Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Unterschied zwischen den Versionen

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Das deutsche  '''Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken''' ('''Netzwerkdurchsetzungsgesetz''' NetzDG) wird auch als '''Facebook-Gesetz''' bezeichnet. Es richtet sich gegen Hetze und ''fake news'' in sozialen Netzwerken. Es ist identisch mit Artikel 1 Teil des ebenso benannten Mantelgesetzes, das in Art. 2 auch eine Änderung des Telemediengesetzes enthält, die nicht nur soziale Netzwerke betrifft. Unmittelbar nach seinem Wirksamwerden zum 1.1.2018 bestätigten sich die schon während Gesetzgebungsverfahrens vielfach geäußerten Befürchtungen, dass es die sozialen Netzwerke durch die Drohung mit Bußgeldern bis zu € 50 Millionen zu exzessiven Löschungen und damit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit veranlassen würde (sog. Overblocking).  
Das deutsche  '''Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken''' ('''Netzwerkdurchsetzungsgesetz''' NetzDG) wird auch als '''Facebook-Gesetz''' bezeichnet. Es richtet sich gegen Hetze und ''fake news'' in sozialen Netzwerken. Es ist identisch mit Artikel 1 Teil des ebenso benannten Mantelgesetzes, das in Art. 2 auch eine Änderung des Telemediengesetzes enthält, die nicht nur soziale Netzwerke betrifft. Nach seinem Wirksamwerden am 1.1.2018 kam es innerhalb weniger Tage mit den Fällen von Storch, Titanic und Maass zu einer eindrucksvollen Bestätigung der vielfach geäußerten Befürchtung, dass das Gesetz durch die Verlagerung der Löschungsentscheidung auf die Betreiber der Netzwerke und durch deren Bedrohung mit Bußgeldern von bis zu € 50 Millionen zur einer (verfassungsrechtlich und gesellschaftspolitisch bedenklichen) exzessiven Löschung von Beiträgen im Netz kommen würde (einem sog. ''Overblocking'').  


== Inhalt ==
== Inhalt ==
'''Geltungsbereich''': Das Gesetz gilt für Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube mit mindestens zwei Millionen in Deutschland registrierten Nutzern. Es gilt nicht für E-Mail- und Messenger-Dienste, berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen. Start-up-Unternehmen sollen durch das Gesetz nach Möglichkeit nicht in ihrer Entwicklung behindert werden.
'''Geltungsbereich''': Das Gesetz gilt für Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube mit mindestens zwei Millionen in Deutschland registrierten Nutzern. Es gilt nicht für E-Mail- und Messenger-Dienste, berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen. Start-up-Unternehmen sollen durch das Gesetz nach Möglichkeit nicht in ihrer Entwicklung behindert werden.


'''Pflichten''': Die entsprechenden Firmen müssen „offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden“ nach Eingang einer Beschwerde löschen oder sperren. Für schwierige Fälle gilt in der Regel eine Sieben-Tages-Frist. Diese Frist kann in zwei Fällen überschritten werden: 1.) Wenn neben dem objektiven Straftatbestand auch mögliche Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden sollen und/oder 2.) wenn eine Prüfung im Rahmen der sogenannten regulierten Selbstregulierung erfolgen soll. Neben dem objektiven Straftatbestand sollen auch mögliche Rechtfertigungsgründe berücksichtigt und der '''Kontext''' einer Äußerung in die Überprüfung einbezogen werden. Konkret bedeutet dies: „Wenn die Bewertung vom Kontext abhängt, soll der Nutzer Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten."
Zum Straftatenkatalog, anhand dessen Löschungen oder Sperrungen vorzunehmen sind, gehört u.a. der Tatbestand der „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ gemäß Paragraph 201a des Strafgesetzbuchs. Dabei kommt es darauf an, ob das Foto „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“.


Anbieter sozialer Netzwerke die Entscheidung über nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte an eine Art freiwillige Selbstkontrolle abgeben. Eine solche „anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung“ muss staatlich zugelassen und vom Bundesamt für Justiz überwacht werden, wird aber gegründet, ausgestattet und betrieben von den Unternehmen. Dieses Prinzip der regulierten Selbstregulierung soll nach dem Vorbild des Jugendmedienschutzes errichtet werden können. Als Beispiel wird hierfür seitens der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter FSM benannt. Nach den Worten der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion im Bundestag Eva Högl sei der Weg der regulierten Selbstregulierung ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor Overblocking und schließe zudem aus, dass die Rechtsdurchsetzung privatisiert wird. Patrick Beuth von ZEIT Online argumentiert hingegen: "Selbstregulierung heißt letztlich eben immer, dass der Staat nicht die nötigen Mittel aufwenden kann oder will, um selbst zu regulieren. Im Fall des NetzDG bedeutet es, dass börsennotierten Unternehmen eine Aufgabe zufällt, die in einer idealen Welt eine der Justiz wäre." Geht ein Unternehmen den Weg der regulierten Selbstregulierung, obwohl die Rechtswidrigkeit „offensichtlich“ war, droht ein Bußgeld. Nach Darstellung des Bundesamtes für Justiz greift ein Bußgeld jedoch nicht in Fällen, wo die regulierte Selbstregulierung die Rechtmäßigkeit eines Inhalts feststellte, denn "Der Entscheidung durch das Bundesamt für Justiz sind solche Inhalte entzogen, deren Rechtmäßigkeit durch die anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung festgestellt wurde."
Das Gesetz schafft nach Darstellung des Bundesjustizministeriums keine neuen Löschpflichten. Es soll nur sicherstellen, dass bereits bestehendes Recht eingehalten und durchgesetzt wird. Ziel ist der Schutz von Gruppen und Personen vor Hasskriminalität. Und die Sorge für eine "freie, offene und demokratische Kommunikationskultur". Das Bundesamt für Justiz ergänzt: „Unabhängig von den Regelungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes bleibt es dabei, dass, wer strafbare Inhalte im Netz verbreitet, auch strafrechtlich verfolgt wird. Hierfür sind auch weiterhin die Strafverfolgungsbehörden (Polizei/Staatsanwaltschaft) zuständig.“ An diesen Einschätzungen und anderen Aspekten des Gesetzes wurde von verschiedenen Seiten Kritik geäußert:


== Gesetzgebungsverfahren ==
'''Pflichten''': Die entsprechenden Firmen müssen „offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden“ nach Eingang einer Beschwerde löschen oder sperren. Für schwierige Fälle gilt in der Regel eine Sieben-Tages-Frist. Diese Frist kann in zwei Fällen überschritten werden: 1.) Wenn neben dem objektiven Straftatbestand auch mögliche Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden sollen und/oder 2.) wenn eine Prüfung im Rahmen der sogenannten regulierten Selbstregulierung erfolgen soll. Neben dem objektiven Straftatbestand sollen auch mögliche Rechtfertigungsgründe berücksichtigt und der '''Kontext''' einer Äußerung in die Überprüfung einbezogen werden. Konkret bedeutet dies: „Wenn die Bewertung vom Kontext abhängt, soll der Nutzer Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten."
Justizminister Heiko Maas reagierte mit dem Gesetzentwurf auf Meldungen über die Rolle von "fake news" im US-amerikanischen Wahlkampf von 2016 und auf Probleme bei der Löschung von Inhalten in sozialen Netzwerken. Anfang 2017 habe eine Auswertung durch "jugendschutz.net" ergeben, dass Löschungen von Hasskommentaren nur unzureichend erfolgten. Zwar würden bei YouTube 90 Prozent der (nach Meinung der die Studie verantwortenden "juristischen Laien" - so der Professor für Medienrecht Marc Liesching) strafbaren Inhalte gelöscht, bei Facebook jedoch nur 39 Prozent und bei Twitter nur ein Prozent. Das Gesetz solle die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen.  


== Kritik ==
'''Regulierte Selbstregulierung''': Die Unternehmen können die Entscheidung über nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte an eine Art freiwillige Selbstkontrolle abgeben. Eine solche „anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung“ muss staatlich zugelassen und vom Bundesamt für Justiz überwacht werden, wird aber von den Privatfirmen selbst gegründet, ausgestattet, finanziert und betrieben. (Vorbild: Jugendmedienschutz bzw. die "Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter FSM). Das soll nach Eva Högl (SPD) sowohl Overblocking als auch die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung verhindern. - Geht ein Unternehmen den Weg der regulierten Selbstregulierung, obwohl die Rechtswidrigkeit „offensichtlich“ war, droht ihm ein Bußgeld. Das gilt natürlich nicht, wenn die angerufene "anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung" dann doch die Rechtmäßigkeit des betreffenden Inhalts feststellt' (die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit also nach Ansicht der Einrichtung doch nicht gegeben war).


''Zustellungsbevollmächtigte''': Unternehmen müssen einen Ansprechpartner in Deutschland für Justiz, Strafverfolger und Bußgeldbehörden sowie Bürger benennen, an den sich die genannten Institutionen und Personen wenden können. Dieser Zustellungsbevollmächtigte muss binnen 48 Stunden auf Anfragen und Beschwerden reagieren. Unzufriedene Nutzer können sich an das Bundesamt für Justiz wenden, das seinerseits Bußgelder verhängen kann.


'''Rechte der von Postings Geschädigten''': Opfer von Beleidigungen und Verleumdungen auf Twitter usw. können direkt gegen die Urheber dieser Aussagen vorgehen. Sie haben "im Einzelfall" einen zivilrechtlichen Anspruch, die Identität des Täters zu erfahren (Herausgabe der Bestandsdaten des Tatverdächtigen). Das erfordert eine gerichtliche Anordnung und gilt nur für schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Die Veröffentlichungspflicht und die konkreten Fristen sollen vermeiden, dass die durch beleidigende Posts Geschädigten langwierige Verfahren in Kauf nehmen müssen, um überhaupt die Zustellung ihrer Klage zu erreichen.


'''Rechte der von Löschung/Sperrung Betroffenen''':  Wer gegen eine Löschung oder Sperrung seiner Inhalte oder seines Kontos vorgehen will, findet im NetzDG keine Möglichkeit. Es bleibt nur eine Klage gegen das jeweilige  Unternehmen. Die ursprünglich vom Bundesrat geforderte Clearingstelle für Beschwerden über voreilig gelöschte legale Inhalte wurde nicht in den Gesetzestext aufgenommen.


und offenbarte schon in den ersten Tagen die von Experten befürchteten Schwachstellen in Bezug auf seine Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Kritik richtet sich vor allem gegen die Verlagerung von Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen von staatlichen Gerichten zu den privaten Betreibern, die durch die extrem kurzen Fristen, die ihnen zur Vermeidung von Bußgelder bis zu 50 Millionen € blieben, zum "Overblocking" verführt würden. Schon vor der Verabschiedung des Gesetzes hatte der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit eine Gefährdung der Menschenrechte kritisiert, und fast alle Experten hatten bei einer Anhörung im Bundestag das geplante Gesetz als verfassungswidrig diagnostiziert.
'''Sanktionen''': Systematische Missachtung des Gesetzes und/oder die Weigerung eines Unternehmens, ein effektives Beschwerdemanagement einzuführen, können zu Bußgeldern bis zu 50 Millionen führen.  


== Gesetzgebungsverfahren ==
Justizminister Heiko Maas reagierte mit dem Gesetzentwurf auf Meldungen über die Rolle von "fake news" im US-amerikanischen Wahlkampf von 2016 und auf vorgebliche, von juristischen Laien beklagte Probleme bei der Löschung von (nach ihrer Bewertung: strafbaren) Inhalten in sozialen Netzwerken.


Bei der Beratung im Bundestag 2017 warnte Petra Sitte (Linkspartei) vor einem schweren Kollateralschaden für die Meinungsfreiheit. Konstantin von Notz (Die Grünen) warnte davor, die großen Netzwerkanbieter in eine Richterrolle zu drängen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages äußerten in einem Gutachten Bedenken, dass der Gesetzentwurf gegen die Verfassung und gegen Europarecht verstoße.


Zum Straftatenkatalog, anhand dessen Löschungen oder Sperrungen vorzunehmen sind, gehört nicht die Verunglimpfung des Bundespräsidenten. Zum Straftatenkatalog gehört aber die „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ gemäß Paragraph 201a Strafgesetzbuch. Ein Gummiparagraph verbietet, einem Dritten ein Foto zugänglich zu machen, das „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“. Das Gesetz sorgt damit in einem weiteren Punkt für Rechtsunsicherheit (schadet das Foto eines japsenden Marathonläufers seinem Ansehen? Und das Bierhelmfoto vom Ballermann? Jede Unsicherheit erhöht den Druck auf Internetanbieter, sicherheitshalber lieber zuviel als zuwenig zu löschen).  
David Kaye, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Schutz der Meinungsfreiheit, kritisierte im Juni 2017 die geplanten Regelungen als weit über das Ziel hinausschießend. Die Regelungen seien mit internationalen Menschenrechtserklärungen wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht vereinbar. - Online-Anbieter müssten Informationen teils aufgrund „vager und mehrdeutiger“ Kriterien löschen. Viele Informationen seien nur aus dem Zusammenhang heraus zu verstehen, den Plattformen nicht selbst bewerten könnten. Durch hohe Bußgelddrohungen und kurze Prüffristen würden Betreiber geradezu genötigt, auch potenziell rechtmäßige Inhalte zu löschen, was zu unangemessenen Eingriffen in Meinungsfreiheit und Privatsphäre führen würde, über die mindestens Gerichte oder unabhängige Institutionen entscheiden müssten. Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte garantiere das Recht auf freien Zugang zu Informationen und das Teilen von Informationen. Die Einschränkung dieser Rechte auf Basis vage definierter Begriffe wie „Beleidigung“ oder „Diffamierung“ sei damit nicht zu vereinbaren. - Die staatliche Überwachung Betroffener werde durch die zeitlich unbestimmten Speicher- und Dokumentationspflichten ebenso unzulässig erleichtert wie durch den zivilrechtlichen Anspruch auf Herausgabe von Bestandsdaten zu IP-Adressen ohne richterliche Anordnung. Der Beauftragte bat die Bundesregierung um Stellungnahme binnen 60 Tagen.


Eine Clearingstelle für Beschwerden über voreilig gelöschte legale Inhalte wie ursprünglich vom Bundesrat gefordert, gibt es nicht. Damit fehlt laut der Zeitung Die Zeit im „Gesetz ein Mechanismus, der im Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte: Wer gegen eine Löschung oder Sperrung seiner Inhalte oder seines Kontos vorgehen will, bekommt mit dem NetzDG keine Möglichkeit zur Gegenwehr. Was bleibt, wäre eine Klage gegen ein Unternehmen wie Facebook.
Bei einer Anhörung zum Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag brachten acht von zehn geladenen Experten erhebliche Bedenken zum Ausdruck. Die meisten sahen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Der Leiter des Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster Bernd Holznagel erklärte, um hohen Bußgeldzahlungen zu entgehen, könnten die Netzwerke dazu neigen, auch legale Beiträge zu löschen. Der Entwurf sei verfassungswidrig und würde einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Christian Mihr warnte, die Methoden erinnerten an autokratische Staaten und das Gesetz schaffe die Gefahr des Missbrauchs. Auch totalitäre Regierungen würden die Debatte in Deutschland derzeit mit Interesse verfolgen. Unterdessen hatte sich nach einem Bericht der Augsburger Allgemeinen bereits der weißrussische Präsident Alexander '''Lukaschenko''' bei der von ihm betriebenen Einschränkung der Meinungsfreiheit im Kampf gegen die Opposition auf Justizminister Heiko Maas berufen und eigene Maßnahmen mit Maas' Gesetzentwurf begründet.


Bei wiederholten und systematischen Verstößen gegen das Gesetz droht ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro. Das erfordert allerdings eine beharrliche Weigerung eines Unternehmens, ein effektives Beschwerdemanagement einzuführen oder die systematische Missachtung des Gesetzes.
Selbst SPD-nahe IT-Experten bezeichneten die geplanten Regelungen als „Zensurinfrastruktur“. Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen nannte den Entwurf „beschämend“.[40][41] Harald Martenstein von der Zeitung Der Tagesspiegel bezeichnete ihn als „'''Erdoganismus''' in Reinkultur“ und erklärte, der Gesetzesentwurf lese sich so, als „stamme er aus dem Roman 1984“, er sei ein „Angriff auf das Prinzip der Gewaltenteilung“. Burkhard Müller-Ullrich schrieb: „Minister Maas geht es ganz offensichtlich nicht um Hass und Hetze allgemein, sondern um das '''Mundtotmachen''' seiner politischen Gegner.“ - Experten erwarteten, dass die kurzen und starren Löschfristen sowie die hohe Bußgeldandrohung dazu führen würde, dass die Netzwerke Beiträge im Zweifelsfall lieber entfernen, auch wenn die grundrechtlich garantierte Meinungsfreiheit eine kontextbezogene Abwägung erfordern würde, etwa bei der Abgrenzung zwischen verbotener Beleidigung und erlaubter Satire. Im April 2017 schloss sich ein Bündnis aus Wirtschaftsverbänden, Netzpolitikern, Bürgerrechtlern, Wissenschaftlern und Juristen zusammen, um gegen das Gesetz zu protestieren. In einem Manifest warnten sie vor „katastrophalen Folgen für die Meinungsfreiheit“.


Unternehmen müssen einen Ansprechpartner in Deutschland für Justiz, Strafverfolger und Bußgeldbehörden sowie Bürger benennen, an den sich die genannten Institutionen und Personen wenden können. Dieser „Zustellungsbevollmächtigte“ muss binnen 48 Stunden auf Anfragen und Beschwerden reagieren. Die Einhaltung dieser neuen Vorgaben wird das Bundesamt für Justiz überwachen und bei Verstößen Bußgeldverfahren einleiten. Das soll der Tatsache Rechnung tragen, dass die meisten großen Online-Unternehmen ihren Sitz im Ausland haben. Nutzer, deren Beschwerden von den Netzwerken nicht genügend beachtet oder nicht ordnungsgemäß bearbeitet werden, können sich an das Bundesamt für Justiz wenden und den Sachverhalt anzeigen. Ergeben sich Anhaltspunkte für Mängel im Beschwerdemanagement, wird das Bundesamt für Justiz prüfen, ob gegen den Anbieter des betroffenen Netzwerks ein Bußgeldverfahren wegen systematisch falscher Entscheidungspraxis einzuleiten ist.
Der Bundestag verabschiedete den Gesetzentwurf am 30. Juni 2017 mit einer Mehrheit aus Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und gegen die Stimme von Iris Eberl (CSU) bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Die Anzahl der anwesenden Abgeordneten lag bei um die 55 (obwohl die Sitzung direkt nach der Abstimmung über die Ehe für alle stattfand, bei der insgesamt 623 Stimmen abgegeben wurden). Für die ordnungsgemäße Beschlußfähigkeit des Bundestags ist zwar mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages (= 316) erforderlich. Offenbar hatte aber niemand den Antrag gestellt, die Beschlussfähigkeit zu prüfen. Ein Appell des Deutschen Journalisten-Verbands an den Bundespräsidenten, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, blieb folgenlos.  


Betroffene, die in den sozialen Medien Opfer von Beleidigungen und Verleumdungen wurden, können direkt gegen die Urheber dieser Aussagen vorgehen. Betroffene bekommen daher "im Einzelfall" einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch nach Bestandsdaten des Täters. Dieser Auskunftsanspruch erfolgt nach einer gerichtlichen Anordnung und nur bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Betroffene müssen aufgrund der Veröffentlichungspflicht und konkreter Fristen zur Durchsetzung ihrer Rechte nicht mehr langwierige Verfahren in Kauf nehmen, um überhaupt die Zustellung der Klage zu erreichen.  
== Kritik ==
'''EU''': Die Europäische Kommission hält Dokumente zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz unter Verschluss, die die Vereinbarkeit des Gesetzes mit EU-Recht im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die europarechtlichen Vorgaben im Bereich der „Dienste der Informationsgesellschaft“ (E-Commerce-Richtlinie) überprüfen. Eine Anfrage des Wirtschaftsmagazins Wirtschaftswoche wurde mit dem Hinweis abgelehnt, dass „die Veröffentlichung der Dokumente … das Klima des gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Mitgliedsstaat und der Kommission beeinträchtigen“ würde. Die EU-Kommission ist laut einer Verordnung aus dem Jahr 2001 dazu verpflichtet, interne Dokumente auf Anfrage zugänglich zu machen. Die Wirtschaftswoche schreibt hierzu: „Damit erhärtet sich der Verdacht, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, Brüssel Deutschland aber nicht brüskieren will.“ [52][53]


Beratung im Bundestag 2017: Petra Sitte (Linkspartei) warnte vor einem schweren Kollateralschaden für die Meinungsfreiheit. Konstantin von Notz (Die Grünen) warnte davor, die großen Netzwerkanbieter in eine Richterrolle zu drängen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages äußerten in einem Gutachten Bedenken, dass der Gesetzentwurf gegen die Verfassung und gegen Europarecht verstoße.


Bei einer Anhörung zum Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag brachten acht von zehn geladenen Experten erhebliche Bedenken zum Ausdruck. Die meisten sahen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Der Leiter des Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster Bernd Holznagel erklärte, um hohen Bußgeldzahlungen zu entgehen, könnten die Netzwerke dazu neigen, auch legale Beiträge zu löschen. Der Entwurf sei verfassungswidrig und würde einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Christian Mihr warnte, die Methoden erinnerten an autokratische Staaten und das Gesetz schaffe die Gefahr des Missbrauchs. Auch totalitäre Regierungen würden die Debatte in Deutschland derzeit mit Interesse verfolgen, um sich an dem Entwurf zu orientieren. Man dürfe keinen Präzedenzfall für Zensur schaffen.[30][31] Unterdessen hatte sich nach einem Bericht der Augsburger Allgemeinen bereits der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko bei der von ihm betriebenen Einschränkung der Meinungsfreiheit im Kampf gegen die Opposition auf Justizminister Heiko Maas berufen und eigene Maßnahmen mit Maas' Gesetzentwurf begründet.[32]


Vertreter der Fraktionen CDU/CSU und SPD nahmen daraufhin Änderungen am Entwurf vor. Danach muss der von Netzwerkbetreibern zu benennende Zustellungsbevollmächtigte in Deutschland in einer Frist von 48 Stunden Auskunft erteilen, wenn sich Behörden wegen illegaler Inhalte bei ihm melden. Zusätzlich wurde eine Möglichkeit vorgesehen, Entscheidungen in schwierigen Fällen einem „unabhängigen Gremium“ zu überlassen, das dem Bundesamt für Justiz untersteht. Einzelheiten zu Ausgestaltung und Besetzung dieses Gremiums blieben jedoch unklar. Die umstrittenen Löschfristen von 24 Stunden bzw. sieben Tagen und die Strafandrohung von bis zu 50 Millionen Euro blieben bestehen.[33]


Der Bundestag verabschiedete den geänderten Entwurf am 30. Juni 2017 mit einer Mehrheit aus Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und Iris Eberl[34] aus der CSU bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.[35] Die Anzahl der anwesenden Abgeordneten lag bei um die 55, obwohl die Sitzung direkt nach der Abstimmung über die Ehe für alle (623 Stimmen) stattfand.[36] Laut §45 der Bundestagsgeschäftsordnung [37] müssen für die ordnungsgemäße Beschlußfähigkeit aber mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages (zum damaligen Zeitpunkt 630 ingesamt - sprich min. 316) anwesend sein.


Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nach Darstellung des Bundesjustizministeriums werde der Maßstab, was gelöscht oder gesperrt werden müsse, nicht von den sozialen Netzwerken gesetzt.[25] „Maßgeblich sind allein die deutschen Strafgesetze. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz schafft also keine neuen Löschpflichten. Es soll vielmehr sicherstellen, dass bereits bestehendes Recht eingehalten und durchgesetzt wird.“[25] Ziel des Löschens von strafbaren Beiträgen durch die sozialen Netzwerke sei es, für eine freie, offene und demokratische Kommunikationskultur zu sorgen und die von Hasskriminalität betroffenen Gruppen und Personen zu schützen.[38] Das Bundesamt für Justiz ergänzt: „Unabhängig von den Regelungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes bleibt es dabei, dass, wer strafbare Inhalte im Netz verbreitet, auch strafrechtlich verfolgt wird. Hierfür sind auch weiterhin die Strafverfolgungsbehörden (Polizei/Staatsanwaltschaft) zuständig.“[39] An diesen Einschätzungen und anderen Aspekten des Gesetzes wurde von verschiedenen Seiten Kritik geäußert:


Experten und Journalisten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Auch SPD-nahe IT-Experten bezeichneten die geplanten Regelungen als „Zensurinfrastruktur“. Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen nannte den Entwurf „beschämend“.[40][41] Harald Martenstein von der Zeitung Der Tagesspiegel bezeichnete ihn als „Erdoganismus in Reinkultur“[42] und erklärte, der Gesetzesentwurf lese sich so, als „stamme er aus dem Roman 1984“, er sei ein „Angriff auf das Prinzip der Gewaltenteilung“. Burkhard Müller-Ullrich schrieb: „Minister Maas geht es ganz offensichtlich nicht um Hass und Hetze allgemein, sondern um das Mundtotmachen seiner politischen Gegner.“[43]


Experten erwarten, dass die kurzen und starren Löschfristen sowie die hohe Bußgeldandrohung dazu führen würde, dass die Netzwerke Beiträge im Zweifelsfall lieber entfernen, auch wenn die grundrechtlich garantierte Meinungsfreiheit eine kontextbezogene Abwägung erfordern würde, etwa bei der Abgrenzung zwischen verbotener Beleidigung und erlaubter Satire.[12] Im April 2017 schloss sich ein Bündnis aus Wirtschaftsverbänden, Netzpolitikern, Bürgerrechtlern, Wissenschaftlern und Juristen zusammen, um gegen das Gesetz zu protestieren. In einem Manifest warnten sie vor „katastrophalen Folgen für die Meinungsfreiheit“.[44][45][46]
Nachdem der Bundestag das Gesetz beschlossen hatte, forderte unter anderem der Deutsche Journalisten-Verband Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu auf, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, da die Meinungsfreiheit nicht ausreichend geschützt sei.[47]


Soziale Netzwerke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Soziale Netzwerke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Facebook hält den NetzDG-Entwurf für mit dem deutschen Grundgesetz unvereinbar. In einer Ende Mai 2017 an den Deutschen Bundestag übermittelten Stellungnahme erklärte das Unternehmen: „Der Rechtsstaat darf die eigenen Versäumnisse und die Verantwortung nicht auf private Unternehmen abwälzen. Die Verhinderung und Bekämpfung von Hate Speech und Falschmeldungen ist eine öffentliche Aufgabe, der sich der Staat nicht entziehen darf.“ Facebook forderte in der Stellungnahme eine europäische Lösung und warnt vor einem „nationalen Alleingang“. In der Stellungnahme hieß es: „Die Höhe der Bußgelder steht außer Verhältnis zu dem sanktionierten Verhalten“. Der Branchenverband Bitkom hatte in einer Studie Kosten von rund 530 Millionen Euro pro Jahr errechnet, die Facebook und andere soziale Netzwerke tragen müssten. Facebook hält diese Zahlen für „realistisch“.[48]
Facebook hält den NetzDG-Entwurf für mit dem deutschen Grundgesetz unvereinbar. In einer Ende Mai 2017 an den Deutschen Bundestag übermittelten Stellungnahme erklärte das Unternehmen: „Der Rechtsstaat darf die eigenen Versäumnisse und die Verantwortung nicht auf private Unternehmen abwälzen. Die Verhinderung und Bekämpfung von Hate Speech und Falschmeldungen ist eine öffentliche Aufgabe, der sich der Staat nicht entziehen darf.“ Facebook forderte in der Stellungnahme eine europäische Lösung und warnt vor einem „nationalen Alleingang“. In der Stellungnahme hieß es: „Die Höhe der Bußgelder steht außer Verhältnis zu dem sanktionierten Verhalten“. Der Branchenverband Bitkom hatte in einer Studie Kosten von rund 530 Millionen Euro pro Jahr errechnet, die Facebook und andere soziale Netzwerke tragen müssten. Facebook hält diese Zahlen für „realistisch“.[48]


Vereinte Nationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für den Schutz der Meinungsfreiheit David Kaye kritisierte im Juni 2017 die geplanten Regelungen in einer Stellungnahme an die Bundesregierung scharf. Sie würden weit über das Ziel hinausschießen und Plattformbetreibern zu große Verantwortlichkeiten aufbürden. Ferner seien sie mit internationalen Menschenrechtserklärungen wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht vereinbar.
Online-Anbieter müssten Informationen teils aufgrund „vager und mehrdeutiger“ Kriterien löschen. Viele Informationen seien nur aus dem Zusammenhang heraus zu verstehen, den Plattformen nicht selbst bewerten könnten. Durch hohe Bußgelddrohungen und kurze Prüffristen würden Betreiber geradezu genötigt, auch potenziell rechtmäßige Inhalte zu löschen, was zu unangemessenen Eingriffen in Meinungsfreiheit und Privatsphäre führen würde, über die mindestens Gerichte oder unabhängige Institutionen entscheiden müssten. Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte garantiere das Recht auf freien Zugang zu Informationen und das Teilen von Informationen. Die Einschränkung dieser Rechte auf Basis vage definierter Begriffe wie „Beleidigung“ oder „Diffamierung“ sei damit nicht zu vereinbaren.
Bedenken äußerte Kaye auch hinsichtlich der Regelung, dass umstrittene strafbewehrte Inhalte und die zugehörigen Nutzerinformationen für unbestimmte Zeit gespeichert und dokumentiert werden müssten, was die staatliche Überwachung Betroffener erleichtere, und des zivilrechtlichen Anspruchs auf Herausgabe von Bestandsdaten zu IP-Adressen ohne richterliche Anordnung. Der Beauftragte bat die Bundesregierung um Stellungnahme binnen 60 Tagen.[49][50][51]
EU-Kommission[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Europäische Kommission hält Dokumente zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz unter Verschluss, die die Vereinbarkeit des Gesetzes mit EU-Recht im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die europarechtlichen Vorgaben im Bereich der „Dienste der Informationsgesellschaft“ (E-Commerce-Richtlinie) überprüfen. Eine Anfrage des Wirtschaftsmagazins Wirtschaftswoche wurde mit dem Hinweis abgelehnt, dass „die Veröffentlichung der Dokumente … das Klima des gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Mitgliedsstaat und der Kommission beeinträchtigen“ würde. Die EU-Kommission ist laut einer Verordnung aus dem Jahr 2001 dazu verpflichtet, interne Dokumente auf Anfrage zugänglich zu machen. Die Wirtschaftswoche schreibt hierzu: „Damit erhärtet sich der Verdacht, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, Brüssel Deutschland aber nicht brüskieren will.“ [52][53]


[https://netzpolitik.org/2017/hate-speech-gesetz-verbaende-erheben-schwerwiegende-rechtliche-einwaende/  31.3.2017 netzpolitik] Die Kritik am so genannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ebbt nicht ab. Der Justiziar des Heise-Verlags sieht in dem Gesetzentwurf einen „Frontalangriff auf das Vertrauen im Internet“. Die Youtube-Chefin warnt davor, dass als Kollateralschaden „legitime Stimmen unterdrückt werden könnten“. - Auch Digitalverbände, Bürgerrechtsorganisationen und Juristen kritisieren den Gesetzentwurf auf unterschiedlichen Ebenen. Das Justizministerium hatte eine verschärfte Version noch vor Ablauf der Verbändeanhörung bei der EU zur Notifizierung eingereicht. Der Verband der Internetwirtschaft eco wundert sich, dass in der aktuellen Fassung Straftatbestände aufgenommen wurden, die nichts mit Hate Speech und Fake News zu haben und bei denen „bis jetzt keine Kritik an der Rechtsdurchsetzung bei eben diesen geäußert wurde, wie auch der aktuelle Löschbericht der Bundesregierung unterstreicht“. Der Digitalverband Bitkom warnt in einer Pressemitteilung davor, ohne eine sorgfältige fachliche Prüfung und intensive parlamentarische Beratung im Hauruck-Verfahren gesetzlich gegen Hassreden und andere Hasskriminalität im Internet vorgehen zu wollen. - Die Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) hat eine Stellungnahme abgegeben und bemängelt einen „Zeitplan, der für ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren in einem grundrechtssensiblen Bereich wie vorliegend nicht einzuhalten ist.“ Dem vorliegenden Entwurf eines NetzDG stünden auch in der geänderten Fassung schwerwiegende europarechtliche, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Einwände entgegen. - So seien mit der umfangreichen Pflichtenübertragung auf die Anbieter sozialer Netzwerke zugleich weitere, verfassungsrechtliche Probleme verbunden, die mit dem Begriff „Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“ treffend umschrieben seien. Weiter heißt es: Mit dieser Übertragung von (Staats-)Aufgaben auf private Instanzen incentiviert der Referentenentwurf für den Dienstanbieter, Inhalte auf eine Meldung hin ohne Prüfung zu sperren. Denn warum sollte sich ein privates Unternehmen dem Risiko eines Bußgeldes aussetzen? Umgekehrt wird damit zugleich für den vermeintlich Betroffenen ein starker Anreiz gesetzt, gegen den Anbieter sozialer Netzwerke auch dann vorzugehen, wenn ihm der sich Äußernde bekannt ist, da er hier in kurzen Fristen und ohne rechtliches und finanzielles Risiko sein Ziel ohne eine langwierige und schwierige Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang erreichen kann. -- Das rechtliche Gehör des sich Äußernden bleibt dabei auf der Strecke. Im geplanten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch sieht die DGRI einen Einschüchterungseffekt: - Dem Auskunftsanspruch […] stehen wesentliche Rechtsgrundsätze entgegen: Nach [Telemediengesetz] sollen Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Diese Norm ist eine Konkretisierung des Datenvermeidungsgebots und Ausfluss des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Nutzer.-- Darüber hinaus wäre eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, nicht mit [der Meinungs- und Informationsfreiheit im Grundgesetz] vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. - - Auch die Digitale Gesellschaft hat eine Stellungnahme veröffentlicht. Sie kritisiert, dass die Erweiterung des vom NetzDG erfassten rechtswidrigen Inhalte deutlich über die ursprüngliche Zielsetzung hinausgehe, nämlich den Schutz des öffentlichen Diskurses in sozialen Netzwerken. Dafür gebe es weder einen konkreten Anlass noch einen nachvollziehbaren Grund. Für besonders schädlich hält die Digitale Gesellschaft die enthaltene Änderung des Telemediengesetzes (TMG): -- Die danach vorgesehene Einführung einer Auskunftsbefugnis für die Betreiber von Telemediendiensten zum Zwecke der Durchsetzung absoluter Rechte würde es Privatpersonen erlauben, unter dem Vorwand einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Zugriff auf die Bestands- und Nutzungsdaten Dritter zu erhalten. Eine solche Regelung birgt enorme Missbrauchsrisiken und könnte dazu eingesetzt werden, um unliebsame Kritiker oder politische Gegner aufzudecken und einzuschüchtern. - Auch sei dieses Auskunftsrecht geeignet, dass Online-Stalker die Bestandsdaten ihrer Opfer bei den Telemediendienstanbietern abfragen könnten. - Der schwerwiegendste Fehler des Gesetzes sei in diesem Zusammenhang jedoch die „Auslagerung juristischer Prüfungsverantwortung auf die Betreiber sozialer Netzwerke“: - Die Beurteilung eines Inhalts oder einer Äußerung als strafbar obliegt in einem demokratischen Rechtsstaat den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden. Die Mitarbeiter bei sozialen Netzwerken und anderen Online-Diensten dürften mit derartigen Prüfungen in der Regel überfordert sein. Dies gilt umso mehr, als dass insbesondere die geplante Auskunftsbefugnis im TMG für sämtliche Diensteanbieter und nicht nur für soziale Netzwerke mit mindestens 2 Millionen Nutzern im Inland gelten soll. Eine derart breitflächige Privatisierung der Rechtsdurchsetzung unterminiert rechtsstaatliche Garantien und geht im Ergebnis zu Lasten der Grundrechte. In beiden nun vorliegenden Entwurfsfassungen würde das NetzDG öffentliche Diskursräume im Netz daher deutlich mehr schaden als nützen. - Amadeu-Antonio-Stiftung: „Einschränkung der Meinungsfreiheit“. - Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Teil der Task Force gegen Hate Speech des Justizministeriums ist, kritisiert das Gesetz in ihrer Stellungnahme. Die Löschfrist von 24 Stunden sei kein Beitrag zur qualitativen Verbesserung der Behandlung von Hate Speech seitens der Betreiber und führe zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit: -Eine sorgfältige Prüfung ist innerhalb solcher Fristen nicht möglich. Im Zweifelsfall werden Betreiber also Inhalte eher löschen; dies hat damit eine faktische Einschränkung der Meinungsfreiheit zur Konsequenz. Derlei Einschränkungen sind auf Grund des hohen Gutes, das die Meinungsäußerungsfreiheit für unsere demokratische Wertgemeinschaft hat, abzulehnen. Dies ist weder im Sinne einer zu fördernden Diskussionskultur noch ein hilfreicher Beitrag zur Lösung des Problems Hate Speech. - Die Stiftung sieht deswegen auch Probleme einer privatisierten Rechtsdurchsetzung: - Das NetzDG in dieser Form würde die Betreiber verpflichten, ein erweitertes Exekutivorgan zu werden, und die Rechtsdurchsetzung damit teilweise in private Hand geben. Rechtsprechung und -durchsetzung müssen jedoch staatliche Aufgabe bleiben und bedürfen sorgfältiger Prüfung. -Der Gesetzentwurf sei einseitig, es bedürfe einer Staatsanwaltschaft mit dem Schwerpunkt digitale Hasskriminalität sowie umfassender Sensibilisierung und Fortbildung im Polizei- und Justizapparat zum Erkennen von Hasskriminalität und digitaler Gewalt.- Die Einführung einer Kontaktstelle bei den sozialen Netzwerken und eine wirksame Strafverfolgung hatte jüngst auch Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, in einem Beitrag in der Legal Tribune Online gefordert.- Diametral gegen Zielsetzung der E-Commerce-Richtlinie- Neben den zahlreichen verfassungsrechtlichen und grundrechtlichen Fragestellungen, scheint der Gesetzentwurf auch europarechtlich Probleme zu machen. Thomas Hoeren, Professor an der Universität Münster, stellt in einem Blogbeitrag fest, „dass eine substantielle Auseinandersetzung mit den europarechtlichen Vorgaben im Bereich der ‚Dienste der Informationsgesellschaft‘ nicht stattgefunden hat“. Zudem seien wesentliche Aussagen der E-Commerce-Richtlinie verkannt worden. So laufe der Entwurf in der derzeitigen Fassung der Zielsetzung der E-Commerce-Richtlinie, eine Fragmentierung des Binnenmarktes zu verhindern, diametral entgegen.
[https://netzpolitik.org/2017/hate-speech-gesetz-verbaende-erheben-schwerwiegende-rechtliche-einwaende/  31.3.2017 netzpolitik] Die Kritik am so genannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ebbt nicht ab. Der Justiziar des Heise-Verlags sieht in dem Gesetzentwurf einen „Frontalangriff auf das Vertrauen im Internet“. Die Youtube-Chefin warnt davor, dass als Kollateralschaden „legitime Stimmen unterdrückt werden könnten“. - Auch Digitalverbände, Bürgerrechtsorganisationen und Juristen kritisieren den Gesetzentwurf auf unterschiedlichen Ebenen. Das Justizministerium hatte eine verschärfte Version noch vor Ablauf der Verbändeanhörung bei der EU zur Notifizierung eingereicht. Der Verband der Internetwirtschaft eco wundert sich, dass in der aktuellen Fassung Straftatbestände aufgenommen wurden, die nichts mit Hate Speech und Fake News zu haben und bei denen „bis jetzt keine Kritik an der Rechtsdurchsetzung bei eben diesen geäußert wurde, wie auch der aktuelle Löschbericht der Bundesregierung unterstreicht“. Der Digitalverband Bitkom warnt in einer Pressemitteilung davor, ohne eine sorgfältige fachliche Prüfung und intensive parlamentarische Beratung im Hauruck-Verfahren gesetzlich gegen Hassreden und andere Hasskriminalität im Internet vorgehen zu wollen. - Die Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) hat eine Stellungnahme abgegeben und bemängelt einen „Zeitplan, der für ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren in einem grundrechtssensiblen Bereich wie vorliegend nicht einzuhalten ist.“ Dem vorliegenden Entwurf eines NetzDG stünden auch in der geänderten Fassung schwerwiegende europarechtliche, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Einwände entgegen. - So seien mit der umfangreichen Pflichtenübertragung auf die Anbieter sozialer Netzwerke zugleich weitere, verfassungsrechtliche Probleme verbunden, die mit dem Begriff „Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“ treffend umschrieben seien. Weiter heißt es: Mit dieser Übertragung von (Staats-)Aufgaben auf private Instanzen incentiviert der Referentenentwurf für den Dienstanbieter, Inhalte auf eine Meldung hin ohne Prüfung zu sperren. Denn warum sollte sich ein privates Unternehmen dem Risiko eines Bußgeldes aussetzen? Umgekehrt wird damit zugleich für den vermeintlich Betroffenen ein starker Anreiz gesetzt, gegen den Anbieter sozialer Netzwerke auch dann vorzugehen, wenn ihm der sich Äußernde bekannt ist, da er hier in kurzen Fristen und ohne rechtliches und finanzielles Risiko sein Ziel ohne eine langwierige und schwierige Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang erreichen kann. -- Das rechtliche Gehör des sich Äußernden bleibt dabei auf der Strecke. Im geplanten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch sieht die DGRI einen Einschüchterungseffekt: - Dem Auskunftsanspruch […] stehen wesentliche Rechtsgrundsätze entgegen: Nach [Telemediengesetz] sollen Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Diese Norm ist eine Konkretisierung des Datenvermeidungsgebots und Ausfluss des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Nutzer.-- Darüber hinaus wäre eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, nicht mit [der Meinungs- und Informationsfreiheit im Grundgesetz] vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. - - Auch die Digitale Gesellschaft hat eine Stellungnahme veröffentlicht. Sie kritisiert, dass die Erweiterung des vom NetzDG erfassten rechtswidrigen Inhalte deutlich über die ursprüngliche Zielsetzung hinausgehe, nämlich den Schutz des öffentlichen Diskurses in sozialen Netzwerken. Dafür gebe es weder einen konkreten Anlass noch einen nachvollziehbaren Grund. Für besonders schädlich hält die Digitale Gesellschaft die enthaltene Änderung des Telemediengesetzes (TMG): -- Die danach vorgesehene Einführung einer Auskunftsbefugnis für die Betreiber von Telemediendiensten zum Zwecke der Durchsetzung absoluter Rechte würde es Privatpersonen erlauben, unter dem Vorwand einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Zugriff auf die Bestands- und Nutzungsdaten Dritter zu erhalten. Eine solche Regelung birgt enorme Missbrauchsrisiken und könnte dazu eingesetzt werden, um unliebsame Kritiker oder politische Gegner aufzudecken und einzuschüchtern. - Auch sei dieses Auskunftsrecht geeignet, dass Online-Stalker die Bestandsdaten ihrer Opfer bei den Telemediendienstanbietern abfragen könnten. - Der schwerwiegendste Fehler des Gesetzes sei in diesem Zusammenhang jedoch die „Auslagerung juristischer Prüfungsverantwortung auf die Betreiber sozialer Netzwerke“: - Die Beurteilung eines Inhalts oder einer Äußerung als strafbar obliegt in einem demokratischen Rechtsstaat den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden. Die Mitarbeiter bei sozialen Netzwerken und anderen Online-Diensten dürften mit derartigen Prüfungen in der Regel überfordert sein. Dies gilt umso mehr, als dass insbesondere die geplante Auskunftsbefugnis im TMG für sämtliche Diensteanbieter und nicht nur für soziale Netzwerke mit mindestens 2 Millionen Nutzern im Inland gelten soll. Eine derart breitflächige Privatisierung der Rechtsdurchsetzung unterminiert rechtsstaatliche Garantien und geht im Ergebnis zu Lasten der Grundrechte. In beiden nun vorliegenden Entwurfsfassungen würde das NetzDG öffentliche Diskursräume im Netz daher deutlich mehr schaden als nützen. - Amadeu-Antonio-Stiftung: „Einschränkung der Meinungsfreiheit“. - Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Teil der Task Force gegen Hate Speech des Justizministeriums ist, kritisiert das Gesetz in ihrer Stellungnahme. Die Löschfrist von 24 Stunden sei kein Beitrag zur qualitativen Verbesserung der Behandlung von Hate Speech seitens der Betreiber und führe zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit: -Eine sorgfältige Prüfung ist innerhalb solcher Fristen nicht möglich. Im Zweifelsfall werden Betreiber also Inhalte eher löschen; dies hat damit eine faktische Einschränkung der Meinungsfreiheit zur Konsequenz. Derlei Einschränkungen sind auf Grund des hohen Gutes, das die Meinungsäußerungsfreiheit für unsere demokratische Wertgemeinschaft hat, abzulehnen. Dies ist weder im Sinne einer zu fördernden Diskussionskultur noch ein hilfreicher Beitrag zur Lösung des Problems Hate Speech. - Die Stiftung sieht deswegen auch Probleme einer privatisierten Rechtsdurchsetzung: - Das NetzDG in dieser Form würde die Betreiber verpflichten, ein erweitertes Exekutivorgan zu werden, und die Rechtsdurchsetzung damit teilweise in private Hand geben. Rechtsprechung und -durchsetzung müssen jedoch staatliche Aufgabe bleiben und bedürfen sorgfältiger Prüfung. -Der Gesetzentwurf sei einseitig, es bedürfe einer Staatsanwaltschaft mit dem Schwerpunkt digitale Hasskriminalität sowie umfassender Sensibilisierung und Fortbildung im Polizei- und Justizapparat zum Erkennen von Hasskriminalität und digitaler Gewalt.- Die Einführung einer Kontaktstelle bei den sozialen Netzwerken und eine wirksame Strafverfolgung hatte jüngst auch Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, in einem Beitrag in der Legal Tribune Online gefordert.- Diametral gegen Zielsetzung der E-Commerce-Richtlinie- Neben den zahlreichen verfassungsrechtlichen und grundrechtlichen Fragestellungen, scheint der Gesetzentwurf auch europarechtlich Probleme zu machen. Thomas Hoeren, Professor an der Universität Münster, stellt in einem Blogbeitrag fest, „dass eine substantielle Auseinandersetzung mit den europarechtlichen Vorgaben im Bereich der ‚Dienste der Informationsgesellschaft‘ nicht stattgefunden hat“. Zudem seien wesentliche Aussagen der E-Commerce-Richtlinie verkannt worden. So laufe der Entwurf in der derzeitigen Fassung der Zielsetzung der E-Commerce-Richtlinie, eine Fragmentierung des Binnenmarktes zu verhindern, diametral entgegen.
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