10.11.2017 netzpolitik: Die EU-Kommission verweigert die Herausgabe von Dokumenten, welche das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bewerten. Die WirtschaftsWoche hatte diese angefragt – schließlich ist die EU-Kommission seit 2001 zur Herausgabe von internen Dokumenten verpflichtet, wenn diese nicht die öffentliche Sicherheit gefährden. - Dieses Mal gab es jedoch eine andere Begründung für die Weigerung, die verlangten Dokumente nicht freizugeben. In der WirtschaftsWoche heißt es dazu:

Damit erhärtet sich der Verdacht, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, Brüssel Deutschland aber nicht brüskieren will. Eine offizielle Anfrage der WirtschaftsWoche auf Herausgabe der Dokumente verweigerte die Kommission. Die Begründung: „Die Veröffentlichung der Dokumente würde das Klima des gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Mitgliedsstaat und der Kommission beeinträchtigen“.

Im Gesetzgebungsprozess war einer der Kritikpunkte, dass das Gesetz nicht mit Europarecht konform sei.

7.1.2018: Generalsekretärin der FDP, Nicola Beer, und mehrere Grünen-Politiker haben sich nach der Sperrung des Twitter-Accounts des Satiremagazins „Titanic“ in der vergangenen Woche für die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ausgesprochen.- „Die vergangenen Tage haben eindringlich gezeigt, dass private Anbieter nicht in der Lage sind, in allen Fällen mutmaßlich strafbarer Äußerungen im Netz die richtige Entscheidung darüber zu treffen, ob eine rechtswidrige, eine satirische oder aber eine geschmacklose, in einer Demokratie aber zu ertragende Meinungsäußerung vorliegt“, sagte Beer der WELT AM SONNTAG. - Konstantin von Notz, der netzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, warnt ebenfalls vor den Folgen des NetzDG. Er sagte: „Die Sperrung des Twitter-Accounts der ,Titanic‘ zeigt natürlich deutlich die Gefahr des Overblockings durch viel zu kurze Löschfristen und unbestimmte Rechtsbegriffe, die wir im Gesetzgebungsverfahren deutlich kritisiert haben. Denn offensichtlich wurden hier Kontextinformationen, wie, dass es sich bei dem Account-Betreiber um ein Satiremagazin handelt, gerade nicht mit in die Entscheidung mit einbezogen. Diese ‚Kollataralschäden‘ entstehen mit Ansage, denn die große Koalition hat dieses Gesetz sehenden Auges so grob gestrickt, und so ist der von uns und vielen Experten angemahnte Reformbedarf überfällig.“ -„Wir brauchen die sachgerechte Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden zur Durchsetzung des Rechts auch im Netz, nicht die Privatisierung dieser Entscheidungen bei internationalen Plattbetreibern wie mit dem NetzDG.“ Schwer erträglich sei es, wie Justizminister Heiko Maas mit dem NetzDG rassistischen Populisten eine Plattform für Provokation bietet. Das Gesetz sei „vermurkst und gehört durch ein ordentliches ersetzt, wie es Freie Demokraten schon vor Weihnachten in den Bundestag eingebracht haben“, so Beer. -- Ähnlich beurteilt Simone Peter das NetzDG. Die Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen sagte dieser Zeitung: „Die Sperrung des Twitter-Accounts der ,Titanic‘ offenbart die Schwächen des mit viel zu heißer Nadel gestrickten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein US-amerikanisches Unternehmen wie Twitter die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland beeinflusst. Denn offensichtlich ignorierte Twitter, dass es sich bei der ,Titanic‘ um ein Satiremagazin handelt.“Das seit Jahresbeginn geltende Gesetz, das die große Koalition im vergangenen Jahr verabschiedet hatte, verlangt von Portalen wie Twitter, Facebook und Youtube, „offensichtlich strafbare“ Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Twitter hatte am Dienstag den Account von „Titanic“ geblockt und einen Tweet gelöscht. Darin hatte das Magazin den Begriff „Barbarenhorden“ verwendet und damit eine Nachricht der AfD-Politikerin Beatrix von Storch parodiert.

(MMEDIA 2.1.2018): Ein in der Silvesternacht am Sonntag verbreiteter Tweet sorgte bei AfD-Vizechefin Beatrix von Storch für Ärger. Darin wünschte die Polizei Köln allen Feiernden im Rheinland einen guten Rutsch – auf Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Von Storch antwortete daraufhin bei Twitter mit einem höhnischen, bei ihrer Anhängerschaft Beifall heischenden Kommentar: „Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso twittert eine offizielle Polizeiseite aus NRW auf arabisch?“ In Anlehnung an die Kölner Silvesternacht von 2015/16, als es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch junge Männer mit nordafrikanischem und arabischem Hintergrund kam, fuhr sie fort: „Meinen Sie, die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?“ -- Nutzer meldeten den Beitrag sowohl auf Twitter als auch bei Facebook, wo er im weltgrößten Sozialen Netzwerk im gleichen Wortlaut veröffentlicht wurde. Beide Plattformen löschten ihn kurz darauf. Facebook kommentierte diesen Schritt wie folgt: „Wir haben den Zugang zu diesem Inhalt aus folgendem Grund gesperrt: Volksverhetzung (Paragraf 130 des deutschen Strafgesetzbuchs).“ Twitter deaktivierte Beatrix von Storchs Account für eine kurze Zeit. Die Kölner Polizei stellte zudem Strafanzeige gegen die AfD-Politikerin, nachdem diese den ursprünglichen Tweet der Polizei weiter verbreitet hatte. Auf Anfrage erklärte die Pressestelle der Kölner Polizei, dass es ihrerseits keine Meldung bei Twitter oder Facebook gegeben habe. Sie habe lediglich nach dem Strafverfolgungszwang gehandelt, wonach die Polizei bei Verdacht einer Straftat Anzeige erstatten muss. Mittlerweile sind weitere Anzeigen gegen Beatrix von Storch eingegangen. Nun übernimmt die Kölner Staatsanwaltschaft den Fall. - Für Kritiker des „Facebook-Gesetzes“ indes scheint sich nun zu bewahrheiten, was sie seit Sommer 2017 befürchten: Das NetzDG beschneide die Meinungsfreiheit und schaffe Chancen für Zensur. Viele Hass-Postings mögen zwar inhaltlich inakzeptabel sein. Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass sie gesetzwidrig sind. Viel mehr bewegen sich populistische Postings wie im Fall von Beatrix von Storch möglicherweise in einer Grauzone und bedürfen einer juristischen Überprüfung durch Gerichte. Das Justizministerium schreibt dazu: „Soziale Netzwerke müssen offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde löschen oder sperren. Über andere gemeldete Inhalte müssen soziale Netzwerke unverzüglich, in der Regel innerhalb von 7 Tagen nach Eingang der Beschwerde, entscheiden.“ - Enthielt Beatrix von Storchs Posting nun „offensichtlich strafbare Inhalte“? Die Mitarbeiter von Twitter und Facebook handhabten die Angelegenheit jedenfalls so. Ein Hamburger Medienrechtsanwalt beurteilt den Sachverhalt auf Anfrage von MEEDIA wesentlich differenzierter. Seiner Einschätzung nach handelt es sich um eine „zwar höchst grenzwertige, aber wohl von der Meinungsfreiheit gedeckte Aussage“. Denn: „Von Storch stellt ihren Inhalt in den Kontext der Ereignisse von 2015 und stellt somit keine pauschale Behauptung auf. Sie sagt ja nicht, dass alle Muslime gemeint sind.“ - Aussagen dieser Art müssten nach Einschätzung des Juristen hinsichtlich des Kontextes der Äußerung, der inhaltlichen Ebene und der Betonung genau überprüft werden. Selbst Inhalte mit scheinbar strafbaren Inhalten bedürften einer detaillierten Betrachtung. Ob das in 24 Stunden bewerkstelligt werden kann, bezweifeln Kritiker wie Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. In der Süddeutschen Zeitung äußerte er Bedenken gegenüber der eintägigen Frist. Aus Angst vor hohen Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro könnten Soziale Netzwerke lieber zu viele Inhalte löschen statt angemessen zu prüfen, das sogenannte Overblocking. Nutzer könnten das Gesetz ebenfalls ausnutzen und aus politischen Gründen ausgewählte, legale Inhalte melden. -- Die Diskussion um den Tweet von Beatrix von Storch verdeutlicht, dass das NetzDG zu großen Problemen für die Meinungs- und Pressefreiheit führen kann. Wer von der Account-Sperrung der AfD-Politikerin las und der Meinung war, es würde in diesem Fall nicht den Falschen treffen, musste im Laufe des Tages erfahren, dass derartige Maßnahmen auch gegen andere verhängt wurden. So machte die Redaktion des Satiremagazins Titanic, die den Fall von Storch zum Anlass genommen hatte, im Namen der gesperrten AfD-Vizechefin zu twittern, ebenfalls eine Löschaktion öffentlich. Einer der Tweets lautete: „Weshalb verwendet eigentlich die deutsche Polizei arabische Zahlen? Ich wehl doch nicht 110, wen die Barbarenhorden mich vergewaltigen wollen! (bvs).“ Auf Anfrage von MEEDIA bestätigte Chefredakteur Tim Wolff: „Dieser (Tweet) wurde von Twitter gelöscht. Gesperrt wurden wir – noch – nicht.“ Mit dem Verständnis von Ironie scheint es bei den Kontrolleuren im Dienste von Twitter offenbar noch zu hapern. - Bei der Titanic nimmt man die Löschung gelassen und kommentiert diese gewohnt satirisch. Chefredakteur Wolff: „Wir fühlen uns durch diese Zensur in unserer publizistischen Arbeit massiv eingeschränkt. Was zur Hölle ist in diesem Internet los, wenn wir Barbaren keine Twitterschutzzone mehr bieten können? So fing es damals auch an!“ - Klar scheint, dass die Praxis der eigenverantwortlichen Kontrolle von Beiträgen auf den Social Media-Plattformen noch häufiger für Kontroversen sorgen wird. Wichtigster Maßstab dabei wird die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Pressefreiheit sein. „Unabhängig ob man irgendeiner Partei oder Meinung zuneigt – oder sie ablehnt. Meinungen jeglicher Art dürfen nicht verboten werden, solange sie nicht klar gegen gängiges Recht verstoßen“, so der von MEEDIA befragte Medienrechtler. „Eine demokratische Gesellschaft muss sich mit kritischen Aussagen auseinandersetzen.“ -

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist am Ende – außer es kommt wieder zu einer Großen Koalition. Alle kleinen Parteien im Bundestag wollen das für die Meinungsfreiheit gefährliche Gesetz kippen: FDP, Linke und AfD bringen sich heute sogar mit eigenen Gesetzentwürfen in Stellung. 12.12.2017. - Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) soll laut den Jamaika-Sondierungen „grundlegend überarbeitet“ werden, berichtet das Handelsblatt. Damit konnte sich die FDP, die im Wahlkampf eine komplette Abschaffung des umstrittenen Gesetzes gefordert hatte, nicht durchsetzen. Aus Kreisen der Grünen war schon im Vorfeld der Sondierungen zu hören gewesen, dass eine völlige Rücknahme des Gesetzes nicht wünschenswert sei. 14.11.2017