Aktuarische Prognose: Unterschied zwischen den Versionen

2.799 Bytes hinzugefügt ,  16:27, 8. Mär. 2010
keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 24: Zeile 24:
=== Verbreitung und internationale Akzeptanz ===
=== Verbreitung und internationale Akzeptanz ===
Nachdem in den ersten Jahrzehnten der aktuarische Prognoseansatz auf den Bundesstaat Illinois beschränkt blieb, kam es – unter anderem bedingt durch den in den 70er Jahren entwickelte und implementierte ''Salient Factor Score'' (SFS) – zu einer sukzessiven Verbreitung der aktuarischen Prognose. Der SFS bestand zunächst aus neun (1. ''Prior Convictions'', 2. ''Prior incarcerations'', 3. ''Age at first commitment'', 4. ''Auto theft'', 5. ''Prior parole revocation'', 6. ''Drug history'', 7. ''Education grade achieved'', 8. ''Employment'', und 9. ''Living arrangements on release''), später aus sieben Items und wird heute in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten zur Unterstützung der Entscheidung über die (vorzeitige bzw. bedingte) Entlassung eines Straftäters herangezogen. In weiterer Folge wurden für weitere (Sub-)Gruppen von Delinquenten und für spezifische Rückfallereignisse spezielle Prognoseinstrumente entwickelt. Vor allem seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden eine mittlerweile kaum mehr zu überblickende Anzahl an Untersuchungen über statistisch-aktuarische Instrumente durchgeführt und publiziert. Mittlerweile existieren aktuarische Prognoseinstrumente für Sexualtäter (z.B. der ''Sex Offender Risk Appraisal Guide'' – SORAG), für Gewalttäter (z.B. der ''Violence Risk Appraisal Guide'' – VRAG), für Jugendstraftäter (z.B. der ''Estimate of Risk of Adolescent Sexual Offence Recidivism'' – ERASOR).
Nachdem in den ersten Jahrzehnten der aktuarische Prognoseansatz auf den Bundesstaat Illinois beschränkt blieb, kam es – unter anderem bedingt durch den in den 70er Jahren entwickelte und implementierte ''Salient Factor Score'' (SFS) – zu einer sukzessiven Verbreitung der aktuarischen Prognose. Der SFS bestand zunächst aus neun (1. ''Prior Convictions'', 2. ''Prior incarcerations'', 3. ''Age at first commitment'', 4. ''Auto theft'', 5. ''Prior parole revocation'', 6. ''Drug history'', 7. ''Education grade achieved'', 8. ''Employment'', und 9. ''Living arrangements on release''), später aus sieben Items und wird heute in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten zur Unterstützung der Entscheidung über die (vorzeitige bzw. bedingte) Entlassung eines Straftäters herangezogen. In weiterer Folge wurden für weitere (Sub-)Gruppen von Delinquenten und für spezifische Rückfallereignisse spezielle Prognoseinstrumente entwickelt. Vor allem seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden eine mittlerweile kaum mehr zu überblickende Anzahl an Untersuchungen über statistisch-aktuarische Instrumente durchgeführt und publiziert. Mittlerweile existieren aktuarische Prognoseinstrumente für Sexualtäter (z.B. der ''Sex Offender Risk Appraisal Guide'' – SORAG), für Gewalttäter (z.B. der ''Violence Risk Appraisal Guide'' – VRAG), für Jugendstraftäter (z.B. der ''Estimate of Risk of Adolescent Sexual Offence Recidivism'' – ERASOR).
== Vorteile aktuarischer Prognostik ==
=== Aktuarische vs. klinische Prognosen ===
Die Vorzüge aktuarischer Prognosemethoden werden vor allem in Abgrenzung zum klinisch-intuitiven Vorgehen bei der Erstellung von Diagnosen und Prognosen über menschliches Verhalten diskutiert. Bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts publizierte der US-amerikanische Psychologe Paul E. Meehl eine umfangreiche Untersuchung über die Treffsicherheit aktuarischer Prognosen einerseits und klinisch-intuitiver Vorhersagen, die vor allem auf der Berufserfahrung des Klinikers basierten, andererseits. Dabei zeigte sich, dass in vielen unterschiedlichen Bereich psychologischer Diagnostik und Prognose – so wurden unter anderem Einzelstudien aus dem Bereich der klinischen Psychologie, der Psychiatrie, der Kriminologie, der Eignungsdiagnostik und Personalauswahl – aktuarische Methoden in aller Regel validere, d.h. treffsichere Vorhersage erlaubten als ein auf den Einzelfall bezogenes und überwiegend auf der Berufserfahrung des Anwenders basierendes klinisch-intuitives Vorgehen. Bereits in den 70er Jahren legten Studien nahe, dass die Vorhersageleistung forensischer und kriminologischer Experten bezüglich der Rückfälligkeit von Straftätern in jeder Hinsicht unzureichend war (z.B. Quinsey et al., 1979) und unterstützten damit die Verbreitung aktuarischer Instrumente. Auch aktuelle Meta-Analysen bestätigen den in den Trend der letzten Jahrzehnte und zeigen erneut, dass die Überlegenheit der aktuarischen Prognose im forensischen Bereich besonders ausgeprägt ist (Grove et al., 2000). In den letzten 20 Jahren wurde gleichzeitig eine Vielzahl von Untersuchungen vorgelegt, die die Qualität aktuarischer Prognosen nahelegt.
=== Erkenntnistheoretische und methodische Vorteile ===
Unabhängig von diesen Vergleichsstudien weisen aktuarische Prognosen weitere nennenswerte Vorzüge auf: So basieren aktuarische Prognoseverfahren auf einer streng wissenschaftlich fundierten Methodik, da die in den Instrumenten aufgenommenen Prädiktoren auf empirischen Erkenntnissen aus zuvor durchgeführten Untersuchungen beruht. Darüber hinaus sind aktuarische Instrumente in der Regel weitgehend manualisiert, das heißt die verwendeten Merkmale sind klar definiert und eindeutig operationalisiert. Dadurch wird das Vorgehen bei der Anwendung aktuarischer Prognosemethoden transparent, nachvollziehbar und jederzeit überprüfbar. Auch bietet dieses streng regelgeleitete Vorgehen "den bestmöglichen Schutz vor menschlichen Urteilsfehlern" (Dahle, 2005, S. 42). Daneben stellen aktuarische Instrumente in der Regel ökonomische Verfahren dar, da ihre Anwendung – im Vergleich zu anderen Prognosemethoden – meist nur wenig Zeit in Anspruch nimmt sowie leichter und schneller erlernbar ist.
48

Bearbeitungen