Autorenerkennung/linguistische Analyse von Täterschreiben

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Autorenerkennung ist - als relativ junge kriminaltechnische Disziplin, die sprachwissenschaftliches Können erfordert - die Durchführung einer linguistischen Textanalyse (z.B. von Erpresser- oder Bekennerschreiben) zur Bestimmung der Identität des Autors oder der Autorin, daneben möglicherweise aber auch zur Ermittlung der Motivation oder der Ernsthaftigkeit eines Schreibens. Die Methode macht man sich den Widerspruch zunutze, dass die Begehung mancher Delikte einerseits voraussetzt, dass der Täter anonym bleibt, andererseits aber auch, dass er mit dem Opfer in eine kommunikative Beziehung tritt. Eine Autorenerkennung sucht nach "sprachlichen Spuren", aus denen sich ermitteln lässt, wer der Autor (Täter) ist und in welcher Gegend, welchen Kreisen etc. er zu suchen ist. Angewandt wird die Methode nicht nur in polizeilichen Ermittlungsverfahren und gerichtlichen Hauptverhandlungen, sondern auch in privaten Unternehmen. In Deutschland ist die Disziplin der Autorenerkennung u.a. beim Bundeskriminalamt (http://www.bka.de) etabliert und in der dortigen Abteilung KT (Kriminaltechnisches Institut - Spracherkennung) angesiedelt.

Ansätze und Verfahren

Linguistischer und kriminalistischer Ansatz

Die Beachtung bestimmter wissenschaftlicher Grundlagen bei der Arbeit des Linguisten im Rahmen der Autorenerkennung ist essentiell. Da der Linguist als Vermittler zwischen Theorie und Praxis fungiert, gehört es zu seinen Aufgaben jene wissenschaftliche Konzepte gegenüber dem Laien verständlich auszudrücken. Als solches wissenschaftliches Konzept gilt die Darstellung des Textes an sich sowie die des Textstils. Zudem zählt die Herausarbeitung des Verhältnisses vom geschriebenen Text zur gesprochenen Sprache genauso zu den Grundkonzepten wie die große Bedeutung des Variantenreichtums der deutschen Sprache, die dem Textverfasser zum einen eine gewisse Bandbreite an Möglichkeiten bietet, zum anderen seitens des Analysten eine Einordnung in nicht sprachliche Kontexte wie Lebenslauf und lokales Umfeld erlaubt, welche herauszuarbeiten sind. Als Stützpfeiler bei der analytischen Vorgehensweise dient dem Linguisten der aus der praktischen Arbeit erworbenen Erfahrungsschatz. Zum Beispiel wäre hier die grundsätzliche Annahme zu nennen, dass typische individuelle sprachliche Ausdrucksformen Rückschlüsse auf die Autobiografie des Textverfassers sowie dessen persönliche Situation zum Zeitpunkt der Texterstellung erlauben. Ob sich der Verfasser an bestimmten Textsorten und deren Formulierungsschemata orientiert und ob sich daraus einschränkende Faktoren bei der Textverfassung ergeben, stellt eine weiter Möglichkeit für den Textanalysten bei der Beurteilung eines Textes dar. Eine strukturierte und nachverfolgbare Vorgehensweise bei der Analyse zur Autorenerkennung sollte die genannten Grundkonzepte implizieren. Aufbauend auf diesen Grundkonzepten erfolgt zunächst die Textanalyse des fraglichen Schreibens und darauf basierend die Befunderhebung. Es folgt die zentrale und eigentliche Aufgabe des Linguisten: Die Befundbewertung und dessen Interpretation. Zur Grundlage der Befundbewertung sollten in erster Linie aus der wissenschaftlichen Literatur gewonnene Erkenntnisse herangezogen werden. Ein zu starkes Aufbauen auf Erfahrungswerte bei der Befundinterpretation sollte jedoch vermieden werden, schmälert es doch die Aussagekraft in einem nicht unerheblichen Maße. Ein besonderes Augenmerk gebührt stets dem Versuch des Textverfassers, sein geschriebenes Sprachvermögen zu ver- und entstellen. Bei dieser anspruchsvollen und nicht zu unterschätzenden Aufgabe stützt sich der Linguist auf eine gewissenhafte und sorgfältige Musterung der Textanalyse sowie die aus der empirischen Forschung zu erwartenden Verstellungsmethoden.

Die Arbeit des Linguisten erfolgt in der Regel Hand in Hand mit dem Kriminalisten. Dieser konzentriert seine Aufmerksamkeit jedoch eher auf Hinweise zur Erlangung der Gefährlichkeit, der Professionalität und der Persönlichkeit des Textverfassers. Weiterhin versucht der Kriminalist, die durch die Texterstellung getroffenen Entscheidungen zu verstehen und auf dieser Grundlage von Erwartbarkeit zukünftiger Tathandlungen eine Hypothesenbildung vorzunehmen. Die Vorgehensweisen in den jeweiligen Fachgebieten des Linguisten und des Kriminalisten sind sich sehr ähnlich. Durch das Zusammenwirken beider Disziplinen werden Synergieeffekte erzielt, die einen tatsächlichen Gewinn für jede der Wissenschaften darstellen und der jeweiligen Weiterentwicklung dienen.

Erpresserbriefe und ihre Bewertung

Das Erpressungsschreiben zählt zu den Klassikern zu bewertender Tatschreiben im Rahmen der Autorenerkennung. Deren Inhalte orientieren sich am typischen Charakter einer Erpressung und richten sich nach den drei Phasen der Kontaktaufnahme, den Verhandlungen und der Übergabe. Das Wesen eines Erpressungsablaufs beinhaltet das Verfassen eines Erpressungsschreibens, welche die entsprechende Forderung, die Drohung sowie die Verhandlungs- und Übergabemodalitäten enthalten müssen. Ein „Muster“ über die sprachliche Ausführung besteht nicht und somit existiert eine große Gestaltungsvielfalt. Dies ist zum einen darin begründet, dass seitens des Verfassers von keiner „gütlichen“ Einigung ausgegangen wird und zum anderen ein großes Machtgefälle zwischen Verfasser und Empfänger des Erpressungsschreibens vorhanden ist. Diese Formlosigkeit verlangt dem Autor ein relativ hohes Maß an Einfallsreichtum ab. Die in Erpressungsschreiben immer wiederkehrenden Elemente ergeben sich mehr aus den gebotenen Sachzwängen, welche der Phänomenologie der Erpressung geschuldet ist, weniger aus dem strengen Befolgen einer festen Vorlage. Der klassische Verläufe einer schriftsprachlichen Erpressung ist die erpresserische Briefserie, bei der eine Aufteilung in ein Initial- und in Folgeschreiben erfolgt. Das Erscheinen eines einzelnen Erpressungsschreibens ist untypisch und stellt die Ausnahme dar, kann deshalb nur als Teilstück einer Serie gesehen werden. Die Bewertung einer erpresserischen Briefserie erfordert eine Unterscheidung in zwei verschiedene Einzelkomplexe. Zum einen die der erwartbaren Verhaltensweisen und zum anderen die weniger zu erwartbaren Verhaltensweisen. Letztgenannte lässt sich aus der eigenen Lösungsvorhaben beziehungsweise -strategie des Autors ableiten und trägt dessen individuelle Züge. Es ist daher anzuraten, im Rahmen der Bewertung von fraglichen Schreiben das Augenmerk auf die Formulierungen zur Verwirklichung möglicher (Teil)Handlungen zu richten. Gerade in diesem Bereich wird dem Autor sprachliche Kreativität abverlangt, welche sprachliche Verhaltensweisen eher wiedergeben als brieftypische Formulierungsmuster. Des Weiteren erfahren in diesen Textpassagen auch spezifische Herangehensweisen und Konzeptarten eines Autors ihre Realisierung, welche in Relation zu sprachlichen Erscheinungen im Rahmen der linguistischen Analyse auffallend sein können. Gerade dies kann für die weiteren Ermittlungen von unschätzbarer Wichtigkeit sein.

Literatur

  • Dern, Christa (2009) Autorenerkennung. Theorie und Praxis der linguistischen Tatschreibenanalyse. Stuttgart: Boorberg.
  • Würstl, Heike (2004) Analyse eines Erpresserschreibens. Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft.