Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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*1992: Niedersächsische Kommission zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts: Empfehlungen für Maßnahmen der Entkriminalisierung bei Bagatellverstößen gegen Eigentum und Vermögen, bei der Straßenverkehrsordnungsdelinquenz und im Betäubungsmittel-Strafrecht.
*1992: Niedersächsische Kommission zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts: Empfehlungen für Maßnahmen der Entkriminalisierung bei Bagatellverstößen gegen Eigentum und Vermögen, bei der Straßenverkehrsordnungsdelinquenz und im Betäubungsmittel-Strafrecht.
*Ein Vorlageschluss des Landgerichts Lübeck vom 19.12.1991 (NJW 1992, 1571) führte am 9. März 1994 zum sog. Cannabis-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge bei geringfügigen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch den Erwerb, Besitz usw. von geringen Mengen von Cannabis zum Eigenverbrauch nach Ermessen der Strafverfolgungsbehörden von einem Strafverfahren abgesehen werden kann. - Die Kritik an diesem Beschluss geht nicht nur auf die Frage ein, ob Cannabiskonsum eher durch eine Freigabe als durch eine generalpräventive Wirkung des Strafrechts vermindert werden kann, sondern auch darauf, ob es überhaupt Aufgabe des Strafrechts sein kann, den Konsum zurückzudrängen oder ob der Staat nicht auf andere Einflussmöglichkeiten beschränkt sei (Problem der Strafwürdigkeit des Verhaltens). Am 21.10. 2010 begann der Deutsche Hanf-Verband DHV die Unterschriftensammlung für eine Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. Eine Anhörung fand am 25. 01.2012 in Berlin statt.
*Ein Vorlageschluss des Landgerichts Lübeck vom 19.12.1991 (NJW 1992, 1571) führte am 9. März 1994 zum sog. Cannabis-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge bei geringfügigen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch den Erwerb, Besitz usw. von geringen Mengen von Cannabis zum Eigenverbrauch nach Ermessen der Strafverfolgungsbehörden von einem Strafverfahren abgesehen werden kann. - Die Kritik an diesem Beschluss geht nicht nur auf die Frage ein, ob Cannabiskonsum eher durch eine Freigabe als durch eine generalpräventive Wirkung des Strafrechts vermindert werden kann, sondern auch darauf, ob es überhaupt Aufgabe des Strafrechts sein kann, den Konsum zurückzudrängen oder ob der Staat nicht auf andere Einflussmöglichkeiten beschränkt sei (Problem der Strafwürdigkeit des Verhaltens). Am 21.10. 2010 begann der Deutsche Hanf-Verband DHV die Unterschriftensammlung für eine Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. Eine Anhörung fand am 25. 01.2012 in Berlin statt.
*Arthur Kreuzers Aufruf (2017): "Reformiert endlich das Strafrecht""
#[[Reform der Tötungsdelikte]]. Zumindest müsste das im Mordtatbestand verfassungswidrig als zwingend vorgesehene Lebenslang gelockert werden.
#Entkriminalisierung ist angebracht bei Massenbagatelldelikten wie dem Hinterziehen von Fahrgeld. Das [[Schwarzfahren]] ist zur Ordnungswidrigkeit abzustufen.
#Der Strafvollzug ist zu entlasten von denen, die [[Ersatzfreiheitsstrafe| Ersatzfreiheitsstrafen]] verbüßen, weil sie ihre Geldstrafen nicht zahlen können. Hier und für andere kurze Freiheitsstrafen bietet sich gemeinnützige Arbeit als Hauptstrafe an.
#Die therapieorientierten, [[Reform des Drogenrechts| entkriminalisierenden Modelle im Betäubungsmittelstrafrecht]] sind nach ausländischen Vorbildern auszubauen. So müssen gesetzliche Hindernisse für das drug checking beseitigt werden. Dadurch würde allen Betroffenen anonym die Prüfung vorgefundenen oder erworbenen Stoffs ermöglicht. Desgleichen sind Substitutionsprogramme in und außerhalb der Haft sowie in Unterbringungseinrichtungen aufzubauen oder auszuweiten.
Als flankierende Maßnahmen schlägt Kreuzer zudem vor:
*Einrichtung von Landesopfer- und Landespflegebeauftragten mit bundesgesetzlich verankertem Zeugnisverweigerungsrecht
*Einrichtung einer Expertenkommission zur Reform des Strafrechts und
*Wiederbelebung der Einrichtung des Periodischen Sicherheitsberichts zur Fundierung gesetzgeberischer Entscheidungen.


== Kriterien ==
== Kriterien ==
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*Populistische Strafrechtsausweitung: Verschärfung des Straftatbestands eines Einbruchs in Privatwohnungen. Kreuzer (2017): "Seit Mitte 2017 ist es ein Verbrechen mit Mindeststrafe von einem Jahr. "Minder schwere Fälle" mit herabgesetzter Strafe sind gestrichen. - Entgegen kriminologischen Erkenntnissen wurde suggeriert, es handele sich vornehmlich um organisierte Taten. Tatsächlich spielt sich vieles im Nahraum ab, wenn etwa ehemalige Partner, Angestellte oder Nachbarn in die Wohnung einsteigen, um sich vermeintlich Ihnen Zustehendes zurückzuholen. - Jetzt aber drohen Übermaßstrafen, die das Verfassungsgericht auf den Plan rufen werden, oder Umgehungsstrategien in der Justiz provozieren. Obendrein widerspricht die Regelung der Gesetzessystematik: Jeder Verbrechenstatbestand sieht "minder schwere Fälle" vor, weil es solche erfahrungsgemäß immer geben kann. Sie widerspricht sogar eklatant dem noch schwereren Tatbestand bandenmäßigen Einbruchsdiebstahls. Dafür gibt es weiterhin "minder schwere Fälle" mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten."
*Populistische Strafrechtsausweitung: Verschärfung des Straftatbestands eines Einbruchs in Privatwohnungen. Kreuzer (2017): "Seit Mitte 2017 ist es ein Verbrechen mit Mindeststrafe von einem Jahr. "Minder schwere Fälle" mit herabgesetzter Strafe sind gestrichen. - Entgegen kriminologischen Erkenntnissen wurde suggeriert, es handele sich vornehmlich um organisierte Taten. Tatsächlich spielt sich vieles im Nahraum ab, wenn etwa ehemalige Partner, Angestellte oder Nachbarn in die Wohnung einsteigen, um sich vermeintlich Ihnen Zustehendes zurückzuholen. - Jetzt aber drohen Übermaßstrafen, die das Verfassungsgericht auf den Plan rufen werden, oder Umgehungsstrategien in der Justiz provozieren. Obendrein widerspricht die Regelung der Gesetzessystematik: Jeder Verbrechenstatbestand sieht "minder schwere Fälle" vor, weil es solche erfahrungsgemäß immer geben kann. Sie widerspricht sogar eklatant dem noch schwereren Tatbestand bandenmäßigen Einbruchsdiebstahls. Dafür gibt es weiterhin "minder schwere Fälle" mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten."
== Flurbereinigung ==
Zunächst einmal ist nach Kreuzer (2017) dringend in Angriff zu nehmen, was bisher schon allzu lange liegen gelassen wurde:
#[[Reform der Tötungsdelikte]]. Zumindest müsste das im Mordtatbestand verfassungswidrig als zwingend vorgesehene Lebenslang gelockert werden.
#Entkriminalisierung ist angebracht bei Massenbagatelldelikten wie dem Hinterziehen von Fahrgeld. Das [[Schwarzfahren]] ist zur Ordnungswidrigkeit abzustufen.
#Der Strafvollzug ist zu entlasten von denen, die [[Ersatzfreiheitsstrafe| Ersatzfreiheitsstrafen]] verbüßen, weil sie ihre Geldstrafen nicht zahlen können. Hier und für andere kurze Freiheitsstrafen bietet sich gemeinnützige Arbeit als Hauptstrafe an.
#Die therapieorientierten, [[Reform des Drogenrechts| entkriminalisierenden Modelle im Betäubungsmittelstrafrecht]] sind nach ausländischen Vorbildern auszubauen. So müssen gesetzliche Hindernisse für das drug checking beseitigt werden. Dadurch würde allen Betroffenen anonym die Prüfung vorgefundenen oder erworbenen Stoffs ermöglicht. Desgleichen sind Substitutionsprogramme in und außerhalb der Haft sowie in Unterbringungseinrichtungen aufzubauen oder auszuweiten.
Als flankierende Maßnahmen schlägt Kreuzer (2017) vor:
*Einrichtung von Landesopfer- und Landespflegebeauftragten mit bundesgesetzlich verankertem Zeugnisverweigerungsrecht
*Einrichtung einer Expertenkommission zur Reform des Strafrechts und
*Wiederbelebung der Einrichtung des Periodischen Sicherheitsberichts zur Fundierung gesetzgeberischer Entscheidungen.


==Literatur==
==Literatur==
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