Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Unterschied zwischen den Versionen

 
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Stefan Niggemeier:  
Stefan Niggemeier:  


"Kritisiert wird unter anderem, dass die Aufgabe, über die Grenzen der Meinungsfreiheit zu urteilen, von den Gerichten an private Unternehmen delegiert werde. Sie müssten nun ad hoc urteilen, ob ein Tweet rechtswidrig ist, und das, obwohl die Leute, die darüber entscheiden, gar nicht dafür ausgebildet sind und womöglich nicht einmal richtig deutsch sprechen, aber die Androhung einer Strafe von bis zu 50 Millionen Euro für den Fall einer Nichtlöschung im Rücken haben.
:"Kritisiert wird unter anderem, dass die Aufgabe, über die Grenzen der Meinungsfreiheit zu urteilen, von den Gerichten an private Unternehmen delegiert werde. Sie müssten nun ad hoc urteilen, ob ein Tweet rechtswidrig ist, und das, obwohl die Leute, die darüber entscheiden, gar nicht dafür ausgebildet sind und womöglich nicht einmal richtig deutsch sprechen, aber die Androhung einer Strafe von bis zu 50 Millionen Euro für den Fall einer Nichtlöschung im Rücken haben.


An dieser Argumentation ist fast alles falsch. Auch bisher schon mussten Netzwerke rechtswidrige Inhalte löschen – und das heißt auch: selbst entscheiden, welche Inhalte womöglich gegen geltendes Recht verstoßen. Grundlage dafür sind das Telemedien-Gesetz und der seit langem in der analogen Welt bestehende Grundsatz der Störerhaftung.
:An dieser Argumentation ist fast alles falsch. Auch bisher schon mussten Netzwerke rechtswidrige Inhalte löschen – und das heißt auch: selbst entscheiden, welche Inhalte womöglich gegen geltendes Recht verstoßen. Grundlage dafür sind das Telemedien-Gesetz und der seit langem in der analogen Welt bestehende Grundsatz der Störerhaftung.


Das gilt auch für Online-Medien wie diese Seite hier. Wir von Übermedien haften für Kommentare, die andere Nutzer abgeben. Im Zweifel, wenn jemand etwa geltend macht, dass er darin unzulässig geschmäht wird, reicht es nicht, darauf zu verweisen, dass er erst einmal eine Gerichtsentscheidung vorweisen soll. Ab dem Moment, in dem der Betreiber einer Internetseite darauf hingewiesen wird, dass ein Kommentar rechtswidrig sei, ist er dafür verantwortlich, das zu überprüfen und den Kommentar gegebenenfalls zu löschen.
:Das gilt auch für Online-Medien wie diese Seite hier. Wir von Übermedien haften für Kommentare, die andere Nutzer abgeben. Im Zweifel, wenn jemand etwa geltend macht, dass er darin unzulässig geschmäht wird, reicht es nicht, darauf zu verweisen, dass er erst einmal eine Gerichtsentscheidung vorweisen soll. Ab dem Moment, in dem der Betreiber einer Internetseite darauf hingewiesen wird, dass ein Kommentar rechtswidrig sei, ist er dafür verantwortlich, das zu überprüfen und den Kommentar gegebenenfalls zu löschen.


Auch das erfordert viele Ad-Hoc-Entscheidungen von Nicht-Juristen.
:Auch das erfordert viele Ad-Hoc-Entscheidungen von Nicht-Juristen.


Natürlich haben diese Entscheidungen eine andere Brisanz, wenn sie nicht einzelne Homepages oder Online-Medien betreffen, sondern Plattformen, die Millionen Menschen nutzen, um mit und in der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Voreilige Löschungen können hier wie eine Einschränkung der Meinungsfreiheit wirken. Umgekehrt hat aber auch die Nicht-Durchsetzung der Rechtslage eine besonders weitreichende Wirkung. Genau das wurde insbesondere Twitter in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen. Bei einem Monitoring Anfang 2017 stellte das Portal jugendschutz.net fest, dass nur jede hundertste Beschwerde von Nutzern gegen Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte von Twitter gelöscht worden sei.
:Natürlich haben diese Entscheidungen eine andere Brisanz, wenn sie nicht einzelne Homepages oder Online-Medien betreffen, sondern Plattformen, die Millionen Menschen nutzen, um mit und in der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Voreilige Löschungen können hier wie eine Einschränkung der Meinungsfreiheit wirken. Umgekehrt hat aber auch die Nicht-Durchsetzung der Rechtslage eine besonders weitreichende Wirkung. Genau das wurde insbesondere Twitter in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen. Bei einem Monitoring Anfang 2017 stellte das Portal jugendschutz.net fest, dass nur jede hundertste Beschwerde von Nutzern gegen Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte von Twitter gelöscht worden sei.


Der Vorwurf, dass nun irgendwelche schlecht ausgebildeten Leute im fernen Irland, die womöglich nicht einmal deutsch sprechen, diese Entscheidungen treffen, mag prinzipiell berechtigt sein. Aber gerade das soll das NetzDG verbessern: Es fordert von den Unternehmen unter anderem, ihre Mitarbeiter regelmäßig zu schulen und Berichte über die Löschungen vorzulegen. Bislang behandelten diese Unternehmen dieses ganze Thema weitgehend wie Betriebsgeheimnisse.
:Der Vorwurf, dass nun irgendwelche schlecht ausgebildeten Leute im fernen Irland, die womöglich nicht einmal deutsch sprechen, diese Entscheidungen treffen, mag prinzipiell berechtigt sein. Aber gerade das soll das NetzDG verbessern: Es fordert von den Unternehmen unter anderem, ihre Mitarbeiter regelmäßig zu schulen und Berichte über die Löschungen vorzulegen. Bislang behandelten diese Unternehmen dieses ganze Thema weitgehend wie Betriebsgeheimnisse.


Und die viel zitierte, vermeintlich horrende Strafe von 50 Millionen Euro droht nicht, wenn ein einzelner gesetzeswidriger Beitrag nicht gelöscht wurde, sondern wenn ein Unternehmen kein funktionierendes System zum Melden und eventuellem Löschen solcher Beiträge etabliert.
:Und die viel zitierte, vermeintlich horrende Strafe von 50 Millionen Euro droht nicht, wenn ein einzelner gesetzeswidriger Beitrag nicht gelöscht wurde, sondern wenn ein Unternehmen kein funktionierendes System zum Melden und eventuellem Löschen solcher Beiträge etabliert.


Bemerkenswert ist, dass das Vorgehen vor allem von Twitter in den vergangenen Tagen, das anscheinend besonders übertrieben und erratisch gegen Beiträge vorgegangen ist, in fast allen Darstellungen zur Kritik am neuen Gesetz genutzt wird und nicht nur zur Kritik am Unternehmen. In einem Streitgespräch auf bild.de wies Justizminister Heiko Maas „Bild“-Chef-Chef Julian Reichelt heute früh darauf hin, dass das NetzDG schon deshalb nicht für die Sperrung des Accounts der Satire-Zeitschrift „Titanic“ verantwortlich sein kann, weil das Gesetz Account-Sperren gar nicht vorsieht. Reichelt beharrte dennoch darauf, dass die Falschauslegung des Gesetzes durch einen großen Internetkonzern nicht gegen den Konzern spricht, sondern gegen das Gesetz.
:Bemerkenswert ist, dass das Vorgehen vor allem von Twitter in den vergangenen Tagen, das anscheinend besonders übertrieben und erratisch gegen Beiträge vorgegangen ist, in fast allen Darstellungen zur Kritik am neuen Gesetz genutzt wird und nicht nur zur Kritik am Unternehmen. In einem Streitgespräch auf bild.de wies Justizminister Heiko Maas „Bild“-Chef-Chef Julian Reichelt heute früh darauf hin, dass das NetzDG schon deshalb nicht für die Sperrung des Accounts der Satire-Zeitschrift „Titanic“ verantwortlich sein kann, weil das Gesetz Account-Sperren gar nicht vorsieht. Reichelt beharrte dennoch darauf, dass die Falschauslegung des Gesetzes durch einen großen Internetkonzern nicht gegen den Konzern spricht, sondern gegen das Gesetz.


Die Diskussion fixiert sich auf das NetzDG als Schuldigen für alles – und es konzentriert sich dabei in einer Weise auf Maas als Buh-Mann, als hätte er allein das Gesetz verabschiedet. Oft unbeachtet bleibt dabei auch, dass sich Twitter selbst Ende vergangenen Jahres international neue Richtlinien und Abläufe gegeben hat, mit denen das Unternehmen verstärkt gegen Hass-Inhalte im Netz vorgehen will. Dabei ist die permanente Sperrung von Accounts ausdrücklich als Sanktion vorgesehen.
:Die Diskussion fixiert sich auf das NetzDG als Schuldigen für alles – und es konzentriert sich dabei in einer Weise auf Maas als Buh-Mann, als hätte er allein das Gesetz verabschiedet. Oft unbeachtet bleibt dabei auch, dass sich Twitter selbst Ende vergangenen Jahres international neue Richtlinien und Abläufe gegeben hat, mit denen das Unternehmen verstärkt gegen Hass-Inhalte im Netz vorgehen will. Dabei ist die permanente Sperrung von Accounts ausdrücklich als Sanktion vorgesehen.


Doch in ihrem Anti-NetzDG-Furor erklären manche Journalisten sogar schon solche Haus-Regeln für unzulässig. „Welt am Sonntag“-Chefredakteur Peter Huth verweist in einem Kommentar darauf, dass die Staatsanwaltschaft ermittle, ob ein – von Twitter gelöschter – Tweet der AfD-Politikerin Beatrix von Storch den Straftatbestand der Volksverhetzung erfülle. Diese Frage dürfe „durch niemand anderen als die Justiz geklärt werden“, schreibt er. „Und solange sie nicht durch die Justiz geklärt ist, dürfen diese Grauzonen-Inhalte nicht aus dem Netz gelöscht werden. So schmerzlich und unerträglich das auch ist.“
:Doch in ihrem Anti-NetzDG-Furor erklären manche Journalisten sogar schon solche Haus-Regeln für unzulässig. „Welt am Sonntag“-Chefredakteur Peter Huth verweist in einem Kommentar darauf, dass die Staatsanwaltschaft ermittle, ob ein – von Twitter gelöschter – Tweet der AfD-Politikerin Beatrix von Storch den Straftatbestand der Volksverhetzung erfülle. Diese Frage dürfe „durch niemand anderen als die Justiz geklärt werden“, schreibt er. „Und solange sie nicht durch die Justiz geklärt ist, dürfen diese Grauzonen-Inhalte nicht aus dem Netz gelöscht werden. So schmerzlich und unerträglich das auch ist.“


Das ist eine erstaunlich radikale Forderung: Ein privates Unternehmen soll gezwungen werden, Inhalte auf seiner Plattform, die es für hetzerisch hält, nicht zu löschen. Twitter und Facebook müssten jede Beleidigung, jede rassistische Äußerung, alle Hassreden diesseits von „Juden ins Gas“-Äußerungen stehen lassen, bis jede einzelne von einem Gericht für strafbar erklärt wurde."
:Das ist eine erstaunlich radikale Forderung: Ein privates Unternehmen soll gezwungen werden, Inhalte auf seiner Plattform, die es für hetzerisch hält, nicht zu löschen. Twitter und Facebook müssten jede Beleidigung, jede rassistische Äußerung, alle Hassreden diesseits von „Juden ins Gas“-Äußerungen stehen lassen, bis jede einzelne von einem Gericht für strafbar erklärt wurde."




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