Affäre zum Luftschlag von Kunduz (3./4.9.2009): Unterschied zwischen den Versionen

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Im Zuge der Bombardierung zweier entführter Tanklastwagen in der Nähe des deutschen Lagers im nordafghanischen Kunduz (auch Kundus geschrieben) in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 entwickelte sich in den folgenden Monaten eine politische Affäre innerhalb Deutschlands, in deren Mittelpunkt ranghohe Offiziere der Bundeswehr, Verteidigungspolitiker, die (mangelhafte) Information der Öffentlichkeit sowie letztlich die Grundsatzdiskussion um die Legitimation deutscher Soldaten am Hindukusch und die Frage stehen, inwieweit von ihnen Gewalt angewendet werden darf. Bislang hat der Luftschlag, der bis zu 142 Menschen (die Zahl schwank je nach Quelle), darunter auch zahlreiche Zivilisten, das Leben kostete, hohe politische Wellen geschlagen, ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ermittelt in der Sache, ein Ende der '''Kunduz-Affäre''' ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Stand: Ende März) nicht abzusehen.
 
Im Zuge der Bombardierung zweier entführter Tanklastwagen in der Nähe des deutschen Lagers im nordafghanischen Kunduz (auch Kundus geschrieben) in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 entwickelte sich in den folgenden Monaten eine politische Affäre innerhalb Deutschlands, in deren Mittelpunkt ranghohe Offiziere der Bundeswehr, Verteidigungspolitiker, die (mangelhafte) Information der Öffentlichkeit sowie letztlich die Grundsatzdiskussion um die Legitimation deutscher Soldaten am Hindukusch und die Frage stehen, inwieweit von ihnen Gewalt angewendet werden darf. Bislang hat der Luftschlag, der bis zu 142 Menschen, darunter auch zahlreiche Zivilisten, das Leben kostete, hohe politische Wellen geschlagen, ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ermittelt in der Sache, ein Ende der '''Kunduz-Affäre''' ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Stand: Ende März) nicht abzusehen.




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Jahrelang waren die Rollen der einzelnen Streitmächte in Afghanistan offiziell klar umrissen: Während sich die USA und zahlreiche Bündnisstaaten am Kampf gegen die Taliban beteiligen und damit selbstverständlich Teil eines "nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes" (so der Kölner Völkerrechtler Claus Kreß im SPIEGEL 40/2009) sind, in dem entsprechend Kriegsrecht gilt, zierte sich die Bundesrepublik lange Zeit, einer Beteiligung an Kampfhandlungen zuzustimmen.  
Jahrelang waren die Rollen der einzelnen Streitmächte in Afghanistan offiziell klar umrissen: Während sich die USA und zahlreiche Bündnisstaaten am Kampf gegen die Taliban beteiligen und damit selbstverständlich Teil eines "nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes" (so der Kölner Völkerrechtler Claus Kreß im SPIEGEL 40/2009) sind, in dem entsprechend Kriegsrecht gilt, zierte sich die Bundesrepublik lange Zeit, einer Beteiligung an Kampfhandlungen zuzustimmen.  


Zwar beteiligte sich die Bundeswehr an der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzten Sicherungstruppe [[ISAF]], indem sie ab 2006 das ISAF-Kommando im Norden Afghanistans übernahm, doch legte die jeweiligen Bundesregierungen stets Wert darauf, dass die deutschen Soldaten unter der Bezeichnung [[PRT|Provincial Reconstruction Team]] firmierten, diese also beim Wiederaufbau der Region beteiligt sind und die Zivilbevölkerung unterstützt, nicht aber Jagd auf die Taliban macht. Erst im Juni 2008 wird eine schnelle Eingreiftruppe namens [[Quick Reaction Force]], bestehend zunächst aus 200 Elitesoldaten, nach Afghanistan entsandt: Ihre Aufgabe besteht tatsächlich darin, offensiv gegen die im Norden wiedererstarkten Taliban vorzugehen, wo es immer häufiger zu "sicherheitsrelevanten Vorfällen" kommt. Als dann im Mai 2009 ein lokaler Taliban-Drahtzieher von einem Team des Kommandos Spezialkräfte (KSK) gefangen genommen wird, ist die Haltungsänderung der Bundesrepublik offensichtlich: Fortan wird nicht mehr nur geholfen, nun werden auch Taliban gejagt. Zudem ist es den deutschen Soldaten jetzt nicht mehr verboten, tödliche Gewalt anzuwenden, solange nicht ein Angriff stattfindet oder unmittelbar bevorsteht. Trotzdem wollten deutsche Verteidigungpolitiker bislang Weder etwas von einem Krieg, in den die Deutschen nun möglicherwiese verwickelt waren, noch von einem bewaffneten Konflikt wissen.
Zwar beteiligte sich die Bundeswehr an der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzten Sicherungstruppe [[ISAF]], indem sie ab 2006 das ISAF-Kommando im Norden Afghanistans übernahm, doch legte die jeweiligen Bundesregierungen stets Wert darauf, dass die deutschen Soldaten unter der Bezeichnung [[PRT|Provincial Reconstruction Team]] firmierten, diese also beim Wiederaufbau der Region beteiligt sind und die Zivilbevölkerung unterstützen, nicht aber Jagd auf die Taliban machen. Erst im Juni 2008 wird eine schnelle Eingreiftruppe namens [[Quick Reaction Force]], bestehend zunächst aus 200 Elitesoldaten, nach Afghanistan entsandt: Ihre Aufgabe besteht tatsächlich darin, offensiv gegen die im Norden wiedererstarkten Taliban vorzugehen, wo es immer häufiger zu "sicherheitsrelevanten Vorfällen" kommt. Als dann im Mai 2009 ein lokaler Taliban-Drahtzieher von einem Team des Kommandos Spezialkräfte (KSK) gefangen genommen wird, ist die Haltungsänderung der Bundesrepublik offensichtlich: Fortan wird nicht mehr nur geholfen, nun werden auch Taliban bekämpft. Zudem ist es den deutschen Soldaten jetzt nicht mehr verboten, tödliche Gewalt anzuwenden, solange nicht ein Angriff stattfindet oder unmittelbar bevorsteht. Trotzdem wollten deutsche Verteidigungpolitiker bislang weder etwas von einem Krieg, in den die Deutschen nun möglicherwiese verwickelt waren, noch von einem bewaffneten Konflikt wissen.


Allerdings fand diese Neuorientierung zu einem Zeitpunkt statt, als die Amerikaner - nunmehr unter dem neuen ISAF-Kommandierenden General Stanley A. McChrystal - ihrerseits eine Kehrtwende einlegten (SPIEGEL 38/2009): Die neue Strategie sieht vor, zwecks Steigerung der Akzeptanz der Besatzer durch die Zivilbevölkerung zukünftig nicht mehr sofort aus großer Höhe mit Jagdbombern zu attackieren, was in der Vergangenheit zu massiven Kollateralschäden geführt hatte, sondern "die Bevölkerung für sich zu gewinnen", indem man "sich mit Luftschlägen zurückhält und zivile Opfer so weit wie möglich vermeidet" (SPIEGEL 39/2009). Dieses Umdenken wurde bis dato vehement von den Deutschen gefordert, in der Nacht vom 3. auf den 4.9.2009 aber offensichtlich von der Bundeswehr in verheerender Form konterkariert (ZEIT 38/2009).
Allerdings fand diese Neuorientierung zu einem Zeitpunkt statt, als die Amerikaner - nunmehr unter dem neuen ISAF-Kommandierenden General Stanley A. McChrystal - ihrerseits eine Kehrtwende einlegten (SPIEGEL 38/2009): Die neue Strategie sieht vor, zwecks Steigerung der Akzeptanz der Besatzer durch die Zivilbevölkerung zukünftig nicht mehr sofort aus großer Höhe mit Jagdbombern zu attackieren, was in der Vergangenheit zu massiven Kollateralschäden geführt hatte, sondern "die Bevölkerung für sich zu gewinnen", indem man "sich mit Luftschlägen zurückhält und zivile Opfer so weit wie möglich vermeidet" (SPIEGEL 39/2009: 26). Dieses Umdenken wurde bis dato vehement von den Deutschen gefordert, in der Nacht vom 3. auf den 4.9.2009 aber offensichtlich von der Bundeswehr in verheerender Form konterkariert (ZEIT 38/2009).


=== Hauptphase: Stunden der Entführung der Tanklaster bis zum Bombenabwurf ===
=== Hauptphase: Stunden der Entführung der Tanklaster bis zum Bombenabwurf ===
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[[bild:Kunduz_Anschlag.jpg|thumb|Grafische Rekonstruktion von Taliban-Überfall und Nato-Luftangriff bei Kunduz - '''Quelle: SPIEGEL 38/2009:74f.''']]  
[[bild:Kunduz_Anschlag.jpg|thumb|Grafische Rekonstruktion von Taliban-Überfall und Nato-Luftangriff bei Kunduz - '''Quelle: SPIEGEL 38/2009:74f.''']]  


Über die Geschehnisse, welche sich in den Stunden der Tanklaster-Entführung bis zum Befehl, diese zu bombardieren, abspielten, liegen mittlerweile detaillierte Ergebnisse vor (SPIEGEL 38/2009; SPIEGEL 5/2010; [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2009-11/kundus-tanklastzuege-bombardement], [http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2143434_Chronik-eines-Angriffs-Kundus-und-kein-Ende.html]). Diese gründen v. a. auf diversen Berichten, die im Anschluss an das Bombardement von verschiedenen Einheiten und Gremien verfasst worden waren und deren Inhalt erst im Laufe der folgenden Wochen an die Öffentlichkeit gelangte. An dieser Stelle sollen nur die wichtigsten, zur Skandalisierung des Vorfalls in Deutschland beitragenden Ereignisse genannt werden.
Über die Geschehnisse, welche sich in den Stunden der Tanklaster-Entführung bis zum Befehl, diese zu bombardieren, abspielten, liegen mittlerweile detaillierte Ergebnisse vor (SPIEGEL 38/2009; SPIEGEL 5/2010; [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2009-11/kundus-tanklastzuege-bombardement]; [http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2143434_Chronik-eines-Angriffs-Kundus-und-kein-Ende.html]). Diese gründen v. a. auf diversen Berichten, die im Anschluss an das Bombardement von verschiedenen Einheiten und Gremien verfasst worden waren und deren Inhalt erst im Laufe der folgenden Wochen an die Öffentlichkeit gelangte. An dieser Stelle sollen nur die wichtigsten, zur Skandalisierung des Vorfalls in Deutschland beitragenden Ereignisse genannt werden.


*3.9.2009, 17 Uhr
*3.9.2009, 17 Uhr
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*4.9.2009, 1.46 Uhr  
*4.9.2009, 1.46 Uhr  
Nach drei weiteren Versuchen der amerikanischen F-15-Besatzung, es zunächst nur mit einem Tiefflug zu versuchen, geben diese ihren Widerstand auf, als Red Baron die unmittelbare Gefahr für das deutsche Lager mit folgendem Funkspruch bestätigt: "Ja, diese Leute stellen eine unmittelbare Bedrohung dar. Diese Aufständischen versuchen, den Kraftstoff aus den Tanklastern zu bekommen, und danach werden sie sich neu formieren, und wir haben Erkenntnisse über laufende Operationen und darüber, dass sie vermutlich Camp Kunduz angreifen werden." (SPIEGEL 5/2010: 43). Um 1.50 Uhr schlagen zwei 500-Pfund-Lenkbomben auf der Sandbank ein.
Nach drei weiteren Versuchen der amerikanischen F-15-Besatzung, es zunächst bei einem Tiefflug zu belassen, geben diese ihren Widerstand auf, als Red Baron die unmittelbare Gefahr für das deutsche Lager mit folgendem Funkspruch bestätigt: "Ja, diese Leute stellen eine unmittelbare Bedrohung dar. Diese Aufständischen versuchen, den Kraftstoff aus den Tanklastern zu bekommen, und danach werden sie sich neu formieren, und wir haben Erkenntnisse über laufende Operationen und darüber, dass sie vermutlich Camp Kunduz angreifen werden." (SPIEGEL 5/2010: 43). Um 1.50 Uhr schlagen zwei 500-Pfund-Lenkbomben auf der Sandbank ein.


=== Nachphase: Zeitraum ab dem Bombenabwurf (dauert noch an) ===
=== Nachphase: Zeitraum ab dem Bombenabwurf (dauert noch an) ===


Die fragwürdige Vorgehensweise des Obersts Klein und seines Fliegerleitoffiziers stellen jedoch nur einen Strang der Affäre dar. Der politisch wesentlich bedeutungsvollere schließt sich erst an diesen "folgenreichsten von Deutschen verantworteten Militärschlag seit dem Zweiten Weltkrieg" [http://www.stern.de/politik/ausland/luftschlag-nahe-kundus-oberst-klein-behinderte-ermittlungen-1529733.html] an. Hätte es nicht jenes verhängnisvolle "Info-Desaster" (SPIEGEL 38/2009: 80) gegeben - die Bombardierung wäre vielleicht eine Bundeswehr- bzw. Nato-interne Angelegenheit geblieben. Doch was folgte, kommt einem verteidigungspolitischen Erdbeben gleich, das bereits mehreren Spitzenpolitikern bzw. -militärs das Amt kostete:
Die fragwürdige Vorgehensweise des Obersts Klein und seines Fliegerleitoffiziers stellen jedoch nur einen Strang der Affäre dar. Der politisch wesentlich bedeutungsvollere schließt sich erst an diesen "folgenreichsten von Deutschen verantworteten Militärschlag seit dem Zweiten Weltkrieg" [http://www.stern.de/politik/ausland/luftschlag-nahe-kundus-oberst-klein-behinderte-ermittlungen-1529733.html] an. Hätte es nicht jenes verhängnisvolle "Info-Desaster" (SPIEGEL 38/2009: 80) gegeben - die Bombardierung wäre vielleicht eine Bundeswehr- bzw. Nato-interne Angelegenheit geblieben. Doch was folgte, kommt einem verteidigungspolitischen Erdbeben gleich, das bereits mehrere Spitzenpolitiker bzw. -militärs das Amt kostete:


*4.9.2009
*4.9.2009
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*5.9.2009
*5.9.2009


Das Initial Action Team (IAT) - ein ISAF-Voruntersuchungsteam in Begleitung eines Reporters der "Washington Post" - überfliegt den Schauplatz des Luftangriffs in großer Höhe; es wird den Ermittlern sogar verboten, sich zwecks besserer Sicht aus dem Hubschrauber zu lehnen. Die Ermittler fühlen sich von den Deutschen zunehmend "verarscht". Bei einem anschließenden Krankenhausbesuch drängt Oberst Klein wiederholt zur Eile. Auch rät er energisch von dem für den Nachmittag geplanten Besuch der Sandbank durch den Oberkommandierenden McChrystal ab.
Das Initial Action Team (IAT) - ein ISAF-Voruntersuchungsteam in Begleitung eines Reporters der "Washington Post" - überfliegt den Schauplatz des Luftangriffs in großer Höhe; es wird den Ermittlern sogar verboten, sich zwecks besserer Sicht aus dem Hubschrauber zu lehnen. Die Ermittler fühlen sich von den Deutschen zunehmend "verarscht" (SPIEGEL 5/2010: 48f.). Bei einem anschließenden Krankenhausbesuch drängt Oberst Klein wiederholt zur Eile. Auch rät er energisch von dem für den Nachmittag geplanten Besuch der Sandbank durch den Oberkommandierenden McChrystal ab.


Abends erhält der Generalinspekteur der Bundeswehr, [[Wolfgang Schneiderhan]], eine zweiseitige Stellungnahme Kleins, aus der hervorgeht, dass dieser sich in den frühen Morgenstunden des 4.9.2009 entschloss, "zwei [...] entführte Tanklastwagen sowie die an den Fahrzeugen befindlichen Insurgent durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten. [...] Ich gab letztendlich den Befehl zum Einsatz der Bomben, weil [...] ich nach allen mir [...] zur Verfügung stehenden Informationen davon ausgehen konnte, [...] mit höchster Wahrscheinlichkeit dabei nur Feinde des Wiederaufbaus AFGHANISTANS zu treffen" (SPIEGEL 5/2010: 52).
Abends erhält der ranghöchste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur [[Wolfgang Schneiderhan]], eine zweiseitige Stellungnahme Kleins, aus der hervorgeht, dass dieser sich in den frühen Morgenstunden des 4.9.2009 entschloss, "zwei [...] entführte Tanklastwagen sowie die an den Fahrzeugen befindlichen Insurgents durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten. [...] Ich gab letztendlich den Befehl zum Einsatz der Bomben, weil [...] ich nach allen mir [...] zur Verfügung stehenden Informationen davon ausgehen konnte, [...] mit höchster Wahrscheinlichkeit dabei nur Feinde des Wiederaufbaus AFGHANISTANS zu treffen" (SPIEGEL 5/2010: 52).


*5./6.9.2009
*5./6.9.2009


Verteidigungsminister [[Franz Josef Jung]] weigert sich vehement, die immer deutlicher werdenden Hinweise auf zivile Opfer zu bestätigen. Stattdessen stehe er "eindeutig zur Entscheidung des Obersts Klein", obwohl der bei der Begehung anwesende Reporter am 6.9.2009 in der "Washington Post" einen Artikel veröffentlicht, aus dem bereits klar wird, dass sich die Entscheidung zur Bombardierung auf nur einen Informanten stützt und unter den etwa 125 Toten auch zahlreiche Zivilisten seien.
Verteidigungsminister [[Franz Josef Jung]] weigert sich vehement, die immer deutlicher werdenden Hinweise auf zivile Opfer zu bestätigen. Stattdessen stehe er "eindeutig zur Entscheidung des Obersts Klein", obwohl der bei der Begehung anwesende Reporter am 6.9.2009 in der "Washington Post" einen Artikel veröffentlicht, aus dem bereits klar wird, dass sich die Entscheidung zur Bombardierung auf nur einen Informanten stützte und unter den etwa 125 Toten auch zahlreiche Zivilisten seien.


*6.9.2009
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Der IAT-Bericht wird in Berlin den Obleuten des Verteidigungs- und Außenausschusses in einer geheimen Sitzung vorgelegt. Schneiderhan selbst hatte diesen am Vortag erhalten.
Der IAT-Bericht wird in Berlin den Obleuten des Verteidigungs- und Außenausschusses in einer geheimen Sitzung vorgelegt. Schneiderhan selbst hatte diesen am Vortag erhalten.
In Berlin gibt Kanzlerin Merkel eine Regierungserklärung ab, in der sie mögliche unschuldige Opfer bedauere und eine lückenlose Aufklärung der Verfälle verspricht.
 
In Berlin gibt Kanzlerin Merkel eine Regierungserklärung ab, in der sie mögliche unschuldige Opfer bedauert und eine lückenlose Aufklärung der Verfälle verspricht.


*9.9.2009
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*25.9.2009
*25.9.2009


Gegenüber den Nato-Ermittlern gibt der Übersetzer, der in jener Nacht zwischen dem Informanten und der Task Force 47 vermittelte, an, die Quelle habe dem Gefechtsstand gemeldet, mindestens einer der entführten Fahrer sei noch am Leben. In der besagten Nacht hatte der Fliegerleitoffizier gegenüber den Piloten jedoch behauptet, keine Informationen darüber zu haben.  
Gegenüber den Nato-Ermittlern gibt der Übersetzer, der in jener Nacht zwischen dem afghanischen Informanten und der Task Force 47 vermittelte, an, die Quelle habe dem Gefechtsstand gemeldet, mindestens einer der entführten Fahrer sei noch am Leben. In der besagten Nacht hatte der Fliegerleitoffizier gegenüber den Piloten jedoch behauptet, keine Informationen über das Schicksal der Fahrer zu haben.  


Am darauffolgenden Tag werden dann auch er und sein Kommandant Oberst Klein von der Untersuchungskommission zu den Vorgängen befragt. Deren Aussagen und Einschätzungen der Ereignisse jener Nacht fallen unerwartet weit auseinander. Während sich Red Baron von den Vorgängen insgesamt distanziert und sich auf seine Gehorsamspflicht gegenüber der Entscheidung seines Vorgesetzten beruft, verteidigt Klein sein Vorgehen, welches in dem Entschluss gipfelte, zum Schutze seiner Soldaten, der afghanischen Sicherheitskräfte und der Bevölkerung mit der kleinstmöglichen Waffenwirkung die Tankfahrzeuge sowie die Entführer auszuschalten.
Am darauffolgenden Tag werden dann auch er und sein Kommandant Oberst Klein von der Untersuchungskommission zu den Vorgängen befragt. Deren Aussagen und Einschätzungen der Ereignisse jener Nacht fallen unerwartet weit auseinander. Während sich Red Baron von den Vorgängen insgesamt distanziert und sich auf seine Gehorsamspflicht gegenüber der Entscheidung seines Vorgesetzten beruft, verteidigt Klein sein Vorgehen, welches nach eigener Aussage in dem Entschluss gipfelte, zum Schutze seiner Soldaten, der afghanischen Sicherheitskräfte und der Bevölkerung mit der kleinstmöglichen Waffenwirkung die Tankfahrzeuge sowie die Entführer auszuschalten.


*27.10.2009
*27.10.2009
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Entgegen einiger Spekulationen, Guttenberg wolle sich von Schneiderhan distanzieren, springt dieser seinem ranghöchsten Soldaten bei und erklärt auf einer Pressekonferenz, er hege "keinen Zweifel an der Einschätzung des Generalinspekteurs". Und weiter: "Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen ''müssen''" (SPIEGEL 5/2010: 54).
Entgegen einiger Spekulationen, Guttenberg wolle sich von Schneiderhan distanzieren, springt dieser seinem ranghöchsten Soldaten bei und erklärt auf einer Pressekonferenz, er hege "keinen Zweifel an der Einschätzung des Generalinspekteurs". Und weiter: "Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen ''müssen''" (SPIEGEL 5/2010: 54).
Die Bundeskanzlerin verweigert derweil auch Wochen nach dem Vorfall jede Stellungsnahme zur (Un-)Angemessenheit des Bombardements.
Die Bundeskanzlerin verweigert derweil auch Wochen nach dem Vorfall jede Stellungsnahme zur (Un-)Angemessenheit des Bombardements.


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Die BILD-Zeitung ist im Besitz des Videomitschnitts aus den Cockpits der beim Luftschlag eingesetzten F-15-Kampfjets sowie eines Feldjägerberichts. Beides findet am folgenden Tag Eingang in einen Artikel mit der Überschrift "Die Wahrheit über den Luft-Angriff in Afghanistan (vgl. [http://www.bild.de/BILD/politik/2009/11/26/bomben-video-kunduz-in-afghanistan/verschwieg-minister-jung-die-wahrheit-ueber-die_20bombardierung.html]). Am Nachmittag bestellt Guttenberg seine beiden Spitzenleute, Staatssekretär [[Peter Wichert]] und Generalinspekteur Schneiderhan, zu sich ins Verteidigungsministerium. Er fragt beide, ob es - neben dem Nato-Untersuchungsbericht und dem Report des Internationalen Roten Kreuzes - noch weitere, nationale Berichte gäbe. Nach Guttenbergs Version sei dies trotz fünfmaliger Nachfrage von beiden verneint worden. Schneiderhan und Wichert hingegen erklären, ihren Minister auf eine Meldung von Oberst Klein, den Report eines deutschen IAT-Mitglieds und einen Bericht der Feldjäger hingewiesen zu haben. Schneiderhan wird Guttenberg später "Unwahrhaftigheit" vorwerfen [http://www.zeit.de/politik/ausland/2009-12/kundus-schneiderhan-guttenberg].
Die BILD-Zeitung ist im Besitz des Videomitschnitts aus den Cockpits der beim Luftschlag eingesetzten F-15-Kampfjets sowie eines Feldjägerberichts. Beides findet am folgenden Tag Eingang in einen Artikel mit der Überschrift "Die Wahrheit über den Luft-Angriff in Afghanistan (vgl. [http://www.bild.de/BILD/politik/2009/11/26/bomben-video-kunduz-in-afghanistan/verschwieg-minister-jung-die-wahrheit-ueber-die_20bombardierung.html]). Am Nachmittag bestellt Guttenberg seine beiden Spitzenleute, Staatssekretär [[Peter Wichert]] und Generalinspekteur Schneiderhan, zu sich ins Verteidigungsministerium. Er fragt beide, ob es - neben dem Nato-Untersuchungsbericht und dem Report des Internationalen Roten Kreuzes - noch weitere, nationale Berichte gäbe. Nach Guttenbergs Version sei dies trotz fünfmaliger Nachfrage von beiden verneint worden. Schneiderhan und Wichert hingegen erklären, ihren Minister auf eine Meldung von Oberst Klein, den Report eines deutschen IAT-Mitglieds und einen Bericht der Feldjäger hingewiesen zu haben. Schneiderhan wird Guttenberg später "Unwahrhaftigheit" vorwerfen [http://www.zeit.de/politik/ausland/2009-12/kundus-schneiderhan-guttenberg].
Kurz nach dieser Unterredung bittet Guttenberg die beiden Männer erneut zu sich, um ihnen mitzuteilen, sie mögen doch bitte um ihre Amtsenthebung nachsuchen, was diese einen Tag später auch tun.
Kurz nach dieser Unterredung bittet Guttenberg die beiden Männer erneut zu sich, um ihnen mitzuteilen, sie mögen doch bitte um ihre Amtsenthebung nachsuchen, was diese einen Tag später auch tun.


* 27.11.2009
* 27.11.2009


Arbeitsminister Jung tritt "nach reiflicher Überlegung" zurück, weil er in seiner ehemaligen Funktion als Verteidigungsminister Fehler in der Sache "Kunduz" gemacht habe. Entsprechend steht sein Nachfolger Guttenberg fortan im Fokus der Öffentlichkeit (SPIEGEL 49/2009:23).
Arbeitsminister Jung tritt "nach reiflicher Überlegung" zurück, weil er in seiner ehemaligen Funktion als Verteidigungsminister Fehler in der Sache "Kunduz" gemacht habe. Entsprechend steht sein Nachfolger Guttenberg fortan im Fokus der Öffentlichkeit (SPIEGEL 49/2009).


* 3.12.2009
* 3.12.2009
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Der Verteidigungsausschuss des Bundestages wandelt sich nach Forderungen der Opposition in einen Untersuchungsausschuss um. Dieser soll der Aufklärung der Umstände sowie zahlreicher Fragen dienen, welche sich sowohl im Zuge des Luftschlags als auch insbesondere im anschließenden (militär-)politischen Umgang mit diesem ergeben hätten (s. u.). Dazu sollen - entgegen den üblichen Gepflogenheiten eines solchen Ausschusses - auch öffentliche Tagungen stattfinden [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2009-12/untersuchungsausschuss-kundus-bundeswehr].  
Der Verteidigungsausschuss des Bundestages wandelt sich nach Forderungen der Opposition in einen Untersuchungsausschuss um. Dieser soll der Aufklärung der Umstände sowie zahlreicher Fragen dienen, welche sich sowohl im Zuge des Luftschlags als auch insbesondere im anschließenden (militär-)politischen Umgang mit diesem ergeben hätten (s. u.). Dazu sollen - entgegen den üblichen Gepflogenheiten eines solchen Ausschusses - auch öffentliche Tagungen stattfinden [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2009-12/untersuchungsausschuss-kundus-bundeswehr].  
Der Untersuchungsausschuss wird sich auf Wunsch der Koalitionsparteien zunächst mit den Fakten und Befehlssträngen befassen, ehe ab Mitte März 2010 die politische Kommunikation untersucht wird, d. h. erst werden die am Luftschlag Beteiligten, anschließend Politiker und Beamte aus Kanzleramt und Verteidigungsministerium gehört [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-01/kundus-glossar]. Ein Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses wird nicht vor April 2011 erwartet [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-01/untersuchungsausschuss-guttenberg?page=all].
Der Untersuchungsausschuss wird sich auf Wunsch der Koalitionsparteien zunächst mit den Fakten und Befehlssträngen befassen, ehe ab Mitte März 2010 die politische Kommunikation untersucht wird, d. h. erst werden die am Luftschlag Beteiligten, anschließend Politiker und Beamte aus Kanzleramt und Verteidigungsministerium gehört [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-01/kundus-glossar]. Ein Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses wird nicht vor April 2011 erwartet [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-01/untersuchungsausschuss-guttenberg?page=all].


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* Warum stellte sich der seinerzeit amtierende Verteidigungsminister kurz nach dem Luftschlag vorbehaltlos hinter seinen Bundeswehrkommandanten, obwohl bereits ernstzunehmende Hinweise auf zivile Opfer vorlagen?
* Warum stellte sich der seinerzeit amtierende Verteidigungsminister kurz nach dem Luftschlag vorbehaltlos hinter seinen Bundeswehrkommandanten, obwohl bereits ernstzunehmende Hinweise auf zivile Opfer vorlagen?


Jung muss sich fragen lassen, warum er zunächst vehement darauf beharrte, der Luftschlag sei erfolgreich verlaufen, weil ja ausschließlich aufständische Talibankämpfer getroffen und getötet worden seien. Dabei ist weniger zu klären, wieso er unmittelbar nach dem Bombardement zur Entscheidung seines Soldaten Klein stand - dieses wird von ihm als dem obersten Dienstherren der Bundeswehr gewissermaßen erwartet -, sondern weshalb er trotz gegenteiliger Meldungen nichts von zivilen Opfern wissen wollte und dies auch am 8.9.2009 vor dem Verteidigungsausschuss erklärte, obwohl der Nato-Bericht bereits am Vortag in Berlin eingetroffen war (SPIEGEL 38/2009: 80f.). Also hatte Jung entweder bewusst die Unwahrheit gesagt, um angesichts der anstehenden Bundestagswahl möglichen Imageschäden vorzubeugen, oder er als Verteidigungsminister muss sich den Vorwurf gefallen lassen, als Chef der Bundeswehr sein eigenes Haus nicht im Griff zu haben, da ihm in diesem Falle wichtige Unterlagen nicht vorgelegt wurden. Mittlerweile ist Jung jedoch von allen politischen Ämtern zurückgetreten, deshalb erscheint die Klärung dieser Frage eher eine Randnotiz in der Affäre zu sein.
Jung muss sich fragen lassen, warum er zunächst vehement darauf beharrte, der Luftschlag sei erfolgreich verlaufen, weil ja ausschließlich aufständische Talibankämpfer getroffen und getötet worden seien. Dabei ist weniger zu klären, wieso er unmittelbar nach dem Bombardement zur Entscheidung seines Soldaten Klein stand - dieses wird von ihm als dem obersten Dienstherren der Bundeswehr gewissermaßen erwartet -, sondern weshalb er trotz gegenteiliger Meldungen nichts von zivilen Opfern wissen wollte und dies auch am 8.9.2009 vor dem Verteidigungsausschuss erklärte, obwohl der Nato-Bericht bereits am Vortag in Berlin eingetroffen war (SPIEGEL 38/2009). Also hatte Jung entweder bewusst die Unwahrheit gesagt, um angesichts der anstehenden Bundestagswahl möglichen Imageschäden vorzubeugen, oder er als Verteidigungsminister muss sich den Vorwurf gefallen lassen, als Chef der Bundeswehr sein eigenes Haus nicht im Griff zu haben, da ihm in diesem Falle wichtige Unterlagen nicht vorgelegt wurden. Mittlerweile ist Jung jedoch von allen politischen Ämtern zurückgetreten, deshalb erscheint die Klärung dieser Frage eher als Randnotiz in der Affäre.


=== Angela Merkel ===
=== Angela Merkel ===
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* Wann wusste das Kanzleramt was über die Details der Bombardierung, und spielte die anstehende Bundestagswahl eine Rolle bezüglich der mangelhaften Informationspolitik der Regierung?
* Wann wusste das Kanzleramt was über die Details der Bombardierung, und spielte die anstehende Bundestagswahl eine Rolle bezüglich der mangelhaften Informationspolitik der Regierung?


Die Bundeskanzlerin und ihre engen Mitarbeiter stehen ebenfalls im Fokus der Ermittlungen, weil sie als Regierungschefin letztlich die Verantwortung für ihre Kabinettsmitglieder tragen muss, zumal sie in ihrer Regierungserklärung vom 8.9.2009 eine "lückenlose Aufklärung" der Ereignisse versprach; dieses Versprechen konnte oder wollte sie allerdings (bisher) nicht entsprechend einlösen. Ein möglicher Grund könnte die Bundestagswahl Ende September 2009 gewesen sein: Unschuldige Tote am Hindukusch hätten womöglich Anlass zur Kritik an der Bundeswehr sein und zum Rückgang der Akzeptanz des Afghanistan-Einsatzes in der Bevölkerung führen können (SPIEGEL 49/2009:23), was möglicherweise wichtige Wählerstimmen gekostet hätte [http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,684294,00.html]. Doch auch nach der Bundestagswahl tat die wiedergewählte Kanzlerin wenig, um Licht ins Dunkel der Affäre zu bringen; stattdessen entzog sie sich bislang weitestgehend ihrer politischen Verantwortung [http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,667189,00.html].
Die Bundeskanzlerin und ihre engen Mitarbeiter stehen ebenfalls im Fokus der Ermittlungen, weil Merkel als Regierungschefin letztlich die Verantwortung für ihre Kabinettsmitglieder tragen muss, zumal sie in ihrer Regierungserklärung vom 8.9.2009 eine "lückenlose Aufklärung" der Ereignisse versprach; dieses Versprechen konnte oder wollte sie allerdings (bisher) nicht entsprechend einlösen. Ein möglicher Grund könnte die Bundestagswahl Ende September 2009 gewesen sein: Unschuldige Tote am Hindukusch hätten womöglich Anlass zur Kritik an der Bundeswehr sein und zum Rückgang der Akzeptanz des Afghanistan-Einsatzes in der Bevölkerung führen können (SPIEGEL 49/2009), was möglicherweise wichtige Wählerstimmen gekostet hätte [http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,684294,00.html]. Doch auch nach der Bundestagswahl tat die wiedergewählte Kanzlerin wenig, um Licht ins Dunkel der Affäre zu bringen; stattdessen entzog sie sich bislang weitestgehend ihrer politischen Verantwortung [http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,667189,00.html].
 
Am 25.3.2010 meldete SPIEGEL ONLINE, dass am Morgen des 4.9.2009 um 8.06 Uhr an führende Beamte der Abteilung 6 im Kanzleramt von Angela Merkel eine Mail mit Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND) erging, dass bei dem Angriff "zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen sind (Zahlen variieren von 50 bis 100)" [http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,685582,00.html]. Damit rückt nun auch die Kanzlerin, die bisher die Vertuschungsaffäre rund um das Bombardement erfolgreich von sich fernhalten konnte, in den Fokus: Auch wenn sie die Existenz ziviler Opfer nie verneint hatte, wird sie durch die E-Mail unter Druck gesetzt, schließlich stellt sich die Frage, ob Merkel nicht früher in das schlechte Krisenmanagement ihrer Regierung hätte eingreifen können - und müssen [http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,685688,00.html].


=== Karl-Theodor zu Guttenberg ===
=== Karl-Theodor zu Guttenberg ===
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: - wann er tatsächlich über welche Informationen verfügte bzw. verfügen konnte, und inwieweit die Vehemenz, mit der Guttenberg seine Ansichten zur Lage der Dinge äußerte, ihrerseits angemessen war;
: - wann er tatsächlich über welche Informationen verfügte bzw. verfügen konnte, und inwieweit die Vehemenz, mit der Guttenberg seine Ansichten zur Lage der Dinge äußerte, ihrerseits angemessen war;


: - ob er die mittlerweile drei Entlassungen (neben Schneiderhan und Wichert wurde Mitte März auch der Brigadegeneral Henning Hars wegen kritischer Nachfragen in den einstweiligen Ruhestand versetzt [http://www.focus.de/politik/deutschland/verteidigung-weiterer-general-wegen-kundus-affaere-entlassen_aid_489163.html]) womöglich nur veranlasste, um von eigenen Fehlern abzulenken.
: - ob er die mittlerweile drei Entlassungen (neben Schneiderhan und Wichert wurde Mitte März auch der Brigadegeneral Henning Hars wegen kritischer Nachfragen in den einstweiligen Ruhestand versetzt [http://www.focus.de/politik/deutschland/verteidigung-weiterer-general-wegen-kundus-affaere-entlassen_aid_489163.html]) womöglich nur veranlasste, um von eigenen Fehlern abzulenken, zumal er kurz vor der Anhörung Schneiderhans und Wicherts, die am 18.3.2010 vor dem Untersuchungsausschuss aussagen sollten, zurückruderte und bekundete, er sei "nie davon ausgegangen, dass ihm böswillig, vorsätzlich Unterlagen vorenthalten worden sind" (SPIEGEL 11/2010: 23); genau damit hatte er jedoch wochenlang immer wieder die Entlassung seiner beiden Spitzenkräfte begründet.
 
Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses werden wohl maßgeblich zur Klärung der Frage beitragen, inwieweit die öffentlichen  Einschätzungen Guttenbergs von persönlichen Motiven bestimmt waren, wo bewusst Vertuschungen stattfanden und Eigeninteressen der Vorzug vor der objektiven Wahrheit gegeben wurde. Gleich nach seiner Amtsübernahme versprach der junge Verteidigungsminister, für mehr Transparenz seines Hauses zu sorgen [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2009-11/jung-guttenberg-kritik]. Sollte sich nun am Ende herausstellen, dass der Minister höchstpersönlich wenig zur lückenlosen Aufklärung der Affäre beitrug und stattdessen möglicherweise "Bauernopfer" [http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/wolfgang-schneiderhan-mr-bundeswehr-endet-als-bauernopfer;2490630] forderte, dann würde die kurze, aber steile Karriereleiter Guttenbergs eventuell ein jähes Ende finden. Dass er für die Regierung unhaltbar würde, läge allerdings nicht an seiner anfänglichen Fehleinschätzung - diese und der spätere Kurswechsel könnten ihm angesichts der relativ kurzen Amtszeit zum Zeitpunkt der Vorfälle gewissermaßen als "Anfängerfehler" nachgesehen werden. Vielmehr die Art und Weise, mit der Guttenberg im Anschluss daran sein Missgeschick zu vertuschen suchte, offenbar unfähig, eigene Fehler öffentlich einzugestehen, würde ihn für Merkel unglaubwürdig und damit wohl untragbar machen.
 
=== Bundeswehr ===
 
* Inwieweit wird die Truppe in Afghanistan ihrer Funktion als "Parlamentsarmee" gerecht?
 
Neben den oben genannten Hauptpersonen muss sich allerdings auch die Bundeswehr als Institution möglicherweise unangenehmen Fragen stellen. Im Zuge der bisherigen Affäre ist an einigen Stellen bereits deutlich geworden, dass die Informationsstränge in der Armee teilweise äußerst wirr und unüberschaubar verlaufen. An manchen Stellen werden wichtige Dokumente nicht weitergleitet, hochrangige Militärs unterrichten ihre (politischen) Vorgesetzten nicht, und v. a. haben sich offensichtlich innerhalb der Streitkräfte Strukturen gebildet, von denen ein Großteil der Parlamentarier bislang keinerlei Kenntnis hatte, was angesichts des Parlamentsbeteiligungsgesetzes [http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2008/19492439_parlamentsarmee/index.html] (wonach der Bundestag über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung im Einsatzgebiet zwingend zu unterrichten ist [http://www.bundestag.de/dokumente/rechtsgrundlagen/parlamentsbeteiligung/index.html]) als illegitim bezeichnet werden muss. Das Ausmaß der Beteiligung des KSK [http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-01/afghanistan-kundus-ksk] an den Vorgängen in der besagten Nacht im Rahmen der ominösen Task Force 47 sowie die generelle Unklarheit des Parlaments bezüglich des Ausmaßes von Aktivitäten von KSK-Soldaten in Afghanistan ist in jedem Fall klärungsbedürftig. Es hat den Anschein, als hätten sich Teile der Armee verselbständigt, so dass auch die Gründe für eine solche Loslösung von gesetzlichen Vorschriften zu erforschen sind.
 
== Erste Untersuchungsergebnisse ==
 
Der Untersuchungsausschuss hat mittlerweile einige der in die Affäre verwickelten Spitzenmilitärs und -beamte angehört. So wurde am 10.2.2010 als einer der Ersten Oberst Klein zu den nächtlichen Bombardierungen vernommen. Dieser hatte im Vorfeld einer Befragung freiwillig zugestimmt, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, als Beschuldigtem eines laufenden Ermittlungsverfahrens der Bundesanwaltschaft die Aussage zu verweigern. Vor dem Untersuchungsausschuss übernahm Klein die Gesamtverantwortung für den Luftschlag; er habe allein und ohne Anweisung von Vorgesetzten entschieden ([http://www.neue-oz.de/dpa/brennpunkte/2010/02/10/dpa-23824788.html]). Seiner Aussage nach seien die Laster und die sie unmittelbar umgebenden Aufständischen das Ziel des Angriffs gewesen - sein Fliegerleitoffizier, ebenfalls vom Untersuchungsausschuss befragt, gab im Gegensatz dazu jedoch zu verstehen, er habe lediglich die Tanklastzüge als Gefahr ausschalten wollen (SPIEGEL 9/2010). Desweiteren sei entgegen Kleins Angaben mehr als einmal auf die Möglichkeit verwiesen worden, zwecks Abschreckung Tiefflüge über der Sandbank zu unternehmen.
 
Auch die gechassten Spitzenleute Schneiderhan und Wichert sind inzwischen von den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses zu den Vorfällen vernommen worden. Beide wiesen die Behauptung Guttenbergs, diesen im November belogen zu haben, weit von sich. Der ehemalige Generalinspekteur hatte den Eindruck, "dass der Minister auf Ballhöhe war - immer" [http://www.faz.net/s/Rub0CCA23BC3D3C4C78914F85BED3B53F3C/Doc~E1280394BDB2943A1959B82AFF3DFF77D~ATpl~Ecommon~Scontent.html] Sie bestätigten darüber hinaus, dass es innerhalb des Verteidigungsministeriums eine "Gruppe 85" unter der Leitung Wicherts gegeben habe, welche nicht der Vertuschung gedient habe, sondern der Sicherstellung, "dass die Isaf-Untersuchung nicht einseitig zu Lasten des damaligen Kommandeurs in Kundus, Oberst Klein, verlaufe" (ebd.). Beide bekundeten ihr Unverständnis über die erste eigene Bewertung Guttenbergs, der Angriff sei nicht nur militärisch angemessen gewesen, es habe sogar auch ohne Fehler zum Luftschlag kommen ''müssen''; sie hätten keine Idee, was den Verteidigungsminister zu dieser Bewertung veranlasst haben könnte.
 
Am 25.3.2010 wird Ex-Verteidigungsminister Jung angehört werden, sein Amtsnachfolger Guttenberg soll sich am 22.4.2010 vor dem Untersuchungsausschuss erklären.
 
==(Vorläufiges) Fazit ==
 
Der schwerste Militärschlag in der Nachkriegsgeschichte der Bundeswehr hat eine eigentümliche Dynamik gewonnen, deren politische Folgen noch lange nicht abzusehen sind. Es sind nicht alleine Verfehlungen einzelner Soldaten, nicht einmal der Tod zahlreicher Zivilisten, die schockieren - in einem bewaffneten Konflikt, wenn nicht gar Krieg kommt es immer wieder zu sog. "Kollateralschäden", die stets bedauernswert, letztlich aber nie ganz zu vermeiden sind. Es ist vielmehr die Art und Weise, mit der die Verantwortlichen, Militärs wie (Verteidigungs-)Politiker, in dieser Affäre agieren. Die Fehler werden durchweg bei anderen gesucht, statt klarer, eindeutiger Aussagen wird um Worte, um Auslegungen gefeilscht, und wo doch einmal ein eigentlich unmissverständliches Statement gesetzt wird, folgt wenig später die Korrektur. Als Außenstehender bekommt man fast zwangsläufig den Eindruck, es würden nie alle relevanten Informationen präsentiert, nur scheibchenweise gelangen neue Erkenntnisse an die Öffentlichkeit, es werde allenthalben vertuscht, verwässert und versteckt.


Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses werden wohl maßgeblich zur Klärung der Frage beitragen, inwieweit die Einschätzungen Guttenbergs von persönlichen Motiven bestimmt waren, wo bewusst Vertuschungen stattfanden und Eigeninteressen der Vorzug vor der objektiven Wahrheit gegeben wurde. Gleich nach seiner Amtsübernahme versprach er, für mehr Transparenz seines Ministeriums zu sorgen [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2009-11/jung-guttenberg-kritik] - sollte sich am Ende herausstellen, dass der Verteidigungsminister höchstpersönlich wenig zur lückenlosen Aufklärung der Affäre beitrug und stattdessen möglicherweise "Bauernopfer" [http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/wolfgang-schneiderhan-mr-bundeswehr-endet-als-bauernopfer;2490630] forderte, dann würde die kurze, aber steile Karriereleiter Guttenbergs möglichweise ein jähes Ende finden. Dass er für die Regierung unhaltbar würde, läge allerdings nicht an seiner anfänglichen Fehleinschätzung - diese und der spätere Kurswechsel könnten ihm angesichts der relativ kurzen Amtszeit zum Zeitpunkt der Vorfälle gewissermaßen als "Anfängerfehler" nachgesehen werden. Vielmehr die Art und Weise, mit der Guttenberg im Anschluss daran sein Missgeschick zu vertuschen suchte, offenbar unfähig, eigene Fehler öffentlich einzugestehen, würde ihn für Merkel unglaubwürdig und damit wohl untragbar machen.
Die Politik gerät über diese Affäre in eine Glaubwürdigkeitskrise, weil selbst die in Umfragen als äußerst vertrauensvoll genannten Volksvertreter mauern und schachern, und die involvierten Personen allzu wenig dafür tun, diesen Eindruck zu bereinigen, um die skandalösen Zustände schnell zu einem Abschluss zu bringen. So bleibt abzuwarten, welche überraschenden Erkenntnisse im Rahmen der Untersuchung noch zu Tage gefördert werden.


== Quellenverzeichnis ==
== Quellenverzeichnis ==
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* DER SPIEGEL 52/2009: "Eskalation erwünscht", S. 18-22.
* DER SPIEGEL 52/2009: "Eskalation erwünscht", S. 18-22.
* DER SPIEGEL 5/2010: "Ein deutsches Verbrechen", 34-57.
* DER SPIEGEL 5/2010: "Ein deutsches Verbrechen", 34-57.
* DER SPIEGEL 9/2010: "Beförderung für 'Red Baron'", 13.
* DER SPIEGEL 11/2010: "Tarnen und Täuschen", 22-23.
* DIE ZEIT 38/2009: "Was den Afghanistan-Einsatz entscheidet".
* DIE ZEIT 38/2009: "Was den Afghanistan-Einsatz entscheidet".


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* SPIEGEL ONLINE: Hintergründe zur Kunduz-Affäre (10.3.2010) [http://www.spiegel.de/thema/oberst_georg_klein/]
* SPIEGEL ONLINE: Hintergründe zur Kunduz-Affäre (10.3.2010) [http://www.spiegel.de/thema/oberst_georg_klein/]
* SPIEGEL TV: "Geheimakte Kunduz" (31.1.2010) [http://www.spiegel.de/video/video-1044089.html]
* SPIEGEL TV: "Geheimakte Kunduz" (31.1.2010) [http://www.spiegel.de/video/video-1044089.html]
* Tagesspiegel.de: "Foto-Chronik der Kundus-Affäre" (letzter Abruf: 25.3.2010) [http://www.tagesspiegel.de/medien/fotos/cme1,329256.html]