Staatsverstärkte Kriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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==Beispiel für die Problematik der staatsverstärkten Kriminalität==
==Beispiel für staatsverstärkte Kriminalität==


===Mauerschützenprozesse
===
Mit dem Mauerbaubeginn quer durch Berlin am 13.8.1961 sollte der zunehmenden Republikflucht qualifizierter Arbeitskräfte und geistiger Elite aus der DDR Einhalt geboten werden.


Für W. Naucke waren die staatlich angeordneten Todesschüsse auf fliehende, unbewaffnete Menschen und die folgenden Gerichtsentscheidungen Ausgangspunkt, der Frage nachzugehen, ob es im deutschen Strafrecht eine Neigung gibt, Politik, die sich hat durchsetzen können, dem Strafrecht nicht zu unterstellen.
==Legaler Schießbefehl==
Für den Volkspolizistendienst an der Grenze galten zunächst offiziell die Grenzdienstordnung und die Schusswaffengebrauchsbestimmung (Dienstvorschrift der Grenztruppen der DDR). Die Vorschriften vor dem Mauer-Bau 1961 sahen eine Anwendung der Schusswaffe nur zum Eigenschutz der Grenzposten, zur Notwehr oder zur allgemeinen Gefahrenabwehr vor. (Vgl. DV III/2 Dienstvorschrift für den Dienst der Grenzposten vom 12. Sept. 1958, in: Riemer 1995, S. 100ff.) Mit dem Grenzgesetz (1.Mai 1982) über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik, hier § 27, erlangte die Praxis, auf Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze scharf zu schießen, zum ersten Mal einen legalen Status. Vor der gesetzlichen Begründung des Schießbefehls im DDR-Recht gab es lediglich interne Anweisungen an die zur Grenzbewachung eingesetzten bewaffneten Kräfte. Diese Anweisungen unterschieden sich teilweise erheblich von der späteren Rechtsgrundlage.


Seine Abhandlung wurde nach der ersten Mauerschützenentscheidung veröffentlicht. Es ist sicherlich auch ihr Verdienst, dass 12 Jahre nach dem Beginn des ersten Prozesses und 15 Jahre nach dem Fall der Mauer  der letzte Prozess mit einem Schuldspruch zu Ende ging, und der Vorsprung, den die staatsverstärkte Kriminalität bei Anklageerhebung genoss, rechtsstaatlich aufgeholt werden konnte.
==Todesopfer==


Ein Beispiel für die Problematik der stvK in unserer jüngsten Vergangenheit sind die [[Mauerschützen]], die ''Todesschüsse'' und nicht 'Staatsrettungsschüsse' abgegeben haben.
Die Zahl der Todesopfer an der 161 km langen Mauer schwankt zwischen 86 und 262. Die Arbeitsgemeinschaft 13.August 2009 (Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin) geht von 245 Maueropfern und 38 natürlichen Sterbefällen aus (Stand 2009).
 
===Mauerbau===
 
Am 13.8.1961 wurde mit dem Bau der Mauer durch Berlin begonnen. Sie sollte der zunehmenden Republikflucht qualifizierter Arbeitskräfte und geistiger Elite aus der DDR Einhalt gebieten.
 
===[[Schießbefehl]]===
 
Für den Volkspolizistendienst an der Grenze galt zunächst offiziell die ''Grenzdienstordnun'' sowie für den Gebrauch der Schusswaffe die ''Schusswaffengebrauchsbestimmung'' (Dienstvorschrift der Grenztruppen der DDR - Schusswaffengebrauchsbestimmung). Die Vorschriften vor dem Mauer-Bau 1961 sahen eine Anwendung der Schusswaffe nur zum Eigenschutz der Grenzposten, zur Notwehr oder zur allgemeinen Gefahrenabwehr vor. (Vgl. DV III/2 Dienstvorschrift für den Dienst der Grenzposten vom 12. Sept. 1958, in: Riemer 1995, S. 100ff.)
Mit dem Grenzgesetz (1.Mai 1982) über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik, hier § 27, erlangte die Praxis, auf Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze scharf zu schießen, zum ersten Mal einen legalen Status. Vor der gesetzlichen Begründung des Schießbefehls im DDR-Recht gab es lediglich interne Anweisungen an die zur Grenzbewachung eingesetzten bewaffneten Kräfte. Diese Anweisungen unterschieden sich teilweise erheblich von der späteren Rechtsgrundlage.
 
===Todesopfer===
Die Zahl der Todesopfer an der 161 km langen Mauer schwankt zwischen 86 und 262. Die Arbeitsgemeinschaft 13.August 2009 (Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin) geht von 245 Maueropfern und 38 natürlichen Sterbefällen aus (Stand 2009).


==Gerichtsverfahren==
==Gerichtsverfahren==
In Berlin, Potsdam und Neuruppin wurde 1992 gegen 277 Personen als Schützen und Tatbeteiligte - ehemalige Grenzsoldaten und Mannschaftsdienstgrade der NVA, führende Militärs, sowie Mitglieder der politischen Führung der DDR - Anklage erhoben.
Die Täter, die sich darauf beriefen, dass ihr Staat und ihre Politik einmal Bestand gehabt haben, erfuhren eine strukturelle strafrechtliche Bevorzugung.
151 Täter wurden wegen ihrer Taten oder Beteiligungen zu Freiheits- oder Bewährungsstrafen in den sogenannten Mauerschützenentscheidungen verurteilt. Überwiegend waren es Strafen von 6 bis 24 Monaten auf Bewährung, die längste Freiheitsstrafe betrug 10 Jahre. Mit zunehmender Verantwortung gab es höhere Strafen, siehe Anhang: Historischer Überblick.


In Berlin, Potsdam und Neuruppin wurde 1992 gegen 277 Personen als Schützen und Tatbeteiligte Anklage erhoben. Es waren ehemalige Grenzsoldaten und Mannschaftsdienstgrade der NVA, führende Militärs, sowie Mitglieder der politischen Führung der DDR.
Die Verfolgung und Bestrafung staatsverstärkter Kriminalität schien zunächst erschwert und zum Teil verhindert durch die juristische Annahme, dass diese Kriminalität exakt positivrechtlich geregelt sein müsse, sie uneingeschränkt dem Schutz des Rückwirkungsverbots unterstehe und sie durch naturrechtliche Argumente nicht erreicht würde.
 
151 Täter wurden wegen ihrer Taten oder  Beteiligungen zu Freiheits- oder Bewährungsstrafen in den sogenannten ''Mauerschützen''entscheidungen verurteilt. Überwiegend waren es Strafen von 6 bis 24 Monaten auf Bewährung, die längste Freiheitsstrafe betrug 10 Jahre. Mit zunehmender Verantwortung gab es höhere Strafen. Ein historischer Überblick ist im Anhang.


===Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität===
===Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität===
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