Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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Das deutsche Verfassungsrecht kennt die drei Kriterien der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Wo auch nur eines dieser Kriterien nicht erfüllt ist - eine Strafnorm also entweder nicht geeignet oder nicht erforderlich oder nicht verhältnismäßig ist - ist sie verfassungswidrig.
Das deutsche Verfassungsrecht kennt die drei Kriterien der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Wo auch nur eines dieser Kriterien nicht erfüllt ist - eine Strafnorm also entweder nicht geeignet oder nicht erforderlich oder nicht verhältnismäßig ist - ist sie verfassungswidrig.


Ungeeignet ist ein Strafgesetz dann, wenn es den angestrebten Erfolg gar nicht erreichen kann. Dass es auch dann verfassungswidrig ist, wenn es zwar zur Erreichung des Erfolgs geeignet, aber dazu gar nicht erforderlich ist, weil es andere und weniger einschneidende Mittel gibt, ist ein an der Aufklärung orientiertes Denken des politischen Liberalismus und des philosophischen Utilitarismus. Nicht ohne Grund schlug schon Cesare Beccaria in seiner kleinen, aber Epoche machenden Schrift über Verbrechen und Strafen aus dem Jahre 1764 einen hohen Ton an, als er postulierte (1764/1966: 52) "Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, sagt der große Montesquieu, ist tyrannisch; ein Satz, der wie folgt sich verallgemeinern läßt: jeder Akt der Herrschaft eines Menschen über einen Menschen, der nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch." Dieser Gedanke tauchte dann sogar in Artikel 8 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1789 wieder auf, wo es hieß: „La loi ne doit établir que des peines strictement et évidemment nécessaires.“ - In Deutschland erklärte es Mittermaier im Jahre 1819 zum "Grundfehler" seiner Zeit, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen.“ - Kein geringerer als Franz von Liszt (zit. n. Roos 1981: 7f.) forderte in seiner Strafzweckslehre, dass ein Verhalten nur unter Strafe gestellt werden dürfe, wenn und soweit es dafür eine Notwendigkeit bestehe: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“ (zit. nach Roos 1981: 7 f.). Gustav Radbruch erklärte 1927 in seiner Schrift „Abbau des Strafrechts“, dass das Ziel der strafrechtlichen Entwicklung nicht die Verbesserung des Strafrechts sei, sondern das Ersetzen des Strafrechts durch etwas Besseres. Seitdem wurde eine Begrenzung des Strafrechts immer wieder gefordert (Roos 1981: 8 ff.).
'''Ungeeignet''' ist ein Strafgesetz dann, wenn es den angestrebten Erfolg gar nicht erreichen kann. Dass es auch dann verfassungswidrig ist, wenn es zwar zur Erreichung des Erfolgs geeignet, aber dazu gar '''nicht erforderlich''' ist, weil es andere und weniger einschneidende Mittel gibt, ist ein an der Aufklärung orientiertes Denken des politischen Liberalismus und des philosophischen Utilitarismus. Nicht ohne Grund schlug schon Cesare Beccaria in seiner kleinen, aber Epoche machenden Schrift über Verbrechen und Strafen aus dem Jahre 1764 einen hohen Ton an, als er postulierte (1764/1966: 52) "Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, sagt der große Montesquieu, ist tyrannisch; ein Satz, der wie folgt sich verallgemeinern läßt: jeder Akt der Herrschaft eines Menschen über einen Menschen, der nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch." Dieser Gedanke tauchte dann sogar in Artikel 8 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1789 wieder auf, wo es hieß: „La loi ne doit établir que des peines strictement et évidemment nécessaires.“ - In Deutschland erklärte es Mittermaier im Jahre 1819 zum "Grundfehler" seiner Zeit, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen.“ - Kein geringerer als Franz von Liszt (zit. n. Roos 1981: 7f.) forderte in seiner Strafzweckslehre, dass ein Verhalten nur unter Strafe gestellt werden dürfe, wenn und soweit es dafür eine Notwendigkeit bestehe: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“ (zit. nach Roos 1981: 7 f.). Gustav Radbruch erklärte 1927 in seiner Schrift „Abbau des Strafrechts“, dass das Ziel der strafrechtlichen Entwicklung nicht die Verbesserung des Strafrechts sei, sondern das Ersetzen des Strafrechts durch etwas Besseres. Seitdem wurde eine Begrenzung des Strafrechts immer wieder gefordert (Roos 1981: 8 ff.). - Eine Ausprägung findet das Kriterium der Notwendigkeit im Ultima-Ratio-Prinzip. Dieses besagt: Strafrecht darf als schwerstes staatliches Eingriffsinstrument nur eingesetzt werden, wenn andere gesellschaftliche oder gesetzliche Regulierungsmöglichkeiten unzureichend sind, um wichtige Rechtsgüter zu schützen. - Schließlich kann ein Strafgesetz verfassungswidrig sein, weil es allzu tief und '''unverhältnismäßig''' in die Grundrechte eingreift.  


Eine Ausprägung findet das Kriterium der Notwendigkeit im Ultima-Ratio-Prinzip. Dieses besagt: Strafrecht darf als schwerstes staatliches Eingriffsinstrument nur eingesetzt werden, wenn andere gesellschaftliche oder gesetzliche Regulierungsmöglichkeiten unzureichend sind, um wichtige Rechtsgüter zu schützen. Im Jahre 2017 nannte Arthur Kreuzer einige Beispiele, in denen weniger gravierende Mittel gleiche oder bessere Resultate erbringen könnten:  
 
Im Jahre 2017 nannte Arthur Kreuzer einige Beispiele, in denen weniger gravierende Mittel gleiche oder bessere Resultate erbringen könnten:  


*Vereins- und Gewerberecht statt Strafrecht: Seit 2015 ist die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" strafbar. "Für den Strafrechtler Henning Rosenau in Halle war der Gesetzesbeschluss "der schwarze Freitag für die Selbstbestimmung am Lebensende in Deutschland". Man glaubte die Zeiten moralisierenden Strafrechts überwunden. Überdies ist die Regelung höchst unbestimmt. Mit Strafverfolgung muss bereits rechnen, wer in Palliativstationen oder Hospizen einen Sterberaum und Sterbebegleitung jemandem zusagt, der sich in einer unerträglichen Krankheitssituation bewusst etwa für das Sterbefasten entscheidet. Sterbebegleiter sehen sich dem Dilemma ausgesetzt: zwischen einer Strafbarkeit wegen Suizidbeihilfe und unterlassener Hilfeleistung. Das politische Ziel, die Palliativmedizin zu stärken, wird in sein Gegenteil verkehrt: In Palliativ- und Hospizarbeit Tätige werden verunsichert. Denunziationen enttäuschter Angehöriger von Verstorbenen sind absehbar, ebenso peinliche und erniedrigende polizeiliche Ermittlungen in den sensiblen intimsten Bereichen des Lebens und Sterbens. Dabei ist vorauszusehen, dass wegen zu erwartender Nachweisprobleme solche Verfahren später eingestellt werden. Die Existenz problematischer Sterbehilfeorganisationen hätte man besser im Vereins- und Gewerberecht unterbinden können" (Kreuzer 2017).
*Vereins- und Gewerberecht statt Strafrecht: Seit 2015 ist die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" strafbar. "Für den Strafrechtler Henning Rosenau in Halle war der Gesetzesbeschluss "der schwarze Freitag für die Selbstbestimmung am Lebensende in Deutschland". Man glaubte die Zeiten moralisierenden Strafrechts überwunden. Überdies ist die Regelung höchst unbestimmt. Mit Strafverfolgung muss bereits rechnen, wer in Palliativstationen oder Hospizen einen Sterberaum und Sterbebegleitung jemandem zusagt, der sich in einer unerträglichen Krankheitssituation bewusst etwa für das Sterbefasten entscheidet. Sterbebegleiter sehen sich dem Dilemma ausgesetzt: zwischen einer Strafbarkeit wegen Suizidbeihilfe und unterlassener Hilfeleistung. Das politische Ziel, die Palliativmedizin zu stärken, wird in sein Gegenteil verkehrt: In Palliativ- und Hospizarbeit Tätige werden verunsichert. Denunziationen enttäuschter Angehöriger von Verstorbenen sind absehbar, ebenso peinliche und erniedrigende polizeiliche Ermittlungen in den sensiblen intimsten Bereichen des Lebens und Sterbens. Dabei ist vorauszusehen, dass wegen zu erwartender Nachweisprobleme solche Verfahren später eingestellt werden. Die Existenz problematischer Sterbehilfeorganisationen hätte man besser im Vereins- und Gewerberecht unterbinden können" (Kreuzer 2017).


*Seit 2015 gibt es auch die Strafbarkeit des Eigendopings von Wettbewerbssportlern. Das ist nach Kreuzer (2017) ein Beispiel für Doppelmoral: "Denn der Staat finanziert mit Blick auf nationales Prestige ausgewählte Sporteinrichtungen. Bleiben Erfolge aus, dann auch die Fördermittel. Zugleich will der Staat Doping strafrechtlich bekämpfen. Als ob nicht seit Menschengedenken eine anthropologische Konstante sportlichen Wettkämpfen anhaftete: Doping, Fouls, künstliche Leistungssteigerung. Als ob sich nicht alle Lebenswelten künstlicher Mittel zur Leistungssteigerung bedienten. Illusionär geht es dem Gesetz um eine "Ethik des fairen, sauberen und gesunden Sports" mit "Vorbildfunktion für junge Menschen". Obwohl Sportler selbst klagen: Diese vermeintlich heile Welt des Spitzensports mache "kaputt und krank". - Der Gesetzgeber hat ignoriert, dass sportmoralische Normen ebenso wie die in den Wissenschaften zuvörderst von Fachverbänden erarbeitet und kontrolliert werden können und müssen. Er hat Doping unter Strafe gestellt, obwohl die Strafbarkeit nutzlos ist. Die Regierung hat selbst in einer Anfrage bei allen Nachbarländern, die seit Längerem solche Verbote kennen, erfahren: Nirgendwo ist auch nur ein einziger Sportler wegen Dopings strafrechtlich verurteilt worden. - Sportverbände selbst sind es, die über einzig wirksame Mittel verfügen: Anlasslose Dopingkontrollen – der Polizei wären sie versagt. Die Verbände können Sportler bei Positiv-Befunden sofort ausschließen. Sie können rigide Verbandsstrafen verhängen, Titel aberkennen, Geldsanktionen erlassen, Sportler lebenslang sperren."
*Seit 2015 gibt es auch die Strafbarkeit des Eigendopings von Wettbewerbssportlern. Das ist nach Kreuzer (2017) ein Beispiel für Doppelmoral: "Denn der Staat finanziert mit Blick auf nationales Prestige ausgewählte Sporteinrichtungen. Bleiben Erfolge aus, dann auch die Fördermittel. Zugleich will der Staat Doping strafrechtlich bekämpfen. Als ob nicht seit Menschengedenken eine anthropologische Konstante sportlichen Wettkämpfen anhaftete: Doping, Fouls, künstliche Leistungssteigerung. Als ob sich nicht alle Lebenswelten künstlicher Mittel zur Leistungssteigerung bedienten. Illusionär geht es dem Gesetz um eine "Ethik des fairen, sauberen und gesunden Sports" mit "Vorbildfunktion für junge Menschen". Obwohl Sportler selbst klagen: Diese vermeintlich heile Welt des Spitzensports mache "kaputt und krank". - Der Gesetzgeber hat ignoriert, dass sportmoralische Normen ebenso wie die in den Wissenschaften zuvörderst von Fachverbänden erarbeitet und kontrolliert werden können und müssen. Er hat Doping unter Strafe gestellt, obwohl die Strafbarkeit nutzlos ist. Die Regierung hat selbst in einer Anfrage bei allen Nachbarländern, die seit Längerem solche Verbote kennen, erfahren: Nirgendwo ist auch nur ein einziger Sportler wegen Dopings strafrechtlich verurteilt worden. - Sportverbände selbst sind es, die über einzig wirksame Mittel verfügen: Anlasslose Dopingkontrollen – der Polizei wären sie versagt. Die Verbände können Sportler bei Positiv-Befunden sofort ausschließen. Sie können rigide Verbandsstrafen verhängen, Titel aberkennen, Geldsanktionen erlassen, Sportler lebenslang sperren." Das Mittel des Stafrechts ist hier ungeeignet, aber auch nicht erforderlich und außerdem unverhältnismäßig.


=== Unverhältnismäßigkeit ===
*Polizeiliches Ausreiseverbot statt künstlicher Konstruktion von Tatgeschehen durch den Strafgesetzgeber: "Aus dem für Aktionismus besonders anfälligen Strafrecht gegen Terrorismus ist die seit 2015 strafbare "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" zu nennen. Strafbar ist bereits, wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden lassen kann, die es ihm ermöglichen, später islamistische Aktionen zu unterstützen. Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Sogar der Bundesgerichtshof hat das jüngst als einen "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" bezeichnet. Die Richter konstatierten, es gehe "faktisch um den Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung". - Zum Problem wurde, dass Tatgeschehen künstlich konstruiert wird, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen, aber ohne wirkliche Straftat. Damit wird in strafrechtlichem Gewand Gefährderbekämpfung betrieben. Das Recht, so etwas zu tun, hat primär die Polizei, zu deren Aufgaben die Gefahrenabwehr zählt. Ausreiseverbote hätten Vorrang. Deren Verletzung könnte als Straftat geahndet werden. Die bisherigen Regeln münden in ein Gesinnungsstrafrecht, Strafbarkeit verlagert sich weit in das Vorfeld etwaiger Rechtsgüterverletzungen. Hier wie oftmals sonst fehlt die '''Verhältnismäßigkeit'''" (Kreuzer 2017).
*Polizeiliches Ausreiseverbot statt künstlicher Konstruktion von Tatgeschehen durch den Strafgesetzgeber: "Aus dem für Aktionismus besonders anfälligen Strafrecht gegen Terrorismus ist die seit 2015 strafbare "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" zu nennen. Strafbar ist bereits, wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden lassen kann, die es ihm ermöglichen, später islamistische Aktionen zu unterstützen. Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Sogar der Bundesgerichtshof hat das jüngst als einen "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" bezeichnet. Die Richter konstatierten, es gehe "faktisch um den Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung". - Zum Problem wurde, dass Tatgeschehen künstlich konstruiert wird, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen, aber ohne wirkliche Straftat. Damit wird in strafrechtlichem Gewand Gefährderbekämpfung betrieben. Das Recht, so etwas zu tun, hat primär die Polizei, zu deren Aufgaben die Gefahrenabwehr zählt. Ausreiseverbote hätten Vorrang. Deren Verletzung könnte als Straftat geahndet werden. Die bisherigen Regeln münden in ein Gesinnungsstrafrecht, Strafbarkeit verlagert sich weit in das Vorfeld etwaiger Rechtsgüterverletzungen. Hier wie oftmals sonst fehlt die Verhältnismäßigkeit" (Kreuzer 2017).




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Das Feld der Akteure unterschiedlicher Relevanz besteht aus den von einer Kriminalisierung Betroffenen, ihren Anwälten und Interessensanwälten in Wissenschaft, Justiz und Polizei, Wirtschaft, Medien, Parteien und sonstigen Vereinigungen sowie aus all denjenigen, die in Bürokratie und Politik nicht zuletzt mittels Sachverständigen (Task Forces, Expertenanhörungen, Gutachten) die Innen- und Rechtspolitik beeinflussen oder formulieren. Von besonderer Bedeutung ist die Schaltstelle zwischen externen Politikinteressenten einerseits (Lobbyisten, Wissenschaftler) und Entscheidungsgremien (Regierung, Parlament) andererseits. Hier können Parteien die wichtige Rolle von ''institutionellen'' ''Umsetzern'' (Hubert Treiber) einnehmen, wenn sie externe Forderungen zum Teil ihrer Programmatik machen und diese dann in einer Regierung auch umsetzen.  
Das Feld der Akteure unterschiedlicher Relevanz besteht aus den von einer Kriminalisierung Betroffenen, ihren Anwälten und Interessensanwälten in Wissenschaft, Justiz und Polizei, Wirtschaft, Medien, Parteien und sonstigen Vereinigungen sowie aus all denjenigen, die in Bürokratie und Politik nicht zuletzt mittels Sachverständigen (Task Forces, Expertenanhörungen, Gutachten) die Innen- und Rechtspolitik beeinflussen oder formulieren. Von besonderer Bedeutung ist die Schaltstelle zwischen externen Politikinteressenten einerseits (Lobbyisten, Wissenschaftler) und Entscheidungsgremien (Regierung, Parlament) andererseits. Hier können Parteien die wichtige Rolle von ''institutionellen'' ''Umsetzern'' (Hubert Treiber) einnehmen, wenn sie externe Forderungen zum Teil ihrer Programmatik machen und diese dann in einer Regierung auch umsetzen.  


== Geschichte==
Die deutsche Strafrechtsgeschichte zeigt keine Tendenz zu einer fortschreitenden Humanisierung oder auch nur zu einer immer weiteren Entkriminalisierung. Und wenn es zu Entkriminalisierungen kam, dann handelte es sich in den wenigsten Fällen um einen Wertwandel im Sinne  
Die deutsche Strafrechtsgeschichte zeigt keine Tendenz zu einer fortschreitenden Humanisierung oder auch nur zu einer immer weiteren Entkriminalisierung. Und wenn es zu Entkriminalisierungen kam, dann handelte es sich in den wenigsten Fällen um einen Wertwandel im Sinne einer ethischen Unbedenklichkeitsbescheinigung für ein einstmals vielleicht zu unrecht stigmatisiertes Verhalten. Meist sind es eher trivial anmutende fiskalische oder administrative Kosten-Nutzen-Rechnungen, die den Weg zu einer Rücknahme der Strafdrohung ebneten, wenn der Verwaltungs- und Bestrafungsaufwand irgendwie außer Verhältnis zum Ertrag zu stehen schien.
 
Das gilt etwa für die '''Emminger'''-Verordnungen von 1924, die auf das Ermächtigungsgesetz vom 08.12.1923 zurückgingen, das das Regieren auf dem Verordnungswege unter Umgehung des Parlaments gestattete, soweit die Maßnahmen im Hinblick auf die Not von Volk und Reich erforderlich waren. Die "Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924" (RGBl. I 15ff.) des kurzzeitigen Justizministers Erich Emminger (30.11.23-15.4.24) bewirkte bekanntlich eine der tiefgreifendsten Umgestaltungen des Kriminalwesens, indem es nicht nur das Schwurgericht alter Form mit seiner Trennung von Richter- und Geschworenenbank sowie von Straf- und Schuldfrage abschaffte und an dessen Stelle die einheitliche Richterbank aus drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen setzte, sondern der Staatsanwaltschaft auch die '''Verfolgung geringfügiger Übertretungen untersagte''', soweit das öffentliche Interesse nicht dagegenstand.


Bei der Strafrechtsreform der 1960er und frühen 1970er Jahre gab es Vereinigungen wie die Humanistische Union und unter tatkräftiger Anführung durch den Strafrechtsprofessor Jürgen Baumann auch den Klub der sog. Alternativprofessoren, so benannt nach ihren einen dezidiert liberalen Geist atmenden Alternativ-Entwürfen zum geltenden Strafrecht und zum offiziösen Entwurf zu einer Großen Strafrechtsreform aus dem Jahre 1962 (E 62). Zu ihrem Glück hatten diese Akteure, getragen von einer Welle der allgemeinen gesellschaftlichen Liberalisierung, auch beste Kontakte zu einer relevanten politischen Partei - der damaligen FDP - die das, was da geplant und gefordert wurde, auch institutionell umsetzen konnte, die also als ''institutioneller Umsetzer'' (Hubert Treiber) der Reformprojekte fungierte.   
Bei der Strafrechtsreform der 1960er und frühen 1970er Jahre gab es Vereinigungen wie die Humanistische Union und unter tatkräftiger Anführung durch den Strafrechtsprofessor Jürgen Baumann auch den Klub der sog. Alternativprofessoren, so benannt nach ihren einen dezidiert liberalen Geist atmenden Alternativ-Entwürfen zum geltenden Strafrecht und zum offiziösen Entwurf zu einer Großen Strafrechtsreform aus dem Jahre 1962 (E 62). Zu ihrem Glück hatten diese Akteure, getragen von einer Welle der allgemeinen gesellschaftlichen Liberalisierung, auch beste Kontakte zu einer relevanten politischen Partei - der damaligen FDP - die das, was da geplant und gefordert wurde, auch institutionell umsetzen konnte, die also als ''institutioneller Umsetzer'' (Hubert Treiber) der Reformprojekte fungierte.   


==Deutschland==
 
=== Geschichte ===
*Jugendgerichtsgesetz von 1923: Anhebung der Strafmündigkeitsgrenze von 12 auf 14 Jahre
*Jugendgerichtsgesetz von 1923: Anhebung der Strafmündigkeitsgrenze von 12 auf 14 Jahre
*Emminger-Verordnung von 1924: Verbot der Verfolgung geringfügiger Übertretungen, sofern nicht von öffentlichem Interesse. Die "Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924" (RGBl. I 15ff.) bewirkte die tiefgreifendste Umgestaltung seit Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze im Jahre 1879. Benannt nach dem kurzzeitigen Reichsjustizminister (30.11.1923-15.4.1924) Erich Emminger, schaffte die Verordnung nicht nur das Schwurgericht alter Form ab (Trennung von Richter- und Geschworenenbank mit Trennung von Straf- und Schuldfrage), um an dessen Stelle die einheitliche Richterbank aus drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen zu setzen, sondern sie verbot auch die Verfolgung geringfügiger Übertretungen, sofern eine Verfolgung nicht vom öffentlichen Interesse gefordert war. Die VO ging auf das Ermächtigungsgesetz vom 08.12.1923 zurück, welches der Reichsregierung gestattete, per Verordnung zu regieren und die Maßnahmen zu treffen, die sie im Hinblick auf die Not von Volk und Reich für erforderlich hielt.
*Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946: Aufhebung einzelner Bestimmungen des deutschen Strafrechts wie z.B. §§ 2, 2b, 134b, 226b RStGB  
*Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946: Aufhebung einzelner Bestimmungen des deutschen Strafrechts wie z.B. §§ 2, 2b, 134b, 226b RStGB  
*Abschaffung der Übertretungen  und deren Herabstufung zu Ordnungswidrigkeiten 1975 (teils aber auch Aufwertung zu Vergehen; vgl. Baumann JZ 72, 2ff., Dencker JZ 73, 144 ff.)
*Abschaffung der Übertretungen  und deren Herabstufung zu Ordnungswidrigkeiten 1975 (teils aber auch Aufwertung zu Vergehen; vgl. Baumann JZ 72, 2ff., Dencker JZ 73, 144 ff.)
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