Ukraine

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Doppelstaat ?

Parallel zum Normenstaat existiert in der Ukraine ein Machtapparat, der sich möglicherweise als Maßnahmenstaat beschreiben lässt. Dann könnte man in einem analytischen Sinne von der Exisenz eines Doppelstaats sprechen. Präsident der Ukraine ist seit 2010 Viktor Janukowitsch. Der frühere Gouverneur des Gebiets Donezk und (2002-04) Ministerpräsident, galt als Instrument krimineller oligarchischer Regionalclans (die bis heute große Teile des Landes kontrollieren), als politischer Arm der „Donezker“ um den Stahl- und Kohlemilliardär Rinat Achmetow und die Gaslobby um die Firma RosUkrEnergo. Er löste sich aber von seinen Sponsoren, indem er zentrale Machtpositionen im Staatsapparat mit eigenen Leuten besetzte und über Familienbeziehungen ein eigenes Wirtschaftsimperium aufbaute.

"Der Griff nach dem Staatsapparat begann bei der Justiz. Gleich nach seinem Amtsantritt im Jahr 2010 besetzte er die Generalstaatsanwaltschaft und die obersten Gerichte mit eigenen Leuten. Widersetzte sich jemand, wie der Richter am Obersten Gericht Onopenko, wurden seine Verwandten so lange mit Haft und Strafverfahren überzogen, bis er nachgab. Schon Ende 2010 hatte Janukowitsch das Verfassungsgericht so weit im Griff, dass es seine Vollmachten entscheidend ausdehnte, und 2011 begann die gesteuerte Justiz gegen Oppositionelle wie die frühere Ministerpräsidentin Julija Timoschenko drakonische Haftstrafen zu verhängen. Seither weiß jeder in der Ukraine, dass auf Widerspruch Gefängnis steht. - Nach der Justiz unterstellte der Präsident zwei weitere Gebiete der Staatsmacht seiner Kontrolle: die bewaffnete Macht, bestehend aus Streitkräften, Polizei und Geheimdienst, sowie die Institutionen der Staatsfinanzen - vor allem Zentralbank, Finanzministerium und Steuerbehörde. - Bei den bewaffneten Kräften hat Janukowitsch zweimal auf Männer aus Russland zurückgegriffen. Im Februar ernannte er Dmitro Salamatin zum Verteidigungsminister, einen Mann, der bis ins reife Mannesalter russischer Staatsbürger war und sich später im ukrainischen Parlament durch tatkräftige Teilnahme an Prügeleien hervorgetan hat - unter anderem, als Janukowitsch nach langem Moskauer Drängen den Pachtvertrag der russischen Schwarzmeerflotte im Hafen Sewastopol verlängerte und damit wütende Proteste der Opposition veranlasste. - Zur gleichen Zeit wie im Verteidigungsministerium wechselte auch beim Geheimdienst SBU mit seinen 30.000 Angestellten die Führung. Der Dienst war vorher von einem Mann des RosUkrEnergo-Clans geführt worden. Doch seit einem halben Jahr steht Ihor Kalinin an der Spitze, der ebenfalls aus Russland stammt und damit anscheinend allein auf den Präsidenten persönlich bezogen ist. Vor seinem Start beim Geheimdienst führte er jedenfalls Janukowitschs Leibgarde.

Während Janukowitsch bei den bewaffneten Organen auf „Russen“ gesetzt hat, scheint er bei den Finanzinstitutionen des Staates vor allem dem Ordnungsprinzip „Familie“ gefolgt zu sein. In den letzten Monaten ist ein Einflussnetz entstanden, das vor allem aus dem Bekanntenkreis seines Sohnes Olexandr Janukowitsch hervorgegangen ist. Olexandr ist offiziell kein Politiker, sondern einfach nur ein Donezker Bankier und Geschäftsmann - wenn auch einer, dessen Geschäft seit dem Amtsantritt seines Vaters so ausnehmend gut geht, dass er 2012 zum ersten Mal auf der ukrainischen Reichsten-Liste der Zeitschrift „Forbes“ aufgetaucht ist - auf Platz 98, mit angeblich 99 Millionen Dollar Vermögen. - Der Bekanntenkreis dieses Präsidentensohnes hält heute die strategischen Höhen der Finanzpolitik besetzt. Eine der Schaltstellen seines Netzes ist die befreundete Familie Arbusow: Valentina Arbusowa führt die „Allukrainische Entwicklungsbank“ von Janukowitsch junior, ihr Sohn Serhij Arbusow wurde Ende 2010 Gouverneur der Zentralbank.

Aus dem Umfeld Arbusows kommen nach Angaben ukrainischer Medien noch zwei weitere wichtige neue Finanzpolitiker und Führungsbeamte: Finanzminister Jurij Kolobow und der Chef der Steuerbehörde, Olexandr Klimenko. Dabei ist vor allem die Steuerbehörde in der Ukraine ein entscheidendes Machtorgan: Aus Sicht der Opposition dient sie mit ihrer schwerbewaffneten eigenen Polizei dazu, unbotmäßige Geschäftsleute durch ruinöse Steuerprüfungen unter Druck zu setzen oder Schutzgelder von ihnen zu erpressen.

In den Händen der „Familie“, wie der Führungszirkel Janukowitschs in Kiew heute genannt wird, diene dieses Instrument vor allem dazu, die noch vor kurzem so selbstbewussten Oligarchen auf Linie zu bringen. Olexandr, der Präsidentensohn, gehört jedenfalls nach Ansicht vieler Beobachter heute zu den mächtigsten Männern des Landes.

Das amerikanische Institut „Freedom House“ hat diese Entwicklung jüngst treffend als „Familiarisierung“ der ukrainischen Politik beschrieben. Janukowitsch geht dabei den Weg arabischer oder fernöstlicher Autokraten, die ihre kleptokratischen Netze als Dynastien organisieren und ihre Söhne als Nachfolger aufbauen. Dieses Modell ist in den slawischen Kerngebieten der früheren Sowjetunion bisher nur in Ausnahmefällen ausprobiert worden, etwa unter dem russischen Präsidenten Jelzin oder ansatzweise in der Spätzeit des ukrainischen Präsidenten Kutschma. Nur an der außereuropäischen Peripherie des zerfallenen Reiches, etwa in Zentralasien oder in Aserbaidschan, hat sich Politik bisher dauerhaft als Netzwerk der Blutsbande organisieren können. Jetzt hält das politische Ordnungssystem „Familie“ über die Ukraine auch in Europa Einzug" (Schuller 2012).

Strafvollzug

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