Staatsverstärkte Kriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Zahl der Todesopfer an der 161 km langen Mauer schwankt zwischen 86 und 262. Die Arbeitsgemeinschaft 13.August 2009  (Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin) geht von 245 Maueropfern und 38 natürlichen Sterbefällen aus (Stand 2009).
Die Zahl der Todesopfer an der 161 km langen Mauer schwankt zwischen 86 und 262. Die Arbeitsgemeinschaft 13.August 2009  (Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin) geht von 245 Maueropfern und 38 natürlichen Sterbefällen aus (Stand 2009).


==Gerichtsverfahren==
===Gerichtsverfahren===


In Berlin, Potsdam und Neuruppin wurde 1992 gegen 277 Personen als Schützen und Tatbeteiligte - ehemalige Grenzsoldaten und Mannschaftsdienstgrade der NVA, führende Militärs, sowie Mitglieder der politischen Führung der DDR - Anklage erhoben.  
In Berlin, Potsdam und Neuruppin wurde 1992 gegen 277 Personen als Schützen und Tatbeteiligte - ehemalige Grenzsoldaten und Mannschaftsdienstgrade der NVA, führende Militärs, sowie Mitglieder der politischen Führung der DDR - Anklage erhoben.  
Die Täter, die sich darauf beriefen, dass ihr Staat und ihre Politik einmal Bestand gehabt haben, erfuhren eine strukturelle strafrechtliche Bevorzugung.


151 Täter wurden wegen ihrer Taten oder  Beteiligungen zu Freiheits- oder Bewährungsstrafen in den sogenannten ''Mauerschützen''entscheidungen verurteilt. Überwiegend waren es Strafen von 6 bis 24 Monaten auf Bewährung, die längste Freiheitsstrafe betrug 10 Jahre. Mit zunehmender Verantwortung gab es höhere Strafen, siehe Anhang: Historischer Überblick.
151 Täter wurden wegen ihrer Taten oder  Beteiligungen zu Freiheits- oder Bewährungsstrafen in den sogenannten ''Mauerschützen''entscheidungen verurteilt. Überwiegend waren es Strafen von 6 bis 24 Monaten auf Bewährung, die längste Freiheitsstrafe betrug 10 Jahre. Mit zunehmender Verantwortung gab es höhere Strafen, siehe Anhang: Historischer Überblick.


Die Verfolgung und Bestrafung staatsverstärkter Kriminalität schien zunächst erschwert und zum Teil verhindert durch die juristische Annahme, dass diese Kriminalität exakt positivrechtlich geregelt sein müsse, sie uneingeschränkt dem Schutz des Rückwirkungsverbots unterstehe und sie durch naturrechtliche Argumente nicht erreicht würde.  
Die Verfolgung und Bestrafung staatsverstärkter Kriminalität schien zunächst erschwert und zum Teil verhindert durch die juristische Annahme, dass diese Kriminalität exakt positivrechtlich geregelt sein müsse, sie uneingeschränkt dem Schutz des Rückwirkungsverbots unterstehe und sie durch naturrechtliche Argumente nicht erreicht würde.  
In den Mauerschützenentscheidungen erfuhren  die Täter, die sich darauf beriefen, dass ihr Staat und ihre Politik einmal Bestand gehabt haben, eine strukturelle strafrechtliche Bevorzugung, .


==Umgang mit der Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität und ihre Auflösung nach Naucke==
==Die Bestrafung der staatsverstärkten Kriminalität==
 
===Entwicklung strafrechtlicher Spuren===
 
* ''erste Spur'' : einheitliches, reines, rechtsstaatliches Strafrecht, dem Rückwirkungs- und Analogieverbot verpflichtet,
* ''zweite Spur'': Massregeln der Besserung und Sicherung für gefährliche schuldlose Täter, 
* ''dritte Spur'': [[Diversion]]).
 
Entwicklung weiterer Spuren: * Bekämpfung der BtM-Kriminalität und der organisierten Kriminalität, * Recht auf [[Schwangerschaftsunterbrechung]].
 
Die Mauerschützenentscheidung des BGH 1992/93 wurde noch als Teil der ersten Spur formuliert und zeigt die juristische Bevorteilung staatsverstärkter Kriminalität.


Naucke sieht im heutigen strafrechtlichen Positivismus eine Methode zur Erzielung weit auseinander liegender Möglichkeiten. Die Anwendung einer erneuerten Radbruch-Formel, in der das positive Strafrecht der DDR um das gesetzliche Unrecht verringert wird, könnte einen Weg aus dem Dilemma darstellen.  
Naucke sieht im heutigen strafrechtlichen Positivismus eine Methode zur Erzielung weit auseinander liegender Möglichkeiten. Die Anwendung einer erneuerten Radbruch-Formel, in der das positive Strafrecht der DDR um das gesetzliche Unrecht verringert wird, könnte einen Weg aus dem Dilemma darstellen.  


Die starke juristische Rückversicherung für die staatsverstärkte Kriminalität durch das Rückwirkungsverbot ist keine, weil das Rückwirkungsverbot bei stvK nicht zuständig sein kann. Auch in anderen Zusammenhängen wirkungslos gemacht, ist die Anwendung oder Nichtanwendung des Rückwirkungsverbots eine Sache des Wollens.
Die starke juristische Rückversicherung für die staatsverstärkte Kriminalität durch das Rückwirkungsverbot ist keine, weil das Rückwirkungsverbot bei stvK nicht zuständig sein kann. Auch in anderen Zusammenhängen wirkungslos gemacht, ist die Anwendung oder Nichtanwendung des Rückwirkungsverbots eine Sache des Wollens.
 
               
Naucke fordert das strafrechtliche Spezialgebiet der Verfolgung und Bestrafung staatsverstärkter Kriminalität, in dem die rechtsstaatlichen Regeln den Staatskriminellen wie jeden anderen Bürger schützen, aber nicht zur Verhinderung von Strafverfahren missbraucht werden. Dieses nennt er die ''vierte strafrechtliche Spur''.  
Naucke fordert das strafrechtliche Spezialgebiet der Verfolgung und Bestrafung staatsverstärkter Kriminalität, in dem die rechtsstaatlichen Regeln den Staatskriminellen wie jeden anderen Bürger schützen, aber nicht zur Verhinderung von Strafverfahren missbraucht werden. Dieses nennt er die ''vierte strafrechtliche Spur''.  
* ''vierte Spur'' für die Verfolgung und Bestrafung staatsverstärkter Kriminalität. Sie kann mit Blick auf das Internationale Strafrecht auch im nationalen Recht gebildet werden. Sie ist eine Denkform zur Beurteilung staatsverstärkter Kriminalität, die für die Zeit der Tatbegehung gilt oder galt, nur faktisch nicht durchgesetzt werden konnte. Es würde sich im materiellen Recht eine Konzentration auf die vorsätzlichen Taten gegen Person und Eigentum und auf den [[Völkermord]] ergeben; weiterhin die Unzuständigkeit des Rückwirkungs- und des Analogieverbots, und die Wirkungslosigkeit der ''par in parem non habet imperium'' und der ''princeps legibus solutus'' Formeln.


* ''erste Spur'':einheitliches, reines, rechtsstaatliches Strafrecht, dem Rückwirkungs- und Analogieverbot verpflichtet,
* ''zweite Spur'': Massregeln der Besserung und Sicherung für gefährliche schuldlose Täter, 
* ''dritte Spur'': [[Diversion]]).
* ''vierte Spur'' für die Verfolgung und Bestrafung staatsverstärkter Kriminalität Sie kann mit Blick auf das Internationale Strafrecht auch im nationalen Recht gebildet werden. Sie ist eine Denkform zur Beurteilung staatsverstärkter Kriminalität, die für die Zeit der Tatbegehung gilt oder galt, nur faktisch nicht durchgesetzt werden konnte. Es würde sich im materiellen Recht eine Konzentration auf die vorsätzlichen Taten gegen Person und Eigentum und auf den [[Völkermord]] ergeben; weiterhin die Unzuständigkeit des Rückwirkungs- und des Analogieverbots, und die Wirkungslosigkeit der ''par in parem non habet imperium'' und der ''princeps legibus solutus'' Formeln. Die Tatsache, dass die Mauerschützenentscheidung des BGH 1992/93 noch als Teil der ersten Spur formuliert wurde, zeigt die juristische Bevorteilung staatsverstärkter Kriminalität.


==Kritik==
==Kritik==
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Den Einwand mangelnder Rechtsstaatlichkeit bei der vierten Strafrechtsspur (Arnold, J.1994) nennt Naucke eine künstliche Berufung auf den Rechtsstaat und begegnet ihm mit dem Argument der kriminalpolitischen Realität, in der das Spur-Denken sowohl im Strafrecht als modern und elegant gilt, um den rechtsstaatlichen Beengungen zu entkommen, als auch international akzeptiert ist. Die  
Den Einwand mangelnder Rechtsstaatlichkeit bei der vierten Strafrechtsspur (Arnold, J.1994) nennt Naucke eine künstliche Berufung auf den Rechtsstaat und begegnet ihm mit dem Argument der kriminalpolitischen Realität, in der das Spur-Denken sowohl im Strafrecht als modern und elegant gilt, um den rechtsstaatlichen Beengungen zu entkommen, als auch international akzeptiert ist. Die  


* ''fünfte Spur'' mit der Bekämpfung der BtM-Kriminalität und der organisierten Kriminalität sei schon vorhanden, die


* ''sechste Spur'' mit dem Recht auf [[Schwangerschaftsunterbrechung]] zeichne sich ab.


Naucke sieht in dem Einwand eine Chance, mit Behebung der in allen Spuren vorhandenen Mängel, diese Spuren wieder in das allgemeine Strafrecht zurückzuführen und die ''Neukonstruktion eines einheitlichen streng rechtsstaatlichen Strafrechts'' zu beginnen.
Naucke sieht in dem Einwand eine Chance, mit Behebung der in allen Spuren vorhandenen Mängel, diese Spuren wieder in das allgemeine Strafrecht zurückzuführen und die ''Neukonstruktion eines einheitlichen streng rechtsstaatlichen Strafrechts'' zu beginnen.
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