-vermeidend" beschriebenen Bindungsmuster gesehen werden kann.
In seiner Arbeit "(Entwicklungs-)Psychologische Erklärungsansätze zur Genese einer extrem gewalttätigen Persönlichkeit" bezieht Paulus sich dagegen auf desorganisierte Muster: Er beschreibt Übereinstimmungen zwischen den familiären Lebensumständen der interviewten Täter und Lebensbedingungen, die geeignet sind, Desorganisation von Bindung zu begünstigen (besonders: abweisendes Elternverhalten). Er weist darauf hin, dass die von ihm beschriebenen Serientäter keine Chance hatten, in späteren Lebensphasen günstigere Bindungserfahrungen zu machen. Er schildert Aggression (aggressive Phantasien, spontan aggressive Verhaltensbereitschaften) hier als wesentliches Ergebnis der Desorganisation von Bindung. Im Zusammenhang mit der vorhergehenden Studie wird deutlich, dass die beschriebene Desorganisation als Zusatzbeschreibung eines anfangs als "unsicher-vermeidend" beschriebenen Bindungsmuster gesehen werden kann.


Ein ganz anderer Ansatz einer Verbindung zur Kriminologie könnte sich aus entwicklungspsychologischen Überlegungen zur Entwicklung von "Moral" und Normverständnis ergeben: Dazu vorliegende Stufenmodelle (vgl. Heidbrink 1991) gehen implizit davon aus, dass die Entwicklung moralischer Urteilskraft eng zusammenhängt mit der Beziehungsqualität zu emotional bedeutsamen erwachsenen Bezugspersonen. Eine weitergehende Annahme wäre, dass Kinder Schwierigkeiten haben, gesellschaftlich relevante Normen anzuerkennen, wenn ihnen eine Beziehung solcher Qualität fehlt. In Zusammenhang damit könnte man Sutherlands Theorie der differenziellen Assoziation sehen, der davon ausgeht, dass ein Kind ggf. schon über seine frühen sozialen Kontakte - Eltern - Gewalthandlungen und ihre Bewertung lernt.
Ein ganz anderer Ansatz einer Verbindung zur Kriminologie könnte sich aus entwicklungspsychologischen Überlegungen zur Entwicklung von "Moral" und Normverständnis ergeben: Dazu vorliegende Stufenmodelle (vgl. Heidbrink 1991) gehen implizit davon aus, dass die Entwicklung moralischer Urteilskraft eng zusammenhängt mit der Beziehungsqualität zu emotional bedeutsamen erwachsenen Bezugspersonen. Eine weitergehende Annahme wäre, dass Kinder Schwierigkeiten haben, gesellschaftlich relevante Normen anzuerkennen, wenn ihnen eine Beziehung solcher Qualität fehlt. In Zusammenhang damit könnte man Sutherlands Theorie der differenziellen Assoziation sehen, der davon ausgeht, dass ein Kind ggf. schon über seine frühen sozialen Kontakte - Eltern - Gewalthandlungen und ihre Bewertung lernt.


====Verbindungslinien aus der Kriminologie====
====Verbindungslinien aus der Kriminologie====
Anonymer Benutzer