Aktuarische Prognose: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Praktisches Vorgehen ===
=== Praktisches Vorgehen ===
Aktuarische Prognosemethoden bestehen meist aus einer begrenzten Anzahl an Prädiktoren, deren Vorhersagegenauigkeit zuvor in empirischen Untersuchungen ermittelt wurde, wobei die vorhersagestärksten Variablen anschließend zu Prognoseinstrumenten zusammengefasst wurden. Bei diesen Prädiktoren handelt es sich in der Regel um einfach zu erhebende demographische, kriminologische oder psychosoziale Variablen wie beispielsweise das Alter des Täters oder die Anzahl der Vorstrafen. Nachdem jede Variable für sich bewertet wurde, indem ein der jeweiligen Ausprägung entsprechender Punktwert vergeben wurde, werden die einzelnen Punktwerte zum Gesamtwert addiert, von dem aus meist auf eine Risikokategorie (beispielsweise in eine niedrige, moderate oder hohe Risikokategorie) und/oder auf empirisch ermittelte Rückfallwahrscheinlichkeiten geschlossen werden kann.
Aktuarische Prognosemethoden bestehen meist aus einer begrenzten Anzahl an Prädiktoren, deren Vorhersagegenauigkeit zuvor in empirischen Untersuchungen ermittelt wurde, wobei die vorhersagestärksten Variablen anschließend zu Prognoseinstrumenten zusammengefasst wurden. Bei diesen Prädiktoren handelt es sich in der Regel um einfach zu erhebende demographische, kriminologische oder psychosoziale Variablen wie beispielsweise das Alter des Täters oder die Anzahl der Vorstrafen. Nachdem jede Variable für sich bewertet wurde, indem ein der jeweiligen Ausprägung entsprechender Punktwert vergeben wurde, werden die einzelnen Punktwerte zum Gesamtwert addiert, von dem aus meist auf eine Risikokategorie (beispielsweise in eine niedrige, moderate oder hohe Risikokategorie) und/oder auf empirisch ermittelte Rückfallwahrscheinlichkeiten geschlossen werden kann.
== Geschichte ==
=== Anfänge aktuarischer Prognostik ===
Die Anfänge der aktuarischen Prognosemethodik liegen in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA, als erste Zentren gelten die soziologisch-kriminologischen Forschungsabteilungen der Universität von Chicago sowie die Strafvollzugsbehörde in Illinois. Der rechtspolitische Ausgangspunkt war eine strafvollzugspolitische Liberalisierung in Form einer Individualisierung des Freiheitsentzugs, die sich zu Beginn des vorangegangenen Jahrhunderts sowohl in Europa als auch in den USA vollzog. Eine individualisierte Anwendung von Recht und Strafe brachte jedoch die Notwendigkeit mit sich, kriminelles Verhalten vorhersagen zu können, da die Vollstreckung bzw. Beendigung freiheitsbezogener Maßnahmen von der individuellen Rückfallgefahr des Delinquenten abhängig sein sollte. Aufgrund eklatanten Personalmangels konnten die erforderlichen kriminalprognostischen Einschätzungen jedoch nur anhand ökonomisch anwendbarer einfacher statistischer Algorithmen erfolgen. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass die Anwendung wahrscheinlichkeitstheoretischer und statistischer Analysemethoden zu diesem Zeitpunkt bereits seit annähernd ein hundert Jahren fester Bestandteil kriminologischen Erkenntnisgewinn darstellten (so führte beispielsweise der Belgische Kriminologe Adolphe Quetelet in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts bereits gruppenstatistische Analysen delinquenten und devianten Verhaltens durch).
=== Begründer ===
Hornell Hart, US-amerikanischer Kriminologe und einer der geistigen Väter der aktuarischen Prognose, postulierte schließlich 1923, dass vollzugsgerichtliche Entscheidungsgremien sich derselben statistischen Analysemethoden zunutze machen sollten wie auch Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen, so dass der in eben jener Branche verbreitete Begriff der aktuarischen Prognostik offiziell Einzug in die Kriminologie hielt. Ernest W. Burgess, kanadischer Soziologe und renommierter Vertreter der Chicagoer Schule, blieb es schließlich vorbehalten anhand der in weiterer Folge sogar nach ihm benannten "Burgess-Methode" aktuarische Prognoselisten zu konstruieren, die auf zuvor empirisch ermittelten statistischen Zusammenhängen zwischen einzelnen Prädiktoren einerseits und Rückfälligkeit andererseits basierten.
=== Verbreitung und internationale Akzeptanz ===
Nachdem in den ersten Jahrzehnten der aktuarische Prognoseansatz auf den Bundesstaat Illinois beschränkt blieb, kam es – unter anderem bedingt durch den in den 70er Jahren entwickelte und implementierte Salient Factor Score (SFS) – zu einer sukzessiven Verbreitung der aktuarischen Prognose. Der SFS bestand zunächst aus neun (1. Prior Convictions, 2. Prior incarcerations, 3. Age at first commitment, 4. Auto theft, 5. Prior parole revocation, 6. Drug history, 7. Education grade achieved, 8. Employment, und 9. Living arrangements on release), später aus sieben Items und wird heute in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten zur Unterstützung der Entscheidung über die (vorzeitige bzw. bedingte) Entlassung eines Straftäters herangezogen. In weiterer Folge wurden für weitere (Sub-)Gruppen von Delinquenten und für spezifische Rückfallereignisse spezielle Prognoseinstrumente entwickelt. Vor allem seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden eine mittlerweile kaum mehr zu überblickende Anzahl an Untersuchungen über statistisch-aktuarische Instrumente durchgeführt und publiziert. Mittlerweile existieren aktuarische Prognoseinstrumente für Sexualtäter (z.B. der Sex Offender Risk Appraisal Guide – SORAG), für Gewalttäter (z.B. der Violence Risk Appraisal Guide – VRAG), für Jugendstraftäter (z.B. der Estimate of Risk of Adolescent Sexual Offence Recidivism – ERASOR).
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