Beccaria-Falle: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Ausdruck "Beccaria-Falle" - geprägt von Peter Strasser (1984: 190 ff.) - bezeichnet die paradoxe Situation, in die man bei dem Versuch gerät, einen humanen Umgang mit Straftätern (z.B. den Verzicht auf die [[Todesstrafe]]) mit Nützlichkeitsargumenten zu begründen. Strasser schreibt:
Der Ausdruck '''Beccaria-Falle''' - geprägt von Peter Strasser (1984: 190 ff.) - bezeichnet in der Kriminalpolitik den riskanten Versuch, die Überzeugungskraft ethischer Positionen (z.B. Verzicht auf die [[Todesstrafe]]) durch den Hinweis auf deren Nützlichkeit für die Gesellschaft zu verstärken. Tatsächlich argumentierte [[Cesare Beccaria]] in seinem Hauptwerk [[Dei delitti e delle pene]] durchgehend auf diese Weise. Dem folgte dann auch - noch weiter vereinfachend - die Rezeption seines Werkes, wo sich ein klar abgrenzbares [[Beccaria-Schema]] etablierte, das von [[Wolfgang Naucke]] analysiert und kritisiert wurde.  


::''"Das Argument, zu dem man Zuflucht nimmt, lautet: Die Humanisierung des [[Strafvollzug]]s diene in erster Linie nicht dem Rechtsbrecher selbst, sondern der Gesellschaft. Dadurch jedoch wird die Solidarität konditionalisiert, was bedeutet, sie wird in Wahrheit gar nicht in Anspruch genommen. Menschliche Solidarität heißt nämlich, sich auch dann noch menschlich gegenüber dem Delinquenten zu verhalten, wenn sich mit Bezug auf den Gesellschaftsschutz daraus keine Vorteile mehr ergeben."'' [1]
Peter Strasser (2001) schreibt zum Wesen dieser Problematik:
 
::''"Das Argument, zu dem man Zuflucht nimmt, lautet: Die Humanisierung des [[Strafvollzug]]s diene in erster Linie nicht dem Rechtsbrecher selbst, sondern der Gesellschaft. Dadurch jedoch wird die Solidarität konditionalisiert, was bedeutet, sie wird in Wahrheit gar nicht in Anspruch genommen. Menschliche Solidarität heißt nämlich, sich auch dann noch menschlich gegenüber dem Delinquenten zu verhalten, wenn sich mit Bezug auf den Gesellschaftsschutz daraus keine Vorteile mehr ergeben."''


Cesare Beccaria (1764) war vielleicht einer der ersten, die vehement für die Abschaffung der Todesstrafe plädierten und einerseits dafür Argumente der Humanität ins Feld führten - sicherheitshalber aber darauf hinwiesen, dass andere Formen der Bestrafung wie insbesondere die lebenslange »Strafknechtschaft« geeignet seien, die Qualen der Täters zu verlängern und die Öffentlichkeit viel mehr und nachhaltiger von Straftaten abzuschrecken. Um eine "Falle" handelt es sich, weil man das humanitäre Anliegen, das man verfolgt, durch diesen Rückbezug auf die soziale Nützlichkeit der Humanität gleichzeitig entwertet und vernichtet. Denn wenn sich Grausamkeit als sozial nützlicher erweisen sollte, hätte man kein Argument für den humanen Umgang mit Straftätern mehr. Dieser Argumentationsfalle entgingen weder der klassisch-aufklärerische Diskurs noch der sozialreformerische Diskurs der europäischen Strafrechtsreformbewegung unter Franz v. Liszt noch der psychoanalytische Diskurs von "Therapie statt Strafe". In Drogentherapien wurden Straftherapien sogar dadurch legitimiert, dass sie härtere Bedingungen beinhalteten als z.B. das Strafvollzugsgesetz für den Regelvollzug vorsah.  
Cesare Beccaria (1764) war vielleicht einer der ersten, die vehement für die Abschaffung der Todesstrafe plädierten und einerseits dafür Argumente der Humanität ins Feld führten - sicherheitshalber aber darauf hinwiesen, dass andere Formen der Bestrafung wie insbesondere die lebenslange »Strafknechtschaft« geeignet seien, die Qualen der Täters zu verlängern und die Öffentlichkeit viel mehr und nachhaltiger von Straftaten abzuschrecken. Um eine "Falle" handelt es sich, weil man das humanitäre Anliegen, das man verfolgt, durch diesen Rückbezug auf die soziale Nützlichkeit der Humanität gleichzeitig entwertet und vernichtet. Denn wenn sich Grausamkeit als sozial nützlicher erweisen sollte, hätte man kein Argument für den humanen Umgang mit Straftätern mehr. Dieser Argumentationsfalle entgingen weder der klassisch-aufklärerische Diskurs noch der sozialreformerische Diskurs der europäischen Strafrechtsreformbewegung unter Franz v. Liszt noch der psychoanalytische Diskurs von "Therapie statt Strafe". In Drogentherapien wurden Straftherapien sogar dadurch legitimiert, dass sie härtere Bedingungen beinhalteten als z.B. das Strafvollzugsgesetz für den Regelvollzug vorsah.  
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Peter Strasser argumentiert so: "Das Menschenmögliche ist uns allen möglich. Dazu gehört auch die Krankheit. Der Kranke ist immer noch einer von uns. Und so lautet der Grundsatz der therapeutischen Kriminologie, dass der Asoziale kein geborener Verbrecher ist. Er ist konstitutionell nicht einer, der nicht zu uns gehört. Vielmehr ist er einer, der das Pech hatte, als Kind unter den Einfluss psychopathologischer Faktoren zu geraten, woraus sich im Laufe der Zeit, verstärkt durch ungünstige Umweltbedingungen, kriminelle Neigungen entwickelten."
Peter Strasser argumentiert so: "Das Menschenmögliche ist uns allen möglich. Dazu gehört auch die Krankheit. Der Kranke ist immer noch einer von uns. Und so lautet der Grundsatz der therapeutischen Kriminologie, dass der Asoziale kein geborener Verbrecher ist. Er ist konstitutionell nicht einer, der nicht zu uns gehört. Vielmehr ist er einer, der das Pech hatte, als Kind unter den Einfluss psychopathologischer Faktoren zu geraten, woraus sich im Laufe der Zeit, verstärkt durch ungünstige Umweltbedingungen, kriminelle Neigungen entwickelten."
== Einzelnachweise ==
(1) Strasser, Peter (2001) Das Ende der Solidarität. Bemerkungen zum Umgang mit Außenseitern um die Jahrtausendwende. Recht & Psychiatrie Heft 2: 63-69. http://www.forensik-herne.de/html/literatur/strap01a.html#oben




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