Marburger Programm: Unterschied zwischen den Versionen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
4 Bytes hinzugefügt ,  22:21, 8. Mär. 2012
Zeile 25: Zeile 25:
Von Liszt unterschied in seinem Werk drei verschiedene Wirkungen von Strafen. Dabei handelte es sich erstens um die Besserung, unter der die Festigung altruistischer sozialer Motive zu verstehen sei. Als zweiten Punkt führte er die Abschreckung an, mit der zwar die egoistischen Motive gefestigt würden, die in ihrer Folge aber eine gemeinnützige Wirkung habe. Letztlich wurde noch die Unschädlichmachung, d.h. die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft, aufgeführt. Diesen drei Strafformen entsprächen auch drei Kategorien von Verbrechern, nämlich die Besserungsfähigen/Besserungsbedürftigen, die gebessert werden sollen, die nicht Besserungsbedürftigen, die abgeschreckt werden sollen und die nicht Besserungsfähigen, die unschädlich gemacht werden müssten. Die „nicht Besserungsfähigen“ bezeichnete von Liszt als Gewohnheitsverbrecher, verstand hierunter allerdings den grundsätzlichen Gegner der Rechts-/Gesellschaftsordnung. Der Rückfallstatistik entnahm von Liszt, dass es sich bei mindestens der Hälfte aller Gefängnisinsassen um unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher, die überwiegend Eigentums- und Sittlichkeitsdelikte begehen, handelte. Für diese Spezies forderte er Einsperrung auf Lebenszeit ab der dritten Verurteilung in besonderen Anstalten wie Zuchthäusern bei gleichzeitigem Arbeitszwang und Prügelstrafe. Für die Besserungsbedürftigen, noch bekehrbaren „Anfänger auf der Verbrecherlaufbahn“ legte er sich ab der ersten Begehung einer strafbaren Handlung in den Bereichen Eigentums- und Sittlichkeitsdelikten auf die Abgabe in eine Besserungsanstalt nicht unter einem Jahr fest, um durch umfangreiche Resozialisierungsmaßnahmen auf  den Verbrecher bessernd einwirken zu können. Die Gelegenheitsverbrecher wurden als „episodisch auftretende Täter“ beschrieben, die zu ihrer Tat meist durch äußere Einflüsse gebracht worden seien und eine geringe Rückfallwahrscheinlichkeit aufweisen würden. Für diese Gruppe schlug von Liszt das Verpassen eines Denkzettels in Form einer geringen Freiheitsstrafe nicht unter 6 Wochen oder ersatzweise Geldstrafe vor.
Von Liszt unterschied in seinem Werk drei verschiedene Wirkungen von Strafen. Dabei handelte es sich erstens um die Besserung, unter der die Festigung altruistischer sozialer Motive zu verstehen sei. Als zweiten Punkt führte er die Abschreckung an, mit der zwar die egoistischen Motive gefestigt würden, die in ihrer Folge aber eine gemeinnützige Wirkung habe. Letztlich wurde noch die Unschädlichmachung, d.h. die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft, aufgeführt. Diesen drei Strafformen entsprächen auch drei Kategorien von Verbrechern, nämlich die Besserungsfähigen/Besserungsbedürftigen, die gebessert werden sollen, die nicht Besserungsbedürftigen, die abgeschreckt werden sollen und die nicht Besserungsfähigen, die unschädlich gemacht werden müssten. Die „nicht Besserungsfähigen“ bezeichnete von Liszt als Gewohnheitsverbrecher, verstand hierunter allerdings den grundsätzlichen Gegner der Rechts-/Gesellschaftsordnung. Der Rückfallstatistik entnahm von Liszt, dass es sich bei mindestens der Hälfte aller Gefängnisinsassen um unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher, die überwiegend Eigentums- und Sittlichkeitsdelikte begehen, handelte. Für diese Spezies forderte er Einsperrung auf Lebenszeit ab der dritten Verurteilung in besonderen Anstalten wie Zuchthäusern bei gleichzeitigem Arbeitszwang und Prügelstrafe. Für die Besserungsbedürftigen, noch bekehrbaren „Anfänger auf der Verbrecherlaufbahn“ legte er sich ab der ersten Begehung einer strafbaren Handlung in den Bereichen Eigentums- und Sittlichkeitsdelikten auf die Abgabe in eine Besserungsanstalt nicht unter einem Jahr fest, um durch umfangreiche Resozialisierungsmaßnahmen auf  den Verbrecher bessernd einwirken zu können. Die Gelegenheitsverbrecher wurden als „episodisch auftretende Täter“ beschrieben, die zu ihrer Tat meist durch äußere Einflüsse gebracht worden seien und eine geringe Rückfallwahrscheinlichkeit aufweisen würden. Für diese Gruppe schlug von Liszt das Verpassen eines Denkzettels in Form einer geringen Freiheitsstrafe nicht unter 6 Wochen oder ersatzweise Geldstrafe vor.
==Kritik==
==Kritik==
Der deutsche Rechtswissenschaftler [[Karl von Birkmeyer]] merkte 1907 in seiner Schrift „Was lässt von Liszt vom Strafrecht übrig? kritisch an, dass sein Festhalten am Strafrecht inkonsequent sei. Da von Liszt die Gesinnung des Täters zum ausschlaggebenden Punkt erklärt, müsse eingeschritten werden, bevor die Tat begangen worden sei. Weiterhin kritisiert er, dass der Strafe bei der Bekämpfung des Verbrechens durch die Ablehnung der Vergeltungsstrafe und Forderung der zweckorientierten Schutzstrafe eine untergeordnete Rolle zukäme.
Der deutsche Rechtswissenschaftler [[Karl von Birkmeyer]] merkte 1907 in seiner Schrift „Was lässt von Liszt vom Strafrecht übrig? kritisch an, dass sein Festhalten am Strafrecht inkonsequent sei. Da von Liszt die Gesinnung des Täters zum ausschlaggebenden Punkt erklärt, müsse eingeschritten werden, bevor die Tat begangen worden sei. Weiterhin kritisierte er, dass der Strafe bei der Bekämpfung des Verbrechens durch die Ablehnung der Vergeltungsstrafe und Forderung der zweckorientierten Schutzstrafe eine untergeordnete Rolle zukäme.
   
   
[[Wolfgang Naucke]] kritisierte 1982 in seinem Aufsatz über die „Kriminalpolitik des Marburger Programms“ den unbestimmten Umgang mit den Autoritäten, die lückenhafte und vereinfachte Wiedergabe von Kants und Hegels Gedanken sowie der Geschichte des Strafrechts, die seines Erachtens zu einseitige und absolute Darstellung der Evolutionslehre, die den Boden für das Marburger Programm bereitet habe und zu emotionale Untertöne in einer eher bürokratisch gehaltenen Abhandlung. Im Hinblick auf das Marburger Programm in der NS-Zeit legte Naucke dar, dass dieses keine Regeln enthalte, für wen es gelten solle, d.h. selbst die Nationalsozialisten, die nur den Gedanken des Wegsperrens bzw. Vernichtens der Unverbesserlichen aufgriffen, konnten somit mit dem zum Zeitpunkt des Erscheinens des Marburger Programms als liberal und sozial geltenden von Liszt in Zusammenhang gebracht werden. Weiterhin machte Naucke auf die Abhängigkeit der sozialen und liberalen Form der Verbrechensbekämpfung von günstigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umständen aufmerksam.
[[Wolfgang Naucke]] kritisierte 1982 in seinem Aufsatz über die „Kriminalpolitik des Marburger Programms“ den unbestimmten Umgang mit den Autoritäten, die lückenhafte und vereinfachte Wiedergabe von Kants und Hegels Gedanken sowie der Geschichte des Strafrechts, die seines Erachtens zu einseitige und absolute Darstellung der Evolutionslehre, die den Boden für das Marburger Programm bereitet habe und zu emotionale Untertöne in einer eher bürokratisch gehaltenen Abhandlung. Im Hinblick auf das Marburger Programm in der NS-Zeit legte Naucke dar, dass dieses keine Regeln enthalte, für wen es gelten solle, d.h. selbst die Nationalsozialisten, die nur den Gedanken des Wegsperrens bzw. Vernichtens der Unverbesserlichen aufgriffen, konnten somit mit dem zum Zeitpunkt des Erscheinens des Marburger Programms als liberal und sozial geltenden von Liszt in Zusammenhang gebracht werden. Weiterhin machte Naucke auf die Abhängigkeit der sozialen und liberalen Form der Verbrechensbekämpfung von günstigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umständen aufmerksam.
   
   
Anders als von Liszt ging der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, [[Winfried Hassemer]], von der Indeterminiertheit und damit von einem freien Willen des Täters und dessen Verantwortlichkeit aus und begründete seine Auffassung mit dem in unserer Kultur vorherrschenden Grundsatz von Personalität und Menschenwürde. Bezogen auf das materielle Strafrecht würde der Grundsatz der Menschenwürde im Prinzip der subjektiven Zurechnung wirksam und diese begründe die Schuld. Im Gegensatz zu Hassemer ging von Liszt, der zwar auch von „subjektiven Gesichtspunkten“ sprach und letztendlich ein subjektivistisches Täter- und Gesinnungsstrafrecht forderte, von physiologisch begründeten psychologischen Momenten der Eigenart des Täters aus. Hierzu zählte er Triebe, Süchte aber auch „Überzeugungstreue“, worunter er die aus grundsätzlicher Ablehnung gegenüber der herrschenden Rechtsordnung handelnden Gewohnheitstäter fasste.
Anders als von Liszt ging der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, [[Winfried Hassemer]], von der Indeterminiertheit und damit von einem freien Willen des Täters und dessen Verantwortlichkeit aus und begründete seine Auffassung mit dem in unserer Kultur vorherrschenden Grundsatz von Personalität und Menschenwürde. Bezogen auf das materielle Strafrecht würde der Grundsatz der Menschenwürde im Prinzip der subjektiven Zurechnung wirksam und diese begründe die Schuld. Im Gegensatz zu Hassemer ging von Liszt, der zwar auch von „subjektiven Gesichtspunkten“ sprach und letztendlich ein subjektivistisches Täter- und Gesinnungsstrafrecht forderte, von physiologisch begründeten psychologischen Momenten in der Eigenart des Täters aus. Hierzu zählte er Triebe, Süchte aber auch „Überzeugungstreue“, worunter er die aus grundsätzlicher Ablehnung gegenüber der herrschenden Rechtsordnung handelnden Gewohnheitstäter fasste.


==Auswirkungen und kriminologische Relevanz ==
==Auswirkungen und kriminologische Relevanz ==
66

Bearbeitungen

Navigationsmenü