Beccaria-Falle

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Der Ausdruck Beccaria-Falle - geprägt von Peter Strasser (1984: 190 ff.) - bezeichnet in der Kriminalpolitik den riskanten Versuch, die Überzeugungskraft ethischer Positionen (z.B. Verzicht auf die Todesstrafe) durch den Hinweis auf deren Nützlichkeit für die Gesellschaft zu verstärken. Tatsächlich argumentierte Cesare Beccaria in seinem Hauptwerk Dei delitti e delle pene durchgehend auf diese Weise. Dem folgte dann auch - noch weiter vereinfachend - die Rezeption seines Werkes, wo sich ein klar abgrenzbares Beccaria-Schema etablierte, das von Wolfgang Naucke analysiert und kritisiert wurde.

Peter Strasser (2001) schreibt zum Wesen dieser Problematik:

"Das Argument, zu dem man Zuflucht nimmt, lautet: Die Humanisierung des Strafvollzugs diene in erster Linie nicht dem Rechtsbrecher selbst, sondern der Gesellschaft. Dadurch jedoch wird die Solidarität konditionalisiert, was bedeutet, sie wird in Wahrheit gar nicht in Anspruch genommen. Menschliche Solidarität heißt nämlich, sich auch dann noch menschlich gegenüber dem Delinquenten zu verhalten, wenn sich mit Bezug auf den Gesellschaftsschutz daraus keine Vorteile mehr ergeben."

Cesare Beccaria (1764) war vielleicht einer der ersten, die vehement für die Abschaffung der Todesstrafe plädierten und einerseits dafür Argumente der Humanität ins Feld führten - sicherheitshalber aber darauf hinwiesen, dass andere Formen der Bestrafung wie insbesondere die lebenslange »Strafknechtschaft« geeignet seien, die Qualen der Täters zu verlängern und die Öffentlichkeit viel mehr und nachhaltiger von Straftaten abzuschrecken. Um eine "Falle" handelt es sich, weil man das humanitäre Anliegen, das man verfolgt, durch diesen Rückbezug auf die soziale Nützlichkeit der Humanität gleichzeitig entwertet und vernichtet. Denn wenn sich Grausamkeit als sozial nützlicher erweisen sollte, hätte man kein Argument für den humanen Umgang mit Straftätern mehr. Dieser Argumentationsfalle entgingen weder der klassisch-aufklärerische Diskurs noch der sozialreformerische Diskurs der europäischen Strafrechtsreformbewegung unter Franz v. Liszt noch der psychoanalytische Diskurs von "Therapie statt Strafe". In Drogentherapien wurden Straftherapien sogar dadurch legitimiert, dass sie härtere Bedingungen beinhalteten als z.B. das Strafvollzugsgesetz für den Regelvollzug vorsah.

Für Strasser wäre der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ein selbstbewußt-wertrationales Argument des Wertes der Humanität an sich. Empirisch unterlegen ließe es sich mit dem Befund, dass der abweichende Mensch ein Mensch wie du und ich sei, dass gewissermaßen jede/r von uns unter bestimmten Bedingungen zu einem Dieb, Mörder, Frauenschänder und/oder politischen Verbrecher werden könnte, so wie jede/r eine Erkältung bekommen könnte.

Peter Strasser argumentiert so: "Das Menschenmögliche ist uns allen möglich. Dazu gehört auch die Krankheit. Der Kranke ist immer noch einer von uns. Und so lautet der Grundsatz der therapeutischen Kriminologie, dass der Asoziale kein geborener Verbrecher ist. Er ist konstitutionell nicht einer, der nicht zu uns gehört. Vielmehr ist er einer, der das Pech hatte, als Kind unter den Einfluss psychopathologischer Faktoren zu geraten, woraus sich im Laufe der Zeit, verstärkt durch ungünstige Umweltbedingungen, kriminelle Neigungen entwickelten."


Literatur

  • Strasser, Peter (1984) Verbrechermenschen. Frankfurt/New York: Campus.