Reform des Drogenrechts: Unterschied zwischen den Versionen

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Inhalt: Legaler Anbau, Vertrieb, Erwerb, Besitz, Konsum zu frei bestimmten - nicht nur medizinischen - Zwecken
Inhalt: Legaler Anbau, Vertrieb, Erwerb, Besitz, Konsum zu frei bestimmten - nicht nur medizinischen - Zwecken
Modell: Cannabis-Politik in Uruguay, Kalifornien (und andere US-Bundesstaaten)
Modell: Cannabis-Politik in Uruguay, Kalifornien (und andere US-Bundesstaaten)
 
=== Uruguay ===
[[Cannabis in Uruguay]]: Mehrere Staaten experimentieren mit Alternativen zur prohibitionistischen Drogenpolitik - und oft steht dabei die Cannabispolitik im Vordergrund. So auch in Uruguay, dem ersten Staat, der sich zur Ersetzung der Prohibition durch eine umfassende (restriktive) Regulation entschloss. Die Entkriminalisierung von Cannabis war insofern "echt" oder "rein" im Sinne Wolfgang Nauckes (1984), als sie die Straftaten nicht nur zu Ordnungswidrigkeiten herabstufte, sondern das Verbot insgesamt aufhob. Diese "legalisierende Entkriminalisierung" (im Gegensatz zu einer bloß transformierenden) beabsichtigte und bewirkte allerdings keine liberale Regulation (ähnlich der Alkoholpolitik in vielen west- und mitteleuropäischen Staaten), sondern eine ausgesprochen restriktive Regulation - mit staatlichen Lizenzvergaben, staatlicher Registrierung von Konsumenten und extremer Selektivität der Verkaufsstellen (16 Apotheken im ganzen Land). Im einzelnen ergibt sich vier Jahre nach Verabschiedung des Cannabis-Gesetzes in '''Uruguay''' folgendes Bild:
[[Cannabis in Uruguay]]: Mehrere Staaten experimentieren mit Alternativen zur prohibitionistischen Drogenpolitik - und oft steht dabei die Cannabispolitik im Vordergrund. So auch in Uruguay, dem ersten Staat, der sich zur Ersetzung der Prohibition durch eine umfassende (restriktive) Regulation entschloss. Die Entkriminalisierung von Cannabis war insofern "echt" oder "rein" im Sinne Wolfgang Nauckes (1984), als sie die Straftaten nicht nur zu Ordnungswidrigkeiten herabstufte, sondern das Verbot insgesamt aufhob. Diese "legalisierende Entkriminalisierung" (im Gegensatz zu einer bloß transformierenden) beabsichtigte und bewirkte allerdings keine liberale Regulation (ähnlich der Alkoholpolitik in vielen west- und mitteleuropäischen Staaten), sondern eine ausgesprochen restriktive Regulation - mit staatlichen Lizenzvergaben, staatlicher Registrierung von Konsumenten und extremer Selektivität der Verkaufsstellen (16 Apotheken im ganzen Land). Im einzelnen ergibt sich vier Jahre nach Verabschiedung des Cannabis-Gesetzes in '''Uruguay''' folgendes Bild:
Das von der regierenden Frente Amplio (FA) verantwortete Marihuana-Gesetz Uruguays vom 10.12.2013 erlaubt
Das von der regierenden Frente Amplio (FA) verantwortete Marihuana-Gesetz Uruguays vom 10.12.2013 erlaubt
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Restriktionen: (1) Anbau und Handel werden von einer staatlichen Kommission kontrolliert, um die Einschleusung von illegal angebautem Marihuana in den legalen Markt zu verhindern, (2) Konsumenten müssen sich in ein Register eintragen, (3) Minderjährige und Ausländer erhalten durch das Gesetz keinen legalen Zugang zu Marihuana.
Restriktionen: (1) Anbau und Handel werden von einer staatlichen Kommission kontrolliert, um die Einschleusung von illegal angebautem Marihuana in den legalen Markt zu verhindern, (2) Konsumenten müssen sich in ein Register eintragen, (3) Minderjährige und Ausländer erhalten durch das Gesetz keinen legalen Zugang zu Marihuana.
 
===Kalifornien===
[[Cannabis in Kalifornien]]: Mit Beginn des Jahres 2018 darf in Kalifornien Cannabis auch ohne Rezept erworben werden: jeder Bürger des Bundesstaates ab 21 Jahren darf bis zu 28,3 Gramm Cannabis (pro Monat) kaufen und bis zu sechs Pflanzen selbst anbauen. Konsum in der Öffentlichkeit sowie innerhalb von 1000 feet (300 m) von einer Schule ist ebenso verboten wie Autofahren unter dem Einfluss von Cannabis. Handel ist nur mit Lizenz des Bundesstaates und der Kommune erlaubt. Kommunen können sich auch ganz verweigern. Die Steuern sind mit 35% recht hoch. Pro Jahr wird in '''Kalifornien''' mit einem Cannabis-Steuer-Aufkommen von rund 1 Milliarde Dollar gerechnet. Insgesamt ist der kalifornische Marihuana-Markt alleine für die Jahre 2018-2021 laut der Firma Arcview geschätzte 40 Milliarden Dollar wert.
[[Cannabis in Kalifornien]]: Mit Beginn des Jahres 2018 darf in Kalifornien Cannabis auch ohne Rezept erworben werden: jeder Bürger des Bundesstaates ab 21 Jahren darf bis zu 28,3 Gramm Cannabis (pro Monat) kaufen und bis zu sechs Pflanzen selbst anbauen. Konsum in der Öffentlichkeit sowie innerhalb von 1000 feet (300 m) von einer Schule ist ebenso verboten wie Autofahren unter dem Einfluss von Cannabis. Handel ist nur mit Lizenz des Bundesstaates und der Kommune erlaubt. Kommunen können sich auch ganz verweigern. Die Steuern sind mit 35% recht hoch. Pro Jahr wird in '''Kalifornien''' mit einem Cannabis-Steuer-Aufkommen von rund 1 Milliarde Dollar gerechnet. Insgesamt ist der kalifornische Marihuana-Markt alleine für die Jahre 2018-2021 laut der Firma Arcview geschätzte 40 Milliarden Dollar wert.
Trotz weiterbestehenden Prohibitionsgesetzes auf Bundesebene verfolgen aufgrund von Volksabstimmungen acht Bundesstaaten ihre eigene Regulationspolitik. Legalisierende Entkriminalisierungen fanden statt in Colorado, Washington, Oregon, Alaska, Maine, Massachusetts, Nevada und Kalifornien. In diesen acht Staaten gibt es sowohl "medical marihuana" (auf Rezept) als auch "recreational" marihuana "for adult use" ohne Rezept in dafür lizensierten Verkaufsstellen.
Trotz weiterbestehenden Prohibitionsgesetzes auf Bundesebene verfolgen aufgrund von Volksabstimmungen acht Bundesstaaten ihre eigene Regulationspolitik. Legalisierende Entkriminalisierungen fanden statt in Colorado, Washington, Oregon, Alaska, Maine, Massachusetts, Nevada und Kalifornien. In diesen acht Staaten gibt es sowohl "medical marihuana" (auf Rezept) als auch "recreational" marihuana "for adult use" ohne Rezept in dafür lizensierten Verkaufsstellen.
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*Eine drogenspezifische (nur Cannabis betreffende) Regulation statt Prohibition: eine legalisierende Entkriminalisierung von Cannabis gab es zuerst in [[Uruguay]]. Seit dem 1.1.2018 auch in Kalifornien. Vom Anbau bis zum Konsum ist alles legalisiert.
*Eine drogenspezifische (nur Cannabis betreffende) Regulation statt Prohibition: eine legalisierende Entkriminalisierung von Cannabis gab es zuerst in [[Uruguay]]. Seit dem 1.1.2018 auch in Kalifornien. Vom Anbau bis zum Konsum ist alles legalisiert.


= Wege zur Entkriminalisierung der Konsumsphäre (soft prohibition) =
= De-Radikalisierung der Prohibition (soft prohibition) =


==Konsumsphären-Entkriminalisierung==
==Konsumsphären-Entkriminalisierung==
Innerhalb des Rahmens der Prohibition (Verbot von Herstellung, Anbau, Vertrieb, Verkauf) gibt es vielfach Tendenzen zur Milderung der Repression gegenüber der Konsumsphäre. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten.  
Innerhalb des Rahmens der Prohibition (Verbot von Herstellung, Anbau, Vertrieb, Verkauf) gibt es vielfach Tendenzen zur Milderung der Repression gegenüber der Konsumsphäre. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten.  


(1) Herabstufung zu Ordnungswidrigkeiten (sektorale transformierende de jure Entkriminalisierung der Sphäre des Konsums aller oder mancher Drogen).
=== Portugal===
Herabstufung zu Ordnungswidrigkeiten (transformierende de jure Entkriminalisierung der Cannabis- oder der Drogen-Konsumsphäre).


[[Drogenrecht in Portugal]]:  Seit dem 1. Juli 2001 wurden die konsumbezogenen Tatbestände des '''portugiesischen''' Drogengesetzes zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft und damit dem Kriminalrecht entzogen. Diese transformierende Entkriminalisierung wird im Gesetz auch ausdrücklich als Entkriminalisierung bezeichnet. Drogenschmuggel und -handel blieb von dieser Entkriminalisierung unberührt. Die Bevölkerung ist mit der neuen Regelung zufrieden. Überdosis-Todesfälle und Geschlechtskrankheiten sind zurückgegangen, während der Drogengebrauch insgesamt stagnierte oder sogar rückläufig war. Glenn Greenwald bezeichnete die Reform als "resounding success" und wichtig für drogenpolitische Debatten auf der ganzen Welt.
[[Drogenrecht in Portugal]]:  Seit dem 1. Juli 2001 wurden die konsumbezogenen Tatbestände des '''portugiesischen''' Drogengesetzes zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft und damit dem Kriminalrecht entzogen. Diese transformierende Entkriminalisierung wird im Gesetz auch ausdrücklich als Entkriminalisierung bezeichnet. Drogenschmuggel und -handel blieb von dieser Entkriminalisierung unberührt. Die Bevölkerung ist mit der neuen Regelung zufrieden. Überdosis-Todesfälle und Geschlechtskrankheiten sind zurückgegangen, während der Drogengebrauch insgesamt stagnierte oder sogar rückläufig war. Glenn Greenwald bezeichnete die Reform als "resounding success" und wichtig für drogenpolitische Debatten auf der ganzen Welt.


(2) Faktische Entkriminalisierung der Konsumsphäre (und teilweise der Verakufssphäre) durch Verzicht auf Strafverfolgung:
=== Holland ===
Faktische Entkriminalisierung der Konsumsphäre (und teilweise der Verakufssphäre) durch Verzicht auf Strafverfolgung:


[[Cannabis in Holland]]: In den Niederlanden dürfen Erwachsene bis zu sechs Cannabispflanzen für den Eigengebrauch besitzen. Verkauf von Cannabis in sog. Coffeeshops ist illegal, aber nicht strafbar, solange ein Coffeeshop mindestens 250 m von der nächsten Schule entfernt liegt und die folgenden fünf Bedingungen befolgt (1) keine Werbung, (2) keine Toleranz harter Drogen, (3) kein Verkauf unter 18 (4) kein Lärm, keine sonstige Ruhestörung, (5) kein Verkauf von mehr als 5g pro Kunde und keine Lagerhaltung von mehr als 500g. - Kommunen haben das Recht zu entscheiden, ob sie einen oder mehrere Coffeeshops dulden wollen - und das Recht, Touristen den Zugang zu Coffeeshops zu verweigern. Verletzung der Bedingungen kann zu temporärer oder permanenter Schließung führen. Das "Backdoor"-Problem der weiterbestehenden Illegalität des Großhandels sollte mit dem Konzept "Coffeeshops out of the Shadow” (1998) gelöst werden (Lizensierung von landwirwtschaftlichen Betrieben und Verpflichtung der Coffeeshop-Betreiber, nur von lizensierten Höfen zu kaufen). 2018 gibt es Pläne, in diese Richtung zu gehen.
[[Cannabis in Holland]]: In den Niederlanden dürfen Erwachsene bis zu sechs Cannabispflanzen für den Eigengebrauch besitzen. Verkauf von Cannabis in sog. Coffeeshops ist illegal, aber nicht strafbar, solange ein Coffeeshop mindestens 250 m von der nächsten Schule entfernt liegt und die folgenden fünf Bedingungen befolgt (1) keine Werbung, (2) keine Toleranz harter Drogen, (3) kein Verkauf unter 18 (4) kein Lärm, keine sonstige Ruhestörung, (5) kein Verkauf von mehr als 5g pro Kunde und keine Lagerhaltung von mehr als 500g. - Kommunen haben das Recht zu entscheiden, ob sie einen oder mehrere Coffeeshops dulden wollen - und das Recht, Touristen den Zugang zu Coffeeshops zu verweigern. Verletzung der Bedingungen kann zu temporärer oder permanenter Schließung führen. Das "Backdoor"-Problem der weiterbestehenden Illegalität des Großhandels sollte mit dem Konzept "Coffeeshops out of the Shadow” (1998) gelöst werden (Lizensierung von landwirwtschaftlichen Betrieben und Verpflichtung der Coffeeshop-Betreiber, nur von lizensierten Höfen zu kaufen). 2018 gibt es Pläne, in diese Richtung zu gehen.


=Karitative Pseudo-Entkriminalisierung=
=Karitative Pseudo-Entkriminalisierung=
Erwerb und Besitz bleiben strafbar. Die Strafdrohung kann genutzt werden, um Betroffene in (Zwangs-) Therapie zu bringen ("Therapie statt Strafe"). Für Schwerstabhängige werden Erhaltungs- und Substitutionsbehandlungen ermöglicht. Diese kriminalrechtlich gestützte Teil-Therapeutisierung der Konsumsphäre (Motivierung zur Behandlung durch beibehaltene gesetzliche Strafdrohung) ist ebenso wie die Durchführung gesundheitspolitischer Notfall- Maßnahmen innerhalb und außerhalb von Haftanstalten (Substitution) keine wirkliche und auch keine transformierende, sondern allenfalls eine als fortschrittlich verbrämte (und bestenfalls karitativ motivierte) Pseudo-Entkriminalsiierung.
==Zwangstherapie==
Erwerb und Besitz bleiben strafbar. Die Strafdrohung kann genutzt werden, um Betroffene in (Zwangs-) Therapie zu bringen ("Therapie statt Strafe"). Für Schwerstabhängige werden Erhaltungs- und Substitutionsbehandlungen ermöglicht.
 
== Substitution und Erhaltung ==
Kriminalrechtlich gestützte Teil-Therapeutisierung der Konsumsphäre (Motivierung zur Behandlung durch beibehaltene gesetzliche Strafdrohung) ist ebenso wie die Durchführung gesundheitspolitischer Notfall- Maßnahmen innerhalb und außerhalb von Haftanstalten (Substitution) keine wirkliche und auch keine transformierende, allenfalls eine als fortschrittlich oder entkriminalisierend verbrämte Pseudo-Entkriminalsiierung.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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