Beccaria-Schema: Unterschied zwischen den Versionen

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== Kritik ==
== Kritik ==
Die heutige Realität stellt - anders als vom Beccaria-Schema unterstellt - nicht die Realisierung der Ideale des Aufklärers dar. Die Todesstrafe ist ebenso wenig verschwunden wie die Folter. In vielen Fällen zeigt das Strafrecht "eine ungebremste, säkulare, rationale Grausamkeit, als hätte es Beccaria nie gegeben" (Naucke 2005: XVII).  
 
=== Selbstbetrug ===
Die heutige Realität stellt - anders als vom Beccaria-Schema unterstellt - nicht die Realisierung der Ideale des Aufklärers dar. Die Todesstrafe ist ebenso wenig verschwunden wie die Folter. In vielen Fällen zeigt das Strafrecht "eine ungebremste, säkulare, rationale Grausamkeit, als hätte es Beccaria nie gegeben" (Naucke 2005: XVII). Das Beccaria-Schema dient dazu, sich ein geschöntes Bild von der Realität zu machen und so zu tun, als sei alles in Ordnung.
 
 
=== Inhärente Schwächen von Beccarias Argumentation ===
Das Beccaria-Schema ist nicht vollkommen falsch, verabsolutiert aber gewisse Züge des Reformers, "verdinglicht" sie gewissermaßen und verdeckt vor allem entscheidende Widersprüche und Schwächen in der Begründung für "humane" Reformen des Strafrechts, die das Bild des Reformers deutlich verdunkeln. Letztlich nämlich wird die Humanisierung des Strafens als Königsweg der Effektivierung des Strafens legitimiert - Humanität ist also deshalb wünschenswert, weil sie auch nützlicher für die Gesellschaft ist. Das Problem dieser Begründung (von Peter Strasser als [[Beccaria-Falle]] bezeichnet) ist das unglückliche Verhältnis von Wert- und Zweckrationalität: der Wert der Humanität ist nur dann durchsetzungsfähig, wenn das Humane auch zugleich das Nützliche ist. Wo das aber nicht der Fall ist, geht dann (selbstverständlich) die Zweckmäßigkeit vor. Wenn der Verzicht auf die Todesstrafe zu einem rasanten Anstieg der Kriminalität führt - muss man dann die Todesstrafe nicht schleunigst wieder einführen? Das Beccaria-Schema vermeidet die Thematisierung dieses Problems zugunsten einer "monumentalischen" Historie, die das Vorbild verehrt, aber nicht analysiert.
Das Beccaria-Schema ist nicht vollkommen falsch, verabsolutiert aber gewisse Züge des Reformers, "verdinglicht" sie gewissermaßen und verdeckt vor allem entscheidende Widersprüche und Schwächen in der Begründung für "humane" Reformen des Strafrechts, die das Bild des Reformers deutlich verdunkeln. Letztlich nämlich wird die Humanisierung des Strafens als Königsweg der Effektivierung des Strafens legitimiert - Humanität ist also deshalb wünschenswert, weil sie auch nützlicher für die Gesellschaft ist. Das Problem dieser Begründung (von Peter Strasser als [[Beccaria-Falle]] bezeichnet) ist das unglückliche Verhältnis von Wert- und Zweckrationalität: der Wert der Humanität ist nur dann durchsetzungsfähig, wenn das Humane auch zugleich das Nützliche ist. Wo das aber nicht der Fall ist, geht dann (selbstverständlich) die Zweckmäßigkeit vor. Wenn der Verzicht auf die Todesstrafe zu einem rasanten Anstieg der Kriminalität führt - muss man dann die Todesstrafe nicht schleunigst wieder einführen? Das Beccaria-Schema vermeidet die Thematisierung dieses Problems zugunsten einer "monumentalischen" Historie, die das Vorbild verehrt, aber nicht analysiert.


"Es ist auffällig, dass Beccarias wohlklingende Ergebnisse überall nachzulesen sind, die Begründungen Beccarias für diese Ergebnisse jedoch vernachlässigt werden (...) Beccaria begründet seine bis heute weitergehenden strafrechtlichen Forderungen mit der natürlichen, nützlichen und wahren Funktionstüchtigkeit des Strafrechts, getragen vom Gefühl für Humanität" Dies freilich seien keine Begründungen, sondern nur "Abbildungen einer kriminalpolitischen Mentalität" (Naucke 2005: XIX).


Naucke selbst zieht folgendes Fazit:
=== Fazit ===
 
:Beccarias Strafrecht ist gesetzlich, relativ, rational, präventiv und säkular. Human ist es nicht. Kritisch ist es gegen ein nicht-säkulares, d.h. nicht-präventives Strafrechts. Diese Kritik hat keinen Gegenstand mehr. - Das rationale, relative, säkulare, präventive Strafrecht bei Beccaria und im Beccaria-Schema hat gegen sich selbst keine Möglichkeit der Kritik. 'Von den Verbrechen und von den Strafen' enthält die prinzipielle Strafrechtsbeurteilung nicht, die man in dieser Schrift sieht. Die elementaren Probleme des Strafrechts sind ungeklärt. Vielleicht hatm na sich zu sehr auf Beccaria verlassen. Das ist kein Einwand gegen Beccaria, aber gegen seine in Bewunderung verharrenden Interpreten" (2005: XLIII).


:Beccarias Strafrecht ist gesetzlich, relativ, rational, präventiv und säkular. Human ist es nicht. Kritisch ist es gegen ein nicht-säkulares, d.h. nicht-präventives Strafrechts. Diese Kritik hat keinen Gegenstand mehr. - Das rationale, relative, säkulare, präventive Strafrecht bei Beccaria und im Beccaria-Schema hat gegen sich selbst keine Möglichkeit der Kritik. 'Von den Verbrechen und von den Strafen' enthält die prinzipielle Strafrechtsbeurteilung nicht, die man in dieser Schrift sieht. Die elementaren Probleme des Strafrechts sind ungeklärt. Vielleicht hatm na sich zu sehr auf Beccaria verlassen. Das ist kein Einwand gegen Beccaria, aber gegen seine in Bewunderung verharrenden Interpreten" (Naucke 2005: XLIII).


== Literatur ==
== Literatur ==
*Naucke, Wolfgang  (2005) Einführung. In: Cesare Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen (1764). Aus dem Italienischen von Thomas Vormbaum. Berlin: BWV  I-XLVI).
*Naucke, Wolfgang  (2005) Einführung. In: Cesare Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen (1764). Aus dem Italienischen von Thomas Vormbaum. Berlin: BWV  I-XLVI).
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