Aussagebeurteilung: Unterschied zwischen den Versionen

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=='''Verhaltensorientierte Aussagebeurteilung'''==
=='''Überblick über Methoden der Aussagebeurteilung'''==
(''Anm.: Weitergehende Informationen finden sich in eigenen Artikeln zu den jeweiligen Methoden'')


Die [[Verhaltensorientierte Aussagebeurteilung]] beschäftigt sich in der konkreten Aussagesituation u.a. mit dem Sprechverhalten der aussagenden Person (z.B. der Sprechgeschwindigkeit, dem Auftreten und der Länge von Pausen vor Angaben, der Verwendung bestimmter - einschränkender - Wörter wie "eigentlich") oder den Reaktionen der aussagenden Person auf Fragen oder Vorhalte (z.B. eine sich verteidigende Haltung, ein Ignorieren oder Eingehen auf die Frage). Dabei wird auf Hinweise geachtet, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der gemachten Angaben begründen können und auf die im Rahmen der weiteren Befragung dann ggf. eingegangen werden kann.
==='''Verhaltensorientierte Aussagebeurteilung'''===


Die verhaltensorientierte Aussagebeurteilung versucht in der konkreten Aussagesituation einzuschätzen, ob eine aussagende Person sich auf eigene Erinnerungen bezieht oder nicht wahrheitsgemäße Angaben vorträgt. Hierbei wird z.B. auf das Sprechverhalten der aussagenden Person geachtet (z.B. die Sprechgeschwindigkeit, das Auftreten und die Länge von Pausen vor Angaben, die Verwendung bestimmter - einschränkender - Wörter wie "eigentlich"), es werden Signale der Körpersprache beurteilt (z.B. ein 'nervöses' Lächeln oder Gesten, die auf ein Lügen hindeuten sollen, wie ein Ringen der Hände oder ein Senken des Kopfes beim Sprechen) oder Reaktionen der aussagenden Person auf Fragen oder Vorhalte bewertet (z.B. eine sich verteidigende Haltung, ein Ignorieren oder Eingehen auf die Frage).


=='''Inhaltsorientierte Glaubhaftigkeitsdiagnostik'''==
Dabei wird auf Hinweise geachtet, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der gemachten Angaben begründen können und auf die im Rahmen der weiteren Befragung dann ggf. eingegangen werden kann.
Es ist darauf hinzuweisen, dass diese (hier nur beispielhaft dargestellten) Signale erst bei Einbeziehung der individuellen Zeugenpersönlichkeit und dem für diese Person 'typischen' Aussageverhalten eine angemessene Beurteilung des Hinweischarakters der fraglichen Signale auf einen Täuschungsversuch erlauben.
 
==='''Inhaltsorientierte Glaubhaftigkeitsdiagnostik'''===


Inhaltsorientierte [[Glaubhaftigkeitsdiagnostik]] im Rahmen eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist die Überprüfung einer konkreten Zeugenaussage (in der Regel des möglichen Opfers) nach wissenschaftlich anerkannten Maßstäben auf einen Erlebnisbezug hin.  
Inhaltsorientierte [[Glaubhaftigkeitsdiagnostik]] im Rahmen eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist die Überprüfung einer konkreten Zeugenaussage (in der Regel des möglichen Opfers) nach wissenschaftlich anerkannten Maßstäben auf einen Erlebnisbezug hin.  
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Im Rahmen der Glaubhaftigkeitsdiagnostik werden Informationen erhoben zur
Im Rahmen der Glaubhaftigkeitsdiagnostik werden Informationen erhoben zur
* Aussagetüchtigkeit:  
* <u>Aussagetüchtigkeit:</u>
** den individuellen Fähigkeiten der Aussageperson bezogen auf aussagerelevante Bereiche (wie Wahrnehmungsfähigkeit, Erinnerungsvermögen, sprachliche Ausdruckfähigkeit) und  
** den individuellen Fähigkeiten der Aussageperson bezogen auf aussagerelevante Bereiche (wie Wahrnehmungsfähigkeit, Erinnerungsvermögen, sprachliche Ausdruckfähigkeit) und  
** persönlichen Besonderheiten der Aussageperson (wie z.B. eine besondere Bereitschaft, zu jedem angefragten Thema unbedingt Angaben zu machen, eine ausgeprägte Zustimmungsbereitschaft und eine wenig ausgeprägte Fähigkeit, sich gegen inhaltliche Vorgaben abzugrenzen (''Suggestibilität'')).
** persönlichen Besonderheiten der Aussageperson (wie z.B. eine besondere Bereitschaft, zu jedem angefragten Thema unbedingt Angaben zu machen, eine ausgeprägte Zustimmungsbereitschaft und eine wenig ausgeprägte Fähigkeit, sich gegen inhaltliche Vorgaben abzugrenzen (''Suggestibilität'')).


* <u>Aussagequalität:</u>
** Die in der Begutachtung gemachten Angaben werden dahingehend geprüft, ob sich Merkmale (''sog. Realkennzeichen'') finden, die in erlebnisfundierten Angaben zu erwarten sind, in erfundenen oder von Dritten vorgegebenen (und von der aussagenden Person bewusst entgegen der eigenen Erinnerung vorgetragenen) Angaben dagegen nicht.
** Die gemachten Angaben werden weiter hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit (dokumentierten) früheren Angaben geprüft. Erlebnisfundierte Angaben zeichnen sich dadurch aus, dass sie in gedächtnispsychologisch erwartbaren Bereichen über verschiedene Aussagezeitpunkte hinweg konstant vorgetragen werden, während es in anderen Bereichen zu Veränderungen kommen kann (''sog. differenzierte Aussagekonstanz'').
** Kann aufgrund des vorliegenden Aussagematerials ein Erlebnisbezug nach aussagepsychologischen Maßstäben nicht bestätigt werden, bedeutet dies nicht automatisch, dass eine nicht wahrheitsgemäße Aussage oder Angaben ohne Erlebnisbezug vorliegen oder dass ein vorgetragener Sachverhalt so nicht gewesen sein kann!


* Aussagequalität:
* <u>Zuverlässigkeit der Aussage:</u>
** Die in der Begutachtung gemachten Angaben werden zunächst dahingehend geprüft, ob sich Merkmale (sog. Realkennzeichen) finden, die in erlebnisfundierten Angaben zu erwarten sind, in erfundenen oder von Dritten vorgegebenen (und von der aussagenden Person bewusst entgegen der eigenen Erinnerung vorgetragenen) Angaben dagegen nicht.
** Die gemachten Angaben werden weiter hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit (dokumentierten) früheren Angaben geprüft. Erlebnisfundierte Angaben zeichnen sich dadurch aus, dass sie in gedächtnispsychologisch erwartbaren Bereichen über verschiedene Aussagezeitpunkte hinweg konstant vorgetragen werden, während es in anderen Bereichen zu Veränderungen kommen kann (sog. differentielle Aussagekonstanz).
** Es wird dabei davon ausgegangen, dass eine Aussage eine kognitive Leistung darstellt, wobei es schwieriger ist, Angaben ohne Erlebnishintergrund anschaulich und detailliert zu konstruieren und ggf. über einen längeren Zeitraum hinweg in wesentlichen Bereichen widerspruchsfrei zu reproduzieren, als wenn auf eine eigene Wahrnehmungsgrundlage, ein eigenes Erleben zurückgegriffen werden kann. Dabei ist immer die individuelle Zeugenpersönlichkeit zu berücksichtigen (z.B. die sprachliche Gewandtheit). 
** Eine inhaltliche Aussageanalyse vermag nicht zwischen erlebnisfundierten und suggerierten Erinnerungen zu differenzieren, da im Fall von Suggestion eine Überzeugung des Zeugen besteht, von einem realen Erleben zu berichten, was zu einer vergleichbaren Aussageweise wie bei erlebnisbezogenen Erinnerungen führen kann.
 
 
 
 
* Zuverlässigkeit der Aussage:
** u.a. situative Aspekte, also die (externen) Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt des vermeintlichen Vorfalls wie auch die Rahmenbedingungen der Aussage zum Zeitpunkt, an dem darüber berichtet wurde/wird,
** u.a. situative Aspekte, also die (externen) Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt des vermeintlichen Vorfalls wie auch die Rahmenbedingungen der Aussage zum Zeitpunkt, an dem darüber berichtet wurde/wird,
** Besonderheiten der Zeugenpersönlichkeit, z.B. ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, eine ausgeprägte Phantasie, eine mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft zur Orientierung an allgemeingültigen Normen bezogen auf den Vortrag wahrheitsgemäßer Angaben (interne Rahmenbedingungen) und
** Besonderheiten der Zeugenpersönlichkeit, z.B. ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, eine akzentuierte Wahrnhehmung von Beziehungen, eine mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft zur Orientierung an allgemeingültigen Normen bezogen auf den Vortrag wahrheitsgemäßer Angaben (interne Rahmenbedingungen) und
** mögliche Motive der Aussageperson wie auch früherer Aussageempfänger,die einen Einfluss auf die Aussage haben können,
** mögliche Motive der Aussageperson wie auch früherer Aussageempfänger,die einen Einfluss auf die Aussage haben können,
** wobei diese Aspekte jeweils bezogen auf die individuelle Zeugenpersönlichkeit zu beurteilen sind.
** wobei diese Aspekte jeweils bezogen auf die individuelle Zeugenpersönlichkeit zu beurteilen sind.


=='''Psychophysiologische Methode der Aussagebeurteilung'''==
==='''Psychophysiologische Methode der Aussagebeurteilung'''===
 
Die [[Psychophysiologische Methode der Aussagebeurteilung]] ist auch unter dem Begriff "Lügendetektion" bekannt.
 


Die [[Psychophysiologische Methode der Aussagebeurteilung]] ist auch unter dem Begriff "Lügendetektion" bekannt. Bei dieser Methode werden körperliche (physiologische) Reaktionen auf gestellte Fragen erfasst und aufgezeichnet. Die Auswertung erfolgt im Hinblick auf mögliche Veränderungen z.B. der Herzrate oder der Hautleitfähigkeit, die mit einer erhöhten Anspannung bzw. Nervosität bei der fälschlichen Beantwortung von Fragen einhergehen sollen. Eine für die Auswertung der Messergebnisse ausgebildete Fachperson soll dabei spontane unwillkürliche von willentlich herbeigeführten Reaktionen unterscheiden.


Die psychophysiologische Aussagebeurteilung ist als Methode zur 'Wahrheitsfindung' umstritten und mit BGH-Urteil vom 17.12.1998 in Deutschland als ungeeignetes Beweismittel befunden worden.




=='''Literatur'''==
=='''Literatur/Verweise'''==


Bender/Nack (1995): ''Tatsachenfeststellung vor Gericht''. München: Verlag C.H. Beck
Bender/Nack (1995): ''Tatsachenfeststellung vor Gericht''. München: Verlag C.H. Beck
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Greuel et.al. (1998): ''Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Theorie und Praxis der forensisch-psychologischen Begutachtung''. Weinheim: PsychologieVerlagsUnion
Greuel et.al. (1998): ''Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Theorie und Praxis der forensisch-psychologischen Begutachtung''. Weinheim: PsychologieVerlagsUnion


Niehaus, Susanna (2003, in: Praxis der Rechtspsychologie, 13.Jahrgang, Heft 2): ''Diskriminationsfähigkeit der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse bei teilweise erlebnisbasierten Falschaussagen.'' Bonn: Deutscher Psychologen Verlag GmbH
Steller, M. (1987): ''Psychophysiologische Aussagebeurteilung. Wissenschaftliche Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten der „Lügendetektion“''. Göttingen: Verlag für Psychologie.
 
BGH-Urteil vom 17.12.1998 (1 StR 156/98), Polygraphentest als Beweismittel, http://www.jurpc.de/rechtspr/19990013.htm


Steller, Max/Volbert, Renate (2000, in: Praxis der Rechtspsychologie, 10.Jahrgang, Sonderheft 1: Glaubhaftigkeitsbegutachtung): ''Anforderungen an die Qualität forensisch-psychologischer Glaubhaftigkeitsbegutachtungen.'' Bonn: Deutscher Psychologen Verlag GmbH
Artikel Glaubwürdigkeit (Recht). In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 17. Januar 2008, 21:48 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Glaubw%C3%BCrdigkeit_%28Recht%29&oldid=41319513 (Abgerufen: 29. Februar 2008, 19:24 UTC)
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