Arbeit statt Strafe: Unterschied zwischen den Versionen

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Arbeit statt Strafe meint die Vermeidung einer Geldstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe durch Abarbeiten. Diese Möglichkeit bietet das deutsche Strafrecht seit 1986.
Arbeit statt Strafe meint die Vermeidung einer Geldstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe durch Abarbeiten. Diese Möglichkeit bietet das deutsche Strafrecht seit 1986.


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Vor dem gesetzlichen Hintergrund entstanden seitdem, je nach Bundesland, verschiedene Projekte, freier Träger zur Betreuung der Klienten oder Probanden, wie sie in der Bewährungshilfe genannt werden. Eines dieser Projekte in Berlin heißt Arbeit statt Strafe (kurz: ASS), alternativ wird von gemeinnütziger Arbeit statt Strafe oder sog. Freier Arbeit gesprochen. Weitere Projekte existieren in anderen Bundesländern, wie z.B. Hessen oder Mecklenburg-Vorpommern.
Vor dem gesetzlichen Hintergrund entstanden seitdem, je nach Bundesland, verschiedene Projekte, freier Träger zur Betreuung der Klienten oder Probanden, wie sie in der Bewährungshilfe genannt werden. Eines dieser Projekte in Berlin heißt Arbeit statt Strafe (kurz: ASS), alternativ wird von gemeinnütziger Arbeit statt Strafe oder sog. Freier Arbeit gesprochen. Weitere Projekte existieren in anderen Bundesländern, wie z.B. Hessen oder Mecklenburg-Vorpommern.


'''Geschichte und Entwicklung'''
==Geschichte und Entwicklung==


Bevor von der Entwicklung hin zum Abarbeiten von Geld- oder Ersatzfreiheitsstrafen die Rede ist, zunächst ein Blick auf den Begriff ''Arbeit'' generell:
Bevor von der Entwicklung hin zum Abarbeiten von Geld- oder Ersatzfreiheitsstrafen die Rede ist, zunächst ein Blick auf den Begriff ''Arbeit'' generell:
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Nach neueren Strafrechtskontrolltheorien wird ein gesellschaftlicher Nutzen erzielt durch die zunehmende Ausrichtung auf Prävention. Hier schieben sich vermeintlich gesellschaftliche vor individuelle Interessen oder gar Rechte. Statt originär reaktiv geht es um sog. „proaktives Strafrecht“ (verdachtsunabhängig, im Vorfeld wirkend; vgl. Singelnstein und Stolle 2012 oder Gutsche 2008.
Nach neueren Strafrechtskontrolltheorien wird ein gesellschaftlicher Nutzen erzielt durch die zunehmende Ausrichtung auf Prävention. Hier schieben sich vermeintlich gesellschaftliche vor individuelle Interessen oder gar Rechte. Statt originär reaktiv geht es um sog. „proaktives Strafrecht“ (verdachtsunabhängig, im Vorfeld wirkend; vgl. Singelnstein und Stolle 2012 oder Gutsche 2008.


'''Projekt Berlin: Arbeit statt Strafe (ASS) bzw. Gemeinnützige Arbeit statt Strafe'''
==Projekt Berlin: Arbeit statt Strafe (ASS) bzw. Gemeinnützige Arbeit statt Strafe==


''Ist Arbeit ein Ersatz für Strafe oder ist Arbeit eine Strafe?''
===Ist Arbeit ein Ersatz für Strafe oder ist Arbeit eine Strafe?===


An dem Schwerpunkt-Beispiel Berlin soll erläutert werden, was Arbeit statt Strafe ist:
An dem Schwerpunkt-Beispiel Berlin soll erläutert werden, was Arbeit statt Strafe ist:
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Deutsche Publikationen, wie Kawamura-Reindl, oder U. Gerken (in ZRP, 20. Jahrg., S. 386-390) beziehen sich auf die Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) auf das Jahr 1986. Konkret wurde § 293 EGStGB in das reformierte Strafrecht übernommen.
Deutsche Publikationen, wie Kawamura-Reindl, oder U. Gerken (in ZRP, 20. Jahrg., S. 386-390) beziehen sich auf die Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) auf das Jahr 1986. Konkret wurde § 293 EGStGB in das reformierte Strafrecht übernommen.


'''Rechtlicher Rahmen'''
==Rechtlicher Rahmen==


* Gemeinnützige oder freie Arbeit zur Tilgung einer uneinbringlichen Geldstrafe nach  § 293 EGStGB
* Gemeinnützige oder freie Arbeit zur Tilgung einer uneinbringlichen Geldstrafe nach  § 293 EGStGB
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dem Einsatz zweier freier Träger (Freie Hilfe und sbH – Projektname sbH „Arbeit statt Strafe).  
dem Einsatz zweier freier Träger (Freie Hilfe und sbH – Projektname sbH „Arbeit statt Strafe).  


 
==Ablauf==
 
 
'''Ablauf'''


Die Zuweisung erfolgt meist über die staatsanwaltliche Beauftragung der sozialen Dienste oder eines der beiden Träger. Auf das Beispiel der Sozialen Dienste bezogen, erhält der Gerichtshelfer die Zuweisung und lädt schnellstmöglich den Klienten zum Beratungsgespräch ein. Nach Abklärung der in der Geldstrafe verhängten Tagessätze, die sich nach den Einkommensverhältnisse der Einzelnen richten, und den individuellen sozialen und ggf. beruflichen Kompetenzen, erfolgt die Vermittung in eine Einsatzstelle. Nicht jeder Geldstrafer kann in jede Einrichtung vermittelt werden, ebenso „Ersatzfreiheitsstrafer“. Je nach verübtem Delikt befindet sich der Bearbeiter in einem Abwägungsprozess, wer für welche Einrichtung geeignet ist. Bei den sozialen Diensten findet u.a. ein Abgleich der Einsatzstellen mit den Delikten statt. Einige „Arbeitgeber“, wie z.B. Kitas oder Seniorenheime haben Ausschlusskriterien für bestimmte Klientel (Gewalt-, Sexualdelikte, etc.).
Die Zuweisung erfolgt meist über die staatsanwaltliche Beauftragung der sozialen Dienste oder eines der beiden Träger. Auf das Beispiel der Sozialen Dienste bezogen, erhält der Gerichtshelfer die Zuweisung und lädt schnellstmöglich den Klienten zum Beratungsgespräch ein. Nach Abklärung der in der Geldstrafe verhängten Tagessätze, die sich nach den Einkommensverhältnisse der Einzelnen richten, und den individuellen sozialen und ggf. beruflichen Kompetenzen, erfolgt die Vermittung in eine Einsatzstelle. Nicht jeder Geldstrafer kann in jede Einrichtung vermittelt werden, ebenso „Ersatzfreiheitsstrafer“. Je nach verübtem Delikt befindet sich der Bearbeiter in einem Abwägungsprozess, wer für welche Einrichtung geeignet ist. Bei den sozialen Diensten findet u.a. ein Abgleich der Einsatzstellen mit den Delikten statt. Einige „Arbeitgeber“, wie z.B. Kitas oder Seniorenheime haben Ausschlusskriterien für bestimmte Klientel (Gewalt-, Sexualdelikte, etc.).
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Der Klient erhält nach Erstellung seines persönlichen „Profilings“ seine Vermittlungsunterlagen (u.a. Zeit/Ort der Stelle, Stundenzettel über die Ableistung). Bei Besonderheiten, wie Unregelmäßigkeiten oder Konflikten mit der Stelle, wird schnellstmöglich der persönliche Berater, z.B. der Gerichthilfe oder sbH, informiert. Ggf. muss neu vermittelt werden oder Antrag auf Ratenzahlung ergehen.
Der Klient erhält nach Erstellung seines persönlichen „Profilings“ seine Vermittlungsunterlagen (u.a. Zeit/Ort der Stelle, Stundenzettel über die Ableistung). Bei Besonderheiten, wie Unregelmäßigkeiten oder Konflikten mit der Stelle, wird schnellstmöglich der persönliche Berater, z.B. der Gerichthilfe oder sbH, informiert. Ggf. muss neu vermittelt werden oder Antrag auf Ratenzahlung ergehen.
Bei Beendigung der Arbeitsleistung fertigt der Berater einen Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft. Die Arbeiten sind im Rahmen von Fristen durch die Vollstreckungsbehörde zügig zu erledigen.
Bei Beendigung der Arbeitsleistung fertigt der Berater einen Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft. Die Arbeiten sind im Rahmen von Fristen durch die Vollstreckungsbehörde zügig zu erledigen.
Bei Probanden mit Bewährungsauflagen verbleibt die Zuständigkeit beim Bewährungshelfer.  
Bei Probanden mit Bewährungsauflagen verbleibt die Zuständigkeit beim Bewährungshelfer.


'''Exkurs: Baden-Würtemberg'''
==Exkurs: Baden-Würtemberg==


In Baden-Würtemberg trägt ein ähnliches Projekt wie ASS den Namen „Schwitzen statt sitzen“, betreut von dem Netzwerk Straffälligenhilfe (vgl. dbh-online: Erklärung des Justizministers Stickelberger v. 22.05.2013).
In Baden-Würtemberg trägt ein ähnliches Projekt wie ASS den Namen „Schwitzen statt sitzen“, betreut von dem Netzwerk Straffälligenhilfe ([vgl. Erklärung des Justizministers Stickelberger v. 22.05.2013 unter http://www.dbh-online.de).]Neben der Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen wird bei solchen Projekten auf die Einsparungen bei Inhaftierungen verwiesen, hier: 150.000 Tage. Die Berechnungen der Kosten eines Hafttages divergieren, die Rede ist z.B. von 120 € (s. Mirko Laudon, in: Legal Tribune online v. 26.08.2013).
Neben der Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen wird bei solchen Projekten auf die Einsparungen bei Inhaftierungen verwiesen, hier: 150.000 Tage. Die Berechnungen der Kosten eines Hafttages divergieren, die Rede ist z.B. von 120 € (s. Mirko Laudon, in: Legal Tribune online v. 26.08.2013).


 
==Fazit==
'''Fazit'''


Arbeit statt Strafe, das entweder als Projektname selbst oder als generell neue Handlungsalternative im Strafrecht gesehen werden kann, wird noch immer kontrovers diskutiert. Befürworter betonen die Vorteile sozialer Integration im Sinne des Nutzens einer Arbeit und Abgeltung von Unrecht für die Gesellschaft, aber auch durch einen geregelten Tagesablauf für den Einzelnen und den Verzicht auf den Vollzug der Ersatzfreiheitstrafe. Gegner dieses Modells widersprechen dem und Beharren auf der ursprünglichen Absicht der Vollstreckung der Ersatzfreiheitstrafe.
Arbeit statt Strafe, das entweder als Projektname selbst oder als generell neue Handlungsalternative im Strafrecht gesehen werden kann, wird noch immer kontrovers diskutiert. Befürworter betonen die Vorteile sozialer Integration im Sinne des Nutzens einer Arbeit und Abgeltung von Unrecht für die Gesellschaft, aber auch durch einen geregelten Tagesablauf für den Einzelnen und den Verzicht auf den Vollzug der Ersatzfreiheitstrafe. Gegner dieses Modells widersprechen dem und Beharren auf der ursprünglichen Absicht der Vollstreckung der Ersatzfreiheitstrafe.
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Letztlich bringt es Ulrich Gerkens, der eine kritische Sicht der Ersetzung der Ersatzfreiheitstrafe durch freie Arbeit vertritt, auf den Punkt:
Letztlich bringt es Ulrich Gerkens, der eine kritische Sicht der Ersetzung der Ersatzfreiheitstrafe durch freie Arbeit vertritt, auf den Punkt:


„Fundamental ist immer noch die Erkenntnis, dass eine gute Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik ist.“ (in: ZRP, S. 390)
::„Fundamental ist immer noch die Erkenntnis, dass eine gute Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik ist.“ (in: ZRP, S. 390)
 
 
 
 


'''Literaturverzeichnis'''
==Literaturverzeichnis==


*Böhm, Alexander (1998): ''Gemeinnützige Arbeit als Strafe: Zu einer Gesetzgebungsinitiative des Bundesrates''. In: Zeitschrift für Rechtspolitik, ZRP, 31. Jahrg., Heft 9, S. 360-365.
*Böhm, Alexander (1998): ''Gemeinnützige Arbeit als Strafe: Zu einer Gesetzgebungsinitiative des Bundesrates''. In: Zeitschrift für Rechtspolitik, ZRP, 31. Jahrg., Heft 9, S. 360-365.
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*Christie, Nils (2005): ''Das Verbrechen gibt es nicht''. In: Christie, N.: Wieviel Kriminalität braucht die Gesellschaft? München, s. 11-26.
*Christie, Nils (2005): ''Das Verbrechen gibt es nicht''. In: Christie, N.: Wieviel Kriminalität braucht die Gesellschaft? München, s. 11-26.


*Gerken, Ulrich (????): ''Ersetzung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit''. In: ZRP, 20. Jahrg. Heft 11, S. 386-390.
*Gerken, Ulrich (2000): ''Ersetzung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit''. In: ZRP, 20. Jahrg. Heft 11, S. 386-390.


*Kawamura-Reindl, Gabriele/Reindl, Richard (2010): ''Gemeinnützige Arbeit statt Strafe''. Freiburg im Breisgau. Lambertus.
*Kawamura-Reindl, Gabriele/Reindl, Richard (2010): ''Gemeinnützige Arbeit statt Strafe''. Freiburg im Breisgau. Lambertus.


*Klier, Rudolf/Brehmer/Zinke (2002): Jugendhilfe im Jugendstrafverfahren - Jugendgerichtshilfe - Handbuch für die Praxis Sozialer Arbeit. Regensburg/Berlin: Walhalla.
*Klier, Rudolf/Brehmer/Zinke (2002): ''Jugendhilfe im Jugendstrafverfahren - Jugendgerichtshilfe - Handbuch für die Praxis Sozialer Arbeit''. Regensburg/Berlin: Walhalla.


*Laudon, Mirko (2013): ''Ersatzfreiheitsstrafen vermeiden - Lieber im Park schwitzen, statt in Haft sitzen''. In: Legal Tribune Online v. 26.08.2013.
*Laudon, Mirko (2013): ''Ersatzfreiheitsstrafen vermeiden - Lieber im Park schwitzen, statt in Haft sitzen''. In: Legal Tribune Online v. 26.08.2013.
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*Sack, Fritz (1979): ''Neue Perspektiven in der Kriminologie''. In: Sack/König (Hrsg.): Kriminalsoziologie. Frankfurt/M., S. 431-475.
*Sack, Fritz (1979): ''Neue Perspektiven in der Kriminologie''. In: Sack/König (Hrsg.): Kriminalsoziologie. Frankfurt/M., S. 431-475.


*Singelnstein, Tobias/Stolle, P. (2012): Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert, 3. Aufl.: Wiesbaden, S. 79-86.
*Singelnstein, Tobias/Stolle, P. (2012): ''Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert'', 3. Aufl.: Wiesbaden, S. 79-86.


*Soziale Dienste der Justiz, Berlin: Handbuch VRs, Juni 2013
*Soziale Dienste der Justiz, Berlin: Handbuch VRs, Juni 2013
*Soziale Dienste der Justiz, Berlin: Liste anerkannter Beschäftigungsgeber für freie und gemeinnützige Arbeit, Stand: 2011
*Soziale Dienste der Justiz, Berlin: Liste anerkannter Beschäftigungsgeber für freie und gemeinnützige Arbeit, Stand: 2011


Weblink:
==Weblinks==


* http://www.dbh-online.de/unterseiten/themen/freie.php?id=507
* http://www.dbh-online.de/unterseiten/themen/freie.php?id=507
* http://www.paritaet-berlin.de/themen-a-z/themen-a-z-detailansicht/article/arbeit-statt-strafe