Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Unterschied zwischen den Versionen

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Das deutsche '''Netzwerkdurchsetzungsgesetz''' (NetzDG, Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, auch Facebook-Gesetz genannt) richtet sich gegen Hetze und gefälschte Meldungen (Fake News) in sozialen Netzwerken. Das eigentliche Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist identisch mit Artikel 1 Teil des ebenso benannten Mantelgesetzes, das in Art. 2 auch eine Änderung des Telemediengesetzes enthält, die nicht nur soziale Netzwerke betrifft. Das NetzDG wurde nach einer Übergangs- und Vorbereitungsfrist für Facebook, Twitter und andere Betreiber am 1.1.2018 voll wirksam und offenbarte schon in den ersten Tagen die von Experten befürchteten Schwachstellen in Bezug auf seine Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Kritik richtet sich vor allem gegen die Verlagerung von Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen von staatlichen Gerichten zu den privaten Betreibern, die durch die extrem kurzen Fristen, die ihnen zur Vermeidung von Bußgelder bis zu 50 Millionen € blieben, zum "Overblocking" verführt würden. Schon vor der Verabschiedung des Gesetzes hatte der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit eine Gefährdung der Menschenrechte kritisiert, und fast alle Experten hatten bei einer Anhörung im Bundestag das geplante Gesetz als verfassungswidrig diagnostiziert.
Das deutsche '''Netzwerkdurchsetzungsgesetz''' (NetzDG, Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, auch Facebook-Gesetz genannt) soll Hetze und gefälschte Meldungen (Fake News) in sozialen Netzwerken bekämpfen.


Justizminister Heiko Maas argumentierte, eine Auswertung der Rechtspraxis bei der Löschung strafbarer Inhalte in sozialen Netzwerken durch „jugendschutz.net“ habe Anfang 2017 ergeben, dass Löschungen von Hasskommentaren nur unzureichend erfolgten, und forderte, den Druck auf die Netzwerke weiter zu erhöhen. Um die Unternehmen noch stärker in die Pflicht zu nehmen, brauche man gesetzliche Regelungen. Zwar würden bei YouTube 90 Prozent der strafbaren Inhalte gelöscht, bei Facebook jedoch nur 39 Prozent und bei Twitter nur ein Prozent. Außerdem habe man schlechte Erfahrungen mit Falschmeldungen („Fake News“) im US-Wahlkampf 2016 gemacht. Die Studie, auf die der Minister sich bezog, war laut dem Münchner Professor für Medienrecht Marc Liesching eine „Bewertung von Rechtslaien“.
Das eigentliche Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist identisch mit Artikel 1 Teil des ebenso benannten Mantelgesetzes, das in Art. 2 auch eine Änderung des Telemediengesetzes enthält, die nicht nur soziale Netzwerke betrifft. Das NetzDG wurde nach einer Übergangs- und Vorbereitungsfrist für Facebook, Twitter und andere Betreiber am 1.1.2018 voll wirksam und offenbarte schon in den ersten Tagen die von Experten befürchteten Schwachstellen in Bezug auf seine Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Kritik richtet sich vor allem gegen die Verlagerung von Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen von staatlichen Gerichten zu den privaten Betreibern, die durch die extrem kurzen Fristen, die ihnen zur Vermeidung von Bußgelder bis zu 50 Millionen € blieben, zum "Overblocking" verführt würden. Schon vor der Verabschiedung des Gesetzes hatte der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit eine Gefährdung der Menschenrechte kritisiert, und fast alle Experten hatten bei einer Anhörung im Bundestag das geplante Gesetz als verfassungswidrig diagnostiziert.


Das Gesetz gilt für Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube, aber nicht für E-Mail- und Messenger-Dienste. Berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen sind ebenfalls nicht betroffen. Eine Grenze von mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern in Deutschland soll zudem verhindern, dass Start-up-Unternehmen durch das Gesetz in ihrer Entwicklung behindert werden. Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube müssen „offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden“ nach Eingang einer Beschwerde löschen oder sperren. Bei komplexeren Fällen soll in der Regel eine Sieben-Tages-Frist gelten, um über eine Löschung oder Sperrung zu entscheiden. Die Wochenfrist kann in zwei Fällen überschritten werden: 1.) Wenn neben dem objektiven Straftatbestand auch mögliche Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden sollen und/oder 2.) wenn eine Prüfung im Rahmen der sogenannten regulierten Selbstregulierung erfolgen soll. Neben dem objektiven Straftatbestand sollen auch mögliche Rechtfertigungsgründe berücksichtigt und der '''Kontext''' einer Äußerung in die Überprüfung einbezogen werden. Konkret bedeutet dies: „Wenn die Bewertung vom Kontext abhängt, soll der Nutzer Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Das ist ein weiter Anwendungsbereich, denn die juristische Beurteilung strafbarer Inhalte hängt meist vom Kontext ab.“ Auch können Anbieter sozialer Netzwerke die Entscheidung über nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte an eine Art freiwillige Selbstkontrolle abgeben. Eine solche „anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung“ muss staatlich zugelassen und vom Bundesamt für Justiz überwacht werden, wird aber gegründet, ausgestattet und betrieben von den Unternehmen. Dieses Prinzip der regulierten Selbstregulierung soll nach dem Vorbild des Jugendmedienschutzes errichtet werden können. Als Beispiel wird hierfür seitens der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter FSM benannt. Nach den Worten der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion im Bundestag Eva Högl sei der Weg der regulierten Selbstregulierung ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor Overblocking und schließe zudem aus, dass die Rechtsdurchsetzung privatisiert wird. Patrick Beuth von ZEIT Online argumentiert hingegen: "Selbstregulierung heißt letztlich eben immer, dass der Staat nicht die nötigen Mittel aufwenden kann oder will, um selbst zu regulieren. Im Fall des NetzDG bedeutet es, dass börsennotierten Unternehmen eine Aufgabe zufällt, die in einer idealen Welt eine der Justiz wäre." Geht ein Unternehmen den Weg der regulierten Selbstregulierung, obwohl die Rechtswidrigkeit „offensichtlich“ war, droht ein Bußgeld.[19] Nach Darstellung des Bundesamtes für Justiz greift ein Bußgeld jedoch nicht in Fällen, wo die regulierte Selbstregulierung die Rechtmäßigkeit eines Inhalts feststellte, denn "Der Entscheidung durch das Bundesamt für Justiz sind solche Inhalte entzogen, deren Rechtmäßigkeit durch die anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung festgestellt wurde."
Justizminister Heiko Maas argumentierte, eine Auswertung der Rechtspraxis bei der Löschung strafbarer Inhalte in sozialen Netzwerken durch „jugendschutz.net“ habe Anfang 2017 ergeben, dass Löschungen von Hasskommentaren nur unzureichend erfolgten, und forderte, den Druck auf die Netzwerke weiter zu erhöhen. Um die Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen, brauche man gesetzliche Regelungen. Zwar würden bei YouTube 90 Prozent der (nach Meinung der die Studie verantwortenden "juristischen Laien" - so der Professor für Medienrecht Marc Liesching) strafbaren Inhalte gelöscht, bei Facebook jedoch nur 39 Prozent und bei Twitter nur ein Prozent. Außerdem habe man schlechte Erfahrungen mit Falschmeldungen („Fake News“) im US-Wahlkampf 2016 gemacht.


Am Straftatenkatalog, anhand dessen Löschungen oder Sperrungen vorzunehmen sind, wurden Entfernungen und Hinzufügungen vorgenommen. Entfernt wurde etwa der Tatbestand Verunglimpfung des Bundespräsidenten. Zum Straftatenkatalog kommt etwa „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ gemäß Paragraph 201a Strafgesetzbuch hinzu. In diesem Kontext weist die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf eine gravierende Rechtsunsicherheit hin: "Diese von Heiko Maas vor zwei Jahren deutlich verschärfte Vorschrift umfasste in der Ministeriumsversion lapidar das „bloßstellende“ Fotografieren, bis der Rechtsausschuss Ausnahmen für Künstler (etwa Straßenfotografen) und Medien einfügte. Nun verbietet der Gummiparagraph, einem Dritten ein Foto zugänglich zu machen, das „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“. Das Gesetz sorgt damit in einem weiteren Punkt für Rechtsunsicherheit: Schadet das Foto eines japsenden Marathonläufers seinem Ansehen? Oder ist es nicht eher eine Auszeichnung? Wie ist es mit dem Bierhelmfoto vom Ballermann? Mit jedem Fragezeichen wächst der Druck auf Internetanbieter, sicherheitshalber ein wenig mehr zu löschen als rechtlich notwendig."
Das Gesetz gilt für Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube, aber nicht für E-Mail- und Messenger-Dienste. Berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen sind ebenfalls nicht betroffen. Eine Grenze von mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern in Deutschland soll zudem verhindern, dass Start-up-Unternehmen durch das Gesetz in ihrer Entwicklung behindert werden. Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube müssen „offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden“ nach Eingang einer Beschwerde löschen oder sperren. Bei komplexeren Fällen soll in der Regel eine Sieben-Tages-Frist gelten, um über eine Löschung oder Sperrung zu entscheiden. Die Wochenfrist kann in zwei Fällen überschritten werden: 1.) Wenn neben dem objektiven Straftatbestand auch mögliche Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden sollen und/oder 2.) wenn eine Prüfung im Rahmen der sogenannten regulierten Selbstregulierung erfolgen soll. Neben dem objektiven Straftatbestand sollen auch mögliche Rechtfertigungsgründe berücksichtigt und der '''Kontext''' einer Äußerung in die Überprüfung einbezogen werden. Konkret bedeutet dies: „Wenn die Bewertung vom Kontext abhängt, soll der Nutzer Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Das ist ein weiter Anwendungsbereich, denn die juristische Beurteilung strafbarer Inhalte hängt meist vom Kontext ab.“ Auch können Anbieter sozialer Netzwerke die Entscheidung über nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte an eine Art freiwillige Selbstkontrolle abgeben. Eine solche „anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung“ muss staatlich zugelassen und vom Bundesamt für Justiz überwacht werden, wird aber gegründet, ausgestattet und betrieben von den Unternehmen. Dieses Prinzip der regulierten Selbstregulierung soll nach dem Vorbild des Jugendmedienschutzes errichtet werden können. Als Beispiel wird hierfür seitens der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter FSM benannt. Nach den Worten der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion im Bundestag Eva Högl sei der Weg der regulierten Selbstregulierung ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor Overblocking und schließe zudem aus, dass die Rechtsdurchsetzung privatisiert wird. Patrick Beuth von ZEIT Online argumentiert hingegen: "Selbstregulierung heißt letztlich eben immer, dass der Staat nicht die nötigen Mittel aufwenden kann oder will, um selbst zu regulieren. Im Fall des NetzDG bedeutet es, dass börsennotierten Unternehmen eine Aufgabe zufällt, die in einer idealen Welt eine der Justiz wäre." Geht ein Unternehmen den Weg der regulierten Selbstregulierung, obwohl die Rechtswidrigkeit „offensichtlich“ war, droht ein Bußgeld. Nach Darstellung des Bundesamtes für Justiz greift ein Bußgeld jedoch nicht in Fällen, wo die regulierte Selbstregulierung die Rechtmäßigkeit eines Inhalts feststellte, denn "Der Entscheidung durch das Bundesamt für Justiz sind solche Inhalte entzogen, deren Rechtmäßigkeit durch die anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung festgestellt wurde."
 
Zum Straftatenkatalog, anhand dessen Löschungen oder Sperrungen vorzunehmen sind, gehört nicht die Verunglimpfung des Bundespräsidenten. Zum Straftatenkatalog gehört aber die „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ gemäß Paragraph 201a Strafgesetzbuch. Ein Gummiparagraph verbietet, einem Dritten ein Foto zugänglich zu machen, das „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“. Das Gesetz sorgt damit in einem weiteren Punkt für Rechtsunsicherheit (schadet das Foto eines japsenden Marathonläufers seinem Ansehen? Und das Bierhelmfoto vom Ballermann? Jede Unsicherheit erhöht den Druck auf Internetanbieter, sicherheitshalber lieber zuviel als zuwenig zu löschen).  


Eine Clearingstelle für Beschwerden über voreilig gelöschte legale Inhalte wie ursprünglich vom Bundesrat gefordert, gibt es nicht. Damit fehlt laut der Zeitung Die Zeit im „Gesetz ein Mechanismus, der im Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte: Wer gegen eine Löschung oder Sperrung seiner Inhalte oder seines Kontos vorgehen will, bekommt mit dem NetzDG keine Möglichkeit zur Gegenwehr. Was bleibt, wäre eine Klage gegen ein Unternehmen wie Facebook.“
Eine Clearingstelle für Beschwerden über voreilig gelöschte legale Inhalte wie ursprünglich vom Bundesrat gefordert, gibt es nicht. Damit fehlt laut der Zeitung Die Zeit im „Gesetz ein Mechanismus, der im Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte: Wer gegen eine Löschung oder Sperrung seiner Inhalte oder seines Kontos vorgehen will, bekommt mit dem NetzDG keine Möglichkeit zur Gegenwehr. Was bleibt, wäre eine Klage gegen ein Unternehmen wie Facebook.“
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