Edwin Sutherland: Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 37: Zeile 37:
Der professionelle Dieb ist sehr freundlich. Ein Dieb warnt nicht nur andere Diebe vor der Gefahr, sondern er vermeidet auch Dinge, die andere Diebe in Gefahr bringen, sie helfen einander bei Schwierigkeiten. Diebe lassen sich selten von persönlichen Gefühlen beeinflussen. Sie sind alle vereint verbunden gegenüber den Strafverfolgungsbehörden.   
Der professionelle Dieb ist sehr freundlich. Ein Dieb warnt nicht nur andere Diebe vor der Gefahr, sondern er vermeidet auch Dinge, die andere Diebe in Gefahr bringen, sie helfen einander bei Schwierigkeiten. Diebe lassen sich selten von persönlichen Gefühlen beeinflussen. Sie sind alle vereint verbunden gegenüber den Strafverfolgungsbehörden.   


Der professionelle Dieb lebt in der Unterwelt, zeigt sich verständnisvoll und hat exellente Beziehungen. Da die Unterwelt eine exklusive Gesellschaft ist, ist es notwendig, dass der Fremde identifiziert wird, bevor er eingelassen wird. Die besondere Sprache der Unterwelt ist beispielsweise ein Beleg für die Isolation und Identifikation.   
Der professionelle Dieb lebt in der Unterwelt, zeigt sich verständnisvoll und hat exzellente Beziehungen. Da die Unterwelt eine exklusive Gesellschaft ist, ist es notwendig, dass der Fremde identifiziert wird, bevor er eingelassen wird. Die besondere Sprache der Unterwelt ist beispielsweise ein Beleg für die Isolation und Identifikation.   


Differentielle Kontakte bestimmen wer zum professionellen Dieb wird.  
Differentielle Kontakte bestimmen wer zum professionellen Dieb wird.  
Zeile 59: Zeile 59:
'''Kritik'''  
'''Kritik'''  


Empirisch ist die Theorie nur schwer zu überprüfen, da Sutherland keine genauen Angaben dazu macht, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte beschaffen sein müssen, damit sie die gegenläufigen, konformes Verhalten begünstigenden Kontakte überwiegen. Der vage Hinweis auf „Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität“ lasst offen, wie sich diese Kategorien zueinander verhalten. Auch in theoretischer Hinsicht ist die Theorie Einwänden ausgesetzt, denn sie lässt offen, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte zustande kommen. Sozialstrukturelle Aspekte, wie sie insbersondere von der Anomietheorie thematisiert worden sind, werden von Sutherland vernachlässigt. Zudem fällt es schwer, mit Sutherlands Theorie die Kriminalität von solchen Tätern zu erklären, die allenfalls über geringe Kontakte zum kriminalitätsbegünstigenden Milieu verfügen; angesprochen ist insbesondere der Bereich der Wirtschaftskriminalität, der wesentlich durch rein ökonomische Überlegungen und Gewinnerwartungen geprägt ist. Der gewichtigste Einwand, der sich aus heutiger Sicht gegen Sutherlands Theorie erheben lässt, geht indessen dahin, dass ihr jeder Bezug zu den Prinzipien fehlt, die die allgemeine Lernpsychologie  zur Erklärung von Lernvorgängen entwickelt hat. Diesem Einwand trägt erst die erst später entwickelte Theorie des sozialen Lernens von Akers Rechnung.  
Empirisch ist die Theorie nur schwer zu überprüfen, da Sutherland keine genauen Angaben dazu macht, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte beschaffen sein müssen, damit sie die gegenläufigen, konformes Verhalten begünstigenden Kontakte überwiegen. Der vage Hinweis auf „Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität“ lässt offen, wie sich diese Kategorien zueinander verhalten. Auch in theoretischer Hinsicht ist die Theorie Einwänden ausgesetzt, denn sie lässt offen, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte zustande kommen. Sozialstrukturelle Aspekte, wie sie insbersondere von der Anomietheorie thematisiert worden sind, werden von Sutherland vernachlässigt. Zudem fällt es schwer, mit Sutherlands Theorie die Kriminalität von solchen Tätern zu erklären, die allenfalls über geringe Kontakte zum kriminalitätsbegünstigenden Milieu verfügen; angesprochen ist insbesondere der Bereich der Wirtschaftskriminalität, der wesentlich durch rein ökonomische Überlegungen und Gewinnerwartungen geprägt ist. Der gewichtigste Einwand, der sich aus heutiger Sicht gegen Sutherlands Theorie erheben lässt, geht indessen dahin, dass ihr jeder Bezug zu den Prinzipien fehlt, die die allgemeine Lernpsychologie  zur Erklärung von Lernvorgängen entwickelt hat. Diesem Einwand trägt die erst später entwickelte Theorie des sozialen Lernens von Akers Rechnung.  


'''Weiterentwicklung'''  
'''Weiterentwicklung'''  


Diese Erkenntnissen wurde vielfach fortgeführt. C. Ray Jeffery und Ronald L. Akers formulieren die "Therorie des sozialen Lernens" indem sie an Sutherland Theorie ankknüpften und die Frage stellten, wie gelernt wird. Sie nehmen dafür auf die Prinzipien Bezug, die die allgemeine Lernpychologie zur Erklärung von Lernvorgängen entwickelt hat.  
Diese Erkenntnissen wurde vielfach fortgeführt. C. Ray Jeffery und Ronald L. Akers formulierten die "Therorie des sozialen Lernens" indem sie an Sutherland Theorie anknüpften und die Frage stellten, wie gelernt wird. Sie nehmen dafür Bezug auf die Prinzipien, die die allgemeine Lernpychologie zur Erklärung von Lernvorgängen entwickelt hat.  


Die "Therorie der Neutralisationstechniken" von Gresham Sykes und David Matza greift die Frage auf, was gelernt werden muss? Sie knüpft dabei an Sutherlands Begriff der "Rationlalisierung" an, die hier "Neutralisierung" genannt wird. Die Antwort wird in den subjektiven Rechtsfertigungen (Ausreden), den Neutralisationstechniken gesehen.   
Die "Therorie der Neutralisationstechniken" von Gresham Sykes und David Matza greift die Frage auf, was gelernt werden muss? Sie knüpft dabei an Sutherlands Begriff der "Rationlalisierung" an, die hier "Neutralisierung" genannt wird. Die Antwort wird in den subjektiven Rechtfertigungen (Ausreden), den Neutralisationstechniken gesehen.   


Ebenso folgten zahlreiche Weiterentwicklungen Sutherlands Theorie mit entsprechenden Theorien. Beispielsweise schufen Albert K. Cohen, Richard A. Cloward, und Lloyd E. Ohlin die "Theorie vom straffälligen Bandenverhalten" durch die Kombination der "Theorie differentiellen Kontakte" mit Robert K. Mertons "Anomietheorie".  
Ebenso folgten zahlreiche Weiterentwicklungen Sutherlands Theorie mit entsprechenden Theorien. Beispielsweise schufen Albert K. Cohen, Richard A. Cloward, und Lloyd E. Ohlin die "Theorie vom straffälligen Bandenverhalten" durch die Kombination der "Theorie differentiellen Kontakte" mit Robert K. Mertons "Anomietheorie".  
Zeile 73: Zeile 73:
'''Inhalt'''  
'''Inhalt'''  


In dem 1939 gehaltenen Vortrag zur Wahl des Präsidenten der Amerikanischen Soziologischen Gesellschaft wies Edwin Sutherland darauf hin, dass Straftaten nicht nur von Unterschicht-, sondern auch von Mittel- und Oberschichtangehörigen begangen würden – den Straftätern mit einem „weißen Kragen“. In seinem letzten großen Buch "White Collar Crime" (1949) analysierte der die Verbrechen, die von amerikanischen Unternehmen und Führungskräften begangen wurden und wies auf Verzerrungen in der Kriminalstatistik hin. Das Verständnis und die Erklärung von Kriminalität seien unvollständig und verzerrt, wenn die Kriminalität dieser Tätergruppe in der Kriminologie nicht berücksichtigt würde.  
In dem 1939 gehaltenen Vortrag zur Wahl des Präsidenten der Amerikanischen Soziologischen Gesellschaft wies Edwin Sutherland darauf hin, dass Straftaten nicht nur von Unterschicht-, sondern auch von Mittel- und Oberschichtangehörigen begangen würden – den Straftätern mit einem „weißen Kragen“. In seinem letzten großen Buch "White Collar Crime" (1949) analysierte er die Verbrechen, die von amerikanischen Unternehmen und Führungskräften begangen wurden und wies auf Verzerrungen in der Kriminalstatistik hin. Das Verständnis und die Erklärung von Kriminalität seien unvollständig und verzerrt, wenn die Kriminalität dieser Tätergruppe in der Kriminologie nicht berücksichtigt würde.  


Als „white collar crime“ bezeichnete Sutherland die Straftaten, die von „Personen mit hohem Status im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit“ begangen würden. Dabei handelte es sich jedoch um keine trennscharfe Definition, sondern eher um ein heuristisches Konzept, das auf die besondere Bedeutung des bis dahin von der Kriminologie vernachlässigten Gegenstandsbereichs aufmerksam machen sollte. Sutherland ging es in erster Linie darum, der Kriminalität der „kleinen Leute“ die Kriminalität der wirtschaftlich und sozial Mächtigen gegenüber zu stellen und damit ein schichtadäquates Gleichgewicht in der kriminologischen Betrachtung herzustellen; die begrifflich-konzeptionelle Durchdringung der Materie war ihm weniger wichtig.
Als „white collar crime“ bezeichnete Sutherland die Straftaten, die von „Personen mit hohem Status im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit“ begangen würden. Dabei handelte es sich jedoch um keine trennscharfe Definition, sondern eher um ein heuristisches Konzept, das auf die besondere Bedeutung des bis dahin von der Kriminologie vernachlässigten Gegenstandsbereichs aufmerksam machen sollte. Sutherland ging es in erster Linie darum, der Kriminalität der „kleinen Leute“ die Kriminalität der wirtschaftlich und sozial Mächtigen gegenüber zu stellen und damit ein schichtadäquates Gleichgewicht in der kriminologischen Betrachtung herzustellen; die begrifflich-konzeptionelle Durchdringung der Materie war ihm weniger wichtig.
Zeile 79: Zeile 79:
'''Kritik'''  
'''Kritik'''  


Aus heutiger Sicht ist Sutherlands Bergriffsbestimmung einerseits zu weit geraten, da sie ohne weitere Differenzierung alle Straftaten erfasst, die von den Angehörigen der prestigeträchtigen Berufe begangen werden, auch wenn sie keinen Bezug zum Wirtschaftsleben aufweisen (bspw. den Prozessbetrug eines Rechtsanwaltes oder den strafbaren Kunstfehler eines Arztes). Andererseits ist sie für die vollständige Erfassung der Wirtschaftkriminalität zu eng, da sie mit der Beschränkung auf die Kriminalität der sozial mächtigen Täter diejenigen Täter aus der Betrachtung ausschließt, die in der Unternehmenshierarchie unterhalb der Führungsebene tätig sind und in Ausübung ihres Berufes Delikte mit Bezug zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens begehen (z.B. Bestechlichkeit und Bestechung im mittleren Management). Sutherlands Definition hat sich deshalb in der Kriminologie nicht durchsetzen können.
Aus heutiger Sicht ist Sutherlands Bergriffsbestimmung einerseits zu weit geraten, da sie ohne weitere Differenzierung alle Straftaten erfasst, die von den Angehörigen der prestigeträchtigen Berufe begangen werden, auch wenn sie keinen Bezug zum Wirtschaftsleben aufweisen (bspw. den Prozessbetrug eines Rechtsanwaltes oder den strafbaren Kunstfehler eines Arztes). Andererseits ist sie für die vollständige Erfassung der Wirtschaftkriminalität zu eng, da sie mit der Beschränkung auf die Kriminalität der sozial mächtigen Täter diejenigen Täter aus der Betrachtung ausschließt, die in der Unternehmenshierarchie unterhalb der Führungsebene tätig sind und in Ausübung ihres Berufes Delikte mit Bezug zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens begehen (z. B. Bestechlichkeit und Bestechung im mittleren Management). Sutherlands Definition hat sich deshalb in der Kriminologie nicht durchsetzen können.


'''Neuere Ansätze'''  
'''Neuere Ansätze'''  


Neuere Konzepte bemühen sich darum, [[Wirtschaftskriminalität]] nicht von der Person her zu definieren (Täter mit „weißem Kragen“), sondern an das Verhalten anzuknüpfen, da einen Vorgang zu einem Gegenstand von wirtschaftskriminologischem Interesse macht. Die neuere amerikanische Kriminologie unterscheidet dabei meist zwischen Straftaten, die im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen und Verbänden begangen werden (corporate crimes), und Straftaten, die aus Eigennutz im Kontext der Berufsausübung begangen werden (occupational crimes).
Neuere Konzepte bemühen sich darum, [[Wirtschaftskriminalität]] nicht von der Person her zu definieren (Täter mit „weißem Kragen“), sondern an das Verhalten anzuknüpfen, der einen Vorgang zu einem Gegenstand von wirtschaftskriminologischem Interesse macht. Die neuere amerikanische Kriminologie unterscheidet dabei meist zwischen Straftaten, die im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen und Verbänden begangen werden (corporate crimes), und Straftaten, die aus Eigennutz im Kontext der Berufsausübung begangen werden (occupational crimes).


== Bedeutung ==
== Bedeutung ==
Zeile 93: Zeile 93:
"Edwin H. Sutherland war in der Kriminologie, wie Albert Einstein in der Physik. Er hat eine ganze Disziplin verwandelt."  
"Edwin H. Sutherland war in der Kriminologie, wie Albert Einstein in der Physik. Er hat eine ganze Disziplin verwandelt."  


Mehrerer seiner Dokoranten wurden ebenso einflussreiche Kriminologen, wie Donald R. Cressey, Lloyd Ohlin, Mary Owen Camer, Albert K. Cohen und Karl Schuessler.  
Mehrerer seiner Doktoranten wurden ebenso einflussreiche Kriminologen, wie Donald R. Cressey, Lloyd Ohlin, Mary Owen Camer, Albert K. Cohen und Karl Schuessler.  


In der Anerkennung seiner, verleiht die "Amerikanischen Gesellschaft der Kriminologie" einen Preis, der seinen Namen trägt.  
In der Anerkennung seiner, verleiht die "Amerikanischen Gesellschaft der Kriminologie" einen Preis, der seinen Namen trägt.  
Zeile 127: Zeile 127:
Sutherland E./Cressey D. R./Luckenbill, D. F. (1992), Principles of Criminology, 11. Auflage, S. 88 ff.  
Sutherland E./Cressey D. R./Luckenbill, D. F. (1992), Principles of Criminology, 11. Auflage, S. 88 ff.  


Sutherland E., ASR 5 (1940), 1 ff.  
Sutherland E., (1940) ASR 5, S. 1 ff.  


 


== Weblinks ==
== Weblinks ==
81

Bearbeitungen