Autorenerkennung/linguistische Analyse von Täterschreiben: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Autorenerkennung''' ist - als relativ junge kriminaltechnische Disziplin, die sprachwissenschaftliches Können erfordert - die Durchführung einer linguistischen Textanalyse (z.B. von Erpresser- oder Bekennerschreiben) zur Bestimmung der Identität des Autors oder der Autorin, daneben möglicherweise aber auch zur Ermittlung der Motivation oder der Ernsthaftigkeit eines Schreibens. Die Methode macht man sich den Widerspruch zunutze, dass die Begehung mancher Delikte einerseits voraussetzt, dass der Täter anonym bleibt, andererseits aber auch, dass er mit dem Opfer in eine kommunikative Beziehung tritt. Eine Autorenerkennung sucht nach "sprachlichen Spuren", aus denen sich ermitteln lässt, wer der Autor (Täter) ist und in welcher Gegend, welchen Kreisen etc. er zu suchen ist. Angewandt wird die Methode nicht nur in polizeilichen Ermittlungsverfahren und gerichtlichen Hauptverhandlungen, sondern auch in privaten Unternehmen. In Deutschland ist die Disziplin der Autorenerkennung u.a. beim Bundeskriminalamt (http://www.bka.de) etabliert und in der dortigen Abteilung KT (Kriminaltechnisches Institut - Spracherkennung) angesiedelt.
 
'''Autorenerkennung'''
 
Linguistische Textanalyse
 
== Inhaltsverzeichnis==
 
 
 
=== Begriffsdefinition und Einordnung ===
Definition: Autorenkennung ist die linguistische (sprachliche) Bewertung fraglicher schriftlicher Texte deren Urheberschaft zweifelhaft oder anonym ist, in forensischer, kriminalistischer oder in sonst einer Form sicherheitsrelevanter Kontexten.
 
Durch die Autorenkennung erfolgt eine linguistische Bewertung von anonymen oder fraglichen schriftsprachlicher Texte. Dies geschieht auf den Arbeitsgebieten der Sprache und des Rechts.
Das Anwendungsgebiet beschränkt sich nicht nur auf polizeiliche Ermittlungsverfahren oder der gerichtlichen Hauptverhandlung, sondern auch in privaten Unternehmen. Die Möglichkeiten der Autorenkennung beziehungsweise der linguistischen Tatschreibanalyse sind jedoch nicht mit der Erkennung des Autors ausgeschöpft, sondern vermag auch die Beantwortung von „begleitenden“ Fragestellungen. So kann die junge Wissenschaft auch entscheidende Aussagen bezüglich der Ernsthaftigkeit eines Schreibens treffen sowie Hinweise auf die Motivation des Täters liefern. Durch die Bereitstellung und Interpretation von sprachlichen Spuren leistet der Linguist sehr wichtige Hilfestellungen zu Beginn einer Ermittlungsphase, hängen von ihr doch die Einleitung von kostspieligen und personalintensiven Folgemaßnahmen ab. Die dem Linguisten zugedachte Rolle gleicht dabei der eines Vermittlers, welcher die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Methodik den eingebundenen Akteuren veranschaulicht und eine angemessene Deutung der sprachlichen Spuren garantieren soll.
 
Mittlerweile ist die Disziplin der Autorenkennung beim Bundeskriminalamt (BKA) etabliert und beim dortigen Kriminaltechnischen Institut (Sachgebiet "Schrift, Sprache, Stimme") angesiedelt. Wie bei (jungen) Wissenschaften geboten, bedarf die Autorenkennung des ständigen Austauschs mit Universitäten und Forschungsinstitutionen, um eine weitere Entwicklung zu fördern und deren Fortbestand zu gewährleisten.  


=== Ansätze und Verfahren ===
=== Ansätze und Verfahren ===


== Linguistischer und kriminalistischer Ansatz ==
==== Linguistischer und kriminalistischer Ansatz ====
 
Die Beachtung bestimmter wissenschaftlicher Grundlagen bei der Arbeit des Linguisten im Rahmen der Autorenkennung ist essentiell. Da der Linguist als Vermittler zwischen Theorie und Praxis fungiert, gehört es zu seinen Aufgaben gegenüber dem Laien jene wissenschaftliche Konzepte verständlich auszudrücken.
Als solches wissenschaftliches Konzept gilt die Darstellung des Textes an sich sowie die des Textstils. Zudem zählt das Verhältnis vom geschriebenen Text zur gesprochenen Sprache genauso zu den Grundkonzepten wie die große Vielfalt der deutschen Sprache, die dem Textverfasser einerseits eine gewisse Bandbreite an Möglichkeiten bietet, andererseits seitens des Analysten eine Einordnung in nicht sprachliche Kontexte wie Biografie und Geografie erlaubt, welche herauszuarbeiten sind. Als weitere Option eröffnet sich für den Textanalysten bei der Beurteilung eines Textes, ob sich der Verfasser an bestimmten Textsorten und deren Formulierungsschemata orientiert hat und ob sich daraus einschränkende Faktoren bei der Textverfassung ergeben. Als weiterer Stützpfeiler bei der analytischen Vorgehensweise dient dem Linguisten der aus der praktischen Arbeit erworbenen Erfahrungsschatz. Als Beispiel wäre hier die grundsätzliche Annahme zu nennen, dass typische individuelle sprachliche Ausdrucksformen Rückschlüsse auf die Autobiografie des Textverfassers sowie dessen Situation zum Zeitpunkt der Texterstellung erlauben.
Eine strukturierte und nachverfolgbare Vorgehensweise bei der Analyse zur Autorenerkennung sollte die genannten Grundkonzepte implizieren. Aufbauend auf diesen Grundkonzepten erfolgt zunächst die Unterscheidung der Textanalyse und des Textvergleichs. Der Textvergleich basiert auf zumindest zwei Textanalysen, welche der Befunderhebung und Befundbeschreibung dienen. Es folgt die zentrale und eigentliche Aufgabe des Linguisten: Die Befundbewertung und dessen Interpretation. Zur Grundlage der Befundbewertung sollten in erster Linie aus der wissenschaftlichen Literatur gewonnene Erkenntnisse dienen. Ein zu starkes Aufbauen auf Erfahrungswerte sollte jedoch vermieden werden, schmälert es doch die Aussagekraft in einem nicht unerheblichen Maße.  Ein besonderes Augenmerk gebührt stets dem Versuch des Textverfassers, sein geschriebenes Sprachvermögen zu ver- und entstellen. Bei dieser anspruchsvollen und nicht zu unterschätzenden Aufgabe stützt sich der Linguist auf eine gewissenhafte und sorgfältige Musterung der Befundanalyse sowie die aus der empirischen Forschung zu erwartenden Verstellungsmethoden.
Die Arbeit des Linguisten erfolgt in der Regel Hand in Hand mit dem Kriminalisten. Dieser konzentriert seine Aufmerksamkeit jedoch eher auf Hinweise zur Erlangung der Gefährlichkeit, der Professionalität und der Persönlichkeit des Textverfassers. Weiterhin versucht der Kriminalist, die durch die Texterstellung getroffenen Entscheidungen zu verstehen und auf dieser Grundlage von Erwartbarkeit zukünftiger Tathandlungen eine Hypothesenbildung vorzunehmen. Die Vorgehensweisen in den jeweiligen Fachgebieten des Linguisten und des Kriminalisten sind sich sehr ähnlich. Durch das Zusammenwirken beider Disziplinen werden Synergieeffekte erzielt, die einen tatsächlichen Gewinn für jede der Wissenschaften darstellen und der jeweiligen Weiterentwicklung dienen.
 


Die Beachtung bestimmter wissenschaftlicher Grundlagen bei der Arbeit des Linguisten im Rahmen der Autorenerkennung ist essentiell. Da der Linguist als Vermittler zwischen Theorie und Praxis fungiert, gehört es zu seinen Aufgaben jene wissenschaftliche Konzepte gegenüber dem Laien verständlich auszudrücken.
Als solches wissenschaftliches Konzept gilt die Darstellung des Textes an sich sowie die des Textstils. Zudem zählt die Herausarbeitung des Verhältnisses vom geschriebenen Text zur gesprochenen Sprache genauso zu den Grundkonzepten wie die große Bedeutung des Variantenreichtums der deutschen Sprache, die dem Textverfasser zum einen eine gewisse Bandbreite an Möglichkeiten bietet, zum anderen seitens des Analysten eine Einordnung in nicht sprachliche Kontexte wie Lebenslauf und lokales Umfeld erlaubt, welche herauszuarbeiten sind. Als Stützpfeiler bei der analytischen Vorgehensweise dient dem Linguisten der aus der praktischen Arbeit erworbenen Erfahrungsschatz. Zum Beispiel wäre hier die grundsätzliche Annahme zu nennen, dass typische individuelle sprachliche Ausdrucksformen Rückschlüsse auf die Autobiografie des Textverfassers sowie dessen persönliche Situation zum Zeitpunkt der Texterstellung erlauben. Ob sich der Verfasser an bestimmten Textsorten und deren Formulierungsschemata orientiert und ob sich daraus einschränkende Faktoren bei der Textverfassung ergeben, stellt eine weiter Möglichkeit für den Textanalysten bei der Beurteilung eines Textes dar.
Eine strukturierte und nachverfolgbare Vorgehensweise bei der Analyse zur Autorenerkennung sollte die genannten Grundkonzepte implizieren. Aufbauend auf diesen Grundkonzepten erfolgt zunächst die Textanalyse des fraglichen Schreibens und darauf basierend die Befunderhebung. Es folgt die zentrale und eigentliche Aufgabe des Linguisten: Die Befundbewertung und dessen Interpretation. Zur Grundlage der Befundbewertung sollten in erster Linie aus der wissenschaftlichen Literatur gewonnene Erkenntnisse herangezogen werden. Ein zu starkes Aufbauen auf Erfahrungswerte bei der Befundinterpretation sollte jedoch vermieden werden, schmälert es doch die Aussagekraft in einem nicht unerheblichen Maße. 
Ein besonderes Augenmerk gebührt stets dem Versuch des Textverfassers, sein geschriebenes Sprachvermögen zu ver- und entstellen. Bei dieser anspruchsvollen und nicht zu unterschätzenden Aufgabe stützt sich der Linguist auf eine gewissenhafte und sorgfältige Musterung der Textanalyse sowie die aus der empirischen Forschung zu erwartenden Verstellungsmethoden.
Die Arbeit des Linguisten erfolgt in der Regel Hand in Hand mit dem Kriminalisten. Dieser konzentriert seine Aufmerksamkeit jedoch eher auf Hinweise zur Erlangung der Gefährlichkeit, der Professionalität und der Persönlichkeit des Textverfassers. Weiterhin versucht der Kriminalist, die durch die Texterstellung getroffenen Entscheidungen zu verstehen und auf dieser Grundlage von Erwartbarkeit zukünftiger Tathandlungen eine Hypothesenbildung vorzunehmen. Die Vorgehensweisen in den jeweiligen Fachgebieten des Linguisten und des Kriminalisten sind sich sehr ähnlich. Durch das Zusammenwirken beider Disziplinen werden Synergieeffekte erzielt, die einen tatsächlichen Gewinn für jede der Wissenschaften darstellen und der jeweiligen Weiterentwicklung dienen.


==== Erpresserbriefe und ihre Bewertung ====


Das Erpressungsschreiben zählt zu den Klassikern zu bewertender Tatschreiben im Rahmen der Autorenerkennung. Deren Inhalte orientieren sich am typischen Charakter einer Erpressung und richten sich nach den drei Phasen der Kontaktaufnahme, den Verhandlungen und der Übergabe. Das Wesen eines Erpressungsablaufs beinhaltet das Verfassen eines Erpressungsschreibens, welche die entsprechende Forderung, die Drohung sowie die Verhandlungs- und Übergabemodalitäten enthalten müssen. Ein „Muster“ über die sprachliche Ausführung besteht nicht und somit existiert eine große Gestaltungsvielfalt. Dies ist zum einen darin begründet, dass seitens des Verfassers von keiner „gütlichen“ Einigung ausgegangen wird und zum anderen ein großes Machtgefälle zwischen Verfasser und Empfänger des Erpressungsschreibens vorhanden ist. Diese Formlosigkeit verlangt dem Autor ein relativ hohes Maß an Einfallsreichtum ab. Die in Erpressungsschreiben immer wiederkehrenden Elemente ergeben sich mehr aus den gebotenen Sachzwängen, welche der Phänomenologie der Erpressung geschuldet ist, weniger aus dem strengen Befolgen einer festen Vorlage. Der klassische Verläufe einer schriftsprachlichen Erpressung ist die erpresserische Briefserie, bei der eine Aufteilung in ein Initial- und in Folgeschreiben erfolgt. Das Erscheinen eines einzelnen Erpressungsschreibens ist untypisch und stellt die Ausnahme dar, kann deshalb nur als Teilstück einer Serie gesehen werden.
Die Bewertung einer erpresserischen Briefserie erfordert eine Unterscheidung in zwei verschiedene Einzelkomplexe. Zum einen die der erwartbaren Verhaltensweisen und zum anderen die weniger zu erwartbaren Verhaltensweisen. Letztgenannte lässt sich aus der eigenen Lösungsvorhaben beziehungsweise -strategie des Autors ableiten und trägt dessen individuelle Züge.
Es ist daher anzuraten, im Rahmen der Bewertung von fraglichen Schreiben das Augenmerk auf die Formulierungen zur Verwirklichung möglicher (Teil)Handlungen zu richten. Gerade in diesem Bereich wird dem Autor sprachliche Kreativität abverlangt, welche sprachliche Verhaltensweisen eher wiedergeben als brieftypische Formulierungsmuster. Des Weiteren erfahren in diesen Textpassagen auch spezifische Herangehensweisen und Konzeptarten eines Autors ihre Realisierung, welche in Relation zu sprachlichen Erscheinungen im Rahmen der linguistischen Analyse auffallend sein können. Gerade dies kann für die weiteren Ermittlungen von unschätzbarer Wichtigkeit sein.


== Erpresserbriefe und ihre Bewertung ==
== Literatur ==  


Das Erpressungsschreiben zählt zu den Klassikern zu bewertender Tatschreiben im Rahmen der Autorenkennung. Deren Inhalte orientieren sich am typischen Charakter einer Erpressung und richten sich nach den drei Phasen der Kontaktaufnahme, den Verhandlungen und der Übergabe. Das Wesen eines Erpressungsablaufs beinhaltet das Verfassen eines Erpressungsschreibens, welche die entsprechende Forderung, die Drohung sowie die Verhandlungs- und Übergabemodalitäten enthalten müssen. Ein „Muster“ über die sprachliche Ausführung besteht nicht und somit existiert eine große Gestaltungsvielfalt. Dies ist zum einen darin begründet, dass seitens des Verfassers von keiner „gütlichen“ Einigung ausgegangen wird und zum anderen ein großes Machtgefälle zwischen Sender und Empfänger vorhanden ist. Diese Formlosigkeit verlangt dem Autor ein relativ hohes Maß an Einfallsreichtum ab. (Aufgrund der Vielfalt an individuellen Formulierungen und Kreativität ist es – trotz anders lautenden Bezeichnungen, auch in der Fachliteratur – problematisch, ein solches anonymes Tatschreiben als Erpresserbrief zu bezeichnen.) Die in Erpressungsschreiben immer wiederkehrenden Elemente ergeben sich mehr aus den gebotenen Sachzwängen, welche der Phänomenologie der Erpressung geschuldet ist, weniger aus dem strengen Befolgen einer festen Vorlage. Der klassische Verläufe einer schriftsprachlichen Erpressung ist die erpresserische Briefserie, bei der eine Aufteilung in ein Initial- und in Folgeschreiben erfolgt. Das Erscheinen eines einzelnen Erpressungsschreibens ist untypisch und stellt die Ausnahme dar, kann deshalb nur als Teilstück einer Serie gesehen werden.
Die Bewertung einer erpresserischen Briefserie erfordert eine Unterscheidung in zwei verschiedene Einzelkomplexe. Zum einen die der erwartbaren Verhaltensweisen und zum anderen die weniger zu erwartbaren Verhaltensweisen. Letztgenannte lässt sich aus der eigenen Lösungsvorhaben beziehungsweise -strategie des Autors ableiten und dessen individuelle Züge trägt.
Es ist anzuraten, im Rahmen der Bewertung von fraglichen Schreiben das Augenmerk auf die sprachliche Verwirklichung möglicher (Teil)Handlungen zu richten. Gerade in dessen Bereich wird dem Autor sprachlicher Einfallsreichtum abverlangt, welches sprachliche Verhaltensweisen eher wiedergeben als Brief typische Formulierungsmuster. Des Weiteren erfahren in diesen Textpassagen auch spezifische Herangehensweisen und Konzeptarten eines Autors ihre Realisierung, welche in Relation zu sprachlichen Erscheinungen im Rahmen der linguistischen Analyse auffallend sein können, was für die weiteren Ermittlungen von unschätzbarer Wichtigkeit sein kann.


== Literatur: == Arbeitsbuch Linguistik - Eine Einführung in die Sprachwissenschaft, Horst M. Müller; Autorenkennung, Dern; Analyse eines Erpresserschreibens, Heike Würstl
*Dern, Christa (2009) Autorenerkennung. Theorie und Praxis der linguistischen Tatschreibenanalyse. Stuttgart: Boorberg.
*Würstl, Heike (2004) Analyse eines Erpresserschreibens. Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft.

Aktuelle Version vom 16. März 2012, 00:09 Uhr

Autorenerkennung ist - als relativ junge kriminaltechnische Disziplin, die sprachwissenschaftliches Können erfordert - die Durchführung einer linguistischen Textanalyse (z.B. von Erpresser- oder Bekennerschreiben) zur Bestimmung der Identität des Autors oder der Autorin, daneben möglicherweise aber auch zur Ermittlung der Motivation oder der Ernsthaftigkeit eines Schreibens. Die Methode macht man sich den Widerspruch zunutze, dass die Begehung mancher Delikte einerseits voraussetzt, dass der Täter anonym bleibt, andererseits aber auch, dass er mit dem Opfer in eine kommunikative Beziehung tritt. Eine Autorenerkennung sucht nach "sprachlichen Spuren", aus denen sich ermitteln lässt, wer der Autor (Täter) ist und in welcher Gegend, welchen Kreisen etc. er zu suchen ist. Angewandt wird die Methode nicht nur in polizeilichen Ermittlungsverfahren und gerichtlichen Hauptverhandlungen, sondern auch in privaten Unternehmen. In Deutschland ist die Disziplin der Autorenerkennung u.a. beim Bundeskriminalamt (http://www.bka.de) etabliert und in der dortigen Abteilung KT (Kriminaltechnisches Institut - Spracherkennung) angesiedelt.

Ansätze und Verfahren

Linguistischer und kriminalistischer Ansatz

Die Beachtung bestimmter wissenschaftlicher Grundlagen bei der Arbeit des Linguisten im Rahmen der Autorenerkennung ist essentiell. Da der Linguist als Vermittler zwischen Theorie und Praxis fungiert, gehört es zu seinen Aufgaben jene wissenschaftliche Konzepte gegenüber dem Laien verständlich auszudrücken. Als solches wissenschaftliches Konzept gilt die Darstellung des Textes an sich sowie die des Textstils. Zudem zählt die Herausarbeitung des Verhältnisses vom geschriebenen Text zur gesprochenen Sprache genauso zu den Grundkonzepten wie die große Bedeutung des Variantenreichtums der deutschen Sprache, die dem Textverfasser zum einen eine gewisse Bandbreite an Möglichkeiten bietet, zum anderen seitens des Analysten eine Einordnung in nicht sprachliche Kontexte wie Lebenslauf und lokales Umfeld erlaubt, welche herauszuarbeiten sind. Als Stützpfeiler bei der analytischen Vorgehensweise dient dem Linguisten der aus der praktischen Arbeit erworbenen Erfahrungsschatz. Zum Beispiel wäre hier die grundsätzliche Annahme zu nennen, dass typische individuelle sprachliche Ausdrucksformen Rückschlüsse auf die Autobiografie des Textverfassers sowie dessen persönliche Situation zum Zeitpunkt der Texterstellung erlauben. Ob sich der Verfasser an bestimmten Textsorten und deren Formulierungsschemata orientiert und ob sich daraus einschränkende Faktoren bei der Textverfassung ergeben, stellt eine weiter Möglichkeit für den Textanalysten bei der Beurteilung eines Textes dar. Eine strukturierte und nachverfolgbare Vorgehensweise bei der Analyse zur Autorenerkennung sollte die genannten Grundkonzepte implizieren. Aufbauend auf diesen Grundkonzepten erfolgt zunächst die Textanalyse des fraglichen Schreibens und darauf basierend die Befunderhebung. Es folgt die zentrale und eigentliche Aufgabe des Linguisten: Die Befundbewertung und dessen Interpretation. Zur Grundlage der Befundbewertung sollten in erster Linie aus der wissenschaftlichen Literatur gewonnene Erkenntnisse herangezogen werden. Ein zu starkes Aufbauen auf Erfahrungswerte bei der Befundinterpretation sollte jedoch vermieden werden, schmälert es doch die Aussagekraft in einem nicht unerheblichen Maße. Ein besonderes Augenmerk gebührt stets dem Versuch des Textverfassers, sein geschriebenes Sprachvermögen zu ver- und entstellen. Bei dieser anspruchsvollen und nicht zu unterschätzenden Aufgabe stützt sich der Linguist auf eine gewissenhafte und sorgfältige Musterung der Textanalyse sowie die aus der empirischen Forschung zu erwartenden Verstellungsmethoden.

Die Arbeit des Linguisten erfolgt in der Regel Hand in Hand mit dem Kriminalisten. Dieser konzentriert seine Aufmerksamkeit jedoch eher auf Hinweise zur Erlangung der Gefährlichkeit, der Professionalität und der Persönlichkeit des Textverfassers. Weiterhin versucht der Kriminalist, die durch die Texterstellung getroffenen Entscheidungen zu verstehen und auf dieser Grundlage von Erwartbarkeit zukünftiger Tathandlungen eine Hypothesenbildung vorzunehmen. Die Vorgehensweisen in den jeweiligen Fachgebieten des Linguisten und des Kriminalisten sind sich sehr ähnlich. Durch das Zusammenwirken beider Disziplinen werden Synergieeffekte erzielt, die einen tatsächlichen Gewinn für jede der Wissenschaften darstellen und der jeweiligen Weiterentwicklung dienen.

Erpresserbriefe und ihre Bewertung

Das Erpressungsschreiben zählt zu den Klassikern zu bewertender Tatschreiben im Rahmen der Autorenerkennung. Deren Inhalte orientieren sich am typischen Charakter einer Erpressung und richten sich nach den drei Phasen der Kontaktaufnahme, den Verhandlungen und der Übergabe. Das Wesen eines Erpressungsablaufs beinhaltet das Verfassen eines Erpressungsschreibens, welche die entsprechende Forderung, die Drohung sowie die Verhandlungs- und Übergabemodalitäten enthalten müssen. Ein „Muster“ über die sprachliche Ausführung besteht nicht und somit existiert eine große Gestaltungsvielfalt. Dies ist zum einen darin begründet, dass seitens des Verfassers von keiner „gütlichen“ Einigung ausgegangen wird und zum anderen ein großes Machtgefälle zwischen Verfasser und Empfänger des Erpressungsschreibens vorhanden ist. Diese Formlosigkeit verlangt dem Autor ein relativ hohes Maß an Einfallsreichtum ab. Die in Erpressungsschreiben immer wiederkehrenden Elemente ergeben sich mehr aus den gebotenen Sachzwängen, welche der Phänomenologie der Erpressung geschuldet ist, weniger aus dem strengen Befolgen einer festen Vorlage. Der klassische Verläufe einer schriftsprachlichen Erpressung ist die erpresserische Briefserie, bei der eine Aufteilung in ein Initial- und in Folgeschreiben erfolgt. Das Erscheinen eines einzelnen Erpressungsschreibens ist untypisch und stellt die Ausnahme dar, kann deshalb nur als Teilstück einer Serie gesehen werden. Die Bewertung einer erpresserischen Briefserie erfordert eine Unterscheidung in zwei verschiedene Einzelkomplexe. Zum einen die der erwartbaren Verhaltensweisen und zum anderen die weniger zu erwartbaren Verhaltensweisen. Letztgenannte lässt sich aus der eigenen Lösungsvorhaben beziehungsweise -strategie des Autors ableiten und trägt dessen individuelle Züge. Es ist daher anzuraten, im Rahmen der Bewertung von fraglichen Schreiben das Augenmerk auf die Formulierungen zur Verwirklichung möglicher (Teil)Handlungen zu richten. Gerade in diesem Bereich wird dem Autor sprachliche Kreativität abverlangt, welche sprachliche Verhaltensweisen eher wiedergeben als brieftypische Formulierungsmuster. Des Weiteren erfahren in diesen Textpassagen auch spezifische Herangehensweisen und Konzeptarten eines Autors ihre Realisierung, welche in Relation zu sprachlichen Erscheinungen im Rahmen der linguistischen Analyse auffallend sein können. Gerade dies kann für die weiteren Ermittlungen von unschätzbarer Wichtigkeit sein.

Literatur

  • Dern, Christa (2009) Autorenerkennung. Theorie und Praxis der linguistischen Tatschreibenanalyse. Stuttgart: Boorberg.
  • Würstl, Heike (2004) Analyse eines Erpresserschreibens. Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft.