Entkriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 1: Zeile 1:
Entkriminalisierung bedeutet Rücknahme von Kriminalisierung. In der Regel erfolgt Entkriminalisierung als actus contrarius zur Kriminalisierung ebenso wie diese durch einen Akt des Gesetzgebers (= Entkriminalisierung de jure).
Entkriminalisierung bedeutet Rücknahme von Kriminalisierung. Als actus contrarius zur Kriminalisierung erfordert sie ebenso wie diese grundsätzlich ein Tätigwerden des Gesetzgebers (= Entkriminalisierung de jure). Es gibt aber auch Entkriminalisierungen anderer Art aufgrund abnehmender Anwendung eines weiterhin vorhandenen, aber stetig öfter übertretenen und weniger beachteten Strafgesetzes in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Solche De-Facto- Entkriminalisierung kommen durch massenhaften Ungehorsam, routinemäßige Nichtanzeige und Nicht-Verfolgung von Straftaten zustande und sind oft auch Vorboten nachhinkender De-Jure-Entkriminalisierungen.  


Entkriminalisierung kann aber auch ein gradueller Prozess abnehmender Anwendung eines Strafgesetzes in der gesellschaftlichen Wirklichkeit sein (= Entkriminalisierung de facto). De-Facto-Entkriminalisierungen durch Nichtanzeige von Straftaten, staatsanwaltliche und polizeiliche Inaktivität u.a. sind oft auch Zeichen sozialen Wandels und Vorboten von De-Jure-Entkriminalisierungen.
In Kriminalisierungs- und Entkriminalisierungsdiskursen und -praktien spiegeln sich gesellschaftliche Veränderungen einschließlich der Veränderung von Machtverhältnissen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen. Als überaus geeignetes Feld für Symbolpolitik ist das Strafrecht dann auch ein bevorzugtes Schlachtfeld für die Austragung sogenannter culture wars, bei denen es um status politics (Joseph R. Gusfield), bzw. Politik als Ritual (Murray Edelman) geht - man kann auch sagen: bei denen es darum geht, welche Wertvorstellungen in einem Gemeinwesen als allgemein verbindlich proklamiert und gegenüber anderen Wertvorstellungen auch mithilfe der staatlichen Repressionsapparate verteidigt bzw. durchgesetzt werden sollen (Beispiel: Abtreibung, Sterbehilfe).  
 
In Kriminalisierungs- und Entkriminalisierungsdiskursen und -praktien spiegeln sich gesellschaftliche Veränderungen einschließlich der Veränderung von Machtverhältnissen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen. Dabei ist das Strafrecht besonders anfällig für Symbolpolitik und damit ein bevorzugtes Schlachtfeld zur Austragung sogenannter culture wars, bei denen es um status politics (Joseph R. Gusfield), bzw. Politik als Ritual (Murray Edelman) geht.


Die Forderung nach Entkriminalisierung drückt das Bestreben nach Reduktion des Strafrechts aus. Dieses Bestreben beruht auf der Erkenntnis des Doppelcharakters des Strafrechts. Einerseits ist da das normative Ideal des Schutzes, andererseits aber auch die Realität der absichtlichen Zufügung eines empfindlichen Übels. Das Ideal lautet: Strafgesetze schützen Rechtsgüter und damit Menschen. Ob und wenn ja inwieweit sie das tun, ist empirisch schwer zu ergründen. Empirisch leichter zu fassen wäre die Realität der gewollten negativen Folgen des Strafrechts in Form von Eingriffen in Leben, Freiheit, Bürgerrechte, Eigentum und Vermögen.
Die Forderung nach Entkriminalisierung drückt das Bestreben nach Reduktion des Strafrechts aus. Dieses Bestreben beruht auf der Erkenntnis des Doppelcharakters des Strafrechts. Einerseits ist da das normative Ideal des Schutzes, andererseits aber auch die Realität der absichtlichen Zufügung eines empfindlichen Übels. Das Ideal lautet: Strafgesetze schützen Rechtsgüter und damit Menschen. Ob und wenn ja inwieweit sie das tun, ist empirisch schwer zu ergründen. Empirisch leichter zu fassen wäre die Realität der gewollten negativen Folgen des Strafrechts in Form von Eingriffen in Leben, Freiheit, Bürgerrechte, Eigentum und Vermögen.
1.841

Bearbeitungen