Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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Die deutsche Strafrechtsgeschichte zeigt keine Tendenz zu einer fortschreitenden Humanisierung oder auch nur zu einer immer weiteren Entkriminalisierung. Und wenn es zu Entkriminalisierungen kam, dann handelte es sich in den wenigsten Fällen zwar um einen Wertwandel im Sinne einer ethischen Unbedenklichkeitsbescheinigung für ein einstmals vielleicht zu unrecht stigmatisiertes Verhalten - auch wenn manchmal ein Zug zur Milde zu erkennen ist, so wie im Jahre 1923, als das Jugendgerichtsgesetz (JGG) die Strafmündigkeitsgrenze von 12 auf 14 anhob und damit auch eine veränderte Einstellung zum Jugendalter und dazu manifestierte, wie man mit den speziellen Lebensumständen und Entwicklungen umgehen sollte. Meist sind es aber wohl doch eher trivial anmutende Kosten-Nutzen-Rechnungen, die den Weg zu einer Rücknahme der Strafdrohung ebneten, wenn und weil man den Verwaltungs- und Bestrafungsaufwand für nicht mehr vertretbar hält im Vergleich zu seinem Ertrag.  
Die deutsche Strafrechtsgeschichte zeigt keine Tendenz zu einer fortschreitenden Humanisierung oder auch nur zu einer immer weiteren Entkriminalisierung. Und wenn es zu Entkriminalisierungen kam, dann handelte es sich in den wenigsten Fällen zwar um einen Wertwandel im Sinne einer ethischen Unbedenklichkeitsbescheinigung für ein einstmals vielleicht zu unrecht stigmatisiertes Verhalten - auch wenn manchmal ein Zug zur Milde zu erkennen ist, so wie im Jahre 1923, als das Jugendgerichtsgesetz (JGG) die Strafmündigkeitsgrenze von 12 auf 14 anhob und damit auch eine veränderte Einstellung zum Jugendalter und dazu manifestierte, wie man mit den speziellen Lebensumständen und Entwicklungen umgehen sollte. Meist sind es aber wohl doch eher trivial anmutende Kosten-Nutzen-Rechnungen, die den Weg zu einer Rücknahme der Strafdrohung ebneten, wenn und weil man den Verwaltungs- und Bestrafungsaufwand für nicht mehr vertretbar hält im Vergleich zu seinem Ertrag.  


Das gilt etwa für die '''Emminger'''-Verordnungen von 1924, die auf das Ermächtigungsgesetz vom 08.12.1923 zurückgingen, das das Regieren auf dem Verordnungswege unter Umgehung des Parlaments gestattete, soweit die Maßnahmen im Hinblick auf die Not von Volk und Reich erforderlich waren. Die "Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924" (RGBl. I 15ff.) des kurzzeitigen Justizministers Erich Emminger (30.11.23-15.4.24) bewirkte bekanntlich eine der tiefgreifendsten Umgestaltungen des Kriminalwesens, indem es nicht nur das Schwurgericht alter Form mit seiner Trennung von Richter- und Geschworenenbank sowie von Straf- und Schuldfrage abschaffte und an dessen Stelle die einheitliche Richterbank aus drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen setzte, sondern der Staatsanwaltschaft auch die '''Verfolgung geringfügiger Übertretungen untersagte''', soweit das öffentliche Interesse nicht dagegenstand.  
Das gilt etwa für die '''Emminger'''-Verordnungen von 1924, die auf das Ermächtigungsgesetz vom 08.12.1923 zurückgingen, das das Regieren auf dem Verordnungswege unter Umgehung des Parlaments gestattete, soweit die Maßnahmen im Hinblick auf die Not von Volk und Reich erforderlich waren. Die "Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924" (RGBl. I 15ff.) des kurzzeitigen Justizministers Erich Emminger (30.11.23-15.4.24) bewirkte bekanntlich eine der tiefgreifendsten Umgestaltungen des Kriminalwesens, indem es nicht nur das Schwurgericht alter Form mit seiner Trennung von Richter- und Geschworenenbank sowie von Straf- und Schuldfrage abschaffte und an dessen Stelle die einheitliche Richterbank aus drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen setzte, sondern der Staatsanwaltschaft auch die '''Verfolgung geringfügiger Übertretungen untersagte''', soweit das öffentliche Interesse nicht dagegenstand. In einem regulären parlamentarischen Verfahren hätte eine solche partielle de facto Entkriminalisierung es wohl sehr viel schwerer gehabt. Wie überhaupt die Aufhebung von Strafgesetzen per ordre de mufti bzw. durch einen deus ex machina manchmal etwas Befreiendes anhaften kann. Man denke an die simultane Aufhebung gleich mehrerer Bestimmungen des deutschen Strafrechts - z.B. §§ 2, 2b, 134b, 226b RStGB - durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30.1.1946. 


Ähnlich die Motivation für die weitgehende '''Herabstufung''' der strafgesetzlichen Tatbestände der sog. Übertretungen auf das Niveau von Ordnungswidrigkeiten (1975) - teils aber auch Aufwertung zu Vergehen (vgl. Baumann JZ 72, 2ff., Dencker JZ 73, 144 ff.).
Weniger ethischen Grundsätzen als vielmehr einer deutlichen Entlastung des Kriminaljustizsystems - nun allerdings wieder auf dem regulären parlamentarischen Weg - diente auch die '''Herabstufung''' der strafgesetzlichen Tatbestände der sog. Übertretungen auf das Niveau von Ordnungswidrigkeiten (1975) - teils aber auch Aufwertung zu Vergehen (vgl. Baumann JZ 72, 2ff., Dencker JZ 73, 144 ff.).




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*Jugendgerichtsgesetz von 1923: Anhebung der Strafmündigkeitsgrenze von 12 auf 14 Jahre
*Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946: Aufhebung einzelner Bestimmungen des deutschen Strafrechts wie z.B. §§ 2, 2b, 134b, 226b RStGB
*Streichung oder Einschränkung der §§ 172 a.F.(Ehebruch), 175b a.F. (Unzucht zwischen Männern), 175b a.F. (Widernatürliche Unzucht), 180 a.F. (Kuppelei), 180a I, 181a II (Prostitution)
*Streichung oder Einschränkung der §§ 172 a.F.(Ehebruch), 175b a.F. (Unzucht zwischen Männern), 175b a.F. (Widernatürliche Unzucht), 180 a.F. (Kuppelei), 180a I, 181a II (Prostitution)


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