Symbolisches Strafrecht

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Die Entwicklung des symbolischen Strafrechts geht mit dem gesellschaftlich geprägten Bedeutungswandel des Strafrechts einher. Das moderne Strafrecht beschreibt Hassemer so: "Es stellt sich den Herausforderungen von Kontrolle und Zwang als Mittel der Lösung moderner Großprobleme. Es reflektiert nicht, ob es sie auch erfüllen kann. In Wirklichkeit kann es sie nicht erfüllen. Also gibt es ungedeckte Schecks aus. Es symbolisiert sich. [sic.]" (Hassemer 2008: S. 99)

Etymologie

Etymologisch betrachtet besteht zwischen "Recht" und "Symbol" eine enge Beziehung. Das altgriechische sýmbolon bedeutet "etwas Zusammengeworfenes" und meinte ursprünglich eine spezifische Art von Erkennungszeichen im sozialen Verkehr: Durch das Zusammenfügen der Stücke zuvor entzweigebrochener Gegenstände wie Knochen, Muscheln oder Tonringe konnten sich Vertreter bestimmter Kollektive oder Vertragsparteien als solche erkennen und frühere Kontakte oder Berechtigungen nachweisen. (Soeffiner 2004)

Abgrenzung zum instrumentellen Strafrecht

Das Strafrecht erhebt den Anspruch, verhaltenssteuernd zu wirken. Indem der Schutz von Rechtsgütern angestrebt wird, fällt dem Strafrecht eine präventive Rolle zu. Die einzelnen Straftatbestände sollen das jeweils normierte Verhalten verhindern. Dies ist die instrumentelle Funktion des Strafrechts. (Lauterwein 2009: S. 71)

Entstehungsansätze für das Symbolische im Strafrecht

Gemäß Hassemer (ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts) wurden symbolische Ansätze im Strafrecht durch nordamerikanische Politologen, Gesellschaftswissenschaftler und Kriminologen seit den sechziger Jahren insofern herausgearbeitet, dass es in der Politik nicht nur um Macht und Interesse sondern auch um Symbole, um deren Besetzung und Abwehr geht. Um sog. "elaborating symbols" und "summarizing symbols" oder um Verweisungs- und Verdichtungssymbole (letztere haben eine lockere Beziehung zur Wirklichkeit, weisen aber die Fähigkeit auf, neue Wirklichkeiten illusionär zu erschaffen). Auslöser war seinerzeit die wissenschaftliche Analyse der US-amerikanischen Prohibitionsgesetzgebung, bei der man auf die Phänomene "Moralunternehmer" und "symbolische Kreuzzüge" gestoßen ist. Demnach haben staatliche Verbote nur für eine naive Betrachtung die Funktion, das verbotene Verhalten zu unterdrücken und zu minimieren. Es handelt sich vielmehr um Kulturen und Moralen, welche bestimmte Lebensstile symbolisieren und sich, über das strafrechtliche Verbot, ein weiteres gesellschaftliches Terrain erobern. (Hassemer 1989: S. 1)

Begriff: Symbolisches Strafrecht

Über die genauen Grenzen und Inhalte dessen, was als symbolisches Strafrecht gelten kann, konnte bis heute keine Einigkeit erzielt werden. Methodologisch ist die Bestimmung schwierig: Sollte der Begriff anhand einer (kaum nachweisbaren) Intention des Gesetzgebers oder anhand der Funktion, die einer Norm zukommt, definiert werden? Als Fakt hat sich herausgestellt, dass seit den 1980er Jahren im deutschsprachigen Raum dieser Begriff überwiegend in einer betont strafrechtskritischen Weise verwendet wird. (Jasch 2008: S. 83) Hassemer definiert das symbolische Strafrecht als ein Strafrechtssystem, welches

  • seine Zuständigkeitsfelder auf aktuelle Großprobleme unreflektiert erweitert,
  • seine empirischen Bewirkungspotenzen (strategisch, fahrlässig oder unbewusst) überschätzt,
  • sich deshalb Aufgaben auflädt, die es in Wirklichkeit nicht erfüllen kann,
  • sich über seine Bewirkungsprobleme nicht Rechnung legt und sie deshalb nicht verarbeitet,
  • massive Vollzugsdefizite produziert, die nicht nur zu reduzierter, sondern auch zu selektiver Implementation der Strafrechtsnormen führen,
  • für den Strafgesetzgeber gleichwohl politischen ("symbolischen") Gewinn erbringt: Präsenz, Promtheit, Handlungsfähigkeit. (Hassemer 2008: S. 96)

Symbolisch in einem kritischen Verständnis ist eine Strafrechtsnorm, nach Hassemer, wenn die latenten Funktionen der Norm die manifesten Funktionen überwiegen: indem durch die Norm und ihrer Anwendung eher andere als die von der Norm selber bezeichneten Zustände realisiert werden. (Hassemer 1989) Latente Funktionen, die somit als Indikatoren symbolischen Strafrechts wirken, reichen von der Demonstration staatlicher Handlungsfähigkeit angesichts dringender politischer Nachfrage bis zur Befriedigung aktuellen Handlungsbedarfs angesichts einer verschärften Problemlage. (Hassemer 2008: S. 111)

Prittwitz führt aus, dass die symbolische Natur des Strafrechts auch in seiner Wertung (durch die Suche nach der Schuld Einzelner werde von strukturellen und systemischen Ursachen abgelenkt) erkennbar ist. (Prittwitz 1993: S. 254)

Da das Strafrecht und seine Folgen nicht vom Gesetzgebungsverfahren getrennt betrachtet werden, erweitert Lauterwein die Definition auf die symbolische Gesetzgebung. Diese liegt vor, wenn die praktische Fähigkeit einer Norm zum effektiven Rechtsgüterschutz durch die kommunikativen Wirkungen ihrer Verkündung überlagert wird. (Lauterwein 2006: S. 29)

Entstehungszusammenhänge

Unabhängig von den Autoren der einschlägigen Literatur, ist das symbolische Strafrecht aus einem gesellschaftlichen Wandel, einhergehend mit neu entstandenen sozialen Bedürfnissen und Prozessen, hervorgegangen.

Die sozialen Bewegungen

Scheerer beobachtet die Veränderung anhand der neuen sozialen Bewegungen und ihrer Haltung gegenüber Recht und Staat in den sechziger (libertäres Selbstverständnis, antiinstitutionell) und siebziger (Dissenz zu herrschenden Normen, Anerkennungsanspruch gegenüber den Institutionen) Jahren und schreibt: "Was aber am wichtigsten war: Das Strafrecht, einst Inkarnation nicht nur falscher Inhalte, sondern auch eines falschen Prinzips, erlangte im Verlauf der siebziger Jahre wieder Anerkennung als eines der bedeutendsten symbolischen Mittel zur Etablierung allgemeiner Prinzipien". (Scheerer 1985: S. 245) In den achtziger Jahren "wollen die sozialen Bewegungen dem Staat nichts mehr tun". Das Strafrecht erhält die Rolle eines universellen Organisators der Hierarchie von Werten und Gütern und wird, nach Scheerer, zum Mittel symbolischer Festschreibung der neuen Wertordnung. Ob das Gesetz effektiv oder kontraproduktiv ist, erscheint den neuen Kriminalisierern nicht mehr so wichtig. (Scheerer 1985: S. 245, 246)

Modernisierung

"Das symbolische Strafrecht ist ein Kind der Modernisierung des Strafrechts." (Hassemer 2008: S. 97) Die Entwicklung des symbolischen Strafrechts geht mit dem gesellschaftlich geprägten Bedeutungswandel des Strafrechts einher. Das moderne Strafrecht beschreibt Hassemer so: "Es stellt sich den Herausforderungen von Kontrolle und Zwang als Mittel der Lösung moderner Großprobleme. Es reflektiert nicht, ob es sie auch erfüllen kann. In Wirklichkeit kann es sie nicht erfüllen. Also gibt es ungedeckte Schecks aus. Es symbolisiert sich. [sic.]" (Hassemer 2008: S. 99) Sack führt ebenso aus, dass zu den treibenden Faktoren bzw. Entstehungsgründen des "denaturierten Strafrechts" von Seiten der Kritiker an erster Stelle der Modernisierungsprozess angeführt wird. (Sack 2011: S. 74) Verschiedene Autoren konnten in zeitlicher Nähe einen "erstaunlichen Bedeutungszuwachs des Strafrechts" (Kühne 2001) bzw. die "Expansion des Strafrechts" (Sánchez 2003) konstatieren. Hassemer schreibt zudem, dass das Strafrecht in den letzten Jahrzehnten sein Selbstverständnis verändert hat. (Hassemer 2008)

Gesellschaftlicher Kontext

Ausgewählte Triebfelder zur Entstehung des modernen (symbolischen) Strafrechts

  • Kontrollstaatliche Entwicklungen in einem Sicherheitsstaat/ einer Risikogesellschaft

Das symbolische Strafrecht gewinnt Ende der achtziger Jahre weite Verbreitung in der deutschen Strafrechtsdogmatik und in der Theorie der Kriminalpolitik. Die Modernisierung des Strafrechts geht mit einem starken gesellschaftlichen Kontrollbedürfnis einher. Dieses Bedürfnis entsteht durch eine steigende Risikoangst und der Abnahme von Normen in der Gesellschaft. Nach Ulrich Beck hat sich der Begriff der "Risikogesellschaft" etabliert. Das moderne Strafrecht findet sich nunmehr dort wieder wo die Risiken einer Gesellschaft auftreten. (Klimke 2012) Prittwitz fasst zusammen, dass es sich beim symbolischen Strafrecht um eine zentrale, aber uneinheitlich verstandene und vor allem kontrovers bewertete Bezeichnung des Strafrechts der Risikogesellschaft handelt. (Prittwitz 1993)

Auf andere Art symbolisch wirkt das Strafrecht nach Ansicht Krauß, der (sich kritisch gegen die sogenannten Sicherheitsgesetze wendend) bemängelt, das Strafrecht bekämpfe innere Unsicherheit, ohne sich auf ihre Ursachen, die tatsächlich vorhandenen Defizite äußerer Sicherheit, einzulassen. (Prittwitz 1993: S. 254) Die Sicherheitsgesetzgebung in den neunziger Jahren konzentrierte sich vor allem auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, ein Konstrukt, dessen Semantik bis heute umstritten blieb. Nicht zuletzt deswegen weil es darüber hinwegtäuscht, dass sich fast jede groß angelegte Straftat durch einen mehr oder weniger hohen Organisationsgrad auszeichnet. (Gutsche 2008: S. 76)

Das Strafrecht selbst ist gemäß Klimke als ein kollektives Merkmal von Staat und Gesellschaft zu betrachten. Eine losgelöste Betrachtung des Strafrechts innerhalb der Soziologie der Kriminal- und Sicherheitspolitik scheint unmöglich. Die Punitivität eines Staates, so Klimke, äußert sich nicht nur in der Art und Härte der von den Gerichten verhängten Strafen und der Anzahl der Verurteilten, sondern auch in der Entwicklung des Strafrechts, deren Kernstück die Gesetzgebung ist. Die Veränderungen des Strafrechts werden mit dem "punitive turn" in Zusammenhang gebracht. Für Sack besteht die Parallele: das "symbolische Strafrecht" als Inbegriff und übergreifendes Motto des Strukturwandels staatlich-strafrechtlicher Kontrolle in der deutschen Diskussion, die "Punitivität" als sog. "Masterkonzept" des angelsächsischen Diskurses in derselben Sache. (Sack 2011: S. 79)

  • Wandel beim Rechtsgüterschutz/ Neigung zu Universalrechtgütern

Das traditionelle Konzept des Rechtsgüterschutzes hatte, gemäß Hassemer, noch die Verpflichtung des Strafrechts zur Bewirkung realer Folgen. Demgegenüber "scheint unser symbolisches Strafrecht das nicht mehr so eng zu sehen und ohne Rücksicht auf seine Bewirkungspotenzen alle Aufgaben an sich zu ziehen, die ihm vom politischen System angeboten werden oder derer es sonst habhaft werden kann." (Hassemer 2008: S. 97) Die nächstliegende, älteste und einfachste Antwort auf die Frage, wann das Strafrecht seine präventiven Aufgaben zureichend erfüllt, wäre: wenn es die Rechtsgüter schützt, die ihm zu schützen aufgegeben sind. ("wirklicher" Rechtsgüterschutz) Weil es daran fehlt, gibt es symbolisches Strafrecht. (Hassemer 1989) Das moderne Strafrecht neigt zu Universalrechtsgütern, die zudem noch vage formuliert sind (Bsp.: "Schutz der Volksgesundheit" bei der Betäubungsmittelkriminalität oder "Allgemeininteresse an der wirksamen staatlichen Wirtschaftsförderung" beim Subventionsbetrug).

  • Prävention, Vorfeldkriminalisierung und (abstrakte) Gefährdungsdelikte:

Naucke stellte seit der Strafrechtsreform 1969 einen Trend zum sog. "ungenauen Strafrecht" fest, der mit der liberalen, rechtsstaatlichen Zielrichtung nicht vereinbar sei. Im Mittelpunkt seiner Feststellungen steht die Zunahme der präventiven Orientierung des Strafrechts, welche wie folgt gekennzeichnet wird: Auflösung von Tatbestandsgrenzen durch Tatbestandserweiterungen, Ausdehnung von Strafbarkeiten, Strafrahmenerhöhungen, beschleunigte Verfahren, Erleichterung der Abwendung von Zwangsmitteln, verschwimmende Grenzen zwischen Straf- und Polizeirecht. Eine weitere Markierung des Wandels innerhalb der Strafgesetzgebung ist die zunehmende Vorfeldkriminalisierung. Diese erfolgt insbesondere über die Erweiterung abstrakter Gefährdungsdelikte (als staatliche Antwort auf den Terrorismus etwa), bei denen nicht auf die Verursachung eines bereits eingetretenen Schadens, sondern lediglich auf das Risiko eines Schadens abgestellt wird. (Klimke 2013: S. 110) Beispielhaft fällt die Einführung des § 238 StGB (Nachstellung) in den wissenschaftlichen Diskurs um eine grundsätzliche Legitimierbarkeit des abstrakten Gefährdungsdeliktes. Nach Zacharias geht es zum einen um die Frage, ob es gerechtfertigt werden kann, schon im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung ein Verhalten zu sanktionieren. Kritisiert wird etwa, die abstrakten Gefährdungsdelikte verminderten sowohl die Strafbarkeitsvoraussetzungen als auch die Verteidigungsmöglichkeiten. Das Strafrecht würde in den Bereich der Prävention vorverlagert, was aber eine polizeiliche Aufgabe sei. Weiter sagen die Kritiker, fehle es an Tatbestandsvoraussetzungen die auf eine Rechtsgutverletzung abzielen. (Zacharias 2015) Die Entwicklung eines präventiven Strafrechts bringt es daher mit sich, dass Sanktionierungen weniger auf konkrete Verletzungshandlungen hin, sondern aufgrund von Prognosen gefällt werden. (Singelnstein, Stolle 2012: S. 71) Es entsteht ein sog. "Präventionsdruck" des Strafrechts (Hassemer), weil es für eine großflächige Prävention von Gefahrenlagen nicht geeignet sei. Hassemer ergänzt: Symbolisches Strafrecht verspreche nicht nur Erleichterung von diesem Druck, sondern verschafft diese sofort, ist aber in seinen Augen "Bluff", "verrät die rechtsstaatlich-liberalen Traditionen" und "düpiert das Vertrauen der Bevölkerung in die Strafrechtspflege". (Prittwitz 1993: S. 254) Auch in Herzogs sozialtheoretischer Skizze der Gefährdungsdelikte spielt der symbolische Charakter des Strafrechts eine tragende Rolle: Aufbauend auf soziologischen und sozialpsychologischen Erkenntnissen meint er, sei die Prominenz der Gefährdungsdelikte im modernen Strafrecht "zumindest teilweise als Reaktion auf gesellschaftliche Orientierungsunsicherheiten" zu erklären. (Prittwitz 1993: S. 255)

Zusammengefasst sinngemäß nach KIM

Nicht zuletzt durch den technischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Wandel werden neue Großrisiken produziert. In einer Risikogesellschaft wird die Nachfrage nach Sicherheit zunehmen. Die Verhinderung, Begrenzung oder Umverteilung derartiger Risiken wird zum unübersehbaren Gegenstand des (Straf-)Rechts. Das "klassische" Strafrecht ist als Mittel der Freiheitssicherung gegenüber staatlichen Zwangseingriffen nur bedingt geeignet, diese gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Anstelle der punktuellen Repression konkreter Rechtsgutsverletzungen übernimmt das moderne Strafrecht nunmehr die Aufgabe einer großflächigen Prävention von gesellschaftlichen Problemlagen. Zur Gefahrenabwehr und Minimierung von Unsicherheit verwendet der moderne Gesetzgeber Universalrechtsgüter in plakativer Umschreibung und betreibt Vorfeldkriminalisierung durch Inkriminierung von abstrakten Gefährdungen. Neue Straftatbestände versprechen mehr Wirksamkeit als sie realisieren können. Daraus folgt: Das risikoorientierte Präventionsstrafrecht wandelt sich zum symbolischen Strafrecht mit hohem politischen Gebrauchsinteresse. (KIM 2004: S. 72)

Ausgewählte Erscheinungsformen symbolischen Strafrechts

Klassifizierung gemäß Hassemer 1989:

  • Gesetzgeberische Wertbekenntnisse (Bsp.: Abtreibung zwischen dem moralischen Anspruch einer Frau auf Bestimmung über Nachwuchs einerseits und Bekräftigung des Tötungsverbots andererseits.)
  • Gesetze mit (moralischem) Appellcharakter (Bsp.: Umweltstrafrecht mit dem Ziel, die Bürger durch Verbote an hervorgehobener Stelle zu ökologischer Sensibilität zu erziehen.)
  • Ersatzreaktionen des Gesetzgebers: Alibigesetze, Krisengesetze (Bsp.: Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus in der Absicht, die öffentliche Angst und Empörung wenigstens zu beschwichtigen.)
  • Kompromissgesetze (Bsp.: Strafgesetzliche Generalklauseln, welche zwar kaum etwas entscheiden, aber immerhin vom harten Ringen des Gesetzgebers um die Befriedigung eines "Handlungsbedarfs" zeugen.) (Hassemer 1989: S. 2)

Arten gemäß Prittwitz 1993:

Prittwitz hat eine Einteilung nach seinerzeit erfolgter einschlägiger Literaturrecherche zur von ihm selbst so bezeichneten "schillernden und ambivalenten" Begrifflichkeit vorgenommen. Diese nähert sich dem Thema von nicht nur kritischen Seiten der Bedeutung des symbolischen Strafrechts.

  • Immanent Symbolisch (Sagt aus, dass auch rechtstreues Leben symbolisch vermittelt wird. Es gilt unabhängig davon, ob der Gesetzgeber an Symbolik gedacht hat oder nicht.)
  • Erwünschte (täuschungsfreie) Symbolsetzung (Gemeint sind Fälle, in denen sich der Gesetzgeber klar zum symbolischen Charakter bekennt. Bsp.: ehemaliger § 220a StGB - nunmehr neue Gesetzgebung- bzw. Umweltstrafrecht.)
  • Effektivität vortäuschend (Gemeint ist ein Strafrecht, das als instrumentell auftritt, Effektivität verspricht, Tätigkeit des Gesetzgebers demonstriert, jedoch in Wirklichkeit nicht hält, was versprochen worden ist. (Bsp.: Umwelt- und Wirtschaftsstrafrecht, Betäubungsmittelgesetz bzw. Kriegswaffenkontrollgesetz)
  • Vermittler und Garant von Daseinsgewissheit (Bsp.: In der von Kindhäuser vorgelegten Konzeption der Gefährdungsdelikte. Strafrecht tritt offen als symbolisch auf und reklamiert, dass diese Funktion die Strafrechtsnorm legitimieren soll.)
  • "Nur noch" symbolische Werte (Normen sind in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr handlungsleitend, obwohl sie noch zum traditionellen Normgefüge gezählt und als Teil davon -verbal - anerkannt werden. (Bsp.: Normalgewordene alltägliche Sachbeschädigungen, Bestechungen im gewissen Umfang.) (Prittwitz 1993: S. 255-259)

Beispiel symbolischer Gesetzgebung im Strafrecht

Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch §§ 129a und 129b StBG

Es handelt sich um ein ausgewähltes Beispiel wenngleich weitere Straftatbestände grundsätzlich in Betracht kämen.

Der § 129a wurde 1976 in das Strafgesetzbuch (StGB) aufgenommen, 1986 erweitert und nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 erneut verschärft. Die Vorschrift gehört seitdem zu einer der kompliziertesten im StGB. (Lauterwein: S. 31) Gemäß Breidenbach wird deutlich, dass es sich um ein typisches Anlass- bzw. Krisengesetz handelt und eine präzise Inhaltsbestimmung der Strafnorm schon aus diesem Grund fehlt. Die Besonderheit besteht darin, dass es unter höchster Eile und Brisanz in unmittelbarem Anschluss an konkrete Ereignisse verabschiedet wird. (Breidenbach 2009: S. 10) Die in der Norm aufgeführten Tätigkeiten waren bereits vor ihrer Einführung strafbar. Doch nicht nur deswegen wurde der § 129a StGB stark kritisiert. Der neue Tatbestand verlegte die Strafbarkeit auf einen früheren Zeitpunkt (sh. "Vorfeldkriminalisierung" oben). Sind die einzelnen in der Norm enthaltenen Delikte (Bsp.: Brandtstiftung) erst ab Beginn des Versuchsstadium strafbar, so kann gemäß § 129a StGB bereits bestraft werden, wer sich mit gleichgesinnten Personen zur Begehung einer solchen Straftat zusammenschließt, auch wenn die geplante Ausführung der Tat in noch so ferner Zukunft liegt. (Lauterwein 2006: S. 32) Ferner wird dargestellt, dass mit dem § 129a StGB Grundrechtseingriffe einhergehen.(Breidenbach 2009: S. 51) § 129a StGB dient als Anknüpfungspunkt für verschiedene strafprozessuale Eingriffsbefugnisse im Ermittlungsverfahren und seine wesentliche Bedeutung liegt nicht im materiellen Tatbestand als Basis für eine Verurteilung. (Breidenbach 2009: S. 52) Lauterwein führt aus, dass mit der Einführung der Norm strafprozessuale Veränderungen als verfahrensrechtliche Konsequenzen einhergehen. Die Ermöglichung einer sog. Kontaktsperre zwischen inhaftiertem Beschuldigtem und Verteidiger stellt dabei den stärksten Eingriff für Lauterwein dar. Für das Genannte aufschlussgebend ist ein in den wissenschaftlichen Arbeiten immer wiederkehrendes Phänomen des Ungleichverhältnisses der eingeleiteten Ermittlungsverfahren und der Zahl der Verurteilungen, die durch statistische Erhebungen belegbar sind. (Lauterwein) Dieser Umstand führt zu dem Verdacht, die Vorschrift hätte neben ihrer manifesten noch andere Funktionen. Dies wurde mit den Anschlägen vom 11.09.2001 umso deutlicher. Denn mit dem daraufhin neu geschaffenen § 129b StGB wurde der Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung auch auf terroristische Auslandsorganisationen erweitert. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wird gemäß § 129b nunmehr vom Votum des Bundesjustizministeriums abhängig gemacht, wenn die Vereinigung sich außerhalb der EU befindet. Das Justizministerium ist jedoch kein Strafverfolgungsorgan, sondern gehört zur Exekutive. Ein weiteres Indiz auf eine symbolische Gesetzgebung der §§ 129a, 129b StGB ist, gemäß Lauterwein, die kriminalpolitische Inkonsequenz bei der Festlegung des Strafrahmens. Es werden quasi Verbrechen und Vergehen miteinander vermengt wie es sonst an keiner weiteren Stelle im StGB getan wird. (Lauterwein 2006: S.34) Darin wird ein weiteres Indiz für die Wichtigkeit der kommunikativen Funktion der Strafnorm gesehen. Fazit: Die Bildung einer terroristischen Vereinigung wird als symbolisch bezeichnet, da alle beteiligten Gesetzgebungsakte nicht durch die instrumentellen Wirkungen gerechtfertigt werden können. (Lauterwein 2006) Der Schutz der betroffenen Rechtsgüter wurde bereits durch die vorhandenen Tatbestände gewährleistet.

Folgen, Wirkungen und Wirksamkeit symbolischen Strafrechts

Zwei Ansätze in den Diskursen:

Strafjuristisch: Beschwört die Gefahren der Überforderung und eines Wirksamkeitsverlustes des rein symbolischen Strafrechts.

Sozialwissenschaftlich: Analysen, die eine durchaus wirkungsmächtige Entwicklung hin zu einer "Regierung des Selbst" und einer "Normalisierung" im Foucaultschen Sinne diagnostizieren.

Allgemein nach einschlägiger Literatur:

Hassemer schreibt 2007, dass es keine Alternative zur Prävention als Zielbestimmung des Strafrechts zu geben scheint. "Man muss über Alternativen aber nachdenken - zu gefährlich sind die Folgen, die sich mit der Erwartung verbinden, das Strafrecht sei dazu da, Sicherheit zu bieten." (Hassemer 2007: S. 105) Nach Hassemer ist symbolisches Strafrecht unwirksam. Denn der Gesetzgeber dürfe nur das Verhalten unter Strafe stellen, welches ein Rechtsgut bedroht. Unter innenpolitischen Gesichtspunkten würde es gemäß Hassemer eher seinen Produzenten Gewinn verschaffen. Es weist nämlich darauf hin, dass der Gesetzgeber auf die Probleme in der Gesellschaft mittels scharfer Instrumente (Strafrecht) reagiert. Zudem sei es -verglichen mit anderen Mitteln- kostengünstig. (Hassemer 2008)

Die symbolische Wirksamkeit des Strafrechts leidet, so Hiebaum, besonders unter dem Ausbleiben jener Folgen (allen voran Präventionseffekte), die man sich sonst oder in erster Linie von Strafgesetzen erwartet. Genauer gesagt: Sie würde in einer hinreichend aufgeklärten Öffentlichkeit darunter leiden. Man kann eine Tendenz vermuten: Je weniger Verurteilungen es trotz augenscheinlichen Weiterbestands der anlassgebenden Problematik gibt bzw. je öfter die "Falschen" ins Visier der Justiz geraten, desto schwächer wird das Vertrauen in die Strafrechtspflege und den Staat, der sich doch mit dem Strafrecht am nachdrücklichsten behauptet. Das heißt, hier scheint die symbolische Wirksamkeit besonders eng verknüpft zu sein mit der verlässlichen und als gerecht empfundenen Rechtsdurchsetzung. (Hiebaum 2012)

Nach Albrecht führt die mit der beschriebenen Entwicklung einhergehenden Rechtsopportunität zu einem haltlosen Rechtsbegriff, der sich gleichheitsverletzend und willkürlich darstellt. Die entstehende Individualisierung dient der Zurückweisung struktureller Verantwortlichkeit für das versagende politische System. An die Auswüchse symbolischer Gesetzgebung und der Zerbröckelung des Rechts im 21. Jahrhunderts anschließend, verwendet Albrecht auch den Begriff des sog. nach-präventiven Sicherheitsstrafrechts. Diese Form des Strafrechts strebt eine deutlich globale Herrschaftssicherung an und der Begriff der Sicherheit erfährt eindeutige Priorität vor dem Schutz und dem Respekt vor der Freiheit. Das symbolische Risikostrafrecht, so Albrecht, stellt nicht die letzte Entwicklungsstufe einer Erosion des rechtsstaatlichen Strafrechts dar. (Albrecht 2007)

Als die neue Funktion der gewandelten Strafgesetzgebung sieht Scheerer weniger die Konfliktregelung als die Statusdarstellung. Die Folge: eine Kriminalisierungswelle in den Bereichen der Moral- und Kommunikationsdelikte. (Scheerer 1985: S. 426) Scheerer meint, dass die Befürworter und Initiatoren (auch als "Moralunternehmer" bezeichnet) symbolischer Gesetzgebungsakte sich der beschränkten Wirksamkeit bewusst seien, darin jedoch eine Möglichkeit gesehen wird, entsprechende Taten in der Öffentlichkeit zu thematisieren und eine Anerkennung des Unrechts herbeizuführen. Dieser wissentlich symbolische Akt wird kritisiert.

Lauterwein betrachtet den gesamten Vorgang der Gesetzgebung (Lauterwein 2006: S. 14) und geht insbesondere auf die Bedürfnisse der Gesellschaft ein. Denn die Bevölkerung erwartet beim Auftreten sozialer Störungen eine sofortige Reaktion der Politik. Die Einführung neuer Straftatbestände ist daher eine Reaktion auf ein gesellschaftliches Ereignis. Durch die meist eilig initiierte Verabschiedung neuer Tatbestände werden kommunikative Wirkungen erzielt. Sie haben die Funktion, die Beseitigung der Ängste in der Bevölkerung bereits durch Erlass eines neuen Gesetzes zu ermöglichen, ohne dass es seine tatsächliche Funktion beweisen müsste. (Lauterwein 2006: S. 71) Indem der Staat als "stark" und "freiheitlich" dargestellt wird, entsteht in der Bevölkerung der Eindruck, der Gesetzgeber "tue etwas", wodurch die aufgebrachte Gesellschaft beruhigt werden kann. (Lauterwein 2006: S. 51) Der Wirkungsschwerpunkt des symbolischen Rechts liegt in der Sicherung der Erwartungen der Bevölkerung. (Lauterwein 2006) Weil es sich hierbei um Symbole handelt, die nicht von jedermann gleich interpretiert werden, kann der Gesetzgeber, gemäß Lauterwein, mehrere Interessen auf einmal befriedigen. Entscheidend ist hierbei die täuschende Verwendung der Symbole insofern, dass die Normadressaten an eine instrumentelle Wirkung des Gesetzes glauben. Durch diese täuschende Verwendung der Symbole steigert sich jedoch die Komplexität des sozialen Problems. Denn für den Normadressaten wird in der Regel nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber nichts zur Beseitigung des Problems beigetragen hat. Der einzige Vorteil des symbolischen Rechts liegt demnach im Sympathiegewinn des Gesetzgebers. (Lauterwein 2006: S. 71) (vgl. auch Hassemer)

Nicht unerwähnt sollte die von J.Ch. Müller (1993) durchgeführte sog. gegen-kritische Analyse bleiben. Müller zielt dabei auf die Instrumentalisierung des symbolischen Strafrechts durch seine Kritiker. Die Kritik, so Müller, dient der Verteidigung, Bewahrung und der Aufwertung des nicht-symbolischen Strafrechts. (Sack 2012: S. 71)

Im Lichte der Straftheorien:

  • Vergeltungstheorie - Die Besonderheit des symbolischen Rechts liegt darin, dass die instrumentellen Folgen hinter den kommunikativen Wirkungen zurücktreten. Symbolisches Recht ist für die Vergeltung von Verbrechen ungeeignet. (Lauterwein 2006: S. 46)
  • Spezialprävention - Der Zweck des Strafrechts besteht demnach darin, den Täter von künftigen Straftaten abzuhalten. Für die Spezialprävention ist die Bedeutung symbolischer Gesetzgebung eher gering. Denn sowohl die Sicherung als auch die Besserung des Täters lassen sich erst durch den Vollzug der Strafe erreichen, nicht bereits vor deren Androhung. Und da auch die Abschreckung sich auf die Durchführung der Strafe bezieht, sind Akte symbolischer Gesetzgebung dazu nicht geeignet, da sie die Strafe ja erst androhen. (Lauterwein 2006: S. 47)
  • Generalprävention - Stützt sich auch auf die kommunikative Wirkung von Gesetzen.
Negative Generalprävention ist die Abschreckung derer, die gefährdet sind, ähnliche Straftaten zu verüben. Symbolische Gesetze verlieren ihre abschreckende Wirkung auf die Allgemeinheit spätestens dann, wenn ihr Mangel an instrumentellen Folgen erkennbar wird. Sie können zwar eine abschreckende Wirkung auf potentielle Täter haben, diese kann aber nur von kurzer Dauer sein. (Lauterwein 2006: S. 49)
Positive Generalprävention ist die Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung. Der Aspekt des Vertrauens in die Durchsetzungskraft kann ähnlich der negativen Generalprävention langfristig für die symbolische Gesetzgebung verneint werden. Anders liegt es aber, so führt Lauterwein aus, bei der Stärkung des Vertrauens in die "Bestandskraft" der Rechtsordnung. Denn: symbolische Gesetzgebungsakte können durch ihre kommunikative Wirkung das Vertrauen in die Bestandskraft einer Rechtsordnung erhalten bzw. stärken.

Das vereinfachte Fazit lautet: "Leere Strafandrohungen" können tatgeneigte Menschen langfristig nicht abschrecken, aber trotzdem dazu beitragen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung gestärkt wird. (Lauterwein 2006: S. 51)

Weitere Folge: Symbolisches Strafrecht 2.0 - Der Einzug ins Private (nach Jasch)

Der dargestellte Wandel des Strafrechts brachte ein auf die Themen der gesellschaftlichen Großsteuerung zugeschnittenes symbolische Strafrecht hervor. In den vergangenen Jahren hat es gemäß Jasch eine weitere Verschiebung und Ausdehnung des symbolischen Strafrechts gegeben, welches er als symbolisches Strafrecht 2.0 bezeichnet.

Seine Thesen dazu:

These 1) Das symbolische Strafrecht zieht in den Bereich des Alltagslebens der Bürger ein. Diese Entwicklung, so konstatiert Jasch, läuft in Europa zeitgleich ab. Mit folgend aufgeführten Regelungen illustriert er seine These: Nachstellung gem. § 238 StGB (Stalking), Nötigung zur Eingehung einer Ehe gem. § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB, § 1631 Abs. 2 BGB (gewaltfreie Erziehung). (Jasch 2009: S. 88)

These 2) Nicht mehr die Steuerung von Großrisiken, sondern die Kontrolle von Lebensstilen in multikulturellen Gesellschaften ist die neue Form des symbolischen Strafrechts. Die entscheidende Frage lautet, ob Strafrecht das adäquate Mittel zur Lösung von vorangestellten Problemen sein kann. Diese Frage verneint Jasch und schreibt, dass wir die Zunahme dieser Art von Normen im privaten, interpersonalen Bereich womöglich deshalb erleben, weil der Gesetzgeber das Strafrecht als Mittel zur Identitätsstiftung in einer Gesellschaft entdeckt hat. Sie sollen den Bürgern Orientierung geben und kollektive Identitäten stiften in einer Epoche, in denen Gefühle von Unsicherheiten und Unverbindlichkeit für eine Vielzahl von Menschen lebensbestimmend geworden sind. (Jasch 2009: S. 91)

These 3) Als theoretischer Rahmen für eine interdisziplinäre Analyse des symbolischen Strafrechts bietet sich das Foucaultsche Konzept der Sicherheitsmechanismen an. Das Konzept der "Dispositive der Sicherheit". Bezug nehmend auf das symbolische Strafrecht führt Jasch dazu aus: Genau das ist es was symbolisches Strafrecht macht. Auf der Ebene der Gestaltung privater Beziehungen, der Lösung privater, höchstpersönlicher Konfliktlagen wird von der erwünschten Mehrheitsgesellschaft ausgegangen und Abweichungen in Form symbolischer Strafgesetze gebrandmarkt. (Jasch 2009: S. 94)

Bezug zur kritischen Kriminologie

Hassemer schreibt 1989: Und endlich hat es auch die neue Kriminologie mit Symbolen zu tun; als Variante des "Labeling Approach", der sich wiederum als Variante der "Kritischen Kriminologie" versteht, bestehen die Theoretiker des sog. "symbolischen Interaktionismus" darauf, dass Kriminalität nicht ein objektiv vorfindbares Phänomen, sondern Ergebnis eines Interaktionsgeschehens ist, an welchem der Gesetzgeber sich produktiv beteiligt und in welchem es vor allem um symbolische Etikettierung und Stigmatisierung der Betroffenen geht. (Hassemer 2008: S. 1) In Bezug auf das herangeführte Beispiel der Bildung einer terroristischen Vereinigung (vgl. Punkt 7) und der damit verbundenen Vorfeldkriminalität ist ein Gedanke von Beck dazu relevant. Beck weist auf die Gefahr hin, die dadurch entsteht, dass der Vereinigung (und ihren Mitgliedern) durch die Vorfeldstrafbarkeit ein bestimmter Zweck zugeschrieben wird, der möglicherweise nicht der Vereinigung entspricht und nicht realisiert werden sollte. Die Festlegung, so Beck, lasse eine Verwirklichung des Zwecks wahrscheinlicher werden, zumal der Gruppendruck von außen erhöht werde. Dieser Gedanke ähnelt dem in der Kriminologie verbreiteten Ansatz des "Labeling Approach", der darauf abstellt, dass Kriminalität dem Täter von außen zugeschrieben wird. (Breidenbach 2009: S. 18)

Ein weiterer der (kritischen) Kriminologie zu Grunde liegender Ansatz ist eine konstruktivistische und diskurstheoretische Perspektive. Demzufolge kommen den Diskursen (nach Bettinger) bei der Herstellung gesellschaftlicher Wirklichkeit nicht nur eine grundlegende Bedeutung zu, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Ordnungsfunktion, da Diskurse Wissen erzeugen und ordnen und diesem Wissen Bedeutungen zuweisen. Solche (symbolischen) Ordnungen werden demnach überwiegend in Diskursen gesellschaftlich produziert, legitimiert, kommuniziert und transformiert; sie haben gesellschaftlich-materiale Voraussetzungen und Folgen. (Bettinger 2011: S. 447) An diesem Prozess sind verschiedene Akteure aus unterschiedlichen Bereichen (Wissenschaft, Wirtschaft, Politik) kollektiv beteiligt. So ist es auch dem Diskurs um das symbolische Recht und die symbolische Gesetzgebung zu Eigen, das Wissen darüber zu vermitteln und "... der kriminologische Diskurs als Teil grenzziehender Machtverhältnisse betrachtet werden muss." (Bettinger 2011: S. 447) Es geht jedoch nicht nur um die Wissensproduktion in den Diskursen. In die Betrachtung muss auch einfließen, dass die traditionelle Kriminologie an den Vorgaben des Strafrechts orientiert ist. Das Strafrecht, so Bettinger, ist jedoch "unhintergehbar geschichtsgebunden und gesellschaftsabhängig. Dies bedeutet: das Strafrecht ist in allen seinen institutionellen Verästelungen und auf seinen sämtlichen Ebenen ein durch und durch politisches System von Regeln, dem es an genau jenen Eigenschaften mangelt, die für eine objektive und positivistische Wissenschaft als Bedingung ihrer Möglichkeit unverzichtbar sind (Sack 1994, Sack 1990, Sack 1972)." (Bettinger 2011: S. 448) Für die Kriminologie muss dies bedeuten "davon auszugehen, dass die Dinge, die sie untersucht, nicht so sind, wie sie zuallererst erscheinen" (Sack), und darüber hinaus Abstand genommen werden soll von den staatlichen Vorgaben des Strafrechts als zu bearbeitenden Gegenstand. Die Kriminologie muss stattdessen, wie es Sack formuliert, die gewaltigste Ordnungsmacht moderner Gesellschaften, nämlich den Staat, in den Mittelpunkt der empirischen und theoretischen Bemühungen zur Analyse von Kriminalität und ihrer Kontrolle stellen und sich hierbei nicht von der Fassade der Rechtsstaatlichkeit täuschen lassen.[sic.]" Bezüglich der täuschenden Aspekte des symbolischen Rechts gegenüber der Bevölkerung, kommt er zu der Erkenntnis: "Weil die Stellung des Gesetzgebers in einer repräsentativen Demokratie gerade von der Sympathie der Normadressaten abhängt, stellt symbolische Gesetzgebung ein ideales Mittel zum Machterhalt dar." (Lauterwein 2006: S. 72)

Jasch meint, dass die Funktion des symbolischen Strafrechts längst die politische Lenkung gesellschaftlicher Vorstellungen, sei es in Bezug auf den Umgang mit ausgewählten Subkulturen, die Grenzziehung zwischen privaten und öffentlichen Themen oder hinsichtlich der Notwendigkeit staatlicher Überwachungstechniken oder Interventionsbefugnisse. (Jasch 2009: S. 95)

Sack führt weiter aus: "Ich hege die Hoffnung auf eine schließlich gelingende Herausführung der Kriminologie aus ihrer selbstverschuldeten Bevormundung durch bzw. Unmündigkeit gegenüber dem Strafrecht und der Kriminalpolitik." (Bettinger 2011: S. 448)

Auf die Erfüllung dieser Hoffnung, aus der strafrechtlichen Bevormundung herauszutreten, wurde Sack in einem Interview erneut befragt. Darauf antwortete er: Dieser Wunsch hat sich auf eine Weise erfüllt, die ich damals nicht im Kopf hatte: Mittlerweile sind Kriminalität und Kriminalpolitik praktisch aus strafrechtlichen Zuständigkeiten entbunden, insofern all die Prinzipien, nach denen das Strafrecht mit der Kriminalität umzugehen vorgibt, verlassen sind. Man erlebt derzeit eine Renaissance der übelsten Seiten des Strafrechts. (erschienen in: Kriminologisches Journal 34, S. 41-46, 2002)

Leitspruch an den Gesetzgeber (Fürst): "Ein beschränkter Arzt, der bei jeder Gelegenheit Medikamente über Medikamente verordnet, leistet den Kranken einen denkbar schlechten Dienst." (Erasmus, übersetzt und bearbeitet von Gail 1968)

Literatur- und Quellenangaben

  • Carl Constantin Lauterwein: Symbolische Gesetzgebung - eine Untersuchung am Beispiel Strafrecht in: Junge Wissenschaft, Schriften der Hochschule für Politik in München (2006), ISBN: 3-89650-214-X;
  • Christian Hiebaum: Symbolische (Rechts-)Politik in: Die symbolische Qualität des Rechts, Kriminologisches Journal 44. Jahrgang/ Heft 4/ 2012, S. 253-263;
  • Cornelius Prittwitz: Strafrecht und Risiko, Untersuchungen zur Krise von Strafrecht und Kriminalpolitik in der Risikogesellschaft, 1993, ISBN: 978-3-4650-2587-0;
  • Daniela Klimke, Fritz Sack, Christina Schlepper: Wie der punitive turn an den deutschen Grenzen Halt machen soll, in: Politische Ökonomie und Sicherheit, Daniela Klimke/ Aldo Legnaro, (2013), ISBN 978-3-7799-2877-5;
  • Frank Bettinger: Kriminalisierung und Ausschließung In: Bernd Dollinger, Henning Schmidt-Semisch: Handbuch der Jugendkriminalität (2011) (S. 441-450), ISBN: 978-3-531-18090-8;
  • Fritz Sack: Symbolische Kriminalpolitik und wachsende Punitivität In: Bernd Dollinger, Henning Schmidt-Semisch: Handbuch der Jugendkriminalität (2011) (S. 63-91), ISBN: 978-3-531-18090-8;
  • Günter Gutsche: Legitimation und Akzeptanz neuer Sicherheitsstrategien. Wie die Sicherheitsdebatte zu einem Herrschaftswandel beitragen kann. In: Klaus Sessar: Herrschaft und Verbrechen (2008) (S. 71-107), ISBN 978-3-8258-1028-3;
  • Jae-Yoon KIM: Umweltstrafrecht in der Risikogesellschaft - Ein Beitrag zum Umgang mit abstrakten Gefährdungsdelikten (2004), ISBN: 3-86537-028-4;
  • Michael Jasch: Das Strafrecht im Wohnzimmer: Zur Entwicklung symbolischer Strafgesetze in: Estermann: Interdisziplinäre Rechtsforschung zwischen Rechtswirklichkeit, Rechtsanalyse und Rechtsgestaltung. Beiträge zum Kongress "Wie wirkt Recht?" (2008) S.82-98;
  • Peter-Alexis Albrecht: Das nach-präventive Strafrecht: Abschied vom Recht in: Peter Lang - Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt a.M. (Hrsg.) (2007) (S. 3-27), ISBN: 987-3-631-56213-0;
  • Redaktion des KrimJ und des juridikum : Editorial in: Die symbolische Qualität des Rechts, Kriminologisches Journal 44. Jahrgang/ Heft 4/ 2012, S. 247-252;
  • Sarah Breidenbach: Die strafrechtliche Bekämpfung terroristischer Vereinigungen, Analyse und Präzisierungen der §§ 129 a, 129 b StGB (2009) In.: Schriftenreihe Strafrecht in Forschung und Praxis, Band 163, ISSN: 1615-8148;
  • Sebastian Scheerer: Neue Soziale Bewegungen und Strafrecht (1985). In: Kritische Justiz 18, (S. 245-254)
  • Stephan-Georg Zacharias: Der Unrechtstatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) im Lichte des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes (2015) in: Schriftenreihe Strafrecht in Forschung und Praxis, ISSN 1615-8184;
  • Tobias Singelnstein, Peer Stolle: Die Sicherheitsgesellschaft - soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert (2012), ISBN: 987-3-531-17531-7;
  • Ulrich Beck: Risikogesellschaft auf dem Weg in einer andere Moderne (1986), ISBN 3-518-11365-8-2000-;
  • Winfried Hassemer: Strafrecht, sein Selbstverständnis, seine Welt, 2008, ISBN 978-3-8305-1527-2;
  • Winfried Hassemer: Symbolisches Strafrecht und Rechtsgüterschutz, NStZ 1989, 553;
  • Winfried Hassemer: Sicherheit durch Strafrecht in: Peter Lang - Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt a.M. (Hrsg.) (2007) (S. 99-139), ISBN: 987-3-631-56213-0;

weitere Literaturhinweise:

  • Bernd Belina: Einleitung: Kritisch-Kriminologische Zeitdiagnosen - Sicherheit, Staat und Gouvernementalität, In: Kriminologosches Journal, 10. Beiheft 2012 (Leseprobe unter http://www.beltz.de/de/nc/Verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-0990-3);
  • Christina Schlepper: Strafgesetzgebung in der Spätmoderne: eine empirische Analyse legislativer Punitivität (2013): ISBN: 978-3-658-06320-7;
  • Jens Newig: Symbolische Gesetzgebung zwischen Machtausübung und gesellschaftlicher Selbsttäuschung, In: Michelle Cottier u.a.: Wie wirkt Recht? zum Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen, Luzern, 2008, S. 301-322;
  • Jochen Dreher: Zur Wirkungsweise von Kollektivsymbolik im Recht - Symbolische Macht und "Klassenjustiz", , In: Michelle Cottier: Wie wirkt Recht? zum Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen, Luzern, 2008, S. 323-345;
  • Kai Thorsten Barisch: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch § 129 b StGB (2008/2009), ISBN: 978-3-428-13076-4;