Abolitionismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Artikel behandelt folgende Themen:  
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1. Was bedeutet "Abolitionismus"?<br>
1. Was bedeutet "Abolitionismus"?<br>
1.1. Herkunft des Wortes<br>
1.2. Begriffsgeschichte<br>


2. Geschichte des Abolitionismus und ...<br>
2. Geschichte des Abolitionismus und ...<br>
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== 1. Was bedeutet "Abolitionismus"? ==
== 1. Was bedeutet "Abolitionismus"? ==
Das Wort "Abolition" (Aufhebung, völlige Abschaffung) bedeutet die völlige Abschaffung eines rechtlich begründeten Zwangs oder Zwangsverhältnisses. Als "Abolitionsrecht" wurde das Recht eines Landesherrn bezeichnet, ein noch laufendes Strafverfahren niederzuschlagen (während die Amnestie die Aufhebung der Rechtsfolgen nach erfolgter Verurteilung betrifft). Die völlige Abschaffung des Sklavenhandels, der Sklaverei, der staatlichen Reglementierung der Prostitution, der Todesstrafe, des Gefängnisses, bzw. des Strafrechts/der Strafe waren das Ziel größerer oder kleinerer, erfolgreicher und erfolgloser Lehren und Initiativen, bzw. sozialer Bewegungen. Deshalb bezeichnet der Begriff Abolitionismus ganz allgemein die Lehren und Bestrebungen zur Aufhebung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse und Sanktionsformen.
Der Begriff A. bezeichnet Lehren und Bestrebungen zur Aufhebung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse und Sanktionsformen. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert bezeichnete das Wort "abolitionist" vor allem in Großbritannien einen Befürworter des Verbots des transatlantischen Sklavenhandels. Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnete es vor allem in den USA Befürworter einer Abschaffung der Sklaverei. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verband man mit dem Begriff vor allem die (vornehmlich britische) Bewegung zur Aufhebung der diskriminierenden Gesetze gegen die Prostituierten, die in verdünnter Form auch in Deutschland von sich reden machte. Im 20. Jahrhundert  wurde der Begriff im Zusammenhang mit der weltweiten Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe gebraucht. Heutzutage bezeichnet das Wort Abolitionismus auch eine im engeren Sinne kriminalpolitische Strömung, die auf die Abschaffung der Gefängnisse und des Strafrechtssystems sowie eine Neudefinition der bisher als [[Kriminalität]] bezeichneten Phänomene und auf einen völlig anderen, weniger Leid verursachenden Umgang mit diesen Situationen abzielt.
 
Der Begriff des Abolitionismus - zurückgehend auf das lateinische Wort abolitio (= die Aufhebung, Tilgung) - wird also immer dann benutzt, wenn es um die Forderung nach der völligen (und meist auch: sofortigen) Abschaffung einer Strafart, einer Strafinstitution, der Strafe selbst oder eines anderen rechtlich geregelten Zwangsverhältnisses (Sklaverei, staatliche Unterdrückung der Prostituierten) geht. Historisch gab es immer wieder Gegensätze zwischen den Abolitionisten und jenen, die sich auf eine längere Zeitperspektive oder sonstige Kompromisse einlassen wollten (Gradualisten).  


Auch die völlige Abschaffung der staatlichen Strafe einschließlich des Strafrechts und der Strafjustiz ist schon Gegenstand von abolitionistischen Überlegungen und Initiativen geworden. Als Abolitionismus kann man deshalb die Gesamtheit der mehr oder minder systematischen Überlegungen ("Lehren"), Initiativen und Bewegungen bezeichnen, die sich dem Ziel der völligen Abschaffung einer Institution des Rechtszwangs widmen. Historisch bedeutsam waren vor allem die britische Bewegung zur Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels (1787-1833), die us-amerikanische Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei, die ebenfalls vor allem in Großbritannien aktive Bewegung zur Befreiung der Prostituierten und die internationale Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe. In jüngerer Zeit spielt - vor allem in Teilen der Kriminologie - die Diskussion um die Abschaffung des Gefängnisses und der Strafe/Strafjustiz ebenfalls eine Rolle. Deshalb bezeichnet der Begriff Abolitionismus ganz allgemein die Lehren und Bestrebungen zur Aufhebung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse und Sanktionsformen.


=== 1.1 Herkunft des Wortes<br> ===
Das lateinische Verb abolere (aboleo, abolevi, abolitum) heißt soviel wie vernichten, zerstören, tilgen, beseitigen. Die abolitio (abolitionis, f.) ist die Tilgung oder Aufhebung, meist bezogen auf ein Gesetz (abolitio legis) oder eine Strafe (abolitio sententiae). Im römischen Kriminalrecht gab es die abolitio publica, die abolitio ex lege und die abolitio privata (Zurückziehungen der Anklage, bzw. Einstellung des Verfahrens). Auch das Mittelalter und die Neuzeit kannten noch das Abolitionsrecht, d.h. das Recht des Herrschers, jedes beliebige Strafverfahren zu jedem beliebigen Zeitpunkt vor dem Zeitpunkt des Urteils einstellen zu lassen (nach dem Urteil: Amnestie; Gnadenrecht). 
Das lateinische Verb abolere (aboleo, abolevi, abolitum) heißt soviel wie vernichten, zerstören, tilgen, beseitigen. Die abolitio (abolitionis, f.) ist die Tilgung oder Aufhebung, meist bezogen auf ein Gesetz (abolitio legis) oder eine Strafe (abolitio sententiae). Im römischen Kriminalrecht gab es die abolitio publica, die abolitio ex lege und die abolitio privata (Zurückziehungen der Anklage, bzw. Einstellung des Verfahrens).  


=== 1.2 Begriffsgeschichte<br> ===
Der Begriff A. bezeichnet Lehren und Bestrebungen zur Aufhebung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse und Sanktionsformen. Im 19. Jh. war es vor allem im angloamerikanischen Raum zunächst mit dem Kampf gegen die Sklaverei, dann auch mit dem gegen die Reglementierung der Prostitution verbunden. Als Abolitionisten bezeichneten sich dort aber auch damals schon die Anhänger einer Abschaffung der Todesstrafe. Heutzutage bezeichnet das Wort Abolitionismus auch eine im engeren Sinne kriminalpolitische Strömung, die auf die Abschaffung der Gefängnisse und des Strafrechtssystems sowie eine Neudefinition der bisher als [[Kriminalität]] bezeichneten Phänomene und auf einen völlig anderen, weniger Leid verursachenden Umgang mit diesen Situationen abzielt.




== Kriminologische Relevanz: ==
== Kriminologische Relevanz: ==
   
   
Unabhängig von der möglicherweise großen theoretischen Bedeutung des A. im Zusammenhang mit der Kritik der Strafe und ihrer Legitimationen lässt sich für die Kriminologie als soziales System, also als Versammlung von Leuten, die Kriminologie betreiben, sagen, dass der A. als Strömung nie sehr stark war und im Augenblick mal wieder angesichts der verbreiteten punitiven Tendenzen eher darnieder liegt. Vgl. die vernachlässigte Webseite von "ICOPA" - was schon für drei Namen stand: "International Conference on Prison Abolition", "International Conference on Penal Abolition" und "International Circle for Penal Abolition".
Unabhängig von der möglicherweise großen theoretischen Bedeutung des A. im Zusammenhang mit der Kritik der Strafe und des Strafrechts lässt sich für die Kriminologie als soziales System, also als Versammlung von Leuten, die Kriminologie betreiben, sagen, dass der A. als Strömung nie sehr stark war und im Augenblick angesichts des generellen punitive turn kaum eine Rolle spielt. Vgl. die vernachlässigte Webseite von "ICOPA" - was schon für drei Namen stand: "International Conference on Prison Abolition", "International Conference on Penal Abolition" und "International Circle for Penal Abolition".
Siehe: [http://www.interlog.com/~ritten/icopa.html International Conference on Penal Abolition]
Siehe: [http://www.interlog.com/~ritten/icopa.html International Conference on Penal Abolition]



Version vom 17. September 2007, 23:12 Uhr

Der Artikel behandelt folgende Themen:

1. Was bedeutet "Abolitionismus"?

2. Geschichte des Abolitionismus und ...
2.1. der Sklaverei
2.2. der Prostitution
2.3. der Todesstrafe
2.4. der Gefängnisse
2.5. der Strafrecht

3. Kritik am Abolitionismus


1. Was bedeutet "Abolitionismus"?

Der Begriff A. bezeichnet Lehren und Bestrebungen zur Aufhebung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse und Sanktionsformen. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert bezeichnete das Wort "abolitionist" vor allem in Großbritannien einen Befürworter des Verbots des transatlantischen Sklavenhandels. Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnete es vor allem in den USA Befürworter einer Abschaffung der Sklaverei. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verband man mit dem Begriff vor allem die (vornehmlich britische) Bewegung zur Aufhebung der diskriminierenden Gesetze gegen die Prostituierten, die in verdünnter Form auch in Deutschland von sich reden machte. Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff im Zusammenhang mit der weltweiten Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe gebraucht. Heutzutage bezeichnet das Wort Abolitionismus auch eine im engeren Sinne kriminalpolitische Strömung, die auf die Abschaffung der Gefängnisse und des Strafrechtssystems sowie eine Neudefinition der bisher als Kriminalität bezeichneten Phänomene und auf einen völlig anderen, weniger Leid verursachenden Umgang mit diesen Situationen abzielt.

Der Begriff des Abolitionismus - zurückgehend auf das lateinische Wort abolitio (= die Aufhebung, Tilgung) - wird also immer dann benutzt, wenn es um die Forderung nach der völligen (und meist auch: sofortigen) Abschaffung einer Strafart, einer Strafinstitution, der Strafe selbst oder eines anderen rechtlich geregelten Zwangsverhältnisses (Sklaverei, staatliche Unterdrückung der Prostituierten) geht. Historisch gab es immer wieder Gegensätze zwischen den Abolitionisten und jenen, die sich auf eine längere Zeitperspektive oder sonstige Kompromisse einlassen wollten (Gradualisten).

Auch die völlige Abschaffung der staatlichen Strafe einschließlich des Strafrechts und der Strafjustiz ist schon Gegenstand von abolitionistischen Überlegungen und Initiativen geworden. Als Abolitionismus kann man deshalb die Gesamtheit der mehr oder minder systematischen Überlegungen ("Lehren"), Initiativen und Bewegungen bezeichnen, die sich dem Ziel der völligen Abschaffung einer Institution des Rechtszwangs widmen. Historisch bedeutsam waren vor allem die britische Bewegung zur Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels (1787-1833), die us-amerikanische Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei, die ebenfalls vor allem in Großbritannien aktive Bewegung zur Befreiung der Prostituierten und die internationale Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe. In jüngerer Zeit spielt - vor allem in Teilen der Kriminologie - die Diskussion um die Abschaffung des Gefängnisses und der Strafe/Strafjustiz ebenfalls eine Rolle. Deshalb bezeichnet der Begriff Abolitionismus ganz allgemein die Lehren und Bestrebungen zur Aufhebung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse und Sanktionsformen.

Das lateinische Verb abolere (aboleo, abolevi, abolitum) heißt soviel wie vernichten, zerstören, tilgen, beseitigen. Die abolitio (abolitionis, f.) ist die Tilgung oder Aufhebung, meist bezogen auf ein Gesetz (abolitio legis) oder eine Strafe (abolitio sententiae). Im römischen Kriminalrecht gab es die abolitio publica, die abolitio ex lege und die abolitio privata (Zurückziehungen der Anklage, bzw. Einstellung des Verfahrens). Auch das Mittelalter und die Neuzeit kannten noch das Abolitionsrecht, d.h. das Recht des Herrschers, jedes beliebige Strafverfahren zu jedem beliebigen Zeitpunkt vor dem Zeitpunkt des Urteils einstellen zu lassen (nach dem Urteil: Amnestie; Gnadenrecht).


Kriminologische Relevanz:

Unabhängig von der möglicherweise großen theoretischen Bedeutung des A. im Zusammenhang mit der Kritik der Strafe und des Strafrechts lässt sich für die Kriminologie als soziales System, also als Versammlung von Leuten, die Kriminologie betreiben, sagen, dass der A. als Strömung nie sehr stark war und im Augenblick angesichts des generellen punitive turn kaum eine Rolle spielt. Vgl. die vernachlässigte Webseite von "ICOPA" - was schon für drei Namen stand: "International Conference on Prison Abolition", "International Conference on Penal Abolition" und "International Circle for Penal Abolition". Siehe: International Conference on Penal Abolition

Literatur:

Adam Hochschild, Bury the Chains. The British Struggle to Abolish Slavery. New York: Houghton Mifflin 2005

Sebastian Scheerer, "Abolitionismus". In: R. Sieverts, H.J. Schneider, Hg., Handwörterbuch der Kriminologie. In völlig neu bearb. zweiter Auflage, Band 5, Berlin: de Gruyter: 1991: 289-301 (S. 289).