Behandlung im Strafkontext: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Behandlung im Strafkontext''' umfasst die [[Behandlung]] im geschlossenen Strafvollzug, in der Sozialtherapie, im halboffenen und offenen Strafvollzug, im Maßregelvollzug in einer psychiatrischen oder Entziehungsanstalt ebenso wie in dem anderen Maßregelvollzug der Sicherungsverwahrung. Sie umfasst darüber hinaus die Behandlung während einer Strafaussetzung zur Bewährung und während einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach dem Betäubungsmittelgesetz. Gemeint sind also alle Behandlungen während der Strafe, aber auch solche, die zustande kommen, weil eine Person das Risiko strafrechtlicher Sanktionierungsprozesse (von der Eröffnung des Hauptverfahrens bis zum Widerruf der Bewährung) minimieren möchte. Behandlung im Strafkontext umfasst also die Behandlung im Strafvollzug, aber auch diejenige zur Abwendung eines Gefängnisaufenthalts ("[[Therapie statt Strafe]]"). Sie umfasst auch die Behandlung im Rahmen einer strafjustiziell angeordneten Freiheitsentziehung anderer Art (Entziehungsanstalt, Psychiatrisches Krankenhaus im Rahmen der einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuchs). In diese Behandlungen sind keineswegs ausschließlich, aber doch hauptsächlich Psychologinnen und Psychologen involviert.
== Was ist das für ein Bereich: "Behandlung im Strafkontext"? ==


siehe auch: [[Behandlung im Strafkontext: Funktion der Strafe]]
Behandlung ist ein vielgestaltiger und vieldeutiger Begriff, aber im Kern ist eines klar: Behandlungen erfolgen in alle Regel, um physische und/oder psychische Beschwerden, Verletzungen, Krankheiten, Leidenszustände zu erkennen, zu lindern, zu heilen oder doch zumindest ihre Verschlimmerung zu verhindern. Eine einfache Behandlung kann man oft selbst durchführen (Hühnersuppe oder Tee mit Honig gegen Erkältung), oft benötigt man aber auch fremde Hilfe. Das können dann Laien sein, sind aber - wenn es ernst wird - meist Professionelle, und das Behandlungsverhältnis ist dann nicht informell, sondern auch rechtlich formalisiert.
 
Formalisierte Behandlungen durch Ärzte oder Psychologen nehmen ihren Ausgang meist von von einem leidenden Menschen, der diese Hilfe erbittet und benötigt. Den Kontext dieser Art von Behandlungen bildet das System der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung mit seinen zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen zwischen Therapeuten und Klienten, abgesichert und eingebettet in ein gigantisches System von Krankenversicherungen, Rentenversicherungen, sozialen Diensten, Tagessätzen, Fallpauschalen und Erstattungsansprüchen. Da im Durchschnitt wohl jeder Bürger in jedem Jahr mehrere Behandlungen in Anspruch nimmt, geht die Zahl der Fälle in die Hunderte von Millionen.
 
Die großen Themen hier sind die Kostenexplosion, die Patientensicherheit, die Fehlerkultur - und manches (wie etwa der Abrechnungsbetrug, Bestechung und Bestechlichkeit oder eklatante Kunstfehler) ist sogar kriminologisch äußerst interessant und zugleich äußerst untererforscht. 
 
Doch nicht diese Themen haben uns heute hier zusammengeführt, sondern ein quantitativ eher kleiner Bereich, in dem Behandlungen in einem anderen Zusammenhang stattfinden, nämlich in dem der Sanktionierung von Individuen wegen gravierender Straftaten und insbesondere wegen Gewalt- und Sexualdelikten.
 
Es gibt mehrere Orte und Anlässe, bei denen der Kontext der Behandlung nicht derjenige des gewährenden und leistenden, sondern derjenige des eingreifenden, des strafenden Staates ist. Man denke an
# den geschlossenen, halboffenen oder offenen Normalvollzug mit seinen rund 70 000 Insassen, von denen freilich nur eine unbekannte Anzahl in Behandlung ist, von denen aber die rund 2.500 Klienten der Sozialtherapie sicherlich in intensiver Behandlung sich befinden
#den Maßregelvollzug in einer psychiatrischen oder Entziehungsanstalt mit rund 10 000 Betroffenen,
#die Sicherungsverwahrung mit rund 500 Insassen,
#nicht zuletzt aber auch an die insgesamt wohl rund 50.000 Klienten, die aufgrund der „Therapie statt Strafe“ - Regelung nach §§ 35 f. BtMG oder aufgrund anderer strafrechtlicher Grundlagen in (meistens) ambulanter oder aber (seltener) stationärer Behandlung sind (z.B. § 56c StGB, d.h. Klienten mit Strafaussetzung zur Bewährung mit der Weisung, sich einer Therapie zu unterziehen)
#sowie überhaupt an alle Klienten, die sonstwie auf die Gnade oder Milde von Sanktionsinstanzen hoffen, indem sie sich unter dem Druck drohender Verfolgung in eine Behandlung geben.
 
Quantitativ kann die Behandlung im Strafkontext also - glücklicherweise - nicht mithalten, aber qualitativ hat diese Kombination es durchaus in sich und es lohnt sich auf jeden Fall, und nicht nur für die unmittelbar dort Tätigen und Betroffenen, einmal einen genaueren Blick auf dieses Arbeitsfeld und die in ihm lauernden Chancen und Risiken zu werfen.
 
== Zwei Hauptmerkmale ==
 
=== Historische Neuheit ===
Das Zusammenbringen von Behandlung und Strafe, so wie wir es heute kennen, ist in historischer Perspektive immer noch so etwas wie eine unerhörte Neuheit. Während des allergrößten Teils der Menschheits- und Zivilisationsgeschichte waren Behandlung und Strafe strikt getrennt. Entweder man war krank und wurde behandelt - oder man wurde bestraft, und zwar ohne Behandlung, egal, ob man gesund oder krank war. Die Probleme, die mit der Behandlung im Strafkontext verbunden sind, gab es damals noch nicht.
 
Vom Hochmittelalter bis in das 18. Jahrhundert wurde gefoltert, verbrannt, aufgehängt, gevierteilt, gepfählt oder ertränkt, aber sicher nicht "behandelt" im Sinne einer physischen oder psychischen Zustandsverbesserung des Delinquenten.- In den Strafgesetzbüchern früherer Jahrhunderte zeigten allein schon Formulierungen wie „straffen biss ann das blut“ oder „straffen, so an das blut gandt und das läben kostendt“, dass es um Verstümmelungen ging und/oder verschiedene Formen, Menschen vom Leben zum Tod zu bringen, und damit Punkt.
 
Selbst als die Idee der moralischen Besserung aufkam, und das war mit einiger Konsequenz erst 1790 der Fall, als man in Philadelphia im US-Staat Pennsylvania das erste Zellengefängnis eröffnete, dachte man noch lange nicht an Behandlung im Strafvollzug.
 
Zwar bekam jeder Gefangene eine Einzelzelle, doch das Modell war nicht Behandlung, sondern Buße nach Art des Klosters. Der Gefangene erhielt eine Bibel und sonst nichts. Jedenfalls keine psychologische Betreuung, und auch keine Arbeit und keine Gemeinschaft mit anderen Gefangenen, geschweige denn Lockerungen oder auch nur einen Stufenvollzug - und wie Charles Dickens bezeugte, der sich dieses Gefängnis angesehen hatte, wurden viele Insassen denn auch depressiv, suizidal und/oder verrückt, bevor sie das Haftende erreicht hatten.
 
Der Behandlungsgedanke im Strafvollzug ist also viel jüngeren Datums, stammt aus dem 19. Jahrhundert und steckt nach all den Rückschlägen und dem Zivilisationsbruch im Dritten Reich auch heute noch eigentlich in seinen Anfängen. - Vor dem Hintergrund einer 1000 oder 2000 Jahre umfassenden Geschichte sprechen wir hier von den letzten 100 Jahren, und selbst die waren ja nicht frei von Rückschritten. - Mit anderen Worten: dass es überhaupt heute Behandlung im Strafkontext gibt, ist aller Freude wert, vielleicht sogar eines gewissen zivilisatorischen Stolzes. Aber unter historischer Perspektive ist dieses Miteinander höchst sehr jung, quasi experimentell und während man in der Gegenwart immer dazu tendiert, den Status Quo fortzuschreiben, erscheinen die Chancen, dass dieses Miteinander für alle Zukunft erhalten bleibt, gerade angesichts der Widersprüche geradezu minimal.
 
=== Paradoxalität ===
 
Die zweite Besonderheit der Behandlung auf strafrechtlicher Grundlage ist der Zielkonflikt zwischen Verbesserung und Verschlechterung des Zustands des Betroffenen. Die Strafe ist ein absichtlich zugefügtes Übel. Juristen sprechen in aller Offenheit von Strafübel. Eine Übelszufügung verfolgt das Ziel, den Zustand einer Person - des Bestraften - gegen deren Willen fühlbar und signifikant zu verschlechtern. Behandlung aber ist der Versuch, den Zustand einer Person in deren Auftrag und in deren Interesse erheblich zu verbessern. Im Strafkontext zu behandeln heißt deshalb: den Versuch zu unternehmen, den Zustand einer Person zu verbessern - aber in einem Umfeld, das explizit und mit sehr hohem Aufwand gerade darauf ausgerichtet ist, den Zustand (auch) eben dieser Person zu verschlechtern.
 
== Triade statt Dyade ==
In den Worten von Karl Heinz Pleyer (1996: 1929): "Therapeutische Beziehungen in Zwangskontexten sind (...) in aller Regel triadischer Natur. Die eigentlichen Auftraggeber, die den Zwang verhängen, sind mit im Gespräch, ohne anwesend zu sein." Ohne den strafenden Staat wäre der Klient nicht vorhanden, und der Therapeut wäre auch nicht da, wo er ist, und das, was die beiden miteinander verbindet, ist auch nicht nur der freie Wille des Behandlungsbedürftigen.
 
Der soziale Raum der Sozialtherapie ist nicht nur durch das Paradox der Gleichzeitigkeit von Abwendung (Strafe) und Zuwendung (Behandlung) gekennzeichnet, sondern auch von der Ersetzung der Therapeut-Klient-Dyade durch die Triade von Therapeut, Klient und strafendem Zwang.
 
Die Paradoxalität drückt sich in der Ersetzung der Therapeut-Klient-Dyade durch eine Triade von Staat - Therapeut - Klient aus. In den Worten von Karl Heinz Pleyer (1996: 1929): "Therapeutische Beziehungen in Zwangskontexten sind (...) in aller Regel triadischer Natur. Die eigentlichen Auftraggeber, die den Zwang verhängen, sind mit im Gespräch, ohne anwesend zu sein." Ohne den strafenden Staat wäre der Klient nicht vorhanden, und der Therapeut wäre auch nicht da, wo er ist, und das, was die beiden miteinander verbindet, ist auch nicht nur der freie Wille des Behandlungsbedürftigen.
 
Für den Therapeuten ist der Gefangene Klient, für den Staat ist  er aber vor allem Strafgefangener. Daher auch das dauernde Benennungsproblem zwischen Gefangener, Insasse, Bewohner, Klient.
 
== Dominanz und Subordination ==
Ein Beispiel für die paradoxe Verschränkung, das zugleich die grundsätzliche Dominanz des Strafverhältnisses über das Behandlungsverhältnis zeigt, ist der Fall David Long aus dem Jahre 1999.
 
Im Konflikt zwischen Behandlung und Strafe, zwischen Hilfe und Herrschaft, will der strafende Staat die Oberhand behalten. Was das bedeutet, wird vielleicht an einem Extrembeispiel deutlich, wie es sich im Dezember 1999 in Texas zugetragen hat. Der zum Tode verurteilte Gefangene David Long, der am Donnerstag, den 9.12., hingerichtet werden sollte, unternahm am Montag davor einen Suizidversuch, wurde nach erfolgreicher Wiederbelegung auf die Intensivstation des Krankenhauses in Galvesteon gebracht und dort im Verlaufe einiger Tage relativ stabilisiert. Können wir ihn denn termingerecht hinrichten, fragte der Gouverneur? Der verantwortliche Arzt hatte Bedenken wegen des Transports. Der Patient könnte versterben, bevor er in Huntsville angekommen sei. Man charterte also ein Flugzeug und flog David Long in ärztlicher Begleitung und mit entsprechenden medizinischen Geräten am Donnerstag morgen zurück zum Gefängnis, wo man ihn wie vorgesehen pünktlich am Abend desselben Tages per Giftspritze hinrichtete.
 
== Der strafende Staat färbt die gesamte Behandlung ==
 
Man kann sagen: wir sind hier nicht in den USA, bei uns ist alles anders. Aber in mancher Hinsicht nicht, und die Dinge gehen in mancher Hinsicht noch tiefer als in dem Beispiel. Dort war die ärztliche Behandlung selbst im Kern so wie sonst auch. Das Strafverhältnis bezog sich nur auf die Rahmung und die Dominanz. Und es wurde klar gemacht, wer das Sagen hat.
 
Vor allem aber ist das Behandlungsverhältnis selbst nicht frei von Strafeinflüssen. Der strafende Staat ist - anders als im Fall David Long - in jeder Phase der Behandlung dabei: Etablierung, Ziel, Dauer. Vor allem die Motivationsphase erweist sich als sehr gefräßig.
 
Der Strafkontext bleibt dem Behandlungsgeschehen nicht äußerlich. Behandlung im Strafkontext heißt nicht, dass draußen zwar Mauern und Stacheldraht existieren, drinnen in der Anstalt aber die ganz klassische Therapeut-Klient-Dyade in gewohnter Autonomie ganz so wie sonst auch agiert. Im Gegenteil: zwischen Behandlung und Strafe existieren Widersprüche auf allen Ebenen, die auch alle Fasern der Behandlung beeinflussen.
 
=== Zustandekommen ===
Der Kontext dominiert das Zustandekommen der Behandlung. Initialzwang statt Hilfeersuchen. Die frühe Such- und Findephase der klassischen Behandlung wird durch die  behördliche Anordnung ersetzt. Es ist die Verpflichtung des Behandlers seinem Dienstherrn gegenüber, die ihn zur Aufnahme des Behandlungsverhältnisses motiviert. Es ist die Unfreiheit des Verurteilten, die ihn nötigt. Das wird auch nicht dadurch entschärft, dass sich der Klient auch im Strafkontext gelegentlich um Behandlung bewerben muss. Denn die Bewerbung eines Unfreien ist etwas anderes als die Bewerbung eines Freien. Sie ist oft anders motiviert (Amelung 1983) - zum Beispiel durch die Hoffnung, dadurch schneller wieder aus der Haft entlassen zu werden. Einerseits macht die Belieferung der Anstalten durch den strafenden Staat die Sache leichter: der Klient muss nicht lange überlegen, der Therapeut muss nicht lange warten, die beiden finden sozusagen von Amts wegen zueinander. Andererseits fängt das Problem dann aber erst richtig an, denn der stärkste Motor zur Etablierung einer therapeutischen Beziehung, das Leiden des Individuums und sein Verlangen, sich von seinem Leiden zu befreien - die Hoffnung auf Heilung gar - sind in aller Regel gar nicht vorhanden. Der Gefangene hat keinen starken eigenen Antrieb, er lässt sich nur treiben, lässt es mit sich geschehen. Der Philosoph Paul Ricoeur (2006: 521f.) hat darauf hingewiesen, dass schon unter normalen Umständen der Behandlungspakt eine Menge Unsicherheit und Misstrauen überwinden muss, um sich zu der erwünschten Allianz entwickeln zu können, die zwischen zwei Personen gegen den gemeinsamen Feind - die Krankheit - geschlossen wird. In seinen Worten: "Man kann die Fragilität dieses Paktes - von Anfang an - nicht genug betonen. Das Gegenteil des Vertrauens ist das Mißtrauen oder der Verdacht. Das Gegenteil des Vertrauens begleitet alle Phasen des Vertragsschlusses. Auf der Seite des Patienten wird das Vertrauen bedroht durch eine unreine Mischung aus dem Mißtrauen eines gegenüber eines unterstellten Machtmissbrauchs aller Mitglieder der Ärzteschaft und dem Verdacht, dass der Arzt gleichgültig sein wird" gegenüber dem Leiden und den wahren Bedürfnissen des Patienten. Auch auf der Seite des Therapeuten gibt es schon im Normalfall der freien Therapie zahlreiche Hindernisse. Doch wie stark ist das alles erst im Strafkontext!
Bedenkt man nun, dass auch unter normalen Bedingungen der Macht-Asymmetrie nur durch überaus behutsames und vertrauensschaffendes Aufeinanderzugehen etwas von ihrer Explosivität genommen werden kann, dann kann man sich vorstellen, wie hoch die Hürden sind, vor denen eine erfolgreiche Behandlung im Strafkontext steht.
 
=== Fehlende Motivation ===
Der Kontext verschiebt die innere Ordnung der Behandlung. Das Fehlen der Therapiemotivation heißt aber auch, dass die zeitlichen Proportionen des Prozesses durcheinander kommen und dass es mitunter Jahre dauern kann, bis ein Gefangener beginnt, sich dafür zu interessieren, wie es um ihn und seine innere Problematik steht, wie diese wiederum mit Beziehungsstrukturen in seiner familiären Biographie und mit Auslösesituationen für Gewalttaten zusammenhängt ... und so weiter. Das heißt: die Schaffung der Voraussetzungen für eine Behandlung tendiert zur gefräßigen Inanspruchnahme der meisten Zeit, die die Behandler mit den Behandelten verbringen. Der Ablauf der Behandlung ist regelmäßig durch die langanhaltende Bemühung um die Schaffung der Voraussetzungen für therapeutische Prozesse gekennzeichnet. Die Vorlaufphase kann länger dauern als der ganze Rest. Vorbereitung statt Durchführung.
 
===Zielbestimmung===
Legalbewährung statt Heilung. Die Behandlung soll in aller Regel dem im Gesetz vorgeschriebenen Resozialisierungsziel dienen, also der Befähigung des Klienten, in Zukunft ein Leben ohne Straftaten zu führen. So wird man sich mit der Anlasstat befassen, mit den biographischen und familienstrukturellen Zusammenhängen und Mechanismen, wird Rückfallprävention üben und nie so genau wissen, ob der Klient das auch alles emotional nachvollziehen und sich selbst zum Agenten seiner Heilung machen kann. Auch diese Fokussierung auf die Anlasstat und die Rückfallprävention geht auf den Staat, auf das Strafgesetzbuch und das Strafvollzugsgesetz sowie auf das öffentliche Interesse zurück. Der Klient ist eben nicht nur Klient, sondern erst einmal Gefangener. Diese Rollenunklarheit schlägt sich nicht nur beim Behandelten selbst in einer unklaren Vorstellung von sich selbst und bei den Behandlern nieder, sondern auch in einer Unsicherheit über die angemessene Bezeichnung des Behandelten niederschlägt. In manchen Anstalten spricht man von Gefangenen, in anderen von Bewohnern, in wieder anderen von Klienten. Das eine könnte als Abwertung und De-Motivierung verstanden werden, das andere leicht als euphemistische Schönfärberei. Kompliziert!
 
=== Durchführung ===
Während der Durchführung der Behandlung sind die Motivationsprobleme nie ein für allemal gelöst. Sie bleiben latent vorhanden und können jederzeit wieder aktualisiert werden - vor allem durch die bedrohlichen Aspekte der Haft. Da ist die Gefängnisarchitektur, da sind die Mitgefangenen, die Bediensteten und da sind die Sicherheits-, Straf- und Disziplinarmaßnahmen, die bei Fehlverhalten ungewollt auch die Therapiemotivation und den therapeutischen Prozess stören können.
 
An der Pforte muss sich der Gefangene unterwerfen, in der Wohngruppe darf er auf Verständnis und Vergebung hoffen. Die Pforte will und muss Alarm schlagen und die Fahndung auslösen, wenn ein Gefangener nicht pünktlich zurückkehrt - mit allen Folgen, die das für die ersten tastenden Behandlungsschritte haben kann. Die Behandlung würde vielleicht eher die Nutzung informeller Wege zur Aufenthalts- und Situationsermittlung erfordern, um einen Rückschritt in der Erprobung des Klienten zu verhindern. Und so stört die Bestrafung ganz ohne böse Absicht doch immer wieder die Behandlung - und die Behandlung stört die Bestrafung.
 
In solchen Situationen wird der Gefangene - wenn er es nicht immer schon war - ein kühler Nutzenmaximierer, der dazu tendieren wird, sich gleichsam spieltheoretisch um das für ihn situativ gerade günstigste Verhalten zu kümmern.
 
=== Beendigung ===
Die Beendigung des Behandlungsverhältnisses folgt auch nicht der freien Übereinkunft innerhalb des Vertrauensverhältnisses, sondern den Eigengesetzlichkeiten des Haftregimes: die intramurale Therapie findet ihre Grenze nicht im Erfolg der Behandlung, sondern mit dem Ende des Freiheitsentzugs. Alles andere ist Nachsorge, wird von anderen Teilen des Dritten im Bunde organisiert, finanziert, oder auch nicht, und jedenfalls ist der Abbruch der Behandlung nicht therapeutisch motiviert, nicht vom Klienten ausgehend, sondern eine fremde Intervention.
 
In den Worten von Willi Pecher (2011: 30): "Gefängnisse sind keine behandlungsfreundlichen Einrichtungen. Die Strafe ist nicht an den Erfordernissen einer Therapie ausgerichtet, sondern ihre Grundlage ist eine begangene Rechtsverletzung und das Maß der Schuld des Täters. In den meisten Fällen entspricht die gerichtlich angeordnete Strafdauer nicht dem optimalen Maß aus behandlerischer Sicht: Sie kann zu kurz sein, um die intendierte Wirkung eintreten zu lassen oder so lang, dass der aus therapeutischer Sicht günstigste Zeitpunkt der Entlassung längst überschritten ist."
 
== Triadendruck und Behandlerstress ==
 
Man muss den Hut ziehen vor dem Engagement der Therapeuten. Denn auf ihnen lastet der Druck, die zentrifugalen Kräfte der Triade unter Kontrolle und damit die Triade aufrecht zu erhalten.
 
Der Zerfall droht in drei Formen, und jede ist hochproblematisch:
 
=== Koalition Patient und Justiz ===
Denkbar ist, dass der Klient sich gegen den Behandler wendet und die Justiz zur Hilfe ruft: der strafende Staat soll dann als Rechtsstaat zugunsten des Bestraften und gegen vorgebliche Übergriffe des Behandlers Schutz gewähren.
 
=== Überidentifikation von Behandler mit Klienten ===
 
Der Patient schließt sich mit dem Behandler zusammen  gegen die Institution als ausgeschlossenem Dritten. Bei der Koalition zwischen Behandler und Behandeltem gegen die Institution bestätigen sich die beiden Protagonisten in ihrer Verdammung der Justiz. Der Behandler wird zum Komplizen des Klienten. Man denke an den Fall der Hamburger Psychologin, die dem sog. Heidemörder Thomas Holst, der zwischen 1987 und 1990 drei Frauen vergewaltigt, gequält und zerstückelt hatte, zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und sich heute in der geschlossenen Psychiatrie befindet. Seine damalige Therapeutin Tamar Segal hatte sich in ihn während seiner Haft verliebt und ihm zur Flucht verholfen. 1995 verhalf ihm seine Therapeutin zur Flucht aus dem Hochsicherheitstrakt der forensischen Abteilung des Klinikums Nord und tauchte in einer von der Therapeutin angemieteten Wohnung unter. Drei Monate später wurde die Therapeutin verhaftet und Holst stellte sich der Polizei. 1997 heirateten Holst und Segal in der U-Haft-Anstalt in Hamburg.
 
=== Überidentifikation des Therapeuten mit der Institution ===
 
Die dritte Variante des Auseinanderbrechens der Triade geht zu Lasten des Klienten: der Behandler sucht die Rückendeckung von Anstaltsleitung und Ministerium, steht aber in einem verkappten Strafverhältnis zu seinem eigenen Klienten:
*er spricht - unter dem Vorwand behandlerischer Notwendigkeit - Sanktionen aus, die keinen inneren Bezug zur Symptomatik aufweisen und im Grunde genommen umetikettierte Disziplinarstrafen sind (Entzug von bislang im Besitz gehabten Gegenständen für mehrere Wochen, Verlegung auf eine Station mit weniger Rechten und Privilegien etc.; vgl. Lindemann 2004; Lindemann o.J.) oder
*er projiziert ein eventuelles eigenes Versagen als Behandler auf die vorgebliche "Therapieunfähigkeit" des Gefangenen. Dass sich die in der klinischen Psychologie allgemein anerkannte Tatsache, dass Ressourcenaktivierung wesentlich den Therapieerfolg beeinflusst, im Rahmen der Straftäterbehandlung erst langsam durchsetzt (vgl. Suhling, 2007), zeigt zugleich, "wie die Rahmenbedingungen der Behandlung auf die Therapie selbst Einfluss nehmen: Die Fixierung auf Defizite drängt sich bei Straffälligen geradezu auf. Oft wurde angemerkt, dass Gefangene nicht resozialisiert, sondern überhaupt erst sozialisiert werden müssen. Ressourcen wurden ihnen also weitgehend abgesprochen. Ähnliches gilt für die Anerkennung der Wichtigkeit des Wirkfaktors therapeutische Beziehungsgestaltung. Um die Gefahr der Ausnützung und Manipulation zu begrenzen, erscheint es auf den ersten Blick tunlicher, sich allein an klaren Vorgaben zu orientieren, übersieht aber dabei, dass die Therapiebeziehung als zentrales Agens auch und gerade bei Persönlichkeitsgestörten genutzt werden muss" (Pecher 2011: 30 f.; Pecher 2004).
 
Dass derlei Abwehrmechanismen bei "persönlichkeitsgestörten Patienten noch durch deren innere Abwehrdynamik verstärkt wird, braucht nicht besonders ausgeführt zu werden" (Pecher 2011: 30).
 
Das alles konzentriert sich auf die Behandler und kostet die Behandler Kraft. Hier besteht ein Verschleiß-Risiko, das mit dem Zeitablauf zunimmt und durch Routinisierungen nicht kompensiert werden kann, so dass vertikale Unterstützung durch die Anstaltsleitung und horizontale Unterstützung durch die Kollegenschaft dringend erforderlich sind (andererseits soll der Strafvollzug auch nicht die gesamte Lebenswelt der Behandler darstellen). Von größter Bedeutung ist auch ein gutes Verhältnis zu den Klienten.
 
Da jede Form des Zerfalls der Triade die Lage in aller Regel verschlimmert, ist den meisten Behandlern daran gelegen, eine solche Explosion der Triade zu verhindern. Das bedeutet aber: Spannungen aushalten, Spannungen analysieren, sich auch eigene Fehler eingestehen und korrigieren. Das erfordert von den beteiligten Individuen eine besonders hohe Qualifikation - und sollte die beteiligten Institutionen von der vitalen Bedeutung qualifizierter Supervision überzeugen.
 
Auf die Dauer geht die Behandlung im Strafkontext jedenfalls an die Substanz. Die Doppelgesichtigkeit des sozialen Raums als eines Sanktions- und Behandlungsraums zugleich macht ihn besonders konfliktträchtig. Nimmt man dann noch Situationsspezifika wie den baulich und organisatorisch bedingten Mangel an privatem Rückzugsraum hinzu sowie Personenspezifika aller Art (von problematischen Anstaltsleitungen bis zu verfestigten Zügen dissozialen Verhaltens bei der Klientel), dann wird klar, dass hier mit einem überdurchschnittlich erhitzten Binnenklima und entsprechenden Folgeerscheinungen zu rechnen ist: mit eruptiven Entladungen, aber auch mit Rückzug oder Mobbing und so weiter.
 
Auf Dauer schadet der doppelbödige Konfliktraum der Gesundheit aller Beteiligten wie auch der Qualität der Behandlung, denn es sind ja die Behandler, an denen von allen Seiten gezogen und gezerrt wird: sie müssen sich die Coping-Strategien aneignen, Sport treiben und Entspannungsübungen machen, aber auch sie sehen im Kollegenkreis, dass es nicht immer und überall funktionieren kann, dass Alkohol und Tabletten eine Rolle spielen, Rücken-, Bauch- und Kopfschmerzen ebenso zunehmen wie Burn-Outs, Depressionen und psychosomatische Krankheiten aller Art. Das ist sozusagen erwartbar und normal, wenn auch nicht toll, aber es wäre gut, die Strukturen aufmerksam zu beobachten und nach Möglichkeit so zu verändern, dass sie weniger Opfer fordern.
 
Dieses Verschleißbudget wird normalerweise nicht in Festvorträgen erwähnt. Man sollte es aber und man sollte versuchen, es als systemischer Konflikte in einem paradoxen Setting zu erkennen, das sowohl starre Regeln und institutionalisiertes Misstrauen benötigt als auch flexiblen Umgang und immer wieder auch kontrafaktisches Vertrauen, das aus Sicherheits- und Verwaltungsgründen wie ein stählernes Gehäuse organisiert sein muss, aus behandlerischer Sicht aber wie eine offene Wohngemeinschaft mit möglichst vielen Gästen von außerhalb funktionieren müßte.
 
Der engagierte Realismus weiß, dass es keinen Sinn hat, den herkömmlichen Strukturen nur einfach Behandlungsprogramme aufzupfropfen, sondern dass es Zielkonflikte institutioneller Art gibt, die Dauerstress, Dauerverschleiß und bei höchstem Einsatz der Behandler und enormem Finanzaufwand der öffentlichen Haushalte eine letztlich nur begrenzte Wirksamkeit der Intervention zulassen. Sie wissen, dass es mit ''piecemeal technology'' nicht getan ist, sondern dass etwas Grundsätzliches geschehen muss. Aber was?


== Dominanz der Behandlung über die Strafe? ==


In aller Regel dient die Behandlung dem Resozialisierungsziel der Strafe, also der Befähigung des Klienten, fürderhin ein Leben ohne Straftaten zu führen oder jedenfalls nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Das Ziel mag im wohlverstandenen Interesse des Klienten liegen. Aber sicher ist nicht. Und jedenfalls ist das Ziel der Behandlung nicht aus dem Lebenskontext des Klienten selbst entwickelt und nicht von ihm selbst definiert. Das unterscheidet die Behandlung im Strafkontext erheblich von einer Behandlung außerhalb dieses Kontextes. 
Man könnte glauben, die heutige Kombination muss nicht unbedingt ewig dauern. In der großen weiten Welt spricht man schon seit langem vom Niedergang des Behandlungsideals im Strafvollzug. Vielleicht geht es zurück zur reinen Strafe und Verwahrung - siehe USA. Aber wohin könnte es vorwärts gehen: etwa in die Richtung der alten Utopie von Gustav Radbruch - dass es letztlich nicht um die bessere Strafe, sondern um etwas Besseres als die Strafe gehe, also um ein reines Maßregelrecht der Besserung und Sicherung?


Behandlung im Strafkontext ist insofern ein Paradox, als Behandlung normalerweise eine Heilbehandlung ist: es geht darum, den Zustand einer Person zu verbessern; bei der Strafe hingegen geht es darum, jemandem absichtlich ein Übel zuzufügen, also seinen Zustand zu verschlechtern. Mit "Behandlung im [[Strafkontext]]" ist dieser Zusammenhang gemeint: wie verändert sich Behandlung, wenn sie im Rahmen einer absichtlichen und systematisch organisierten Übels-Zufügung erfolgt? Wie kann man den Zustand einer Person signifikant verbessern in einem Umfeld, das in erster Linie dazu da ist, den Zustand derselben Person signifikant zu verschlechtern? Oder, anders ausgedrückt: welche Folgen hat es, dass die Verbesserung und die Verschlechterung des Zustands einer Person miteinander konkurrieren?
Oder liegt die Zukunft in der Umkehrung der Machtverhältnisse, in einer künftigen Dominanz der Behandlungsinteressen über die Strafinteressen?  


Wer in diesem paradoxen sozialen Raum operiert, der durch die Gleichzeitigkeit von Punitivität und Behandlungsabsicht gekennzeichnet ist, tut gut daran, sich mit den Eigenschaften dieses besonderen Handlungsraums vertraut zu machen, ihn zu erkunden, die möglichen Konflikte zu antizipieren und dann nach Möglichkeit die gegensätzlichen Imperative, die hier wirken, so miteinander zu verweben, dass letztlich der bestmögliche Behandlungserfolg bei geringstmöglichem Schaden für sich selbst herauskommt.
Das klingt verführerisch. Sollte es aber nicht sein. Denn dort, wo die Behandlungsidee über den strafenden Staat dominiert, geht es unter dem Gesichtspunkt der Grundrecht der Betroffenen nicht gut zu.  


== Vergangenheit ==
Wie der kleine historische Rückblick schon gezeigt hat, war der Einzug des Behandlungsgedankens in den Strafvollzug ein epochaler Fortschritt.
Früher war vieles einfacher. Zum Beispiel gab es viele Jahrhunderte lang einen Justizvollzug, der keiner Anstalten bedurfte und auch keiner Psychologinnen und Psychologen. Der Justizvollzug war auf den Körper und nicht auf die Psyche des Verurteilten fixiert und bestand im wesentlichen aus dem An- und Abschneiden von Gliedmaßen und einer gewissen Bandbreite verschiedener Todesstrafen. Wo es darum geht, Kindsmörderinnen, Homosexuelle, Diebe, Räuber und Mörder zu „straffen biss ann das blut“, bzw. zu „straffen, so an das blut gandt und das läben kostendt“, da ist kein Raum für die Komplikationen der Behandlung im Strafkontext, da wird gestraft und damit Punkt.


Insofern stellte die Geburt des modernen Zellengefängnisses vor rund 200 Jahren den Ausgangspunkt der heutigen Probleme dar. Vom 1796 eröffneten Zellengefängnis der pennsylvanischen Quäker und von [[Heinrich Balthasar Wagnitz]], [[Nikolaus Heinrich Julius]] und [[Johann Hinrich Wichern]] über den Stufenstrafvollzug nach dem irischen Progressivsystem und die Anfänge fachlich-psychologischer Diagnose- und Behandlungsmethoden bis hin zur Sozialtherapie zieht sich als roter Faden die leere Zeit des Verurteilten, die es mit sinnvollen Tätigkeiten zu füllen galt. Mit Bibelstudium, mit Einkehr, Buße, Sühne, mit nützlicher Arbeit, um die Kosten der Haft zumindest zum Teil wieder hereinzubekommen und/oder eben mit einer Besserungsbehandlung, die dazu führen sollte, der Gesellschaft den Missetäter in einem deutlich gehobenen Zustand wieder zurück zu erstatten.
Fortschritte sind jedoch oft nicht eindimensional, sondern haben auch ihre problematischen Seiten. So auch hier. Denn der Behandlungsgedanke sieht den Gefangenen als das, was er ist: als armen Teufel, der oft an Dissozialität leidet, an Psychopathie, an Depressionen und allerlei von ihm selbst kaum verstandenen Defiziten, die einer gründlichen Aufarbeitung in einem gut strukturierten Milieu bedürfen. Und gut strukturiert ist das Gefängnis ja nun einmal. Aber auch eine Drogen-Langzeit-Therapie. All diese Milieus geben Halt und sind daher aus therapeutischer Sicht sozusagen das kleinere Übel für den Betroffenen im Vergleich zu einem Leben in oft deprimierender Freiheit, in dem es auch nicht so schnell eine therapeutische Versorgung gibt.  


Es gab in der Vergangenheit zwei heroische und optimistische Epochen, zwei Hoch-Zeiten des Besserungsgedankens im Strafkontext: die eine von ca. 1830 bis 1860, die andere ca. 1955 bis 1975. Damals schien es jedes Mal nur eine Frage der Zeit, bis man die richtigen baulichen Voraussetzungen und die richtigen Personalqualifikationen und -schlüssel erreicht hätte. Heute ist dieser Optimismus verflogen. Heroisch sind allerdings nach wie vor die Leistungen derjenigen, die im Strafkontext behandeln. Ihr Engagement ist um so höher zu schätzen, als es heute in dem Bewußtsein erfolgt, seine Arbeit in einem strukturell widersprüchlichen und durch immer mehr Verwaltung und Sicherungserfordernisse immer weiter erschwerten Feld zu leisten.
Das Gesetz sieht den Gefangenen hingegen nicht als das, was er ist, sondern eher als das, was er sein sollte: als einen Bürger mit zahllosen Rechten, der ein Verbot übertreten hat und dafür im Rahmen seiner Schuld auch zu büßen hat, der aber seinerseits auch ein Recht besitzt, durch klare gesetzliche Vorgaben und vor allem durch Grenzen der Strafe vor jedem Zuviel an Freiheitsbeschränkung beschützt zu werden. Der Rechtsstaat sagt ja zur Strafe, aber nur im Rahmen der Schuld des Täters und nur soweit der Entzug der Freiheit absolut notwendig ist. Die Freiheitsstrafe soll das allerletzte Mittel sein, das man gegen seine eigenen Bürger einsetzt: Strafe als ultima ratio. Wer sich mit den Verhältnissen vor der Erfindung des Rechtsstaats oder in den heute existierenden Nicht-Rechtsstaaten befasst hat, wird sofort einsehen, warum das so sein soll und warum alles andere die menschliche Sicherheit der gesamten Gesellschaft aufs Spiel setzen würde.


== Gegenwart: engagierter Realismus ==
Aus der Behandlungsperspektive ist es schade, wenn ein Straftäter mitten in der Therapie entlassen wird, weil seine Strafzeit nun einmal zu Ende gegangen ist. Man denkt: für ihn und alle anderen wäre es besser, er bliebe noch ein Jährchen. Denn Behandlungen brauchen ihre Zeit, und da sie aufgrund des Strafkontextes oft nur schleppend anlaufen, kann es gerade nach einigen Jahren gut sein, dass man mitten drin ist und erfreuliche Fortschritte verzeichnet und dann das: die Entlassung!
Die Gegenwart ist sich des inhärent problematischen Charakters der Behandlung im Strafkontext bewusst: man ist realistisch und zugleich engagiert. Damit ist gemeint, dass man heute, anders als zu Zeiten der Quäker, erkannt hat, dass Strafe und Behandlung in einem alles andere als widerspruchsfreien Verhältnis zueinander standen. Heute weiß man: die Freiheitsstrafe ist "ein zur Ahndung der schuldhaften Straftat dem Verurteilten auferlegtes Strafübel, eine Rechtseinbuße. Jede Verschleierung dieses Sachverhalts ist schädlich und erschwert die Durchführung der 'Aufgaben des Vollzugs', ganz besonders die Erreichung des Vollzugsziels (der Resozialisierung). Dem Verurteilten können die ihn durch den Vollzug der Freiheitsstrafe treffenden Beschränkungen und Belastungen niemals allein (oder auch nur überwiegend) aus den Aufgaben des Strafvollzugs und schon gar nicht aus dem Vollzugsziel (der Resozialisierung) erklärt werden. Wird ihm der wahre Hintergrund seines Strafleidens verschwiegen oder zerredet, so fühlt er sich letzten Endes betrogen oder für dumm verkauft" (Böhm in: Schwind u.a. 2009: 59).Der engagierte Realismus geht von zwei Prämissen aus. Erstens gibt es kein Zurück zum behandlungslosen Strafen der Vormoderne, und zweitens ist es keine realistische Option, auf eine bessere Zukunft des straflosen Behandelns zu warten, also auf eine Zeit, in der die Gesellschaft sich - mit Nietzsche (Genealogie der Moral, 2. Abh. Nr. 10) - "den vornehmsten Luxus gönnen dürfte, den es für sie giebt, - ihren Schädiger straflos zu lassen." Man wird also weiter mit dem Strafrecht und mit der Strafe und dem Strafvollzug zu leben haben, man wird sich mit der Realität arrangieren müssen, und gleichzeitig wird man die Versuche nicht sein lassen dürfen, innerhalb des restritkiven und problematischen Kontextes denen, um die es konkret geht, so gut wie möglch zu behandeln.


Früher galten Gefängnisse als optimale Einrichtungen zur Besserung von Straftätern. Heute weiß man: "Gefängnisse sind keine behandlungsfreundlichen Einrichtungen. Die Strafe ist nicht an den Erfordernissen einer Therapie ausgerichtet, sondern ihre Grundlage ist eine begangene Rechtsverletzung und das Maß der Schuld des Täters. In den meisten Fällen entspricht die gerichtlich angeordnete Strafdauer nicht dem optimalen Maß aus behandlerischer Sicht: Sie kann zu kurz sein, um die intendierte Wirkung eintreten zu lassen oder so lang, dass der aus therapeutischer Sicht günstigste Zeitpunkt der Entlassung längst überschritten ist" (Pecher 2011:30). Sich von Illusionen verabschiedet zu haben und trotzdem im Strafkontext sich um die Behandlung von Straftätern zu bemühen, das kann man eine Haltung des aufgeklärten und engagierten Realismus nennen.
In dem Maße, in dem die Behandlungsperspektive an Einfluss gewinnt, verliert die strenge rechtsstaatliche Begrenzung der Haftzeit und die Rücksichtslosigkeit, mit der sie sich an der Schuld und nicht an der Besserung orientiert, an Plausibilität.  


Der engagierte Realismus hat keinen leichten Stand. Er muss versuchen, nicht betriebsblind zu werden. Er muss versuchen, mit bürokratischen Strukturen und uneinsichtgen Verwaltungen zurecht zu kommen, ohne frustriert die Flinte ins Korn zu werfen. Er muss sich immer wieder klar machen, dass die strukturellen Widersprüche real sind und sich in der alltäglichen Realität auch nicht wegdiskutieren oder ignorieren, sondern nur aktiv bewältigen lassen, auch wenn das viel Kraft kostet.
So kann es vorkommen, dass man
*unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit einer Therapie und der absehbaren Therapie-Dauer entweder ''überhaupt'' eine Freiheitsstrafe in ein Gesetz schreibt oder im konkreten Strafverfahren ausspricht, obwohl die geringe Tatschuld eine solche Sanktion sonst gar nicht hergegeben hätte - oder aber eine ''längere'' als die eigentlich schuldangemessene Freiheitsstrafe; in jedem dieser Fälle verletzt man einen der wichtigsten Pfeiler in der Abwehr staatlicher Willkür: das Verbot, aus welchem Grunde auch immer, eine Strafe zu verhängen, die über diejenige hinausgeht, die nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erforderlich und gerechtfertigt ist
*seitens der Behandler die Sicherungsverwahrung im Grunde als eine verlängerte Haftzeit versteht und toleriert, die man in gewissem Grade zur weiteren Behandlung der immer noch riskanten Insassen verwenden kann und deshalb ganz gerne sieht - und bei der man angesichts der oft dissozialen armen Teufel, um die es sich handelt, im übrigen auch keine Veranlassung sieht, an den strafhaftähnlichen Unterbringungsbedingungen der Sicherungsverwahrten Anstoß zu nehmen: immerhin haben sie eine strukturierte Umgebung! - Juristen hingegen sehen die Sache unter einem ganz anderen Gesichtspunkt. Für sie handelt es sich bei Sicherungsverwahrten um Bürger, die ihre Haftstrafe verbüßt haben und damit grundsätzlich wieder ein Recht auf Bewegungsfreiheit jenseits der Haft haben. Juristisch wäre die Person wieder so zu betrachten wie vor der Straftat. Eine neue Haft erst bei einer neuen Tat. Wenn man sie trotzdem ihrer Freiheit beraubt, weil man überzeugt ist, dass sie sonst wieder erheblichen Schaden anrichten könnten, greift man der Öffentlichkeit zuliebe in ihre Freiheitsrechte ein - so ähnlich wie bei einer Enteignung oder einem anderen Sonderopfer, das dem Einzelnen aus Gründen des Allgemeinwohls zugemutet wird, für das der Betroffene dann aber auch aus Gründen der Gerechtigkeit und Billigkeit entschädigt werden muss. Für Juristen ist es eigentlich selbstverständlich, dass solche Leute nicht in Gefängnisse gesperrt werden dürften, sondern ein Recht darauf hätten, als Kompensation für das ihnen zugemutete Sonderopfer zumindest intramural komfortabel zu wohnen. Welchen Grund könnte es geben, ihnen eine echte Wohnung mit Bad, Küche und Terrasse oder Balkon zu verwehren, eine Einrichtung nach ihrem Geschmack und die Bild-Zeitung oder eine andere Tageszeitung ihrer Wahl, Frühstücksbrötchen und -ei, Bio-Joghurt und Flachbildschirm und eine Badewanne zum Zeitungslesen. Wer das als Entschädigung für die Freiheit, die man ihnen genommen hat, übertrieben findet, sollte sich fragen, was er oder sie denn gerne als Entschädigung hätte, schlösse man ihn oder sie völlig unabhängig von irgendeiner Schuld aus Gründen des öffentlichen Interesses ein
*die tiefen Eingriffe in Grundrechte in Drogentherapien für unproblematisch hält, weil auch hier die harte Strukturierung des Alltags einen äußeren Halt verschaffen kann, der innerlich gerade fehlt. Die Behandlungsperspektive denkt an den Erfolg und rechtfertigt alle möglichen Eingriffe, die dem Klienten in der totalitären Drogentherapie weniger Rechte lassen als einem Strafgefangenen im Justizvollzug. Beispiel Schöffin in HH: die Bewährungen werden wegen Rauswurfs aus der Therapie widerrufen. Klient: "Wenn ich wenigstens meine Frau und mein Kind sehen könnte, dann würde ich die Therapie ja durchhalten."
Misst man also den Behandlungsvollzug an den Grundregeln klassisch-liberalen Strafrechtsdenkens, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß die als fortschrittlich gedachten Alternativen zum Strafrecht/-vollzug die Rechtspositionen in vielerlei Hinsicht verbessert, in mancher aber auch verschlechtert haben. Und gerade die freien Therapien für betäubungsmittelabhängige Straftäter zeigen, wie der Behandlungsgedanke rechtsstaatliche Vollzugssicherheiten in bedenklichem Umfang aushöhlt.


Die engagierten Realisten der Gegenwart leugnen den Widerspruch zwischen Behandlung und Bestrafung nicht. Im Gegenteil. Sie kennen die Einflüsse des Strafkontextes auf die Behandlung sehr genau und können sie auch präzise benennen:
Vielleicht ist eine Fortschreibung des heutigen Status Quo auch gar nicht wünschenswert. Denn vor lauter Freude über deren historisches Zusammentreffen sollten wir auch nicht das dadurch entstandene Spannungsverhältnis und die Kosten desselben in materieller und immaterieller Hinsicht übersehen.


*Triade. Während die klassische Behandlung auf einem zivilrechtlichen Vertrag unter Gleichberechtigten beruht, ist die Behandlung im Strafkontext in der Form einer Dreiecksbeziehung, einer Triade, aufgebaut, und streng hierarchisch gegliedert. Der Staat ist Dienstherr des Behandlers und der Behandler behandelt nicht nur, sondern hat auch Einfluss auf die Dauer der Strafzeit. "Therapeutische Beziehungen in Zwangskontexten sind, das sollte nicht übersehen werden, in aller Regel triadischer Natur. Die eigentlichen Auftraggeber, die den Zwang verhängen, sind mit im Gespräch, ohne anwesend zu sein" (Pleyer 1996: 192).
Die Lösung liegt nicht in der Indienstnahme des strafenden Staates durch die Behandler.
*Motivation. Der Klient sucht die Behandlung nicht aus eigenem inneren Leidensdruck und Veränderungswunsch, sondern willigt als Unfreier in die Behandlung ein. Vielleicht muss er sich für die Behandlung sogar bewerben. Aber die Bewerbung eines Unfreien ist etwas anderes als die Bewerbung eines Freien. Sie ist oft anders motiviert (Amelung 1983) - zum Beispiel durch die Hoffnung, dadurch schneller wieder aus der Haft entlassen zu werden. Was bei der klassischen Behandlung am Anfang steht, der innere Leidensdruck und der Wunsch sich zu verändern, kommt bei der Behandlung im Strafkontext oft erst spät, das heißt: nach Jahren, oder nie.
*Loyalitätskonflikt. Der Behandler dient sowohl dem Klienten als auch der Anstalt und der öffentlichen Verwaltung. "Da Triaden häufig eine kurze Halbwertszeit haben und in ein Paar und einen augeschlossenen Dritten zerfallen, besteht für den Therapeuten im Gefängnis die Gefahr zweier Konstellationen, die die Therapie bedrohen: Die Überidentifikation mit dem Patienten verbunden mit feindseliger Ablehnung der Institution oder die Überidentifikation mit der Institution verbunden mit einer strafenden, abwertenden Grundhaltung gegenüber dem Patienten. Dass diese Gefahr der Spaltung bei persönlichkeitsgestörten Patienten noch durch deren innere Abwehrdynamik verstärkt wird, braucht nicht besonders ausgeführt zu werden" (Pecher 2011: 30).
*Gedankengefängnisse der Fachdienste. Der Loyalitätskonflikt, der aus dem Zielkonflikt der Behandlung im Strafkontext stammt, führt auch zu einer Art Selbstzensur bei den Behandlern. Dass sich die in der klnischen Psychologie allgemein anerkannte Tatsache, dass Ressourcenaktivierung wesentlich den Therapieerfolg beeinflusst, im Rahmen der Straftäterbehandlung erst langsam durchsetzt (vgl. Suhling, 2007), zeigt zugleich, "wie die Rahmenbedingungen der Behandlung auf die Therapie selbst Einfluss nehmen: Die Fixierung auf Defizite drängt sich bei Straffälligen geradezu auf. Oft wurde angemerkt, dass Gefangene nicht resozialisiert, sondern überhaupt erst sozialisiert werden müssen. Ressourcen wurden ihnen also weitgehend abgesprochen. Ähnliches gilt für die Anerkennung der Wichtigkeit des Wirkfaktors therapeutische Beziehungsgestaltung. Um die Gefahr der Ausnützung und Manipulation zu begrenzen, erscheint es auf den ersten Blick tunlicher, sich allein an klaren Vorgaben zu orientieren, übersieht aber dabei, dass die Therapiebeziehung als zentrales Agens auch und gerade bei Persönlichkeitsgestörten genutzt werden muss" (Pecher 2011: 30 f.; Pecher 2004).
*Eingebauter Verschleiß bei den Fachdiensten im Strafkontext. Der Staat ist sowohl die Quelle der Bestrafung als auch der Behandlung und generiert schon dadurch innerhalb der Anstalten, in denen behandelt wird, die bekannten Zielkonflikte, die dauernden Reibungen, Frustrationen, Missverständisse und Krankheitsbilder, die in erschreckender Regelmäßigkeit die Bandscheibe, den Kopf, den Pillenkonsum, die Depression und die verschiedenen Burn-Out-Symptome umfassen. Es gibt eben nicht nur eine Art Budget des Verbrechens, das dazu führt, dass in jedem Jahr immer wieder eine ähnliche Anzahl der jeweiligen Delikte begangen wird, sondern auch eine Art Budget des Leidens bei den Fachdiensten im Strafvollzug, das dafür sorgt, dass in jedem Jahr immer wieder eine ähnliche Anzhal von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur zu Fortbildungsveranstaltungen gehen, sondern auch zum Arzt, zur Kur und in den vorzeitigen Ruhestand - oder aber in die innere Emigration.  


== Vom Strafkontext zum Kontext der Aufarbeitung? ==


=== Veränderungswille ===
Wie steht es eigentlich mit einem Schritt nach vorne zu einer reinen Behandlung ohne Strafe? Zumindest eine Logik spricht ja für die Möglichkeit: wenn es in der Vergangenheit nur die Strafe ohne Behandlung gab, dann die Behandlung innerhalb der Strafe, dann könnte die Behandlung eines Tages vielleicht sich von der Strafe ganz emanzipieren und die Sozialtherapie wäre die einzige stationäre Sanktion für Straftaten - Behandlung als Antwort auf Kriminalität.
*Unsichtbarkeitsregime. Dieses Leiden wird normalerweise nicht in Festvorträgen erwähnt. Es gilt als Ausweis unzulänglicher Belastbarkeit, als individuelle Schwäche oder Deformation. Man kann und solle es aber einmal systemisch zu deuten versuchen: als Ausdruck eingebauten Verschleißes in einem paradoxen Setting, das sowohl starre Regeln und institutionalisiertes Misstrauen benötigt als auch flexiblen Umgang und immer wieder auch kontrafaktisches Vertrauen, das aus Sicherheits- und Verwaltungsgründen wie ein stählernes Gehäuse organisiert sein muss und aus behandlerischen Gründen wie eine offene Wohngemeinschaft mit möglichst vielen Gästen von außerhalb funktionieren müßte. An der Pforte muss sich der Gefangene unterwerfen, in der Wohngruppe darf er auf Verständnis und Vergebung hoffen. Die Pforte will und muss Alarm schlagen und die Fahndung auslösen, wenn ein Gefangener nicht rechtzeitig von seinem Ausgang zurückkehrt - mit allen Folgen, die das für die ersten tastenden Behandlungsschritte haben kann. Die Behandlung würde vielleicht eher die Nutzung informeller Wege zur Aufenthalts- und Situationermittlung erfordern, um einen Rückschritt in der Erprobung des Klienten zu verhindern. Und so stören sich der Behandlungs- und der Bestrafungskontext auf tausenderlei Arten zu x-tausend Gelegenheiten immer wieder. Die Bestrafung stört die Behandlung und die Behandlung stört die Bestrafung. So ist das nun einmal.
*Therapiefassaden. "Da die Institution Gefängnis weder von Haus aus therapieförderlich ist und zudem eine nicht unerhebliche Sogwirkung bis tief in den therapeutischen Prozess hinein entfaltet, ist Behandlung im Strafvollzug meist nur nach organisatorischen Veränderungen möglich und sinnvoll. (...) Gratz (2002, S. 199) stellt dazu fest: 'Jedenfalls ist festzuhalten, dass die bloße Aufpfropfung akademischer Fachkräfte und sonstiger Spezialisten auf traditionelle Gefängnisstrukturen einen untauglichen Versuch, somit lediglich eine Alibihandlung darstellt. Konsequente Behandlungsbemühungen erfordern vielmehr einschneidende strukturelle Veränderungen, die zwingend in Widerspruch zu den bestehenden gesellschaftlichen Vorstellungen über den Umgang mit Delinquenten geraten'" (Pecher 2011: 30f.).
*Schlechte Modelle. Die Behandler müssen mit mit einem Widerspruch umgehen, der sie zu Euphemismen und Neutralisationstechniken verführt. Das bleibt den Klienten nicht verborgen. So können sie lernen, sich in den Widersprüchen der Realität an diesen Modellen zu orientieren. Behandlung im Strafkontext bedeutet: jemandem etwas Gutes und Schlechtes zugleich antun wollen. In der Gleichzeitigkeit von Förderung und Schädigung liegt ein Widerspruch. Denn absichtliche Hilfe im Kontext einer absichtlichen Schädigung scheint fast schon den Regeln der formalen Logik zu widersprechen. - Dennoch mangelt es nicht an Versuchen, diesen Widerspruch aufzulösen. Ein häufiger Weg ist der semantische. Man kann die Strafe als eine Wohltat definieren, die im wohlverstandenen Eigeninteresse des Betroffenen liegt; dann ist sie kein Übel und dann ist Behandlung im Strafkontext nichts anderes als die Gewährung einer weiteren Wohltat im Kontext wohltätiger Fürsorge. Semantische Auflösungsversuche führen in der Regel zu Sekundärproblemen. Wenn man z.B. den Übelaspekt der Strafe sprachlich zum Verschwinden bringt (vielleicht, weil man überzeugt ist, dass man das Übel nur zufügt, um der Person letztlich zu helfen, also Gutes zu tun), dann ist das ungefähr so wie mit dem Hundehalter. Wenn der sich - aus welchem Grund auch immer - entschließt, nicht nur die vier Beine seines Haustiers als Beine zu bezeichnen, sondern auch dessen Schwanz, dann hat der Hund deswegen noch lange nicht fünf, sondern immer noch vier Beine. Nur weil man einen Schwanz ein Bein nennt, wird er dadurch noch lange nicht zum Bein. ("If you call a tail a leg, how many legs has a dog? Five? No, calling a tail a leg don't make it a leg." - "Wie viele Beine hat ein Hund, wenn man den Schwanz auch als "Bein" bezeichnet? - Fünf? Nein. Die richtige Antwort lautet vier. Nur weil man einen Schwanz ein Bein nennt, wird er dadurch noch lange nicht zum Bein. - Abraham Lincoln.) Und wenn man eine Strafe als tolles Geschenk bezeichnet, wird es dadurch noch lange nicht zu einem begehrenswerten Gut. - Weitere Lösungsversuche sind zeitlicher (mit dem Strafurteil un der Festlegung der unfreien Zeit endet die Zufügung eines Übels; alles was dann kommt, dient der Vorbereitung der Wiedereingliederung), aktorialer (Juristen sprechen das Urteil und entscheiden über die Zufügung des Übels, Psychologinnen retten in dem Zusammenhang dann, was zu retten ist) oder finalistischer Art (Strafe und Behandlung dienen letztlich demselben Zweck, nämlich der Sicherheit der Gesellschaft).
*Therapie als Strafe.- Man hat sich damit abgefunden, dass die Institution der Strafe für eine moderne Gesellschaft ein notwendiges Übel ist, auf das man jedenfalls bei schwerer Kriminalität nicht verzichten kann, ohne die Grundlagen der Gesellschaft zu gefährden - und dass andererseits das Vorhalten von Behandlungsangeboten für die Verurteilten ein Gebot nicht nur der Menschlichkeit und des Sozialstaats, sondern auch der wohlverstandenen Sicherheitsinteressen der Gesellschaft darstellt.


Der engagierte Realismus weiß, dass es keinen Sinn hat, den herkömmlichen Strukturen nur einfach Behandlungsprogramme aufzupfropfen, sondern dass es Zielkonflikte institutioneller Art gibt, die Dauerstress, Dauerverschleiß und bei höchstem Einsatz der Behandler und enormem Finanzaufwand der öffentlichen Haushalte eine letztlich nur begrenzte Wirksamkeit der Intervention zulassen. Sie wissen, dass es mit piecemeal technology nicht getan ist, sondern dass etwas Grundsätzliches geschehen muss. Aber er weiß nicht, wie das gehen soll. Denn die Pforten in eine bessere Zukunft scheinen fest verschlossen.
Was hier not tut, sind ernsthafte Überlegungen zu den legitimen Funktionen der Strafe und ihren denkbaren funktionalen Äquivalenten, die sie ersetzen könnten.


==Zukunft==
Die Aufgabe der Kriminologie wäre es, in diesem Zusammenhang auf empirischer Grundlage der Phantasie auf die Sprünge zu helfen und die Bandbreite des Möglichen aufzufächern.


In der Vergangenheit hatten wir nur die Bestrafung, keine Behandlung. In der Gegenwart haben wir die Bestrafung in milderer Form, gepaart mit der Behandlung im Strafkontext. In der Zukunft könnte man zwar theoretisch zur reinen Bestrafung ohne Behandlung zurückkehren, doch das lassen wir einmal außen vor. Man könnte auch ewig so weitermachen wie bisher. Doch das ist unwahrscheinlich. Denn nichts ist sicherer als der Wandel.
In einer Gesellschaft, die Normvalidierung als Aufarbeitung von Konflikten und als Dienstleistung auffasste, würde man auf die Zufriedenheit der Kunden achten. Die Kunden, das wären die Opfer von Delikten, aber auch die Täter - und ihre jeweiligen Angehörigen und Freunde, aber damit nicht genug. Betroffen ist auch ein größerer Kreis von Bürgern (die Gemeinde), betroffen ist die Sicherheit von vielen. Insofern gibt es viele stakeholder, die an dem Aufarbeitungsprozess teilnehmen und von ihm profitieren sollten. Wenn wir heute auf jedem Produkt im Supermarkt die Telefonnummer des Kundenservice finden - warum dann nicht auch eine solche Telefonnummer auf jedem Schriftstück der Justiz? Warum wird nicht bei jedem Strafprozess zugleich auch immer die Zufriedenheit der Betroffenen und Beteiligten mit dem Prozess und mit dessen Ergebnis und Folgen erhoben?


In der Zukunft könnte sich die Behandlung vom Strafkontext emanzipieren. Wie soll das gehen? Nun, das geht in dem Moment, in dem man nicht mehr achselzuckend sagt, freilich ohne es genau zu wissen, dass Strafe eben sein muss, sondern die Funktionen der Strafe durch funktionale Äquivalente ersetzt.
Joanna Shapland (2008) von der Universität Sheffield hat tatsächlich einmal die Zufriedenheit mit der Strafjustiz mit derjenigen bei der alternativen Vorgehensweise der Restorative Justice verglichen. Heraus kam: die Kundenzufriedenheit war bei Restorative Justice eindeutig höher:


Die widersprüchliche Konfiguration "Behandlung im Strafkontext" gilt heute allgemein trotz der nicht zu leugnenden Belastungen und negativen Folgen als ausgesprochen stabile Institution. Als eine zivilistorische Errungenschaft, die trotz oder wegen ihrer Ambivalenz auszuhalten und gegen prinzipielle Veränderungsversuche zu verteidigen ist. Sie ist zudem gesetzlich abgesichert, sie ist ein Wachstumssektor und sie bietet viele und relativ sichere Arbeitsplätze. Die aktuelle Stärke der Konfiguration beruht auf mehreren Elementen.
"The overall tone was one of satisfaction: 74% of JRC offenders and 78% of JRC victims would definitely/probably recommend restorative justice to others. 80% of JRC offenders and 85% of JRC victims were very/quite satisfied with the conference - only 10% of JRC offenders and 12% of JRC victims expressed any doubt about the outcome agreement. Not everyone was entirely satisfied, but only 6 offenders (of 152) and 6 victims (of 216) were dissatisfied overall with JRC conferencing - dissatisfaction revolved around disputes about the offence or difficulties in communication. I would argue that the current criminal justice system for adults is impoverished in terms of not providing enough opportunities to help offenders to desist (reduce/stop offending) so conferencing may provide a ‘boost’ to offenders deciding to start changing their lives, through supporting that decision and mobilising potential resources to address offending-related behaviour."


*Erstens ist Behandlung im Strafkontext ein zivilisatorischer Fortschritt und der Verzicht darauf wäre heute eine Verletzung von Grund- und Menschenrechten.
In ihrem siebenjährigen Forschungsprojekt, das vier Berichte über Restorative Justice (bei schwerer Kriminalität von Erwachsenen) generierte, kam Joanna Shapland (Ministry of Justice 2011) zu folgenden Ergebnissen:
*Zweitens macht es aber nicht nur keinen Sinn, sich in eine Welt der Bestrafungen ohne jede Behandlungsmöglichkeit zurückversetzen zu wollen. Sondern - und das ist wohl der entscheidende Pfeiler, auf dem die Stärke des Straf-und-Behandlungs-Komplexes beruht - es gilt auch als aussichtslos, die sich in eine Welt der Behandlung von Straftätern ganz ohne deren Bestrafung, also in eine straffreie Utopie, vorbewegen zu wollen. Das gilt heute als Hirngespinst, als eine nur vermeintlich menschenfreundliche Vision, die in der Realität aber dazu führen würde, dass jedes gedeihliche Zusammenleben in Freiheit, Sicherheit und Würde unmöglich würde. Schmidhäuser (1963, 2. Aufl. 1971) meinte, die Strafe sei weder als vergeltende Gerechtigkeit per se noch aus spezialpräventiven Nutzenerwägungen allein zu rechtfertigen. Sie sei häufig genug sogar sinnlos im Verhältnis zum Täter. Aber sie sei notwendig, um zu verhindern, „daß sich das Verbrechen offen in der Gemeinschaft behauptet“ (= Generalprävention). Anders gesagt: Es gibt nun einmal Menschen auf dieser Erde, "die dafür zu sorgen haben, daß ihnen dieses Dasein einigermaßen erträglich sei. Dann ist das Strafen notwendig, um die Friedensordnung zu ermöglichen und zu erhalten, und es ist das Strafrecht notwendig, um die strafende Gewalt in vernünftige Bahnen zu lenken“ (Über Strafe und Generalprävention, in: Festschrift für Ernst Amadeus Wolff 1998). „Die gedeihliche Existenz jedes staatlichen Gemeinwesens hängt davon ab, daß sich eine Mindestordnung des Zusammenlebens gegen den Egoismus jedes einzelnen notfalls mit Gewalt durchsetzt" (Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 2. Aufl., Tübingen 1975, Rn. 3/4).
*Drittens beruht die Stärke der Konfiguration auf dem Glauben an ihre Unabänderlichkeit, Notwendigkeit und Unvermeidbarkeit. Die negativen Folgen der Konflikte gelten als notwendige Übel. Es ist nun einmal so. ... (Amerikan. Pilgergebet,- Friedrich Christoph Oetinger (1702 - 1782) zugeschrieben:


Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen,
"The majority of victims chose to participate in face-to-face meetings with the offender, when offered by a trained facilitator; 85% of victims who took part were satisfied with the process; RJ reduced the frequency of re-offending, leading to £9 savings for every £1 spent on restorative justice. Expert independent criminologists Professor Lawrence Sherman and Dr Heather Strang state that the reduction in the frequency of re-offending found in this research was 27% - that's 27% less crime, 27% fewer victims following RJ. - Alongside the Sentencing Green Paper in December 2010 the Government published their own further analysis of the data behind the Shapland reports, quantifying the size of the reduction in the frequency of re-offending following RJ as 14%."
die ich nicht ändern kann, -
gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, - und
gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.


Das ist Psychoökonomik. Und Überlebensfähigkeit. Resilienz. Das führt aber auch dazu, dass systembedingte Leiden nicht als solche thematisiert werden und in Forderungen nach Systemreformen münden, sondern als individuelles Versagen, als mangelnde Belastungsfähigkeit usw. Rückleiden, Depressionen, Burn-Out, Persönlichkeits- und Autoritätskonflikte, Frustration. Ein soziologischer Blick auf Krankenstände, Berufszufriedenheit, Berufsunfähigkeit und psychosomatische Erkrankenungen würde die menschlichen Kosten des Systems erkennbar werden lassen. Doch solange alle glauben, dass es so, wie es ist, auch sein muss, so lange gibt es weder ein individuelles noch ein kollektives politisches Interesse an einer Erkenntnis und Thematisierung der Leiden als eines sozialen Problems. So lange gilt es nicht einmal als schicklich, sie genauer zu benennen. Dabei gibt es nicht wenige, die an ihrem Arbeitsplatz in gravierende und lang andauernde Arbeitskonflikte geraten. Diese Konflikte entwickeln sich zwischen Gleichrangigen ebenso wie zwischen Chefs und renitenten Untergebenen oder engagierten Untergebenen und renitenten Chefs. Und Chefinnen. Burn-Out-Syndrome, Depressionen und die berühmten riskanten Fluchten in Bluthochdruck, Alkohol- oder Medikamentenkonsum bis zum Anschlag sind die Folgen. Sie werden in der Regel nicht öffentlich sichtbar und schon gar nicht als soziales Problem behandelt, sondern individualisiert - als Ausdruck mangelnder Belastbarkeit und Stressresistenz eingeordnet und nicht als Ausdruck eines krankmachenden und in vielerlei Hinsicht absurden Systems. Daraus folgt nicht nur der allgemeine Glaube, dass man sich mit den Gegebenheiten eben so gut wie möglich arrangieren müsse, sondern die individualisierende Weg-Definition des Problems selbst beruht wiederum auf dem Glauben, dass man die Sache selbst - also das konflikthafte und belastende Miteinander von Strafe und Behandlung in einer stressreichen Vernunftehe oder Kohabitation - nun einmal nicht ändern könne.
Was unterscheidet die Normvalidierung durch Restorative Justice von der durch Strafe?


*Nietzsche
Vor allem konzentriert sich die Bearbeitung der Straftat nicht auf den Täter, sondern auf die gesamte Situation, wenn nicht sogar auf die den Konflikten zugrundeliegenden Strukturen (transformative justice). Das impliziert zugleich eine Entwicklung von der formalen Gleichheitsorientierung (alles über einen Kamm scheren) zur prinzipienorientierten Problemlösung (Kohlberg). Es impliziert eine Wertschätzung der Opfer und der Täter wie auch der sonst noch Betroffenen. Es geht um Aufarbeitung statt Aburteilung, um reintegrative Beschämung und gemeinsame Unterstützung von Geschädigten und Schädigern bei gemeinsamer Einforderung und Ermöglichung der Übernahme von Verantwortung. Auch in einem solchen Prozess werden Normen validiert, die geschieht dies auf nicht-punitive Art: nicht autoritär-plakativ für ein unbeteiligtes Massenpublikum, sondern konkret und nachhaltig für alle Beteiligten.
*Schwere Fälle: Freiheitsentzug ohne Strafcharakter. Serienkiller.  


Nach herrschender Meinung muss man sich keine Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen. Denn nach herrschender Meinung kann und darf eine Gesellschaft auf Strafe nicht verzichten, weil die Strafe eine notwendige Aufgabe erfüllt und damit eine unverzichtbare Funktion, ohne die es - also das gesellschaftliche Leben in Frieden und Freiheit, wie wir es kennen - nicht ginge.  
Die strafende Vernunft stellt im Grunde immer nur drei Fragen: Welches Gesetz wurde verletzt? Wer hat es getan? Wie ist er zu bestrafen? Man könnte aber auch fragen, wie es bei der Restorative Justice der Fall ist: Wer alles ist geschädigt worden? Welche Bedürfnisse haben die Opfer? Was muss geschehen? (Who has been hurt? What are their needs? What has to be done?).


Die Versuche, dieses widersprüchliche Verhältnis auszuhalten, zu institutionalisieren und zu zementieren, sind mit hohen Kosten verbunden (menschliche Sicherheit, Sicherheitsgefühl, öffentliche Haushalte, Gesundheit der Beschäftigten wie der Klienten). Die durch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit motivierte Suche nach einer Verbesserung der Situation stößt auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Entkopplung von Strafe und Behandlung - und damit  letztlich nach der Entbehrlichkeit der Strafe. Was diese Frage angeht, so fällt erneut eine Diskrepanz auf, und zwar diesmal zwischen einem weitgespannten, selbstbewussten und selbstgefälligen Konsens darüber, dass die Strafe als Institution nicht entbehrlich sei, auf der einen Seite, und dem Mangel an ernsthaften Überlegungen zu den legitimen Funktionen der Strafe und denkbaren funktionalen Äquivalenten auf der anderen. Die Gesellschaft könnte sehr wohl auf die Strafe verzichten, aber sie will es nicht - und sie will es nicht, weil die Justiz auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Strafe verzichtet, weil die politischen Parteien ebenso wie die Massenmedien das Thema vermeiden und weil die Bürger selbst sich in diesem Punkt lieber wie bourgeois und nicht wie citoyens verhalten. Die Aufgabe der Kriminologie wäre es, in diesem Zusammenhang auf empirischer Grundlage der Phantasie auf die Sprünge zu helfen und die Bandbreite des Möglichen aufzufächern anstatt - wie das leider üblich ist - den Hinweisen auf die Möglichkeiten mit dem Hinweis auf die faktischen Strafgelüste und -verschärfungen zu begegnen, so als sei die Tatsächlichkeit der schlechten Realität ein Argument gegen die Faktizität des Möglichen. 1912 war es möglich (und wurde von vielen für die nächste Zukunft erwartet), in Deutschland die Todesstrafe abzuschaffen. Man muss schon Geschichtsdeterminist sein, um zu behaupten, dass alles, was in der Geschichte passiert, einer ehernen Notwendigkeit folgt und dass keine Aufklärung, keine Überzeugungsarbeit irgend etwas verändern kann. Dass solche Einwirkungen häufig aus Selbstgefälligkeit und Spießigkeit nicht stattfinden und damit Möglichkeiten verschlafen werden, steht auf einem anderen Blatt. Es wäre möglich, auf Strafe zu verzichten und die Behandlung problematischer Individuen aus den Verlegenheiten und Beschädigungen, in die sie durch den Strafkontext geraten ist und immer tiefer gerät, zu befreien. Aber das müßte gewollt werden. Und da sind gefragt: die Behandler, die Justiz, die Kriminologen und die Politischen Parteien und die Massenmedien. Und die gesamte Bevölkerung.
Auch hier wird nach der Verantwortung des Täters gefragt, doch erfolgt dies im Kontext gemeinsamer Reflexion und nicht als Verurteilung durch eine Autorität, die in erster Linie an der Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols und nicht an der Wiederherstellung zwischenmenschlicher Beziehungen, an Wiedergutmachung und einer affektiven Beendigung verletzender Vorfälle interessiert ist.


== Literatur ==
== Literatur ==
*Amelung, Knut (1983) Die Einwilligung des Unfreien. Das Problem der Freiwilligkeit bei der Einwilligung eingesperrter Personen. In: ZStW 95(1983), 1-31.  
*Amelung, Knut (1983) Die Einwilligung des Unfreien. Das Problem der Freiwilligkeit bei der Einwilligung eingesperrter Personen. In: ZStW 95(1983), 1-31.  
*Gratz, W (2007) Im Bauch des Gefängnisses. Beiträge zur Theorie und Praxis des Strafvollzuges. Wien, Graz: Neuer Wissenschaftsverlag.
*Gratz, W (2007) Im Bauch des Gefängnisses. Beiträge zur Theorie und Praxis des Strafvollzuges. Wien, Graz: Neuer Wissenschaftsverlag.
*Hassemer, Winfried (1982) Resozialisierung und Rechtsstaat. Kriminologisches Journal (KrimJ) 14 Jg. Heft 3, 1982: 161-166.  
*Habermeyer, Elmar/ Andreas Mokros, Knut Vohs (2012) Sicherungsverwahrte und Patienten des psychiatrischen Maßregelvollzugs im Vergleich. R & P 30: 72 – 80 (online verfügbar).
*Hassemer, Winfried (1982) Resozialisierung und Rechtsstaat. Kriminologisches Journal (KrimJ) 14 Jg. Heft 3, 1982: 161-166.
*Nietzsche, Friedrich (1887) Genealogie der Moral, 2. Abh. Nr. 10.
*Pecher, Willi (2004) "Therapie statt Training?" - Was können andere psychologische Ansätze? In: What Works? Neue Ansätze der Straffälligenhilfe auf dem Prüfstand. Cornel, H., Nickolai, W., Hg., Freiburg i.Br.: Lambertus, 98-121.
*Pecher, Willi (2004) "Therapie statt Training?" - Was können andere psychologische Ansätze? In: What Works? Neue Ansätze der Straffälligenhilfe auf dem Prüfstand. Cornel, H., Nickolai, W., Hg., Freiburg i.Br.: Lambertus, 98-121.
*Pecher, Willi (2011) Behandlung antisozialer Persönlichkeiten in Sozialtherapeutischen Einrichtungen. KrimPäd 39, H 47: 29-36.
*Pecher, Willi (2011) Behandlung antisozialer Persönlichkeiten in Sozialtherapeutischen Einrichtungen. KrimPäd 39, H 47: 29-36.
*Pleyer, K.H. (1996) Schöne Dialoge in hässlichen Spielen. Überlegungen zum Zwang als Rahmen für Therapie. Zeitschrift für systemsiche Therapie 3: 186-196.
*[http://books.google.de/books?id=ckN4B0VDNUkC&pg=PA523&lpg=PA523&dq=Behandlungspakt&source=bl&ots=ql_lLVTvLU&sig=U456D1ZMrwtPm4ajOy5gxKWZJxs&hl=en&sa=X&ei=DzRUUqD7LsSUtAaghoB4&ved=0CDAQ6AEwAA#v=onepage&q=Behandlungspakt&f=false Ricoeur, Paul (206) Die drei Ebenen des medizinischen Urteils, in: Thomas S. Hoffmann und Walter Schweidler, Hg., Normkultur und Nutzenkultur. Berlin: de Gruyter, 520 ff.]
*Pleyer, Karl Heinz (1996) Schöne Dialoge in hässlichen Spielen. Überlegungen zum Zwang als Rahmen für Therapie. Zeitschrift für systemsiche Therapie 3: 186-196.
*Schwind, H.-D., Böhm, A., Jehle, J.-M. & Laubenthal, K., Hg. (2009) Strafvollzugsgesetz - Bund und Länder. Kommentar, 5. geänderte und neu bearb. Aufl. Berlin: de Gruyter Recht.
*Schwind, H.-D., Böhm, A., Jehle, J.-M. & Laubenthal, K., Hg. (2009) Strafvollzugsgesetz - Bund und Länder. Kommentar, 5. geänderte und neu bearb. Aufl. Berlin: de Gruyter Recht.
*Suhling, S. (2007) Positive Perspektiven in der Strafdtäterbehandlung - Warum zur Rückfallverhinderung mehr gehört als Risikomanagement. Forum Strafvollzug 56: 151-155.
*Suhling, S. (2007) Positive Perspektiven in der Strafdtäterbehandlung - Warum zur Rückfallverhinderung mehr gehört als Risikomanagement. Forum Strafvollzug 56: 151-155.
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*[[Behandlung im Strafkontext: Funktion der Strafe]]
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*[http://de.wikipedia.org/wiki/Therapie Therapie in: de.wikipedia]
*[http://de.wikipedia.org/wiki/Therapie Therapie in: de.wikipedia]
*[http://en.wikipedia.org/wiki/Bast%C3%B8y_Prison Bastoy Prison, in: en.wikipedia]
*[http://books.google.de/books?id=M0fJdKbJOjsC&pg=PA42&lpg=PA42&dq=amelung+unfreien+bundesverfassungsgericht&source=bl&ots=h5ETKN4W02&sig=InIRdrTZLEWANLmE6YTT6dIr6E8&hl=de&sa=X&ei=nnVKT4P4KMPZtAb-1-iUBQ&ved=0CCMQ6AEwAA#v=onepage&q=amelung%20unfreien%20bundesverfassungsgericht&f=false Lindemann, Michael (2004) Die Sanktionierung unbotmäßigen Patientenverhaltens. Berlin: de Gruyter]
*[http://books.google.de/books?id=M0fJdKbJOjsC&pg=PA42&lpg=PA42&dq=amelung+unfreien+bundesverfassungsgericht&source=bl&ots=h5ETKN4W02&sig=InIRdrTZLEWANLmE6YTT6dIr6E8&hl=de&sa=X&ei=nnVKT4P4KMPZtAb-1-iUBQ&ved=0CCMQ6AEwAA#v=onepage&q=amelung%20unfreien%20bundesverfassungsgericht&f=false Lindemann, Michael (2004) Die Sanktionierung unbotmäßigen Patientenverhaltens. Berlin: de Gruyter]
*[https://docs.google.com/viewer?a=v&q=cache:rn5r65s1RJ0J:www.mlindemann.de/Vortraege/sanktionierung.pdf+amelung+unfreien+filetype:pdf&hl=de&gl=de&pid=bl&srcid=ADGEESiL41AAWcMX-ba4RmZb4N_UlQoS0kDJMcrftlBjXWlXGuflU7ytRCHfuFjIFR8tcCCs1HYkhokUUnE4sBAQ1pXbSm_LXAQ_rdjZl1AVFLd6-F7J5L15-_NnCXS8EPyCVQt50CuU&sig=AHIEtbTn2iDFVqGjnT3GXvK3Wg09HPcYvA Lindemann, Michael: Sanktionierung im psychiatrischen Maßregelvollzug aus juristischer Sicht]
*[https://docs.google.com/viewer?a=v&q=cache:rn5r65s1RJ0J:www.mlindemann.de/Vortraege/sanktionierung.pdf+amelung+unfreien+filetype:pdf&hl=de&gl=de&pid=bl&srcid=ADGEESiL41AAWcMX-ba4RmZb4N_UlQoS0kDJMcrftlBjXWlXGuflU7ytRCHfuFjIFR8tcCCs1HYkhokUUnE4sBAQ1pXbSm_LXAQ_rdjZl1AVFLd6-F7J5L15-_NnCXS8EPyCVQt50CuU&sig=AHIEtbTn2iDFVqGjnT3GXvK3Wg09HPcYvA Lindemann, Michael: Sanktionierung im psychiatrischen Maßregelvollzug aus juristischer Sicht]
*[http://www.lwl.org/LWL/Gesundheit/Massregelvollzug/MRV_Inhalte LWL - Maßregelvollzug - Was ist das?]
*[http://books.google.de/books?id=z_IkP1dPFoAC&printsec=frontcover&dq=inauthor:%22Tobias+Mushoff%22&hl=de&ei=icVIT8HTArPU4QTPodjVDg&sa=X&oi=book_result&ct=book-thumbnail&redir_esc=y#v=onepage&q=inauthor%3A%22Tobias%20Mushoff%22&f=false Mushoff, Tobias (2008) Strafe - Maßregel - Sicherungsverwahrung. Eine kritische Untersuchung über das Verhältnis von Schuld und Prävention, Frankfurt am Main: Peter Lang]
*[http://books.google.de/books?id=z_IkP1dPFoAC&printsec=frontcover&dq=inauthor:%22Tobias+Mushoff%22&hl=de&ei=icVIT8HTArPU4QTPodjVDg&sa=X&oi=book_result&ct=book-thumbnail&redir_esc=y#v=onepage&q=inauthor%3A%22Tobias%20Mushoff%22&f=false Mushoff, Tobias (2008) Strafe - Maßregel - Sicherungsverwahrung. Eine kritische Untersuchung über das Verhältnis von Schuld und Prävention, Frankfurt am Main: Peter Lang]
*[http://www.suchthilfestatistik.de/cms/images/kurzbericht_dshs%202009_btmg.pdf Suchthilfestatistik. ITF München]
*[http://www.zeit.de/1964/16/triumphiert-die-ungerechtigkeit Ziegler, Gerhard (1964) Triumphiert die Ungerechtigkeit? DIE ZEIT 17. April 1964]
*[http://www.zeit.de/1964/16/triumphiert-die-ungerechtigkeit Ziegler, Gerhard (1964) Triumphiert die Ungerechtigkeit? DIE ZEIT 17. April 1964]
siehe auch: [[Behandlung im Strafkontext: Funktion der Strafe]]
[http://www.krimz.de/texte.html KrimZ]

Aktuelle Version vom 6. September 2014, 18:34 Uhr

Was ist das für ein Bereich: "Behandlung im Strafkontext"?

Behandlung ist ein vielgestaltiger und vieldeutiger Begriff, aber im Kern ist eines klar: Behandlungen erfolgen in alle Regel, um physische und/oder psychische Beschwerden, Verletzungen, Krankheiten, Leidenszustände zu erkennen, zu lindern, zu heilen oder doch zumindest ihre Verschlimmerung zu verhindern. Eine einfache Behandlung kann man oft selbst durchführen (Hühnersuppe oder Tee mit Honig gegen Erkältung), oft benötigt man aber auch fremde Hilfe. Das können dann Laien sein, sind aber - wenn es ernst wird - meist Professionelle, und das Behandlungsverhältnis ist dann nicht informell, sondern auch rechtlich formalisiert.

Formalisierte Behandlungen durch Ärzte oder Psychologen nehmen ihren Ausgang meist von von einem leidenden Menschen, der diese Hilfe erbittet und benötigt. Den Kontext dieser Art von Behandlungen bildet das System der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung mit seinen zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen zwischen Therapeuten und Klienten, abgesichert und eingebettet in ein gigantisches System von Krankenversicherungen, Rentenversicherungen, sozialen Diensten, Tagessätzen, Fallpauschalen und Erstattungsansprüchen. Da im Durchschnitt wohl jeder Bürger in jedem Jahr mehrere Behandlungen in Anspruch nimmt, geht die Zahl der Fälle in die Hunderte von Millionen.

Die großen Themen hier sind die Kostenexplosion, die Patientensicherheit, die Fehlerkultur - und manches (wie etwa der Abrechnungsbetrug, Bestechung und Bestechlichkeit oder eklatante Kunstfehler) ist sogar kriminologisch äußerst interessant und zugleich äußerst untererforscht.

Doch nicht diese Themen haben uns heute hier zusammengeführt, sondern ein quantitativ eher kleiner Bereich, in dem Behandlungen in einem anderen Zusammenhang stattfinden, nämlich in dem der Sanktionierung von Individuen wegen gravierender Straftaten und insbesondere wegen Gewalt- und Sexualdelikten.

Es gibt mehrere Orte und Anlässe, bei denen der Kontext der Behandlung nicht derjenige des gewährenden und leistenden, sondern derjenige des eingreifenden, des strafenden Staates ist. Man denke an

  1. den geschlossenen, halboffenen oder offenen Normalvollzug mit seinen rund 70 000 Insassen, von denen freilich nur eine unbekannte Anzahl in Behandlung ist, von denen aber die rund 2.500 Klienten der Sozialtherapie sicherlich in intensiver Behandlung sich befinden
  2. den Maßregelvollzug in einer psychiatrischen oder Entziehungsanstalt mit rund 10 000 Betroffenen,
  3. die Sicherungsverwahrung mit rund 500 Insassen,
  4. nicht zuletzt aber auch an die insgesamt wohl rund 50.000 Klienten, die aufgrund der „Therapie statt Strafe“ - Regelung nach §§ 35 f. BtMG oder aufgrund anderer strafrechtlicher Grundlagen in (meistens) ambulanter oder aber (seltener) stationärer Behandlung sind (z.B. § 56c StGB, d.h. Klienten mit Strafaussetzung zur Bewährung mit der Weisung, sich einer Therapie zu unterziehen)
  5. sowie überhaupt an alle Klienten, die sonstwie auf die Gnade oder Milde von Sanktionsinstanzen hoffen, indem sie sich unter dem Druck drohender Verfolgung in eine Behandlung geben.

Quantitativ kann die Behandlung im Strafkontext also - glücklicherweise - nicht mithalten, aber qualitativ hat diese Kombination es durchaus in sich und es lohnt sich auf jeden Fall, und nicht nur für die unmittelbar dort Tätigen und Betroffenen, einmal einen genaueren Blick auf dieses Arbeitsfeld und die in ihm lauernden Chancen und Risiken zu werfen.

Zwei Hauptmerkmale

Historische Neuheit

Das Zusammenbringen von Behandlung und Strafe, so wie wir es heute kennen, ist in historischer Perspektive immer noch so etwas wie eine unerhörte Neuheit. Während des allergrößten Teils der Menschheits- und Zivilisationsgeschichte waren Behandlung und Strafe strikt getrennt. Entweder man war krank und wurde behandelt - oder man wurde bestraft, und zwar ohne Behandlung, egal, ob man gesund oder krank war. Die Probleme, die mit der Behandlung im Strafkontext verbunden sind, gab es damals noch nicht.

Vom Hochmittelalter bis in das 18. Jahrhundert wurde gefoltert, verbrannt, aufgehängt, gevierteilt, gepfählt oder ertränkt, aber sicher nicht "behandelt" im Sinne einer physischen oder psychischen Zustandsverbesserung des Delinquenten.- In den Strafgesetzbüchern früherer Jahrhunderte zeigten allein schon Formulierungen wie „straffen biss ann das blut“ oder „straffen, so an das blut gandt und das läben kostendt“, dass es um Verstümmelungen ging und/oder verschiedene Formen, Menschen vom Leben zum Tod zu bringen, und damit Punkt.

Selbst als die Idee der moralischen Besserung aufkam, und das war mit einiger Konsequenz erst 1790 der Fall, als man in Philadelphia im US-Staat Pennsylvania das erste Zellengefängnis eröffnete, dachte man noch lange nicht an Behandlung im Strafvollzug.

Zwar bekam jeder Gefangene eine Einzelzelle, doch das Modell war nicht Behandlung, sondern Buße nach Art des Klosters. Der Gefangene erhielt eine Bibel und sonst nichts. Jedenfalls keine psychologische Betreuung, und auch keine Arbeit und keine Gemeinschaft mit anderen Gefangenen, geschweige denn Lockerungen oder auch nur einen Stufenvollzug - und wie Charles Dickens bezeugte, der sich dieses Gefängnis angesehen hatte, wurden viele Insassen denn auch depressiv, suizidal und/oder verrückt, bevor sie das Haftende erreicht hatten.

Der Behandlungsgedanke im Strafvollzug ist also viel jüngeren Datums, stammt aus dem 19. Jahrhundert und steckt nach all den Rückschlägen und dem Zivilisationsbruch im Dritten Reich auch heute noch eigentlich in seinen Anfängen. - Vor dem Hintergrund einer 1000 oder 2000 Jahre umfassenden Geschichte sprechen wir hier von den letzten 100 Jahren, und selbst die waren ja nicht frei von Rückschritten. - Mit anderen Worten: dass es überhaupt heute Behandlung im Strafkontext gibt, ist aller Freude wert, vielleicht sogar eines gewissen zivilisatorischen Stolzes. Aber unter historischer Perspektive ist dieses Miteinander höchst sehr jung, quasi experimentell und während man in der Gegenwart immer dazu tendiert, den Status Quo fortzuschreiben, erscheinen die Chancen, dass dieses Miteinander für alle Zukunft erhalten bleibt, gerade angesichts der Widersprüche geradezu minimal.

Paradoxalität

Die zweite Besonderheit der Behandlung auf strafrechtlicher Grundlage ist der Zielkonflikt zwischen Verbesserung und Verschlechterung des Zustands des Betroffenen. Die Strafe ist ein absichtlich zugefügtes Übel. Juristen sprechen in aller Offenheit von Strafübel. Eine Übelszufügung verfolgt das Ziel, den Zustand einer Person - des Bestraften - gegen deren Willen fühlbar und signifikant zu verschlechtern. Behandlung aber ist der Versuch, den Zustand einer Person in deren Auftrag und in deren Interesse erheblich zu verbessern. Im Strafkontext zu behandeln heißt deshalb: den Versuch zu unternehmen, den Zustand einer Person zu verbessern - aber in einem Umfeld, das explizit und mit sehr hohem Aufwand gerade darauf ausgerichtet ist, den Zustand (auch) eben dieser Person zu verschlechtern.

Triade statt Dyade

In den Worten von Karl Heinz Pleyer (1996: 1929): "Therapeutische Beziehungen in Zwangskontexten sind (...) in aller Regel triadischer Natur. Die eigentlichen Auftraggeber, die den Zwang verhängen, sind mit im Gespräch, ohne anwesend zu sein." Ohne den strafenden Staat wäre der Klient nicht vorhanden, und der Therapeut wäre auch nicht da, wo er ist, und das, was die beiden miteinander verbindet, ist auch nicht nur der freie Wille des Behandlungsbedürftigen.

Der soziale Raum der Sozialtherapie ist nicht nur durch das Paradox der Gleichzeitigkeit von Abwendung (Strafe) und Zuwendung (Behandlung) gekennzeichnet, sondern auch von der Ersetzung der Therapeut-Klient-Dyade durch die Triade von Therapeut, Klient und strafendem Zwang.

Die Paradoxalität drückt sich in der Ersetzung der Therapeut-Klient-Dyade durch eine Triade von Staat - Therapeut - Klient aus. In den Worten von Karl Heinz Pleyer (1996: 1929): "Therapeutische Beziehungen in Zwangskontexten sind (...) in aller Regel triadischer Natur. Die eigentlichen Auftraggeber, die den Zwang verhängen, sind mit im Gespräch, ohne anwesend zu sein." Ohne den strafenden Staat wäre der Klient nicht vorhanden, und der Therapeut wäre auch nicht da, wo er ist, und das, was die beiden miteinander verbindet, ist auch nicht nur der freie Wille des Behandlungsbedürftigen.

Für den Therapeuten ist der Gefangene Klient, für den Staat ist er aber vor allem Strafgefangener. Daher auch das dauernde Benennungsproblem zwischen Gefangener, Insasse, Bewohner, Klient.

Dominanz und Subordination

Ein Beispiel für die paradoxe Verschränkung, das zugleich die grundsätzliche Dominanz des Strafverhältnisses über das Behandlungsverhältnis zeigt, ist der Fall David Long aus dem Jahre 1999.

Im Konflikt zwischen Behandlung und Strafe, zwischen Hilfe und Herrschaft, will der strafende Staat die Oberhand behalten. Was das bedeutet, wird vielleicht an einem Extrembeispiel deutlich, wie es sich im Dezember 1999 in Texas zugetragen hat. Der zum Tode verurteilte Gefangene David Long, der am Donnerstag, den 9.12., hingerichtet werden sollte, unternahm am Montag davor einen Suizidversuch, wurde nach erfolgreicher Wiederbelegung auf die Intensivstation des Krankenhauses in Galvesteon gebracht und dort im Verlaufe einiger Tage relativ stabilisiert. Können wir ihn denn termingerecht hinrichten, fragte der Gouverneur? Der verantwortliche Arzt hatte Bedenken wegen des Transports. Der Patient könnte versterben, bevor er in Huntsville angekommen sei. Man charterte also ein Flugzeug und flog David Long in ärztlicher Begleitung und mit entsprechenden medizinischen Geräten am Donnerstag morgen zurück zum Gefängnis, wo man ihn wie vorgesehen pünktlich am Abend desselben Tages per Giftspritze hinrichtete.

Der strafende Staat färbt die gesamte Behandlung

Man kann sagen: wir sind hier nicht in den USA, bei uns ist alles anders. Aber in mancher Hinsicht nicht, und die Dinge gehen in mancher Hinsicht noch tiefer als in dem Beispiel. Dort war die ärztliche Behandlung selbst im Kern so wie sonst auch. Das Strafverhältnis bezog sich nur auf die Rahmung und die Dominanz. Und es wurde klar gemacht, wer das Sagen hat.

Vor allem aber ist das Behandlungsverhältnis selbst nicht frei von Strafeinflüssen. Der strafende Staat ist - anders als im Fall David Long - in jeder Phase der Behandlung dabei: Etablierung, Ziel, Dauer. Vor allem die Motivationsphase erweist sich als sehr gefräßig.

Der Strafkontext bleibt dem Behandlungsgeschehen nicht äußerlich. Behandlung im Strafkontext heißt nicht, dass draußen zwar Mauern und Stacheldraht existieren, drinnen in der Anstalt aber die ganz klassische Therapeut-Klient-Dyade in gewohnter Autonomie ganz so wie sonst auch agiert. Im Gegenteil: zwischen Behandlung und Strafe existieren Widersprüche auf allen Ebenen, die auch alle Fasern der Behandlung beeinflussen.

Zustandekommen

Der Kontext dominiert das Zustandekommen der Behandlung. Initialzwang statt Hilfeersuchen. Die frühe Such- und Findephase der klassischen Behandlung wird durch die behördliche Anordnung ersetzt. Es ist die Verpflichtung des Behandlers seinem Dienstherrn gegenüber, die ihn zur Aufnahme des Behandlungsverhältnisses motiviert. Es ist die Unfreiheit des Verurteilten, die ihn nötigt. Das wird auch nicht dadurch entschärft, dass sich der Klient auch im Strafkontext gelegentlich um Behandlung bewerben muss. Denn die Bewerbung eines Unfreien ist etwas anderes als die Bewerbung eines Freien. Sie ist oft anders motiviert (Amelung 1983) - zum Beispiel durch die Hoffnung, dadurch schneller wieder aus der Haft entlassen zu werden. Einerseits macht die Belieferung der Anstalten durch den strafenden Staat die Sache leichter: der Klient muss nicht lange überlegen, der Therapeut muss nicht lange warten, die beiden finden sozusagen von Amts wegen zueinander. Andererseits fängt das Problem dann aber erst richtig an, denn der stärkste Motor zur Etablierung einer therapeutischen Beziehung, das Leiden des Individuums und sein Verlangen, sich von seinem Leiden zu befreien - die Hoffnung auf Heilung gar - sind in aller Regel gar nicht vorhanden. Der Gefangene hat keinen starken eigenen Antrieb, er lässt sich nur treiben, lässt es mit sich geschehen. Der Philosoph Paul Ricoeur (2006: 521f.) hat darauf hingewiesen, dass schon unter normalen Umständen der Behandlungspakt eine Menge Unsicherheit und Misstrauen überwinden muss, um sich zu der erwünschten Allianz entwickeln zu können, die zwischen zwei Personen gegen den gemeinsamen Feind - die Krankheit - geschlossen wird. In seinen Worten: "Man kann die Fragilität dieses Paktes - von Anfang an - nicht genug betonen. Das Gegenteil des Vertrauens ist das Mißtrauen oder der Verdacht. Das Gegenteil des Vertrauens begleitet alle Phasen des Vertragsschlusses. Auf der Seite des Patienten wird das Vertrauen bedroht durch eine unreine Mischung aus dem Mißtrauen eines gegenüber eines unterstellten Machtmissbrauchs aller Mitglieder der Ärzteschaft und dem Verdacht, dass der Arzt gleichgültig sein wird" gegenüber dem Leiden und den wahren Bedürfnissen des Patienten. Auch auf der Seite des Therapeuten gibt es schon im Normalfall der freien Therapie zahlreiche Hindernisse. Doch wie stark ist das alles erst im Strafkontext! Bedenkt man nun, dass auch unter normalen Bedingungen der Macht-Asymmetrie nur durch überaus behutsames und vertrauensschaffendes Aufeinanderzugehen etwas von ihrer Explosivität genommen werden kann, dann kann man sich vorstellen, wie hoch die Hürden sind, vor denen eine erfolgreiche Behandlung im Strafkontext steht.

Fehlende Motivation

Der Kontext verschiebt die innere Ordnung der Behandlung. Das Fehlen der Therapiemotivation heißt aber auch, dass die zeitlichen Proportionen des Prozesses durcheinander kommen und dass es mitunter Jahre dauern kann, bis ein Gefangener beginnt, sich dafür zu interessieren, wie es um ihn und seine innere Problematik steht, wie diese wiederum mit Beziehungsstrukturen in seiner familiären Biographie und mit Auslösesituationen für Gewalttaten zusammenhängt ... und so weiter. Das heißt: die Schaffung der Voraussetzungen für eine Behandlung tendiert zur gefräßigen Inanspruchnahme der meisten Zeit, die die Behandler mit den Behandelten verbringen. Der Ablauf der Behandlung ist regelmäßig durch die langanhaltende Bemühung um die Schaffung der Voraussetzungen für therapeutische Prozesse gekennzeichnet. Die Vorlaufphase kann länger dauern als der ganze Rest. Vorbereitung statt Durchführung.

Zielbestimmung

Legalbewährung statt Heilung. Die Behandlung soll in aller Regel dem im Gesetz vorgeschriebenen Resozialisierungsziel dienen, also der Befähigung des Klienten, in Zukunft ein Leben ohne Straftaten zu führen. So wird man sich mit der Anlasstat befassen, mit den biographischen und familienstrukturellen Zusammenhängen und Mechanismen, wird Rückfallprävention üben und nie so genau wissen, ob der Klient das auch alles emotional nachvollziehen und sich selbst zum Agenten seiner Heilung machen kann. Auch diese Fokussierung auf die Anlasstat und die Rückfallprävention geht auf den Staat, auf das Strafgesetzbuch und das Strafvollzugsgesetz sowie auf das öffentliche Interesse zurück. Der Klient ist eben nicht nur Klient, sondern erst einmal Gefangener. Diese Rollenunklarheit schlägt sich nicht nur beim Behandelten selbst in einer unklaren Vorstellung von sich selbst und bei den Behandlern nieder, sondern auch in einer Unsicherheit über die angemessene Bezeichnung des Behandelten niederschlägt. In manchen Anstalten spricht man von Gefangenen, in anderen von Bewohnern, in wieder anderen von Klienten. Das eine könnte als Abwertung und De-Motivierung verstanden werden, das andere leicht als euphemistische Schönfärberei. Kompliziert!

Durchführung

Während der Durchführung der Behandlung sind die Motivationsprobleme nie ein für allemal gelöst. Sie bleiben latent vorhanden und können jederzeit wieder aktualisiert werden - vor allem durch die bedrohlichen Aspekte der Haft. Da ist die Gefängnisarchitektur, da sind die Mitgefangenen, die Bediensteten und da sind die Sicherheits-, Straf- und Disziplinarmaßnahmen, die bei Fehlverhalten ungewollt auch die Therapiemotivation und den therapeutischen Prozess stören können.

An der Pforte muss sich der Gefangene unterwerfen, in der Wohngruppe darf er auf Verständnis und Vergebung hoffen. Die Pforte will und muss Alarm schlagen und die Fahndung auslösen, wenn ein Gefangener nicht pünktlich zurückkehrt - mit allen Folgen, die das für die ersten tastenden Behandlungsschritte haben kann. Die Behandlung würde vielleicht eher die Nutzung informeller Wege zur Aufenthalts- und Situationsermittlung erfordern, um einen Rückschritt in der Erprobung des Klienten zu verhindern. Und so stört die Bestrafung ganz ohne böse Absicht doch immer wieder die Behandlung - und die Behandlung stört die Bestrafung.

In solchen Situationen wird der Gefangene - wenn er es nicht immer schon war - ein kühler Nutzenmaximierer, der dazu tendieren wird, sich gleichsam spieltheoretisch um das für ihn situativ gerade günstigste Verhalten zu kümmern.

Beendigung

Die Beendigung des Behandlungsverhältnisses folgt auch nicht der freien Übereinkunft innerhalb des Vertrauensverhältnisses, sondern den Eigengesetzlichkeiten des Haftregimes: die intramurale Therapie findet ihre Grenze nicht im Erfolg der Behandlung, sondern mit dem Ende des Freiheitsentzugs. Alles andere ist Nachsorge, wird von anderen Teilen des Dritten im Bunde organisiert, finanziert, oder auch nicht, und jedenfalls ist der Abbruch der Behandlung nicht therapeutisch motiviert, nicht vom Klienten ausgehend, sondern eine fremde Intervention.

In den Worten von Willi Pecher (2011: 30): "Gefängnisse sind keine behandlungsfreundlichen Einrichtungen. Die Strafe ist nicht an den Erfordernissen einer Therapie ausgerichtet, sondern ihre Grundlage ist eine begangene Rechtsverletzung und das Maß der Schuld des Täters. In den meisten Fällen entspricht die gerichtlich angeordnete Strafdauer nicht dem optimalen Maß aus behandlerischer Sicht: Sie kann zu kurz sein, um die intendierte Wirkung eintreten zu lassen oder so lang, dass der aus therapeutischer Sicht günstigste Zeitpunkt der Entlassung längst überschritten ist."

Triadendruck und Behandlerstress

Man muss den Hut ziehen vor dem Engagement der Therapeuten. Denn auf ihnen lastet der Druck, die zentrifugalen Kräfte der Triade unter Kontrolle und damit die Triade aufrecht zu erhalten.

Der Zerfall droht in drei Formen, und jede ist hochproblematisch:

Koalition Patient und Justiz

Denkbar ist, dass der Klient sich gegen den Behandler wendet und die Justiz zur Hilfe ruft: der strafende Staat soll dann als Rechtsstaat zugunsten des Bestraften und gegen vorgebliche Übergriffe des Behandlers Schutz gewähren.

Überidentifikation von Behandler mit Klienten

Der Patient schließt sich mit dem Behandler zusammen gegen die Institution als ausgeschlossenem Dritten. Bei der Koalition zwischen Behandler und Behandeltem gegen die Institution bestätigen sich die beiden Protagonisten in ihrer Verdammung der Justiz. Der Behandler wird zum Komplizen des Klienten. Man denke an den Fall der Hamburger Psychologin, die dem sog. Heidemörder Thomas Holst, der zwischen 1987 und 1990 drei Frauen vergewaltigt, gequält und zerstückelt hatte, zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und sich heute in der geschlossenen Psychiatrie befindet. Seine damalige Therapeutin Tamar Segal hatte sich in ihn während seiner Haft verliebt und ihm zur Flucht verholfen. 1995 verhalf ihm seine Therapeutin zur Flucht aus dem Hochsicherheitstrakt der forensischen Abteilung des Klinikums Nord und tauchte in einer von der Therapeutin angemieteten Wohnung unter. Drei Monate später wurde die Therapeutin verhaftet und Holst stellte sich der Polizei. 1997 heirateten Holst und Segal in der U-Haft-Anstalt in Hamburg.

Überidentifikation des Therapeuten mit der Institution

Die dritte Variante des Auseinanderbrechens der Triade geht zu Lasten des Klienten: der Behandler sucht die Rückendeckung von Anstaltsleitung und Ministerium, steht aber in einem verkappten Strafverhältnis zu seinem eigenen Klienten:

  • er spricht - unter dem Vorwand behandlerischer Notwendigkeit - Sanktionen aus, die keinen inneren Bezug zur Symptomatik aufweisen und im Grunde genommen umetikettierte Disziplinarstrafen sind (Entzug von bislang im Besitz gehabten Gegenständen für mehrere Wochen, Verlegung auf eine Station mit weniger Rechten und Privilegien etc.; vgl. Lindemann 2004; Lindemann o.J.) oder
  • er projiziert ein eventuelles eigenes Versagen als Behandler auf die vorgebliche "Therapieunfähigkeit" des Gefangenen. Dass sich die in der klinischen Psychologie allgemein anerkannte Tatsache, dass Ressourcenaktivierung wesentlich den Therapieerfolg beeinflusst, im Rahmen der Straftäterbehandlung erst langsam durchsetzt (vgl. Suhling, 2007), zeigt zugleich, "wie die Rahmenbedingungen der Behandlung auf die Therapie selbst Einfluss nehmen: Die Fixierung auf Defizite drängt sich bei Straffälligen geradezu auf. Oft wurde angemerkt, dass Gefangene nicht resozialisiert, sondern überhaupt erst sozialisiert werden müssen. Ressourcen wurden ihnen also weitgehend abgesprochen. Ähnliches gilt für die Anerkennung der Wichtigkeit des Wirkfaktors therapeutische Beziehungsgestaltung. Um die Gefahr der Ausnützung und Manipulation zu begrenzen, erscheint es auf den ersten Blick tunlicher, sich allein an klaren Vorgaben zu orientieren, übersieht aber dabei, dass die Therapiebeziehung als zentrales Agens auch und gerade bei Persönlichkeitsgestörten genutzt werden muss" (Pecher 2011: 30 f.; Pecher 2004).

Dass derlei Abwehrmechanismen bei "persönlichkeitsgestörten Patienten noch durch deren innere Abwehrdynamik verstärkt wird, braucht nicht besonders ausgeführt zu werden" (Pecher 2011: 30).

Das alles konzentriert sich auf die Behandler und kostet die Behandler Kraft. Hier besteht ein Verschleiß-Risiko, das mit dem Zeitablauf zunimmt und durch Routinisierungen nicht kompensiert werden kann, so dass vertikale Unterstützung durch die Anstaltsleitung und horizontale Unterstützung durch die Kollegenschaft dringend erforderlich sind (andererseits soll der Strafvollzug auch nicht die gesamte Lebenswelt der Behandler darstellen). Von größter Bedeutung ist auch ein gutes Verhältnis zu den Klienten.

Da jede Form des Zerfalls der Triade die Lage in aller Regel verschlimmert, ist den meisten Behandlern daran gelegen, eine solche Explosion der Triade zu verhindern. Das bedeutet aber: Spannungen aushalten, Spannungen analysieren, sich auch eigene Fehler eingestehen und korrigieren. Das erfordert von den beteiligten Individuen eine besonders hohe Qualifikation - und sollte die beteiligten Institutionen von der vitalen Bedeutung qualifizierter Supervision überzeugen.

Auf die Dauer geht die Behandlung im Strafkontext jedenfalls an die Substanz. Die Doppelgesichtigkeit des sozialen Raums als eines Sanktions- und Behandlungsraums zugleich macht ihn besonders konfliktträchtig. Nimmt man dann noch Situationsspezifika wie den baulich und organisatorisch bedingten Mangel an privatem Rückzugsraum hinzu sowie Personenspezifika aller Art (von problematischen Anstaltsleitungen bis zu verfestigten Zügen dissozialen Verhaltens bei der Klientel), dann wird klar, dass hier mit einem überdurchschnittlich erhitzten Binnenklima und entsprechenden Folgeerscheinungen zu rechnen ist: mit eruptiven Entladungen, aber auch mit Rückzug oder Mobbing und so weiter.

Auf Dauer schadet der doppelbödige Konfliktraum der Gesundheit aller Beteiligten wie auch der Qualität der Behandlung, denn es sind ja die Behandler, an denen von allen Seiten gezogen und gezerrt wird: sie müssen sich die Coping-Strategien aneignen, Sport treiben und Entspannungsübungen machen, aber auch sie sehen im Kollegenkreis, dass es nicht immer und überall funktionieren kann, dass Alkohol und Tabletten eine Rolle spielen, Rücken-, Bauch- und Kopfschmerzen ebenso zunehmen wie Burn-Outs, Depressionen und psychosomatische Krankheiten aller Art. Das ist sozusagen erwartbar und normal, wenn auch nicht toll, aber es wäre gut, die Strukturen aufmerksam zu beobachten und nach Möglichkeit so zu verändern, dass sie weniger Opfer fordern.

Dieses Verschleißbudget wird normalerweise nicht in Festvorträgen erwähnt. Man sollte es aber und man sollte versuchen, es als systemischer Konflikte in einem paradoxen Setting zu erkennen, das sowohl starre Regeln und institutionalisiertes Misstrauen benötigt als auch flexiblen Umgang und immer wieder auch kontrafaktisches Vertrauen, das aus Sicherheits- und Verwaltungsgründen wie ein stählernes Gehäuse organisiert sein muss, aus behandlerischer Sicht aber wie eine offene Wohngemeinschaft mit möglichst vielen Gästen von außerhalb funktionieren müßte.

Der engagierte Realismus weiß, dass es keinen Sinn hat, den herkömmlichen Strukturen nur einfach Behandlungsprogramme aufzupfropfen, sondern dass es Zielkonflikte institutioneller Art gibt, die Dauerstress, Dauerverschleiß und bei höchstem Einsatz der Behandler und enormem Finanzaufwand der öffentlichen Haushalte eine letztlich nur begrenzte Wirksamkeit der Intervention zulassen. Sie wissen, dass es mit piecemeal technology nicht getan ist, sondern dass etwas Grundsätzliches geschehen muss. Aber was?

Dominanz der Behandlung über die Strafe?

Man könnte glauben, die heutige Kombination muss nicht unbedingt ewig dauern. In der großen weiten Welt spricht man schon seit langem vom Niedergang des Behandlungsideals im Strafvollzug. Vielleicht geht es zurück zur reinen Strafe und Verwahrung - siehe USA. Aber wohin könnte es vorwärts gehen: etwa in die Richtung der alten Utopie von Gustav Radbruch - dass es letztlich nicht um die bessere Strafe, sondern um etwas Besseres als die Strafe gehe, also um ein reines Maßregelrecht der Besserung und Sicherung?

Oder liegt die Zukunft in der Umkehrung der Machtverhältnisse, in einer künftigen Dominanz der Behandlungsinteressen über die Strafinteressen?

Das klingt verführerisch. Sollte es aber nicht sein. Denn dort, wo die Behandlungsidee über den strafenden Staat dominiert, geht es unter dem Gesichtspunkt der Grundrecht der Betroffenen nicht gut zu.

Wie der kleine historische Rückblick schon gezeigt hat, war der Einzug des Behandlungsgedankens in den Strafvollzug ein epochaler Fortschritt.

Fortschritte sind jedoch oft nicht eindimensional, sondern haben auch ihre problematischen Seiten. So auch hier. Denn der Behandlungsgedanke sieht den Gefangenen als das, was er ist: als armen Teufel, der oft an Dissozialität leidet, an Psychopathie, an Depressionen und allerlei von ihm selbst kaum verstandenen Defiziten, die einer gründlichen Aufarbeitung in einem gut strukturierten Milieu bedürfen. Und gut strukturiert ist das Gefängnis ja nun einmal. Aber auch eine Drogen-Langzeit-Therapie. All diese Milieus geben Halt und sind daher aus therapeutischer Sicht sozusagen das kleinere Übel für den Betroffenen im Vergleich zu einem Leben in oft deprimierender Freiheit, in dem es auch nicht so schnell eine therapeutische Versorgung gibt.

Das Gesetz sieht den Gefangenen hingegen nicht als das, was er ist, sondern eher als das, was er sein sollte: als einen Bürger mit zahllosen Rechten, der ein Verbot übertreten hat und dafür im Rahmen seiner Schuld auch zu büßen hat, der aber seinerseits auch ein Recht besitzt, durch klare gesetzliche Vorgaben und vor allem durch Grenzen der Strafe vor jedem Zuviel an Freiheitsbeschränkung beschützt zu werden. Der Rechtsstaat sagt ja zur Strafe, aber nur im Rahmen der Schuld des Täters und nur soweit der Entzug der Freiheit absolut notwendig ist. Die Freiheitsstrafe soll das allerletzte Mittel sein, das man gegen seine eigenen Bürger einsetzt: Strafe als ultima ratio. Wer sich mit den Verhältnissen vor der Erfindung des Rechtsstaats oder in den heute existierenden Nicht-Rechtsstaaten befasst hat, wird sofort einsehen, warum das so sein soll und warum alles andere die menschliche Sicherheit der gesamten Gesellschaft aufs Spiel setzen würde.

Aus der Behandlungsperspektive ist es schade, wenn ein Straftäter mitten in der Therapie entlassen wird, weil seine Strafzeit nun einmal zu Ende gegangen ist. Man denkt: für ihn und alle anderen wäre es besser, er bliebe noch ein Jährchen. Denn Behandlungen brauchen ihre Zeit, und da sie aufgrund des Strafkontextes oft nur schleppend anlaufen, kann es gerade nach einigen Jahren gut sein, dass man mitten drin ist und erfreuliche Fortschritte verzeichnet und dann das: die Entlassung!

In dem Maße, in dem die Behandlungsperspektive an Einfluss gewinnt, verliert die strenge rechtsstaatliche Begrenzung der Haftzeit und die Rücksichtslosigkeit, mit der sie sich an der Schuld und nicht an der Besserung orientiert, an Plausibilität.

So kann es vorkommen, dass man

  • unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit einer Therapie und der absehbaren Therapie-Dauer entweder überhaupt eine Freiheitsstrafe in ein Gesetz schreibt oder im konkreten Strafverfahren ausspricht, obwohl die geringe Tatschuld eine solche Sanktion sonst gar nicht hergegeben hätte - oder aber eine längere als die eigentlich schuldangemessene Freiheitsstrafe; in jedem dieser Fälle verletzt man einen der wichtigsten Pfeiler in der Abwehr staatlicher Willkür: das Verbot, aus welchem Grunde auch immer, eine Strafe zu verhängen, die über diejenige hinausgeht, die nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erforderlich und gerechtfertigt ist
  • seitens der Behandler die Sicherungsverwahrung im Grunde als eine verlängerte Haftzeit versteht und toleriert, die man in gewissem Grade zur weiteren Behandlung der immer noch riskanten Insassen verwenden kann und deshalb ganz gerne sieht - und bei der man angesichts der oft dissozialen armen Teufel, um die es sich handelt, im übrigen auch keine Veranlassung sieht, an den strafhaftähnlichen Unterbringungsbedingungen der Sicherungsverwahrten Anstoß zu nehmen: immerhin haben sie eine strukturierte Umgebung! - Juristen hingegen sehen die Sache unter einem ganz anderen Gesichtspunkt. Für sie handelt es sich bei Sicherungsverwahrten um Bürger, die ihre Haftstrafe verbüßt haben und damit grundsätzlich wieder ein Recht auf Bewegungsfreiheit jenseits der Haft haben. Juristisch wäre die Person wieder so zu betrachten wie vor der Straftat. Eine neue Haft erst bei einer neuen Tat. Wenn man sie trotzdem ihrer Freiheit beraubt, weil man überzeugt ist, dass sie sonst wieder erheblichen Schaden anrichten könnten, greift man der Öffentlichkeit zuliebe in ihre Freiheitsrechte ein - so ähnlich wie bei einer Enteignung oder einem anderen Sonderopfer, das dem Einzelnen aus Gründen des Allgemeinwohls zugemutet wird, für das der Betroffene dann aber auch aus Gründen der Gerechtigkeit und Billigkeit entschädigt werden muss. Für Juristen ist es eigentlich selbstverständlich, dass solche Leute nicht in Gefängnisse gesperrt werden dürften, sondern ein Recht darauf hätten, als Kompensation für das ihnen zugemutete Sonderopfer zumindest intramural komfortabel zu wohnen. Welchen Grund könnte es geben, ihnen eine echte Wohnung mit Bad, Küche und Terrasse oder Balkon zu verwehren, eine Einrichtung nach ihrem Geschmack und die Bild-Zeitung oder eine andere Tageszeitung ihrer Wahl, Frühstücksbrötchen und -ei, Bio-Joghurt und Flachbildschirm und eine Badewanne zum Zeitungslesen. Wer das als Entschädigung für die Freiheit, die man ihnen genommen hat, übertrieben findet, sollte sich fragen, was er oder sie denn gerne als Entschädigung hätte, schlösse man ihn oder sie völlig unabhängig von irgendeiner Schuld aus Gründen des öffentlichen Interesses ein
  • die tiefen Eingriffe in Grundrechte in Drogentherapien für unproblematisch hält, weil auch hier die harte Strukturierung des Alltags einen äußeren Halt verschaffen kann, der innerlich gerade fehlt. Die Behandlungsperspektive denkt an den Erfolg und rechtfertigt alle möglichen Eingriffe, die dem Klienten in der totalitären Drogentherapie weniger Rechte lassen als einem Strafgefangenen im Justizvollzug. Beispiel Schöffin in HH: die Bewährungen werden wegen Rauswurfs aus der Therapie widerrufen. Klient: "Wenn ich wenigstens meine Frau und mein Kind sehen könnte, dann würde ich die Therapie ja durchhalten."

Misst man also den Behandlungsvollzug an den Grundregeln klassisch-liberalen Strafrechtsdenkens, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß die als fortschrittlich gedachten Alternativen zum Strafrecht/-vollzug die Rechtspositionen in vielerlei Hinsicht verbessert, in mancher aber auch verschlechtert haben. Und gerade die freien Therapien für betäubungsmittelabhängige Straftäter zeigen, wie der Behandlungsgedanke rechtsstaatliche Vollzugssicherheiten in bedenklichem Umfang aushöhlt.

Vielleicht ist eine Fortschreibung des heutigen Status Quo auch gar nicht wünschenswert. Denn vor lauter Freude über deren historisches Zusammentreffen sollten wir auch nicht das dadurch entstandene Spannungsverhältnis und die Kosten desselben in materieller und immaterieller Hinsicht übersehen.

Die Lösung liegt nicht in der Indienstnahme des strafenden Staates durch die Behandler.

Vom Strafkontext zum Kontext der Aufarbeitung?

Wie steht es eigentlich mit einem Schritt nach vorne zu einer reinen Behandlung ohne Strafe? Zumindest eine Logik spricht ja für die Möglichkeit: wenn es in der Vergangenheit nur die Strafe ohne Behandlung gab, dann die Behandlung innerhalb der Strafe, dann könnte die Behandlung eines Tages vielleicht sich von der Strafe ganz emanzipieren und die Sozialtherapie wäre die einzige stationäre Sanktion für Straftaten - Behandlung als Antwort auf Kriminalität.

Was hier not tut, sind ernsthafte Überlegungen zu den legitimen Funktionen der Strafe und ihren denkbaren funktionalen Äquivalenten, die sie ersetzen könnten.

Die Aufgabe der Kriminologie wäre es, in diesem Zusammenhang auf empirischer Grundlage der Phantasie auf die Sprünge zu helfen und die Bandbreite des Möglichen aufzufächern.

In einer Gesellschaft, die Normvalidierung als Aufarbeitung von Konflikten und als Dienstleistung auffasste, würde man auf die Zufriedenheit der Kunden achten. Die Kunden, das wären die Opfer von Delikten, aber auch die Täter - und ihre jeweiligen Angehörigen und Freunde, aber damit nicht genug. Betroffen ist auch ein größerer Kreis von Bürgern (die Gemeinde), betroffen ist die Sicherheit von vielen. Insofern gibt es viele stakeholder, die an dem Aufarbeitungsprozess teilnehmen und von ihm profitieren sollten. Wenn wir heute auf jedem Produkt im Supermarkt die Telefonnummer des Kundenservice finden - warum dann nicht auch eine solche Telefonnummer auf jedem Schriftstück der Justiz? Warum wird nicht bei jedem Strafprozess zugleich auch immer die Zufriedenheit der Betroffenen und Beteiligten mit dem Prozess und mit dessen Ergebnis und Folgen erhoben?

Joanna Shapland (2008) von der Universität Sheffield hat tatsächlich einmal die Zufriedenheit mit der Strafjustiz mit derjenigen bei der alternativen Vorgehensweise der Restorative Justice verglichen. Heraus kam: die Kundenzufriedenheit war bei Restorative Justice eindeutig höher:

"The overall tone was one of satisfaction: 74% of JRC offenders and 78% of JRC victims would definitely/probably recommend restorative justice to others. 80% of JRC offenders and 85% of JRC victims were very/quite satisfied with the conference - only 10% of JRC offenders and 12% of JRC victims expressed any doubt about the outcome agreement. Not everyone was entirely satisfied, but only 6 offenders (of 152) and 6 victims (of 216) were dissatisfied overall with JRC conferencing - dissatisfaction revolved around disputes about the offence or difficulties in communication. I would argue that the current criminal justice system for adults is impoverished in terms of not providing enough opportunities to help offenders to desist (reduce/stop offending) so conferencing may provide a ‘boost’ to offenders deciding to start changing their lives, through supporting that decision and mobilising potential resources to address offending-related behaviour."

In ihrem siebenjährigen Forschungsprojekt, das vier Berichte über Restorative Justice (bei schwerer Kriminalität von Erwachsenen) generierte, kam Joanna Shapland (Ministry of Justice 2011) zu folgenden Ergebnissen:

"The majority of victims chose to participate in face-to-face meetings with the offender, when offered by a trained facilitator; 85% of victims who took part were satisfied with the process; RJ reduced the frequency of re-offending, leading to £9 savings for every £1 spent on restorative justice. Expert independent criminologists Professor Lawrence Sherman and Dr Heather Strang state that the reduction in the frequency of re-offending found in this research was 27% - that's 27% less crime, 27% fewer victims following RJ. - Alongside the Sentencing Green Paper in December 2010 the Government published their own further analysis of the data behind the Shapland reports, quantifying the size of the reduction in the frequency of re-offending following RJ as 14%."

Was unterscheidet die Normvalidierung durch Restorative Justice von der durch Strafe?

Vor allem konzentriert sich die Bearbeitung der Straftat nicht auf den Täter, sondern auf die gesamte Situation, wenn nicht sogar auf die den Konflikten zugrundeliegenden Strukturen (transformative justice). Das impliziert zugleich eine Entwicklung von der formalen Gleichheitsorientierung (alles über einen Kamm scheren) zur prinzipienorientierten Problemlösung (Kohlberg). Es impliziert eine Wertschätzung der Opfer und der Täter wie auch der sonst noch Betroffenen. Es geht um Aufarbeitung statt Aburteilung, um reintegrative Beschämung und gemeinsame Unterstützung von Geschädigten und Schädigern bei gemeinsamer Einforderung und Ermöglichung der Übernahme von Verantwortung. Auch in einem solchen Prozess werden Normen validiert, die geschieht dies auf nicht-punitive Art: nicht autoritär-plakativ für ein unbeteiligtes Massenpublikum, sondern konkret und nachhaltig für alle Beteiligten.

Die strafende Vernunft stellt im Grunde immer nur drei Fragen: Welches Gesetz wurde verletzt? Wer hat es getan? Wie ist er zu bestrafen? Man könnte aber auch fragen, wie es bei der Restorative Justice der Fall ist: Wer alles ist geschädigt worden? Welche Bedürfnisse haben die Opfer? Was muss geschehen? (Who has been hurt? What are their needs? What has to be done?).

Auch hier wird nach der Verantwortung des Täters gefragt, doch erfolgt dies im Kontext gemeinsamer Reflexion und nicht als Verurteilung durch eine Autorität, die in erster Linie an der Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols und nicht an der Wiederherstellung zwischenmenschlicher Beziehungen, an Wiedergutmachung und einer affektiven Beendigung verletzender Vorfälle interessiert ist.

Literatur

  • Amelung, Knut (1983) Die Einwilligung des Unfreien. Das Problem der Freiwilligkeit bei der Einwilligung eingesperrter Personen. In: ZStW 95(1983), 1-31.
  • Gratz, W (2007) Im Bauch des Gefängnisses. Beiträge zur Theorie und Praxis des Strafvollzuges. Wien, Graz: Neuer Wissenschaftsverlag.
  • Habermeyer, Elmar/ Andreas Mokros, Knut Vohs (2012) Sicherungsverwahrte und Patienten des psychiatrischen Maßregelvollzugs im Vergleich. R & P 30: 72 – 80 (online verfügbar).
  • Hassemer, Winfried (1982) Resozialisierung und Rechtsstaat. Kriminologisches Journal (KrimJ) 14 Jg. Heft 3, 1982: 161-166.
  • Nietzsche, Friedrich (1887) Genealogie der Moral, 2. Abh. Nr. 10.
  • Pecher, Willi (2004) "Therapie statt Training?" - Was können andere psychologische Ansätze? In: What Works? Neue Ansätze der Straffälligenhilfe auf dem Prüfstand. Cornel, H., Nickolai, W., Hg., Freiburg i.Br.: Lambertus, 98-121.
  • Pecher, Willi (2011) Behandlung antisozialer Persönlichkeiten in Sozialtherapeutischen Einrichtungen. KrimPäd 39, H 47: 29-36.
  • Ricoeur, Paul (206) Die drei Ebenen des medizinischen Urteils, in: Thomas S. Hoffmann und Walter Schweidler, Hg., Normkultur und Nutzenkultur. Berlin: de Gruyter, 520 ff.
  • Pleyer, Karl Heinz (1996) Schöne Dialoge in hässlichen Spielen. Überlegungen zum Zwang als Rahmen für Therapie. Zeitschrift für systemsiche Therapie 3: 186-196.
  • Schwind, H.-D., Böhm, A., Jehle, J.-M. & Laubenthal, K., Hg. (2009) Strafvollzugsgesetz - Bund und Länder. Kommentar, 5. geänderte und neu bearb. Aufl. Berlin: de Gruyter Recht.
  • Suhling, S. (2007) Positive Perspektiven in der Strafdtäterbehandlung - Warum zur Rückfallverhinderung mehr gehört als Risikomanagement. Forum Strafvollzug 56: 151-155.

Weblinks


siehe auch: Behandlung im Strafkontext: Funktion der Strafe

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