Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Unterschied zwischen den Versionen

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Das deutsche  '''Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken''' ('''Netzwerkdurchsetzungsgesetz'''/NetzDG), dass auch als Netzwerkgesetz, als Gesetz zur Bekämpfung von Hasskommentaren in sozialen Netzwerken des Internets oder einfach als '''Facebook-Gesetz''' bezeichnet wird, findet sich als Artikel 1 in dem Mantelgesetz desselben amtlichen Namens, dessen Art. 2 auch eine Änderung des Telemediengesetzes (TMG) enthält, die nicht nur soziale Netzwerke betrifft. Seit dem 1.1.2018 verpflichtet es Facebook, Twitter, YouTube und andere soziale Netzwerke mit mindestens zwei Millionen in Deutschland registrierten Nutzern, rechtswidrige Beiträge innerhalb kurzer Fristen zu löschen oder Nutzer zu sperren. Nichtbefolgung kann mit Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro geahndet werden. Schon am 8.1.2018 lagen laut dem Deutschen Jorunalisten-Verband (DJV) so viele "verheerende Erfahrungen" mit exzessiven Löschungen - dem schon während des Gesetzgebungsverfahren befürchteten ''Overblocking'' - vor, dass der Verband den Bundestag aufforderte, das Gesetz zurückzuziehen. Unter anderem war der Twitter-Account der Satirezeitschrift "Titanic" blockiert worden, nachdem dort ein Eintrag veröffentlicht worden war, in dem das Wort 'Barbarenhorden' vorkam. Dabei hatte es sich um eine Reaktion auf den Tweet einer Politikerin gehandelt, der zur Sperrung auch schon von deren Account geführt hatte. Demgegenüber hatte die Bundesregierung immer wieder den hohen Wert der Meinungsfreiheit und ihre Absicht betont, mit dem Gesetzeswerk eine "freie, offene und demokratische Kommunikationskultur" gewährleisten zu wollen.  
Das deutsche  '''Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken''' ('''Netzwerkdurchsetzungsgesetz'''/NetzDG), dass auch als Netzwerkgesetz, als Gesetz zur Bekämpfung von Hasskommentaren in sozialen Netzwerken des Internets oder einfach als '''Facebook-Gesetz''' bezeichnet wird, findet sich als Artikel 1 in dem Mantelgesetz desselben amtlichen Namens, dessen Art. 2 auch eine Änderung des Telemediengesetzes (TMG) enthält, die nicht nur soziale Netzwerke betrifft. Seit dem 1.1.2018 verpflichtet es Facebook, Twitter, YouTube und andere soziale Netzwerke mit mindestens zwei Millionen in Deutschland registrierten Nutzern, rechtswidrige Beiträge innerhalb kurzer Fristen zu löschen oder Nutzer zu sperren. Nichtbefolgung kann mit Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro geahndet werden. Schon am 8.1.2018 lagen laut dem Deutschen Jorunalisten-Verband (DJV) so viele "verheerende Erfahrungen" mit exzessiven Löschungen - dem schon während des Gesetzgebungsverfahren befürchteten ''Overblocking'' - vor, dass der Verband den Bundestag aufforderte, das Gesetz zurückzuziehen. Unter anderem war der Twitter-Account der Satirezeitschrift "Titanic" blockiert worden, nachdem dort ein Eintrag veröffentlicht worden war, in dem das Wort 'Barbarenhorden' vorkam. Dabei hatte es sich um eine Reaktion auf den Tweet einer Politikerin gehandelt, der zur Sperrung auch schon von deren Account geführt hatte. Demgegenüber hatte die Bundesregierung immer wieder den hohen Wert der Meinungsfreiheit und ihre Absicht betont, mit dem Gesetzeswerk eine "freie, offene und demokratische Kommunikationskultur" gewährleisten zu wollen.
 
== Inhalt ==
== Inhalt ==
'''Geltungsbereich''': Das Gesetz schafft nach der (von manchen Seiten bezweifelten) Darstellung des Bundesjustizministeriums keine neuen Löschpflichten. Es soll nur sicherstellen, dass bereits bestehendes Recht eingehalten und durchgesetzt wird. Unabhängig vom NetzDG bleibt es dabei, dass von Polizei und Staatsanwaltschaft strafrechtlich verfolgt wird, wer strafbare Inhalte im Netz verbreitet. - Das Gesetz gilt nicht für E-Mail- und Messenger-Dienste, berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen. Start-up-Unternehmen sollen durch das Gesetz nach Möglichkeit nicht in ihrer Entwicklung behindert werden. Zum Straftatenkatalog, anhand dessen Löschungen oder Sperrungen vorzunehmen sind, gehört u.a. der Tatbestand der „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ (§ 201a StGB). Zu löschen ist jedes Foto, das "geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“.  
'''Geltungsbereich''': Das Gesetz schafft nach der (von manchen Seiten bezweifelten) Darstellung des Bundesjustizministeriums keine neuen Löschpflichten. Es soll nur sicherstellen, dass bereits bestehendes Recht eingehalten und durchgesetzt wird. Unabhängig vom NetzDG bleibt es dabei, dass von Polizei und Staatsanwaltschaft strafrechtlich verfolgt wird, wer strafbare Inhalte im Netz verbreitet. - Das Gesetz gilt nicht für E-Mail- und Messenger-Dienste, berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen. Start-up-Unternehmen sollen durch das Gesetz nach Möglichkeit nicht in ihrer Entwicklung behindert werden. Zum Straftatenkatalog, anhand dessen Löschungen oder Sperrungen vorzunehmen sind, gehört u.a. der Tatbestand der „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ (§ 201a StGB). Zu löschen ist jedes Foto, das "geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“.  
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Bei der Anhörung im Deutschen Bundestag brachten acht von zehn geladenen Experten erhebliche Bedenken zum Ausdruck. Die meisten sahen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit.Der Geschäftsführer von ''Reporter ohne Grenzen'' Christian Mihr warnte, die Methoden erinnerten an autokratische Staaten. Auch totalitäre Regierungen würden die Debatte in Deutschland mit Interesse verfolgen. Unterdessen hatte sich nach einem Bericht der Augsburger Allgemeinen bereits der weißrussische Präsident Alexander '''Lukaschenko''' bei der von ihm betriebenen Einschränkung der Meinungsfreiheit im Kampf gegen die Opposition auf Justizminister Heiko Maas berufen und eigene Maßnahmen mit Maas' Gesetzentwurf begründet.
Bei der Anhörung im Deutschen Bundestag brachten acht von zehn geladenen Experten erhebliche Bedenken zum Ausdruck. Die meisten sahen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit.Der Geschäftsführer von ''Reporter ohne Grenzen'' Christian Mihr warnte, die Methoden erinnerten an autokratische Staaten. Auch totalitäre Regierungen würden die Debatte in Deutschland mit Interesse verfolgen. Unterdessen hatte sich nach einem Bericht der Augsburger Allgemeinen bereits der weißrussische Präsident Alexander '''Lukaschenko''' bei der von ihm betriebenen Einschränkung der Meinungsfreiheit im Kampf gegen die Opposition auf Justizminister Heiko Maas berufen und eigene Maßnahmen mit Maas' Gesetzentwurf begründet.


Selbst SPD-nahe IT-Experten bezeichneten die geplanten Regelungen als „Zensurinfrastruktur“:
*IT-Experten bezeichneten die geplanten Regelungen als „Zensurinfrastruktur“:
* Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen nannte den Entwurf „beschämend“.
* Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen nannte den Entwurf „beschämend“.
* Harald Martenstein von der Zeitung Der Tagesspiegel bezeichnete ihn als „'''Erdoganismus''' in Reinkultur“ und erklärte, der Gesetzesentwurf lese sich so, als „stamme er aus dem Roman 1984“. Er sei ein „Angriff auf das Prinzip der Gewaltenteilung“.
* Harald Martenstein vom Tagesspiegel bezeichnete ihn als „'''Erdoganismus''' in Reinkultur“ und erklärte, der Gesetzesentwurf lese sich so, als „stamme er aus dem Roman 1984“. Er sei ein „Angriff auf das Prinzip der Gewaltenteilung“.
*Burkhard Müller-Ullrich schrieb: „Minister Maas geht es ganz offensichtlich nicht um Hass und Hetze allgemein, sondern um das '''Mundtotmachen''' seiner politischen Gegner.“
*Burkhard Müller-Ullrich schrieb: „Minister Maas geht es ganz offensichtlich nicht um Hass und Hetze allgemein, sondern um das '''Mundtotmachen''' seiner politischen Gegner.“
*Experten erwarteten, dass die kurzen und starren Löschfristen sowie die hohe Bußgeldandrohung dazu führen würde, dass die Netzwerke Beiträge im Zweifelsfall lieber entfernen, auch wenn die grundrechtlich garantierte Meinungsfreiheit eine kontextbezogene Abwägung erfordern würde, etwa bei der Abgrenzung zwischen verbotener Beleidigung und erlaubter Satire.
*Experten erwarteten, dass die kurzen und starren Löschfristen sowie die hohe Bußgeldandrohung dazu führen würde, dass die Netzwerke Beiträge im Zweifelsfall lieber entfernen, auch wenn die grundrechtlich garantierte Meinungsfreiheit eine kontextbezogene Abwägung erfordern würde, etwa bei der Abgrenzung zwischen verbotener Beleidigung und erlaubter Satire.
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[https://netzpolitik.org/2017/eu-kommission-haelt-dokumente-zum-facebook-gesetz-zurueck/  Am 10.11.2017 berichtete netzpolitik] dass die '''EU'''-Kommission die Herausgabe von Dokumenten mit einer kritischen Bewertung des NetzDG zurückhalte, obwohl sie aufgrund einer Regelung von 2001 dazu verpflichtet sei. Der Zeitung WirtschaftsWoche gegenüber hatte die Kommission sich nicht auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit berufen, sondern (rechtsgrundlos) erklärt, dass die Veröffentlichung der Dokumente "das Klima gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Mitgliedsstaat und der Kommission beeinträchtigen" würde. Die Zeitung sah sich in dem Verdacht bestätigt, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, Brüssel aber Deutschland nicht brüskieren wolle.
[https://netzpolitik.org/2017/eu-kommission-haelt-dokumente-zum-facebook-gesetz-zurueck/  Am 10.11.2017 berichtete netzpolitik] dass die '''EU'''-Kommission die Herausgabe von Dokumenten mit einer kritischen Bewertung des NetzDG zurückhalte, obwohl sie aufgrund einer Regelung von 2001 dazu verpflichtet sei. Der Zeitung WirtschaftsWoche gegenüber hatte die Kommission sich nicht auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit berufen, sondern (rechtsgrundlos) erklärt, dass die Veröffentlichung der Dokumente "das Klima gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Mitgliedsstaat und der Kommission beeinträchtigen" würde. Die Zeitung sah sich in dem Verdacht bestätigt, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, Brüssel aber Deutschland nicht brüskieren wolle.
== Januar 2018: das Gesetz in Aktion ==
=== Löschverfahren und erste Fälle ===
*[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/titanic-darf-wieder-twittern-doch-das-netzwerkdurchsetzungsgesetz-bleibt-15375715.html Bei Twitter stößt man nach erfolgter Löschung auf graue Kästen mit amtlichem Hinweis:
"Dieser Tweet von @titanic wurde aufgrund der Gesetze vor Ort zurückgezogen in Deutschland". Dazu Andrea Diener in der FAZ vom 6.1.2018:16]: "Aber welches Recht wird da durchgesetzt, wenn als allererste Konsequenz die Redaktion eines Satiremagazins aus ihrem Twitteraccount gesperrt wird? Inzwischen ist die achtundvierzigstündige Sperre wieder aufgehoben, doch einige inkriminierte Tweets bleiben für deutsche Nutzer verborgen. Darunter auch das November-Tibelbild des Heftes mit der Aufschrift 'Baby-Hitler macht den Führerschein', das Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Jörg Haiders Unfallwagen zeigt. Schön, dass dieser Titel zumindest in Österreich zu sehen ist, dort scheint die Bevölkerung härter im Nahmen zu sein. Ebenso wie übrigens die gesamte deutsche Presse- und Kioskszene, die sich schon seit Wochen nicht an diesem Bildchen stört. Das Verbieten eines gedruckten Heftes ist auch ziemlich aufwendig, wie das bei juristischen Verfahren meister der Fall ist. Online geht das dank des NetzDG nun ratzfatz: Damit gesperrt wird, muss der Tweet nur von einem Nutzer gemeldet werden, der sich an ihm stört. ... Dann entscheidert Twitter, ob der Tweet mit den Gesetzen vor Ort zu vereinbaren ist oder nicht, und muss 'offensichtlich strafbare Inhalte' innerhalb von 24 Stunden sperren. Soweit man weiß, schulen soziale Netzwerke ihre Sperrbeauftragten nicht in Sachen Humorkompetenz.  ... In diesen Prozess vermeintlicher Rechtsdurchsetzung ist, soweit man das von außen beurteilen kann, keine einzige juristisch ausgewiesene Person eingebunden.
Noch in der ersten Januarhälfte 2018 begann Twitter damit, sogar die bloßen Mitteilungen über Löschungen zu entfernen (FAZ 13.1.2018: 22).


== Der Fall Beatrix von Storch==
===Der Fall Beatrix von Storch===
[http://meedia.de/2018/01/02/der-falsche-praezedenzfall-social-media-sperre-gegen-beatrix-von-storch-zeigt-die-tuecken-des-facebook-gesetzes/ Schilderung des Falles durch MMEDIA am 2.1.2018]:
[http://meedia.de/2018/01/02/der-falsche-praezedenzfall-social-media-sperre-gegen-beatrix-von-storch-zeigt-die-tuecken-des-facebook-gesetzes/ Schilderung des Falles durch MMEDIA am 2.1.2018]:
:Ein in der Silvesternacht am Sonntag verbreiteter Tweet sorgte bei AfD-Vizechefin Beatrix von Storch für Ärger. Darin wünschte die Polizei Köln allen Feiernden im Rheinland einen guten Rutsch – auf Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Von Storch antwortete daraufhin bei Twitter mit einem höhnischen, bei ihrer Anhängerschaft Beifall heischenden Kommentar: „Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso twittert eine offizielle Polizeiseite aus NRW auf arabisch?“ In Anlehnung an die Kölner Silvesternacht von 2015/16, als es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch junge Männer mit nordafrikanischem und arabischem Hintergrund kam, fuhr sie fort: „Meinen Sie, die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?“
:Ein in der Silvesternacht am Sonntag verbreiteter Tweet sorgte bei AfD-Vizechefin Beatrix von Storch für Ärger. Darin wünschte die Polizei Köln allen Feiernden im Rheinland einen guten Rutsch – auf Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Von Storch antwortete daraufhin bei Twitter mit einem höhnischen, bei ihrer Anhängerschaft Beifall heischenden Kommentar: „Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso twittert eine offizielle Polizeiseite aus NRW auf arabisch?“ In Anlehnung an die Kölner Silvesternacht von 2015/16, als es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch junge Männer mit nordafrikanischem und arabischem Hintergrund kam, fuhr sie fort: „Meinen Sie, die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?“
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:Die Mitarbeiter von Twitter und Facebook handhabten die Angelegenheit jedenfalls so. Ein Hamburger Medienrechtsanwalt beurteilt den Sachverhalt auf Anfrage von MEEDIA wesentlich differenzierter. Seiner Einschätzung nach handelt es sich um eine „zwar höchst grenzwertige, aber wohl von der Meinungsfreiheit gedeckte Aussage“. Denn: „Von Storch stellt ihren Inhalt in den Kontext der Ereignisse von 2015 und stellt somit keine pauschale Behauptung auf. Sie sagt ja nicht, dass alle Muslime gemeint sind.“ - Aussagen dieser Art müssten nach Einschätzung des Juristen hinsichtlich des Kontextes der Äußerung, der inhaltlichen Ebene und der Betonung genau überprüft werden. Selbst Inhalte mit scheinbar strafbaren Inhalten bedürften einer detaillierten Betrachtung. Ob das in 24 Stunden bewerkstelligt werden kann, bezweifeln Kritiker wie Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. In der Süddeutschen Zeitung äußerte er Bedenken gegenüber der eintägigen Frist. Aus Angst vor hohen Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro könnten Soziale Netzwerke lieber zu viele Inhalte löschen statt angemessen zu prüfen, das sogenannte Overblocking. Nutzer könnten das Gesetz ebenfalls ausnutzen und aus politischen Gründen ausgewählte, legale Inhalte melden. -- Die Diskussion um den Tweet von Beatrix von Storch verdeutlicht, dass das NetzDG zu großen Problemen für die Meinungs- und Pressefreiheit führen kann."
:Die Mitarbeiter von Twitter und Facebook handhabten die Angelegenheit jedenfalls so. Ein Hamburger Medienrechtsanwalt beurteilt den Sachverhalt auf Anfrage von MEEDIA wesentlich differenzierter. Seiner Einschätzung nach handelt es sich um eine „zwar höchst grenzwertige, aber wohl von der Meinungsfreiheit gedeckte Aussage“. Denn: „Von Storch stellt ihren Inhalt in den Kontext der Ereignisse von 2015 und stellt somit keine pauschale Behauptung auf. Sie sagt ja nicht, dass alle Muslime gemeint sind.“ - Aussagen dieser Art müssten nach Einschätzung des Juristen hinsichtlich des Kontextes der Äußerung, der inhaltlichen Ebene und der Betonung genau überprüft werden. Selbst Inhalte mit scheinbar strafbaren Inhalten bedürften einer detaillierten Betrachtung. Ob das in 24 Stunden bewerkstelligt werden kann, bezweifeln Kritiker wie Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. In der Süddeutschen Zeitung äußerte er Bedenken gegenüber der eintägigen Frist. Aus Angst vor hohen Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro könnten Soziale Netzwerke lieber zu viele Inhalte löschen statt angemessen zu prüfen, das sogenannte Overblocking. Nutzer könnten das Gesetz ebenfalls ausnutzen und aus politischen Gründen ausgewählte, legale Inhalte melden. -- Die Diskussion um den Tweet von Beatrix von Storch verdeutlicht, dass das NetzDG zu großen Problemen für die Meinungs- und Pressefreiheit führen kann."


== Der Fall Titanic ==
=== Der Fall Titanic ===
MEEDIA beschreibt den Fall der Titanic-Sperrung folgendermaßen:  
MEEDIA beschreibt den Fall der Titanic-Sperrung folgendermaßen:  


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:hnlich beurteilt Simone Peter das NetzDG. Die Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen sagte dieser Zeitung: „Die Sperrung des Twitter-Accounts der ,Titanic‘ offenbart die Schwächen des mit viel zu heißer Nadel gestrickten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein US-amerikanisches Unternehmen wie Twitter die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland beeinflusst. Denn offensichtlich ignorierte Twitter, dass es sich bei der ,Titanic‘ um ein Satiremagazin handelt.“Das seit Jahresbeginn geltende Gesetz, das die große Koalition im vergangenen Jahr verabschiedet hatte, verlangt von Portalen wie Twitter, Facebook und Youtube, „offensichtlich strafbare“ Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Twitter hatte am Dienstag den Account von „Titanic“ geblockt und einen Tweet gelöscht. Darin hatte das Magazin den '''Begriff''' „Barbarenhorden“ '''verwendet''' und damit eine Nachricht der AfD-Politikerin Beatrix von Storch parodiert.
:hnlich beurteilt Simone Peter das NetzDG. Die Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen sagte dieser Zeitung: „Die Sperrung des Twitter-Accounts der ,Titanic‘ offenbart die Schwächen des mit viel zu heißer Nadel gestrickten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein US-amerikanisches Unternehmen wie Twitter die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland beeinflusst. Denn offensichtlich ignorierte Twitter, dass es sich bei der ,Titanic‘ um ein Satiremagazin handelt.“Das seit Jahresbeginn geltende Gesetz, das die große Koalition im vergangenen Jahr verabschiedet hatte, verlangt von Portalen wie Twitter, Facebook und Youtube, „offensichtlich strafbare“ Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Twitter hatte am Dienstag den Account von „Titanic“ geblockt und einen Tweet gelöscht. Darin hatte das Magazin den '''Begriff''' „Barbarenhorden“ '''verwendet''' und damit eine Nachricht der AfD-Politikerin Beatrix von Storch parodiert.


== Der Fall Heiko Maas ==
=== Der Fall Heiko Maas ===
[http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/netzdg-heiko-maas-tweet-ueber-thilo-sarrazin-verschwunden-a-1186747.html Spiegel-online am 08.01.2018 zur Frage, ob der Justizminister selbst Opfer seines eigenen Gesetzes wurde: Die allgemeine Empörung im Netz hat sich auf einen etwa sieben Jahre alten Tweet des Politikers ausgeweitet.]: 2010 twitterte Maas verächtlich über den umstrittenen SPD-Politiker Thilo Sarrazin. Wegen dessen rechtspopulistischer Äußerungen bezeichnete Maas ihn in einem Tweet als "Idiot". Kaum jemand dürfte sich daran erinnern. Doch dann kam das NetzDG - und mit dem neuen Gesetz ist nun auch Maas' Tweet verschwunden. Warum, blieb zunächst unklar.-Seit dem Jahreswechsel sind Onlinenetzwerke wie Facebook und Twitter verpflichtet, Postings mit "offensichtlich rechtswidrigen Inhalten" binnen 24 Stunden zu löschen. Die AfD instrumentalisierte das Gesetz gegen Hassrede rasch für ihre Zwecke und schwadroniert seither von Zensur, wann immer eine ihrer Beleidigungen nicht im Netz stehen bleiben darf.- Im Falle des Maas-Tweets waren Beobachter jedenfalls schnell mit einer möglichen Deutung der Ereignisse vom Wochenende zur Stelle: "Wurde Maas Opfer seines eigenen Lösch-Gesetzes?", fragte "Bild.de". Maas selbst, so das Portal, habe den Tweet jedenfalls nicht gelöscht. Die - noch online einsehbaren - Antworten auf den alten Maas-Tweet legen folgende Theorie nahe: Von der Aufregung um das Maas'sche Gesetz angestachelt, durchforsteten einzelne Twitter-Nutzer dessen Account nach alten Verfehlungen - und begannen, Maas' Tweet von 2010 zu melden. - So wurde wahrscheinlich Twitter auf den Post aufmerksam. Ob es den Tweet aber wirklich auf Basis des NetzDG löschte, weiß nur Twitter selbst. Von außen einsehbar sind die Löschgründe nicht. - Unabhängig von dem Gesetz bestehen die zuvor gültigen Meldesysteme und -regeln weiter, nach denen Twitter schon immer - wenn auch erratisch und häufig mit schlechten Ergebnissen - gelöscht hat. Der Maas-Tweet könnte von Twitter schlicht auch als Verstoß gegen die Community-Standards gewertet worden sein.-Selbst die Verfasser gelöschter oder gesperrter Inhalte bekommen nur die Information "Gemäß den geltenden Gesetzen und unseren Richtlinien hat Twitter nun diese Inhalte in Deutschland zurückgezogen". Was im jeweiligen Fall den Ausschlag gegeben hat, das NetzDG oder Twitters eigene Richtlinien, geht daraus nicht hervor.- Dass Twitters derzeitiges Vorgehen nicht unbedingt in direktem Zusammenhang mit seinem Gesetz steht, versuchte auch Minister Maas am Montag in der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen" zu vermitteln. Bei manchen Nutzern ist das offenbar nicht angekommen. Twitter, traditionell schlecht zu erreichen für Rückfragen aus Deutschland, tut nichts dafür, dieses Problem zu beheben."
[http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/netzdg-heiko-maas-tweet-ueber-thilo-sarrazin-verschwunden-a-1186747.html Spiegel-online am 08.01.2018 zur Frage, ob der Justizminister selbst Opfer seines eigenen Gesetzes wurde: Die allgemeine Empörung im Netz hat sich auf einen etwa sieben Jahre alten Tweet des Politikers ausgeweitet.]: 2010 twitterte Maas verächtlich über den umstrittenen SPD-Politiker Thilo Sarrazin. Wegen dessen rechtspopulistischer Äußerungen bezeichnete Maas ihn in einem Tweet als "Idiot". Kaum jemand dürfte sich daran erinnern. Doch dann kam das NetzDG - und mit dem neuen Gesetz ist nun auch Maas' Tweet verschwunden. Warum, blieb zunächst unklar.-Seit dem Jahreswechsel sind Onlinenetzwerke wie Facebook und Twitter verpflichtet, Postings mit "offensichtlich rechtswidrigen Inhalten" binnen 24 Stunden zu löschen. Die AfD instrumentalisierte das Gesetz gegen Hassrede rasch für ihre Zwecke und schwadroniert seither von Zensur, wann immer eine ihrer Beleidigungen nicht im Netz stehen bleiben darf.- Im Falle des Maas-Tweets waren Beobachter jedenfalls schnell mit einer möglichen Deutung der Ereignisse vom Wochenende zur Stelle: "Wurde Maas Opfer seines eigenen Lösch-Gesetzes?", fragte "Bild.de". Maas selbst, so das Portal, habe den Tweet jedenfalls nicht gelöscht. Die - noch online einsehbaren - Antworten auf den alten Maas-Tweet legen folgende Theorie nahe: Von der Aufregung um das Maas'sche Gesetz angestachelt, durchforsteten einzelne Twitter-Nutzer dessen Account nach alten Verfehlungen - und begannen, Maas' Tweet von 2010 zu melden. - So wurde wahrscheinlich Twitter auf den Post aufmerksam. Ob es den Tweet aber wirklich auf Basis des NetzDG löschte, weiß nur Twitter selbst. Von außen einsehbar sind die Löschgründe nicht. - Unabhängig von dem Gesetz bestehen die zuvor gültigen Meldesysteme und -regeln weiter, nach denen Twitter schon immer - wenn auch erratisch und häufig mit schlechten Ergebnissen - gelöscht hat. Der Maas-Tweet könnte von Twitter schlicht auch als Verstoß gegen die Community-Standards gewertet worden sein.-Selbst die Verfasser gelöschter oder gesperrter Inhalte bekommen nur die Information "Gemäß den geltenden Gesetzen und unseren Richtlinien hat Twitter nun diese Inhalte in Deutschland zurückgezogen". Was im jeweiligen Fall den Ausschlag gegeben hat, das NetzDG oder Twitters eigene Richtlinien, geht daraus nicht hervor.- Dass Twitters derzeitiges Vorgehen nicht unbedingt in direktem Zusammenhang mit seinem Gesetz steht, versuchte auch Minister Maas am Montag in der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen" zu vermitteln. Bei manchen Nutzern ist das offenbar nicht angekommen. Twitter, traditionell schlecht zu erreichen für Rückfragen aus Deutschland, tut nichts dafür, dieses Problem zu beheben."


== Erscheinungsformen==
==Knackpunkte==
*[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/titanic-darf-wieder-twittern-doch-das-netzwerkdurchsetzungsgesetz-bleibt-15375715.html Bei Twitter stößt man nach erfolgter Löschung auf graue Kästen mit amtlichem Hinweis:  
*Gerichtsförmigkeit vs. Informalität: Ein Titelbild einer Satirezeitschrift gerichtlich verbieten zu lassen, ist ein riskantes und u.U. langwieriges und kostspieliges Unternehmen. Dasselbe Bild auf Twitter oder Facebook verbieten zu lassen, geht ratzfatz und risikolos auch für anonyme DenunziantInnen.
"Dieser Tweet von @titanic wurde aufgrund der Gesetze vor Ort zurückgezogen in Deutschland". Dazu Andrea Diener in der FAZ vom 6.1.2018:16]: "Aber welches Recht wird da durchgesetzt, wenn als allererste Konsequenz die Redaktion eines Satiremagazins aus ihrem Twitteraccount gesperrt wird? Inzwischen ist die achtundvierzigstündige Sperre wieder aufgehoben, doch einige inkriminierte Tweets bleiben für deutsche Nutzer verborgen. Darunter auch das November-Tibelbild des Heftes mit der Aufschrift 'Baby-Hitler macht den Führerschein', das Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Jörg Haiders Unfallwagen zeigt. Schön, dass dieser Titel zumindest in Österreich zu sehen ist, dort scheint die Bevölkerung härter im Nahmen zu sein. Ebenso wie übrigens die gesamte deutsche Presse- und Kioskszene, die sich schon seit Wochen nicht an diesem Bildchen stört. Das Verbieten eines gedruckten Heftes ist auch ziemlich aufwendig, wie das bei juristischen Verfahren meister der Fall ist. Online geht das dank des NetzDG nun ratzfatz: Damit gesperrt wird, muss der Tweet nur von einem Nutzer gemeldet werden, der sich an ihm stört. ... Dann entscheidert Twitter, ob der Tweet mit den Gesetzen vor Ort zu vereinbaren ist oder nicht, und muss 'offensichtlich strafbare Inhalte' innerhalb von 24 Stunden sperren. Soweit man weiß, schulen soziale Netzwerke ihre Sperrbeauftragten nicht in Sachen Humorkompetenz.  ... In diesen Prozess vermeintlicher Rechtsdurchsetzung ist, soweit man das von außen beurteilen kann, keine einzige juristisch ausgewiesene Person eingebunden.
*Rechte der von Löschung oder Sperrung Betroffenen:
::Die Betroffenen haben vor Gericht alle prozessualen Grundrechte. Bei Twitter et al. ist das nicht der Fall. Sie haben nicht einmal einen Anspruch auf Wiederherstellung ihrer zu unrecht gelöschten Tweets. SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner dazu in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung Stadtausgabe vom 10.1.2018: 4: "Was jetzt noch fehlt, ist der Anspruch, dass zu Unrecht gelöschte oder gesperrte Beiträge wiederhergestellt werden müssen. Das wollen wir noch durchsetzen."


==Knackpunkte==
*Transparenz: Die Aktionen der sozialen Netzwerke kommen oft unangekündigt, unbegründet und intransparent bezüglich ihrer Entscheidungsgrundlagen und -reichweite. So stellte Twitter einen Tweet der AfD-Franktionsvorsitzenden Alice Weidel, in dem sie sich mit einem Tweet ihrer Stellvertreterin von Storch solidarisiert hatte, nach Einschaltung des Hamburger Medien-Anwalts Joachim Steinhöfel begründungslos wieder her. Der Anwalt hatte Twitter zwar gebeten, auch den Tweet der Vertreterin wiederherzustellen. Doch der tauchte nicht wieder auf. Im Gegenteil. In derselben Nachricht (FAZ 13.1.2018: 22) heißt es: "Twitter hat inzwischen sogar bloße Mitteilungen über Löschungen entfernt sowie einen Tweet, der sich kritisch mit einer Flüchtlingsdokumentation auseinandersetzt - also wohl rechtmäßige Inhalte."
*Ein Titelbild einer Satirezeitschrift gerichtlich verbieten zu lassen, ist ein riskantes und u.U. langwieriges und kostspieliges Unternehmen. Dasselbe Bild auf Twitter oder Facebook verbieten zu lassen, geht ratzfatz und risikolos auch für anonyme DenunziantInnen.
*Die Betroffenen haben vor Gericht alle prozessualen Grundrechte. Bei Twitter et al. ist das nicht der Fall. Sie haben nicht einmal einen Anspruch auf Wiederherstellung ihrer zu unrecht gelöschten Tweets. SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner dazu in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung Stadtausgabe vom 10.1.2018: 4: "Was jetzt noch fehlt, ist der Anspruch, dass zu Unrecht gelöschte oder gesperrte Beiträge wiederhergestellt werden müssen. Das wollen wir noch durchsetzen."


== Evaluation ==
== Evaluation ==
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