Reform des Drogenrechts

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Legalisierende Entkriminalisierung

Liberale Regulation

Modell: Alkoholpolitik in Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland

Restriktive Regulation

Inhalt: Legaler Anbau, Vertrieb, Erwerb, Besitz, Konsum zu frei bestimmten - nicht nur medizinischen - Zwecken Modell: Cannabis-Politik in Uruguay, Kalifornien (und andere US-Bundesstaaten)

Uruguay

Cannabis in Uruguay: Mehrere Staaten experimentieren mit Alternativen zur prohibitionistischen Drogenpolitik - und oft steht dabei die Cannabispolitik im Vordergrund. So auch in Uruguay, dem ersten Staat, der sich zur Ersetzung der Prohibition durch eine umfassende (restriktive) Regulation entschloss. Die Entkriminalisierung von Cannabis war insofern "echt" oder "rein" im Sinne Wolfgang Nauckes (1984), als sie die Straftaten nicht nur zu Ordnungswidrigkeiten herabstufte, sondern das Verbot insgesamt aufhob. Diese "legalisierende Entkriminalisierung" (im Gegensatz zu einer bloß transformierenden) beabsichtigte und bewirkte allerdings keine liberale Regulation (ähnlich der Alkoholpolitik in vielen west- und mitteleuropäischen Staaten), sondern eine ausgesprochen restriktive Regulation - mit staatlichen Lizenzvergaben, staatlicher Registrierung von Konsumenten und extremer Selektivität der Verkaufsstellen (16 Apotheken im ganzen Land). Im einzelnen ergibt sich vier Jahre nach Verabschiedung des Cannabis-Gesetzes in Uruguay folgendes Bild: Das von der regierenden Frente Amplio (FA) verantwortete Marihuana-Gesetz Uruguays vom 10.12.2013 erlaubt

  • den Kauf von (pro Person und Monat) bis zu 40 Gramm Marihuana in Apotheken
  • den nicht-kommerziellen Anbau von bis zu sechs Cannabis-Pflanzen pro Person (bzw. von bis zu 99 Pflanzen für Marihuana-Clubs mit 15 bis 45 Mitgliedern). Bis Mitte 2017 hatten sich ca. 7000 Personen in das entsprechende amtliche Register eintragen lassen (NYT 19.7.2017)
  • den kommerziellen Anbau nach Lizenzvergabe durch die Regierung (bis Mitte 2017 hatten zwei Unternehmen entsprechende Lizenzen erhalten; der Anbau erfolgt auf militärischem Gelände ohne Zugang für die Öffentlichkeit)
  • seit Mitte Juli 2017 den Apothekenverkauf an registrierte Konsumenten; nur 16 Apotheken sind beteiligt (Mitte 2017), keine größere Apothekenkette. Grund: ökonomisch, gelegentlich auch politisch. Nur 5000 registrierte Konsumenten für den Apothekenkauf (von 3,5 Mio. Einwohnern). Hohe Sicherheitsanforderungen kosten viel Geld. Die 5-Gramm-Päckchen (vier Sorten) kosten ca. $ 6,60 (€ 5).

Restriktionen: (1) Anbau und Handel werden von einer staatlichen Kommission kontrolliert, um die Einschleusung von illegal angebautem Marihuana in den legalen Markt zu verhindern, (2) Konsumenten müssen sich in ein Register eintragen, (3) Minderjährige und Ausländer erhalten durch das Gesetz keinen legalen Zugang zu Marihuana.

Kalifornien

Cannabis in Kalifornien: Mit Beginn des Jahres 2018 darf in Kalifornien Cannabis auch ohne Rezept erworben werden: jeder Bürger des Bundesstaates ab 21 Jahren darf bis zu 28,3 Gramm Cannabis (pro Monat) kaufen und bis zu sechs Pflanzen selbst anbauen. Konsum in der Öffentlichkeit sowie innerhalb von 1000 feet (300 m) von einer Schule ist ebenso verboten wie Autofahren unter dem Einfluss von Cannabis. Handel ist nur mit Lizenz des Bundesstaates und der Kommune erlaubt. Kommunen können sich auch ganz verweigern. Die Steuern sind mit 35% recht hoch. Pro Jahr wird in Kalifornien mit einem Cannabis-Steuer-Aufkommen von rund 1 Milliarde Dollar gerechnet. Insgesamt ist der kalifornische Marihuana-Markt alleine für die Jahre 2018-2021 laut der Firma Arcview geschätzte 40 Milliarden Dollar wert. Trotz weiterbestehenden Prohibitionsgesetzes auf Bundesebene verfolgen aufgrund von Volksabstimmungen acht Bundesstaaten ihre eigene Regulationspolitik. Legalisierende Entkriminalisierungen fanden statt in Colorado, Washington, Oregon, Alaska, Maine, Massachusetts, Nevada und Kalifornien. In diesen acht Staaten gibt es sowohl "medical marihuana" (auf Rezept) als auch "recreational" marihuana "for adult use" ohne Rezept in dafür lizensierten Verkaufsstellen.

Eine alle bisher verbotenen Drogen umfassende (=allgemeine) Regulation statt Prohibition: eine legalisierende Entkriminalisierung aller bislang illegalen Genussdrogen einschließlich Heroin, Kokain, Metamphetamin usw. würde bedeuten, dass neben Konsum, Besitz und Erwerb von kleinen Mengen für persönlichen Gebrauch auch der Erwerb größerer Mengen, die Vermarktung, der Vertrieb und die Herstellung im Rahmen der Legalität ermöglicht werden. Eine solche umfassende Entkriminalisierung und Regulierung unter Beachtung von Jugendschutz, Arbeitsschutz usw. (analog der der liberalen Alkoholgesetzgebung in Ländern West- und Mitteleuropas) entspräche dem Stand der Forschung und wird von Rechtsphilosophen wie Douglas Husak in seinem Buch Drugs and Rights und von Henner Hess (Tabak-Modell) vertreten.
Die Global Commission on Drug Policy (GCDP) mit Sitz in Genf will alle Aspekte der Drogenpolitik diskutieren, beschränkt sich aber bezüglich konkreter Reformforderungen zunächst einmal auf die Entkriminalisierung von Konsumenten: "In June 2011, the commission said: "The global war on drugs has failed, with devastating consequences for individuals and societies around the world." The emphasis in drug policy on harsh law enforcement over four decades has not accomplished its goal of banishing drugs and has in fact spawned wide, dramatic eruptions of violence, the report continued. By way of alternative, the GCDP report "advocates decriminalizing drug use by those who do no harm to others." - At yearend 2017, member George Shultz and Pedro Aspe reaffirmed the message of the commission in a New York Times op-ed."
  • Eine drogenspezifische (nur Cannabis betreffende) Regulation statt Prohibition: eine legalisierende Entkriminalisierung von Cannabis gab es zuerst in Uruguay. Seit dem 1.1.2018 auch in Kalifornien. Vom Anbau bis zum Konsum ist alles legalisiert.


Reform in Gefahr durch Trump:

The Guardian, 5 Jan 2018: "In the first hours of 2018, Californians toasted with “Happy New Year blunts” and marijuana gummies, celebrating the launch of the largest legal pot market in the world. Three days later, Donald Trump’s administration announced a policy that could allow US prosecutors to target legal marijuana operations and undermine California’s massive cannabis movement. “There should be no doubt that President Trump has officially declared war on California,” state senate leader Kevin de León told the Guardian on Thursday after US attorney general Jeff Sessions rescinded an Obama-era policy that opened the door for states to legalize marijuana. The federal government’s war on the Golden State – ..."

Entkriminallsierung der Konsumsphäre (soft prohibition)

De-Radikalisierung der Prohibition durch Entkriminalisierung der Konsumsphäre gibt es de jure (Portugal) und de facto (Holland).

Portugal

Herabstufung zu Ordnungswidrigkeiten (transformierende de jure Entkriminalisierung der Cannabis- oder der Drogen-Konsumsphäre).

Drogenrecht in Portugal: Seit dem 1. Juli 2001 wurden die konsumbezogenen Tatbestände des portugiesischen Drogengesetzes zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft und damit dem Kriminalrecht entzogen. Diese transformierende Entkriminalisierung wird im Gesetz auch ausdrücklich als Entkriminalisierung bezeichnet. Drogenschmuggel und -handel blieb von dieser Entkriminalisierung unberührt. Die Bevölkerung ist mit der neuen Regelung zufrieden. Überdosis-Todesfälle und Geschlechtskrankheiten sind zurückgegangen, während der Drogengebrauch insgesamt stagnierte oder sogar rückläufig war. Glenn Greenwald bezeichnete die Reform als "resounding success" und wichtig für drogenpolitische Debatten auf der ganzen Welt.

Holland

Faktische Entkriminalisierung der Konsumsphäre (und teilweise der Verakufssphäre) durch Verzicht auf Strafverfolgung:

Cannabis in Holland: In den Niederlanden dürfen Erwachsene bis zu sechs Cannabispflanzen für den Eigengebrauch besitzen. Verkauf von Cannabis in sog. Coffeeshops ist illegal, aber nicht strafbar, solange ein Coffeeshop mindestens 250 m von der nächsten Schule entfernt liegt und die folgenden fünf Bedingungen befolgt (1) keine Werbung, (2) keine Toleranz harter Drogen, (3) kein Verkauf unter 18 (4) kein Lärm, keine sonstige Ruhestörung, (5) kein Verkauf von mehr als 5g pro Kunde und keine Lagerhaltung von mehr als 500g. - Kommunen haben das Recht zu entscheiden, ob sie einen oder mehrere Coffeeshops dulden wollen - und das Recht, Touristen den Zugang zu Coffeeshops zu verweigern. Verletzung der Bedingungen kann zu temporärer oder permanenter Schließung führen. Das "Backdoor"-Problem der weiterbestehenden Illegalität des Großhandels sollte mit dem Konzept "Coffeeshops out of the Shadow” (1998) gelöst werden (Lizensierung von landwirwtschaftlichen Betrieben und Verpflichtung der Coffeeshop-Betreiber, nur von lizensierten Höfen zu kaufen). 2018 gibt es Pläne, in diese Richtung zu gehen.

Pseudo-Entkriminalisierung

Zwangstherapie

Erwerb und Besitz bleiben strafbar. Die Strafdrohung kann genutzt werden, um Betroffene in (Zwangs-) Therapie zu bringen ("Therapie statt Strafe"). Für Schwerstabhängige werden Erhaltungs- und Substitutionsbehandlungen ermöglicht.

Substitution und Erhaltung

Kriminalrechtlich gestützte Teil-Therapeutisierung der Konsumsphäre (Motivierung zur Behandlung durch beibehaltene gesetzliche Strafdrohung) ist ebenso wie die Durchführung gesundheitspolitischer Notfall- Maßnahmen innerhalb und außerhalb von Haftanstalten (Substitution) keine wirkliche und auch keine transformierende, allenfalls eine als fortschrittlich oder entkriminalisierend verbrämte Pseudo-Entkriminalsiierung.

Weblinks

Siehe auch