Broken Windows: Unterschied zwischen den Versionen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
1.569 Bytes hinzugefügt ,  20:05, 24. Feb. 2008
Zeile 46: Zeile 46:
==Kritische Stimmen in der Literatur==
==Kritische Stimmen in der Literatur==


Gegen solche Bestrebungen wurden in der einschlägigen Literatur zumeist kritische Beiträge veröffentlicht. Vielfach findet sich der Hinweis, dass es keinen empirischen Beleg für die Theorie der Broken Windows gebe; das Zimbardo -Experiment sei jedenfalls nicht repräsentativ. Auch berücksichtige bisher keine deutsche Studie neben individuellen Prädikatoren auch sozialräumliche Kontextvariablen im Rahmen einer Mehrebenenanalyse. Überdies seien die angewendeten Mittel wie Freiheitsentzug auch bei geringfügiger Störung aus deutscher Sicht unverhältnismäßig. Schließlich wird geäußert, dass das New Yorker Modell nicht an den wirklichen Ursachen von Kriminalität ansetze, nämlich Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Sozialisationsdefizite in der Familie), sondern lediglich die Symptome behandele.
Gegen solche Bestrebungen wurden in der einschlägigen Literatur zumeist kritische Beiträge veröffentlicht. Vielfach findet sich der Hinweis, dass es keinen empirischen Beleg für die Theorie der Broken Windows gebe; das Zimbardo -Experiment sei jedenfalls nicht repräsentativ. Auch berücksichtige bisher keine deutsche Studie neben individuellen Prädikatoren auch sozialräumliche Kontextvariablen im Rahmen einer Mehrebenenanalyse. Überdies seien die angewendeten Mittel wie Freiheitsentzug auch bei geringfügiger Störung aus deutscher Sicht unverhältnismäßig. Schließlich wird angemerkt, dass das New Yorker Modell nicht an den wirklichen Ursachen von Kriminalität ansetze, nämlich Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Sozialisationsdefizite in der Familie), sondern lediglich die Symptome behandele.




''Laue (1999, S. 280 f.)'' weist überdies darauf hin, dass Zimbardo selbst aus seinem Experiment weitaus diffenziertere Schlussfolgerungen gezogen habe als Kelling und Willson dies getan hätten. Nach Zimbardo reichten die ''releaser cues'', also die Hinweise, dass das Auto von seinem Besitzer aufgegeben worden sei, für Palo Alto im Gegensatz zu New York nicht aus, um Passanten zu Plünderungen und Vandalismus zu motivieren. Notwendig zur Initiierung solcher Vandalismusakte sei an erster Stelle ein Klima der Anonymität und erst an zweiter Stelle ''releaser cues''. Wo -wie in Palo Alto- ein Klima der Anonymität nicht herrsche, seien weitaus deutlichere ''releaser cues'' notwendig. Wichtiger sei aber, dass die auslösende Anonymität geschaffen werde, etwa durch eine große Menschenmenge oder den Schutz der Nacht.
''Laue (1999, S. 280 f.)'' erläutert, dass Zimbardo selbst aus seinem Experiment weitaus diffenziertere Schlussfolgerungen gezogen habe als Kelling und Willson dies getan hätten. Nach Zimbardo reichten die ''releaser cues'', also die Hinweise, dass das Auto von seinem Besitzer aufgegeben worden sei, für Palo Alto im Gegensatz zu New York nicht aus, um Passanten zu Plünderungen und Vandalismus zu motivieren. Notwendig zur Initiierung solcher Vandalismusakte sei an erster Stelle ein Klima der Anonymität und erst an zweiter Stelle ''releaser cues''. Wo -wie in Palo Alto- ein Klima der Anonymität nicht herrsche, seien weitaus deutlichere ''releaser cues'' notwendig. Wichtiger sei aber, dass die auslösende Anonymität geschaffen werde, etwa durch eine große Menschenmenge oder den Schutz der Nacht.


Außerdem gehe die Broken-Windows-Theorie davon aus, dass nach Zerstörung eines Teils weitere Teile, also etwa alle Autos in einer Straße, zerstört würden. Das Zimbardo-Experiment habe aber lediglich gezeigt, dass nur das eine, offenbar verlassene Auto zerstört worden sei und eben nicht auch noch ein benachbartes Fahrzeug ''(S. 282)''.
Außerdem gehe die Broken-Windows-Theorie davon aus, dass nach Zerstörung eines Teils weitere Teile, also etwa alle Autos in einer Straße, zerstört würden. Das Zimbardo-Experiment habe aber lediglich gezeigt, dass nur das eine, offenbar verlassene Auto zerstört worden sei und eben nicht auch noch ein benachbartes Fahrzeug ''(S. 282)''.
Zeile 57: Zeile 57:




''Volkmann (1999, S. 227 f.)'', ''Hess (2004, S. 89 ff.)'' und ''Walter (1998, S. 357 f.)'' erläutern, dass in den USA bereits seit 1993 sinkende Kriminalitätszahlen verzeichnet worden seien. Es handele sich also um ein nationales Phänomen, das nicht unbedingt auf die damalige örtliche Sicherheitpolitik zurückzuführen sei. Man müsse hier bezüglich New York auch Alternativerklärungen überprüfen. Genannt werden z.B. demographische Veränderungen, Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, Veränderungen auf dem Drogenmarkt, eine hohe Einsperrungsrate, private Sicherungsmaßnahmen und die Reform eines zuvor korrupten und verwahrlosten Polizeiapparats.
''Volkmann (1999, S. 227 f.)'', ''Hess (2004, S. 89 ff.)'' und ''Walter (1998, S. 357 f.)'' erläutern, dass in den USA bereits seit 1993 sinkende Kriminalitätszahlen verzeichnet worden seien. Es handele sich also um ein nationales Phänomen, das nicht unbedingt auf die damalige örtliche Sicherheitpolitik zurückzuführen sei.


Insbesondere ''Hess (a.a.O.)'' erläutert, dass für den Rückgang der Kriminalitätszahlen alternative Ursachen erwogen werden müssten.
So sei das Sinken der Kriminalität möglicherweise auf einen demographischen Wandel zurückzuführen. Die "Baby-Boom"-Generation sei inzwischen über das am stärksten kriminalitätsbelastete Alter hinaus; mit den sinkenden Zahlen von Jugendlichen und Heranwachsenden sinke naturgemäß auch die Kriminalität.
Ferner sei -wie bereits gesagt- der Rückgang der Kriminalität ein nationales Phänomen in den U.S.A., das sich foglich auch in New York zeige.
Auch könne man den Rückgang durch einen "Incapacitation"-Effekt erklären. Immerhin habe sich seit 1985 die Population in den Gefängnissen verdoppelt.
Außerdem sei zu bedenken, dass statt der agggressionsfördernden Droge Crack nun eher Heroin konsumiert werde, das die Aggressivität nicht so sehr fördere.
Weiter wird vermutet, dass der Rückgang im Zusammenhang mit Drogen darauf zurückzuführen sei, dass die mit Gewalt und brutalten Auseinandersetzungen verbundene erste Phase der Entwicklung und Etablierung eines Crackmarktes in New York abgeschlossen sei. In der zweiten Phase der Konsolidierung und Stabilisierung des Crackmarktes gebe es weniger Gewalt, weil keine Kämpfe um Marktanteile mehr geführt werden müssten. (Anzumerken ist diesbezüglich, dass die Annahme den allgemeinen Rückgang verschiedener Kriminalitätsformen nicht zu erklären vermag.)
Schließlich könne der Rückgang damit erklärt werden, dass potentiell betroffene Bürger durch Nachbarschaftsinitiativen innerhalb ihres Viertels dafür sorgen würden, dass die soiale Kontrolle zu- und die Kriminalität abnehme. Diese Erklärung widerspreche indes nicht dem Argument, dass die Polizeipolitik den Rückgang der Kriminalität versursacht habe. Denn deren Bemühungen seien auch darauf ausgerichtet gewesen, die Bildung von "Bürgerwachen" oder Initiativen von Geschäftsleuten in Einkaufsstraßen zufördern.


Was die Debatte in Deutschland anbelangt, nach dem Vorbild der Zero Tolerance vorzugehen, um den Anfängen zu wehren, vertritt ''Kühne (2002, S. 20 f.)'' die Ansicht, dass es dessen nicht bedürfe. Es genüge vielmehr, sich auf das gute, alte Legalitätsprinzip zu berufen. Zudem verkenne eine solche Diskussion, dass die Verfahrenswirklichkeit seit jeher vom Opportunitätsprinzip regiert werde. Würden die Staatsanwaltschaften nicht rund 60% aller Verfahren einstellen, wäre die Justiz im Strafrechtsbereich schon längst zusammengebrochen. Schließlich müsse man bei derartigen Debatten auch immer im Auge haben, dass in New York selbst nach dem Rückgang der Kriminalitätszahlen Zustände bestünden, die bei uns als überaus besorgniserregend angesehen würden. Selbst nach Halbierung der Rate der Tötungsdelikte in New York sei diese immer noch 15-fach höher als der entsprechende deutsche Wert.
 
 
Was die Debatte in Deutschland anbelangt, nach dem Vorbild der Zero Tolerance vorzugehen, um den Anfängen zu wehren, vertritt ''Kühne (2002, S. 20 f.)'' die Ansicht, dass es dessen nicht bedürfe. Eine solche Diskussion verkenne, dass die Verfahrenswirklichkeit seit jeher vom Opportunitätsprinzip regiert werde. Würden die Staatsanwaltschaften nicht rund 60% aller Verfahren einstellen, wäre die Justiz im Strafrechtsbereich schon längst zusammengebrochen. Schließlich müsse man bei derartigen Debatten auch immer im Auge haben, dass in New York selbst nach dem Rückgang der Kriminalitätszahlen Zustände bestünden, die bei uns als überaus besorgniserregend angesehen würden. Selbst nach Halbierung der Rate der Tötungsdelikte in New York sei diese immer noch 15-fach höher als der entsprechende deutsche Wert.


==Literatur==
==Literatur==
178

Bearbeitungen

Navigationsmenü