Terrorismus und Widerstand (Notizen 1)

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Was kann man zu dem Thema vom Standpunkt einer kritischen Kriminologie aus sagen, also vom Standpunkt einer herrschaftskritischen, wissenschaftskritischen und selbstreflexiven Kriminologie, die sich als wissenschaftliche Disziplin der Unterscheidung zwischen wahr und unwahr verpflichtet fühlt?

Die Frage, was die Kriminologie in Bezug auf Fragen des Terrorismus und des Widerstands zu sagen hat, erfordert zugleich eine Antwort auf die folgenden Vorfragen: für wen, d.h. für welche Interessen, produzieren wir Wissen, ergreifen wir Partei? Und wie halten wir es mit den Idealen der Erkenntnis und wie verhalten sich unsere Ideale zum praktischen Nutzen und zur Verwertung unseres Wissens? Diesen Themen wird im Folgenden unter Rückgriff auf das Werk von David Matza, Howard S. Becker und Alvin Gouldner - aber auch mit Seitenblicken auf Friedrich Nietzsche und Slavoj Zizek - nachgegangen. Der bei Andrea Abele und anderen (1975) ausgeliehene Untertitel verweist darauf, dass es notwendig geworden ist, sich von der Ablenkung durch Scheinprobleme und Scheinerklärungen zu befreien. Wir leben an einer Zeitenwende, an der es mehr als sonst darauf ankommt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das sind im Blick auf Terrorismus und Widerstand im Grunde genommen nur drei Fragen: Wie verhalten sich T und W zueinander? Wo liegt das Problem? Was ist zu tun?


Terrorismus und Widerstand

Des einen Terrorist ist des anderen Freiheits- oder Widerstandskämpfer. Und wie verhält sich die Kriminologie in dieser Situation? Wessen Definition folgt sie? Und was machen wir, wenn sich der politische Wind dreht und die Politik aus den Terroristen Verhandlungspartner macht oder aus einstigen Freiheitskämpfern nunmehr Terroristen? Welche Qualität haben unsere Aussagen über Terrorismus dann?

Tatsächlich ist es unmöglich, in dieser Frage keinen Standpunkt einzunehmen. Howard S. Becker hat auf darauf hingewiesen: auf irgendeine Seite muss man sich schlagen. Das ist für die Wissenschaft ein Dilemma - aus dem es aber nur einen Ausweg gibt, der den Anforderungen der Wissenschaft an Unparteilichkeit und objektive Erkenntnis gerecht wird.

Erstens kann man sich auf den Standpunkt der herrschenden Meinung stellen. Man bezeichnet diejenigen als Terroristen, die von relevanten Geldgebern und Medien, kurz: von der herrschenden Meinung und damit von den Herrschenden als Terroristen bezeichnet werden. Man kann die UNO-Listen terroristischer Organisationen konsultieren. Allerdings sind die Gründe, die zur Aufnahme und zur Streichung führen, politischer Natur und gründen eher auf Opportunität als auf juristischer Subsumtion unter Tatbestandsmerkmale.

Zweitens kann man sich auf den Standpunkt der subalternen Klassen stellen, also auf die Seite der underdogs. Das hat zumindest den Charme des Nonkonformen und einer intellektuellen Unbotmäßigkeit. Dissidenz ist immer ehrenhafter als Dienstbarmachung von Intellektuellen für die Mächtigen. Kriminologen sehen sich zudem an Howard S. Beckers Ablehnung jeder Hierarchie der Glaubwürdigkeit erinnert. Wenn schon keine objektive Erkenntnis möglich ist, und wenn man schon eine Entscheidung treffen muss, auf wessen Seite man steht, dann sollte man sich eher für die unkonventionelle Sentimentalität einer Parteinahme für die underdogs entschließen als zum Schwimmen im Strom der gleichgeschalteten Interessen und Artikulationen. Becker hatte also vorgeschlagen, den Mächtigen keinen Vertrauensvorschuss gegenüber den Ohnmächtigen in der Gesellschaft zu geben. Die Hierarchie der Glaubwürdigkeit durch eine Gleichheit der Glaubwürdigkeit zu ersetzen - und im Zweifel eher den "underdogs" zu glauben und sich auf ihre Seite zu schlagen. Das ist eine zweite Lösungsmöglichkeit. Aber was impliziert sie für die Glaubwürdigkeit unserer wissenschaftlichen Ergebnisse?

Es gibt aber auch noch einen dritten Weg, nämlich den, den einst - in seiner Kontroverse mit Howard S. Becker - Alvin Gouldner vorgeschlagen hatte. Warum stellen sich Wissenschaftler nicht auf ihren eigenen Standpunkt? Auf die Seite der Wissenschaft und unseres eigenen Erkenntnisinteresses? Wissenschaft will historisch, systematisch, international vergleichend und herrschaftskritisch arbeiten. Dazu benötigt sie Definitionen, die den Gütekriterien einer Definition entsprechen und nicht Definitionen, die vor allem den Erfordernissen politischer Machtstrategien Rechnung tragen. Wenn ich aber wissen will, ob es Terrorismus schon vor 2000 Jahren gab und wie sich die Spielarten des Terrorismus im Laufe der Jahrhunderte und vielleicht Jahrtausende entwickelt haben, dann brauche ich einen analytischen Terrorismusbegriff, d.h. eine Definition, die es mir erlaubt, anhand klarer Merkmale und unabhängig von der Selbstbezeichnung der Akteure oder ihrer Etikettierung durch ihre Gegner eine Subsumtion vorzunehmen und damit klarzustellen, mit welchen Phänomenen genau ich mich beschäftigt habe und auf welche Phänomene sich der Geltungsanspruch meiner Ergebnisse bezieht. Nur so kann ich den Zielen der Wissenschaft näher kommen: Trennung des Richtigen vom Falschen, eine möglichst weitgehende Objektivität, die es ermöglicht, dass auch Vertreter gegensätzlicher politischer Positionen sich über ein Thema (Terrorismus und Widerstand) verständigen und gemeinsame Kriterien für die Beurteilung von Aussagen über diesen Gegenstand anerkennen und anwenden. Klare Begriffe, die nicht bewerten, sondern beschreiben und insofern möglichst wenig präjudizieren. Trennung von Beschreibung und Bewertung. Offenlegung von Bewertungskriterien. Ein guter Anfang für eine Definition ist immer der aristotelische Weg des genus proximum und der differentia specifica. Das ist das allererste wissenschaftliche Interesse. Klare Begriffe! Es ist nicht ehrenrührig, die eigenen Interessen als Wissenschaftler zu vertreten. Andere Kräfte in der Gesellschaft werden es nicht für uns tun. Im Gegenteil.

Es ist kein Geheimnis, dass ich - wenn und weil ich diese Maßstäbe zugrunde lege - ein Fan von Henner Hess' Terrorismus-Definition bin. Wir können nämlich immer dann von Terrorismus sprechen, wenn wir es mit mit (1) einer Reihe von vorsätzlichen Akten direkter physischer Gewalt zu tun haben, die (2) punktuell und unvorhersehbar, aber systematisch (3) mit der Absicht psychischer Wirkung auf weit mehr Personen als nur die physisch getroffenen Opfer (4) im Rahmen einer politischen Strategie ausgeführt werden.

Die Vorteile dieser Definition für die Wissenschaft liegen ebenso auf der Hand wie ihre Nachteile für manipulative Interessen in Politik und Gesellschaft. Diese Definition ist frei von sogenannten Definitionssperren (H.L.A. Hart): sie schließt keine Personengruppe per definitionem aus dem Bereich terroristischen Handelns aus und sie verhindert auch nicht Fragen nach der Existenz von Terrorismus avant la lettre oder nach der Existenz von Terrorismus seitens staatlicher Akteure. Vor allem aber erlaubt sie eine komparative Perspektive in historischer und systematischer Hinsicht und ermöglicht damit das, was Wissenschaft vor allem tun sollte und worin vor allem ihr Wert besteht: zu analysieren, zu vergleichen, verborgene Zusammenhänge aufzuzeigen und begründete Aussagen über hypothetische künftige Ziele und die für die Zielerreichung erforderlichen Mittel und die zu erwartenden Kosten und Nachteile zu erarbeiten.

Woher kommt Terrorismus?

Wenden wir uns dem nicht-staatlichen revoltierenden Terrorismus mit Zielrichtung gegen die USA und die westlichen Militäraktionen von NATO, ISAF und so weiter zu. Also der Gewalt, die heute zu Recht vom Westen als Bedrohung wahrgenommen wird - auch wenn sie nur einen Bruchteil der Phänomene ausmacht, die nach einer wissenschaftlichen Definition als Terrorismus zu bezeichnen und zu untersuchen wären.

Nach Nine-Eleven gab es einen kurzen Moment ehrlichen Erschreckens. Man stellte die Frage: wie konnte das passieren? Wer sind diese Leute? Und warum hassen sie die USA so sehr? Doch eine ehrliche Antwort schien schon bald niemand mehr hören zu wollen. Die Täter erschienen schon bald als verrückte Fanatiker ohne rationale Motive und klare Forderungen. Also als gefährliche Psychopathen, von denen man nichts erfahren und erst recht nichts lernen konnte. Sie hassen uns wegen unserer Freiheit, unserer Demokratie und unserer Lebensart. Das war die Quintessenz der Pathologisierung des Terrorismus. Das als Lombrosianismus zu bezeichnen, greift zu kurz und kommt in die Nähe einer Beleidigung Lombrosos. Denn er hatte immerhin bei allen biologischen Erklärungsmustern seiner Zeit auf die sozialen Ursachen der politischen Gewalt hingewiesen, die er in den Arbeits- und Lebensbedingungen der armen Bevölkerungsschichten sah.

Kritische Kriminologie wird sich nicht auf den Weg der Pathologisierung drängen lassen. Sie wird keine Präventions-, sondern eine Verstehensperspektive wählen. Sie wird subjektorientiert und naturalistisch an das Phänomen herangehen. Das ist das Gegenteil des herrschenden Redens und Schreibens über Terrorismus, das ganz andere Aufgaben zu erfüllen hat: er soll Erkenntnisse bringen, aber er soll auch ein Wissens-Regime organisieren und der Selbstvergewisserung der westlichen Welt und ihrer Werte dienen. Vor allem aber soll er das fördern, was von den Auftraggebern der Wissenschaft als "Sicherheit" bezeichnet wird: Vulnerabilitäten sollen entdeckt und beseitigt, terroristische Karrieren frühzeitig entdeckt und Bedrohungen neutralisiert werden. Ohne Zweifel ordnet sich der Großteil der Terrorismus-Forschung damit in ein "Präventions-Paradigma" ein und die dort gepflegte Perspektive ist die "Präventionsperspektive" (= correctional perspective) im Sinne David Matzas. Mit ihrer Dichotomie von Abweichung/Konformität tut sie der Komplexität der Beziehung zwischen abweichenden und nicht-abweichenden Phänomenen der sozialen Welt und den sinngebenden Subjekten selbst Gewalt an. Die Präventionsperspektive behindert systematisch die Fähigkeit zur Empathie und zum Perspektivenwechsel und damit die Fähigkeit zum Verstehen derjenigen, die man erforscht. Demgegenüber lässst sich die Bedeutung von Umständen und sozialen Beziehungen nur dann verstehen, "when affinity and affiliation are comprehended in the light of a mature conception of affiliation and under the notion of signification. Whereas affiliation refers to a process of becoming deviant, where the act itself is seen under an innocent aspect, 'signification' takes account of the authority and workings of the State. The activity is viewed as being guilty: action takes place under the authority of ban, the threat of apprehension, and the danger of control" (Beyleveld & Wiles (1975: 112).

Was erfahren wir über die Motive von Terroristen, wenn wir den von Max Weber vorgezeichneten Weg des Verstehens einschlagen? Interessanterweise werden wir - wenn wir zuhören - feststellen, dass die Aussagen und Botschaften der Terroristen in den seltensten Fällen völlig unverständlich und irrational sind, und dass es ihnen schon gar nicht um ein verrücktes Bedürfnis geht, Unschuldige zu massakrieren. Eher sind sie von einem ausgeprägten Sinn für politische Gerechtigkeit beseelt - in dem einfachen Sinne, in dem auch westliche Bürger davon beseelt sind: man will keine Fremdherrschaft und schon gar nicht eine militärische Willkürherrschaft. Die meisten Terroristen sehen sich von fremden Mächten bedroht und verletzt, gedemütigt und entehrt - von den Streitkräften und Geheimdiensten der USA, der NATO und damit unserer wichtigsten Bündnispartner und Schutzmächte.

Das zu erfahren, würde uns in ein Dilemma stürzen. Wir würden zwischen Verständnis für die Motive der Terroristen und unserer Loyalität gegenüber unserer Schutzmacht und unseren Verbündeten, von denen wir abhängig sind und denen gegenüber wir uns zur Bündnistreue verpflichtet haben, hin und her schwanken, würden gleichsam zerrissen zwischen zwei Loyalitäten. Wenn es also den USA darum geht, militärisch irgendwo auf fremdem Territorium zu intervenieren, dann ist Deutschland auf der Seite der USA und der NATO zu finden - und wenn es darum geht, wissenschaftlich die Motive der Terroristen zu erkunden, dann kommt heraus, dass es wir selbst als Verbündete einer großen imperialistischen Macht sind, die zu diesen Motiven Anlass geben.

Die Motive sind nicht weit von den Ursachen angesiedelt. Ausgerechnet ein Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur in den USA (Paul 201: 288) hat darauf hingewiesen, dass Robert Pape (2010) von der University of Chicago nach der Auswertung von 2200 terroristischen Anschlägen in einem Zeitraum von sechs Jahren zu dem Ergebnis gekommen war, dass der entscheidende Faktor für Aufstieg und Niedergang von Selbstmord-Attentats-Kampagnen die Stationierung von fremden Truppen ist, dass - mit anderen Worten - "die Stationierung fremder Truppen zum Entstehen von Selbstmordanschlags-Kampagnen führt .. und dass der Abzug fremder Truppen nahezu hundert Prozent der terroristischen Kampagnen zum Verschwinden bringt." Kurz gesagt: der Einmarsch in und der Überfall auf fremde Staaten und die Stationierung von ausländischem Militär in solchen Staaten ist eine Vorgehensweise, die nicht gerade der Prävention von Terrorismus dient und wird im Ergebnis ziemlich genau das Gegenteil dessen bewirken, was man erreichen wollte.

Die Motivation zu terroristischen Kampagnen hängt mir der kollektiven Überzeugung ganzer Bevölkerungsgruppen zusammen, sich gegenüber einem unendlich übermächtigen Gegner in einer verzweifelten Lage zu befinden. In einer Bedrohungslage, die durch Sanktionen und Kriegsdrohungen, durch Invasionen und Stationierungen von Militär gekennzeichnet ist. Da geht es um die Rolle der USA im Nahen Osten, im Irak und in Afghanistan, bei militärischen Drohgebärden, bei Sanktionen, Interventionen und Okkupationen.

Wenn Terroristen zu ihren Anschlägen motiviert sind, weil sie unter konkreten Missständen und Ungerechtigkeiten leiden, weil "unsere" Truppen in ihren Ländern stehen und "unsere" Kampfgeräte ihre Leute umbringen, dann ist es höchst unwahrscheinlich, dass eine Fortsetzung unserer Politik den Terrorismus jemals besiegen kann.

Der Westen verfügt über einen Terrorismus-Diskurs, der die Akteure enthumanisiert und irrationalisiert. Das hilft uns dabei, uns nicht mit der Beseitigung der Ursachen und der Gründe für den Terrorismus zu befassen, sondern diese souverän zu ignorieren - und das wiederum hilft dabei, mehr Truppen, mehr Drohnen, mehr Tötungsmittel zu entsenden. Damit zeigen wir unsere Entschlossenheit, den Kampf nicht aufzugeben. Das Problem damit ist, dass diese Art Starrsinns im Laufe der Geschichte meistens keinen Erfolg hatte. Sie hat einfach nicht funktioniert. Weil sie Reaktanz hervorruft. Kurz gesagt: wenn wir Terrorismus bekämpfen, indem wir die Gründe, die es für Terrorismus gibt, noch weiter vertiefen, dann werden wir noch mehr Terrorismus produzieren statt weniger. Das ist genau das, was Max Weber die Paradoxie von Wollen und Wirkung nannte. Je intensiver wir den Terrorismus bekämpfen, desto größer wird das Problem.

Das kennen wir aus der Drogenpolitik und allen anderen großangelegten Regierungskampagnen gegen "Übel". Tannenbaum: dramatization of evil. Regierungen haben keinen Anreiz für eine de-eskalierende Politik, weil die Kriege selbst das Bruttosozialprodukt steigern, weil sie die Macht der Regierung stärken, weil sie Gewinn bringen und einen perfekten Vorwand bieten, um Freiheiten zugunsten immer weiterer Regierungsbefugnisse zu beschneiden. Das oberste Interesse von Regierungen ist nicht der Schutz der Freiheit der Bürger, sondern ihr eigens Organisationsinteresse. Je besser es gelingt, der Bevölkerung Angst vor Terrorismus zu machen, desto bereitwilliger wird die Bevölkerung sich kontrollieren und bevormunden lassen. Governing through crime. Jonathan Simon. Da kann man schon Zweifel daran bekommen, ob Regierungen ihre verfehlte Politik wirklich korrigieren wollen oder ob sie das Scheitern ihrer offizielle deklarierten Ziele nicht nolens volens in Kauf nehmen, um ihre eigentlichen Ziele zu erreichen. Die Anreize sind jedenfalls genau anders als sie sein sollten: je schlimmer es wird, desto bessere Vorwände gibt es für die Expansion der Herrschaftsgewalt.

Welche Lösungsansätze gibt es?

Was die Politik von der Wissenschaft will, sind technische Hinweise für eine Schadensminimierung bei unveränderter Militärstrategie, das heißt auf Deutsch: man will die Strategien nicht ändern, die das Problem des Terrorismus produziert haben und immer weiter reproduzieren. Man will aber etwas über Methoden lernen, die bei unveränderter Produktion der Gründe für terroristische Kampagnen deren Entstehen erschwert und deren Erfolge minimiert.

Nirgendwo wird das klarer, als an dem Umstand, dass die Bundesregierung ihr viele Millionen schweres Sicherheitsforschungsprogramm für alle Fragen der Organisation, Auswahl und Kontrolle in die Hände der Bundesvereinigung der deutschen Ingenieure legte.

Kritische Kriminologie sollte da unbedingt mitmachen. Um zu spionieren, um zu sabotieren, um Dissens zu Protokoll zu geben. Um auf die wirklichen Probleme aufmerksam zu machen. Aber nicht, um sich das Lob der Verwaltung und der Regierungsstellen zu sichern, um Folgeaufträge an Land zu ziehen und so weiter.

Kritische Kriminologie sollte sich um wirksame Prävention kümmern, nicht um schöne Etiketten, mit denen man Wähler betrügen und Wählerstimmen einheimsen kann, ohne in der Realität auch nur ein Jota zu ändern.

Kritische Kriminologie würde erklären: wirksame Prävention darf keine neuen Gründe für Terrorismus liefern; sie muss dort ansetzen, wo die Gründe für Terrorismus hergestellt werden, und zwar im Bereich unserer westlichen Politik. Sie ist im Grunde genommen reflexiv zu orientieren: nicht auf die Moscheen, sondern auf uns selbst. Keine Prävention kann wirken, wenn sie von ihren Zielpersonen als Eingriff und Bevormundung aufgefasst wird, wenn sie als unzulässiger und unerträglicher Eingriff in die eigene Sphäre der Autonomie, der Selbstbestimmung über das, was ich tun und lassen, was ich glauben und wofür ich mich einsetzen will, wahrgenommen wird. Keine wirksame Prävention wird es geben können, solange man durch invasive Methoden die Reaktanz und den Trotz und damit genau den Terrorismus produziert, den man verhindern wollte. Brehm und Brehm.

Die Vermeidung von Reaktanz sollte auch im Vordergrund der Bekämpfung des Terrorismus stehen. Strafverfahren; Justizgewährung. Menschenrechte achten. Why people obey the law. Forschung: Ausbruch aus der Präventionsperspektive. Distanz zur Praxis im Namen einer besseren Praxis. Peters.

Die kritische Kriminologie hat nicht nur zu meckern, sie hat positive Ratschläge auf Lager. Sie kann der Regierung sagen: Wenn wir wirklich etwas Wirksames gegen Terrorismus unternehmen wollen, dann sollten wir unseren Verbündeten sagen, dass wir nicht mehr mitkommen - jedenfalls nicht mit Soldaten in fremde Länder, und dass wir raten, auch ihre Truppen abzuziehen. Wir sollten keine Kriege ohne Kriegserklärung mehr führen. Wir sollten keine Kriege mehr führen, wenn es sich um Angriffe auf andere Länder handelt. Wir sollten einen ehrlichen Blick auf alle kriegerischen Aktivitäten werfen und sollten überall dort, wo wir zu der Erkenntnis kommen, dass unsere Aktivitäten verzweifelte Leute zu verzweifelten Abwehrreaktionen gegen westliche oder vom Westen geförderte politische Gewalt motivieren, von diesen Aktiviäten die Finger lassen.

Literatur

  • Abele, Andrea, Stefan Mitzlaff, Wolf Nowack, Hg. (1975) Abweichendes Verhalten, Erklärungen, Scheinerklärungen und praktische Probleme. Bielefeld: Frommann-Holzboog.
  • Becker, Howard S. (1967) 'Whose Side Are We On?', Social Problems 14: 239–47.
  • Gouldner, Alvin W. (1968) "The Sociologist as Partisan: Sociology and the Welfare State." The American Sociologist. 3:103-116.
  • Matza, David (1973) Abweichendes Verhalten. Heidelberg: Quelle & Meyer.
  • Pape, Robert & Jamesw Ke Feldman (2010) Cutting the Fuse: The Explosion of Global Suicide Terrorism and How to Stop It. Chicago: Chicago University Press.
  • Paul, Ron (2011) Liberty Defined. 50 Essential Issues That Affect Our Freedom. New York, Boston: Grand Central.