Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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Durch Entkriminalisierung wird ein bis dahin strafbares Verhalten straflos gestellt. Als ''actus contrarius'' der Kriminalisierung erfordert der Vorgang der Entkriminalisierung grundsätzlich ebenfalls ein Tätigwerden des Gesetzgebers (= Entkriminalisierung de jure). Ein ähnlicher Effekt kann allerdings auch eintreten, wenn das Verhalten rein tatsächlich nicht mehr verfolgt und sanktioniert wird (= Entkriminalisierung de facto). Gelegentlich sind solche faktischen Entkriminalisierungen auch Vorboten späterer (nachhinkender) Entkriminalisierung durch den Gesetzgeber.
Durch Entkriminalisierung wird ein bis dahin strafbares Verhalten straflos gestellt. Als ''actus contrarius'' der Kriminalisierung erfordert der Vorgang der Entkriminalisierung grundsätzlich ebenfalls ein Tätigwerden des Gesetzgebers (= Entkriminalisierung de jure). Ein ähnlicher Effekt kann allerdings auch eintreten, wenn das Verhalten rein tatsächlich nicht mehr verfolgt und sanktioniert wird (= Entkriminalisierung de facto). Gelegentlich sind solche faktischen Entkriminalisierungen auch Vorboten späterer (nachhinkender) Entkriminalisierung durch den Gesetzgeber.


Die Forderung nach Entkriminalisierung drückt ein Bestreben nach Reduktion des Strafrechts aus - ein Bestreben, das auf unterschiedlichen Motiven beruhen kann: die beiden wichtigsten sind wohl der Wunsch nach Entstigmatisierung der Betroffenen (gesellschaftliche Anerkennung) und die Effizienzsteigerung der Kontrolle des fraglichen Verhaltens (Rationalisierung des Staatshandelns). Gelegentlich kommen beide Motive zusammen wie etwas bei der Überführung zahlreicher Verkehrsstraftatbestände in das Ordnungswidrigkeitenrecht: man wollte kein "Volk von Vorbestraften", man wollte aber auch zweckmäßiger und effizienter mit solchen Verstößen umgehen können. Die angestrebte Reduktion des Strafrechts kann zudem opportunistisch-taktischer Natur sein und durch andere Neukriminalisierungen auf anderen Feldern mehr als ausgeglichen werden - oder strategischer Natur als Teil eines insgesamt reduktionistischen, gradualistischen oder abolitionistischen Programms, dessen letztes Ziel mit Radbruch nicht in einem besseren Strafrecht, sondern in etwas Besserem als dem Strafrecht besteht.
Die Forderung nach Entkriminalisierung drückt ein Bestreben nach Reduktion des Strafrechts aus - ein Bestreben, das auf unterschiedlichen Motiven beruhen kann: die beiden wichtigsten sind wohl der Wunsch nach Entstigmatisierung der Betroffenen (gesellschaftliche Anerkennung) und die Effizienzsteigerung der Kontrolle des fraglichen Verhaltens (Rationalisierung des Staatshandelns). Gelegentlich kommen beide Motive zusammen wie etwas bei der Überführung zahlreicher Verkehrsstraftatbestände in das Ordnungswidrigkeitenrecht: man wollte kein "Volk von Vorbestraften", man wollte aber auch zweckmäßiger und effizienter mit solchen Verstößen umgehen können.


Der Wunsch nach einer Reduktion des Strafrechts kann prinzipiell und in letzter Instanz abolitionistisch sein: man will fortschreiten in Richtung auf eine Gesellschaft mit immer weniger staatlicher Repression, überflüssiger Herrschaft und letztlich zu der von Friedrich Nietzsche angedeuteten Situation einer Gesellschaft, die sich ihrer selbst so sicher ist, dass sie darauf verzichten kann, überhaupt zu strafen. Was Gustav Radbruch in der Weimarer Zeit postulierte: das unendliche Ziel der Strafrechtsreform sei nicht ein besseres Strafrecht, sondern etwas Besseres als das Strafrecht, klang ähnlich, war aber im Kontext betrachtet (es ging um die Ersetzung der Strafe durch die Maßregel) nicht so radikal wie das, an was Nietzsche wohl gedacht haben dürfte.
Oder er kann situativ, partial und opportunistisch-taktischer Natur sein: wir wollen von Strafbarkeit ausgenommen sein, aber wir wollen, dass andere weiterhin und noch andere nun auch noch und auch noch härter bestraft werden! In solchen Fällen werden Entkriminalisierungen auch gerne mit Neukriminalisierungen erkauft.
== Geschichte ==
== Geschichte ==
Frühe 1920er Jahre: Ersetzung kurzer Freiheitsstrafen durch Geldstrafen (sog. Geldstrafengesetze von 1921-1924), Heraufsetzung der Strafmündigkeit von 12 auf 14 (JGG von 1923), Verbot der Verfolgung geringfügiger Übertretungen, sofern nicht von öffentlichem Interesse (Emminger-Verordnung 1924).
Frühe 1920er Jahre: Ersetzung kurzer Freiheitsstrafen durch Geldstrafen (sog. Geldstrafengesetze von 1921-1924), Heraufsetzung der Strafmündigkeit von 12 auf 14 (JGG von 1923), Verbot der Verfolgung geringfügiger Übertretungen, sofern nicht von öffentlichem Interesse (Emminger-Verordnung 1924).
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