Strafzurückstellung: Unterschied zwischen den Versionen

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Gänzlich neu wurde der Umgang mit drogenabhängigen Straftätern geregelt, für den eigens der 7. Abschnitt in das Gesetz eingefügt wurde. Hierbei setzte sich die Grundhaltung durch, die [[Sucht]] des Straftäters im Kontext des Resozialisierungsgedankens zu betrachten. Dabei sollte die Betäubungsmittelabhängigkeit fortan als eine behandlungsbedürftige Krankheit gesehen werden und der Straftäter, unter Androhung einer [[Strafe]] bzw. Strafverfolgung, zu einer Therapie bewegt werden.  
Gänzlich neu wurde der Umgang mit drogenabhängigen Straftätern geregelt, für den eigens der 7. Abschnitt in das Gesetz eingefügt wurde. Hierbei setzte sich die Grundhaltung durch, die [[Sucht]] des Straftäters im Kontext des Resozialisierungsgedankens zu betrachten. Dabei sollte die Betäubungsmittelabhängigkeit fortan als eine behandlungsbedürftige Krankheit gesehen werden und der Straftäter, unter Androhung einer [[Strafe]] bzw. Strafverfolgung, zu einer Therapie bewegt werden.  
So konnte unter bestimmten Voraussetzungen bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern bereits von der Erhebung einer öffentlichen Klage abgesehen werden (§ 37 BtMG), sofern sie zusagten, sich in eine Therapie zu begeben. Durch diese Regelung erhielt die weit verbreitete Formel "Therapie statt Strafe" bzw. "Therapie vor der Strafverhängung" ihre eigentliche Rechtfertigung.   
So konnte unter bestimmten Voraussetzungen bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern bereits von der Erhebung einer öffentlichen Klage abgesehen werden (§ 37 BtMG), sofern sie zusagten, sich in eine Therapie zu begeben. Durch diese Regelung erhielt die weit verbreitete Formel "Therapie statt Strafe" bzw. "Therapie vor der Strafverhängung" ihre eigentliche Rechtfertigung.   
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde es auch nach einer Verurteilung bzw. vor oder während der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel möglich, dass ein Verurteilter eine bestimmte, seiner Rehabilitation dienende Behandlung wahrnehmen kann. Die praktische Konsequenz des wörtlich genaueren Ansatzes: „Therapie statt Strafvollstreckung“ (Malek, 2008) war dabei, dass der bereits verurteilte betäubungsmittelabhängige Straftäter unter bestimmten Voraussetzungen und trotz eines Aufenthaltes im [[Strafvollzug]] oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Behandlung in einer externen Therapieeinrichtung absolvieren konnte. Zu diesem Zweck sollte fortan eine an Bedingungen geknüpfte Zurückstellung der [[Strafvollstreckung]] (§ 35 BtMG), d.h. ein vorläufiger Vollstreckungsverzicht zu Gunsten einer suchttherapeutischen Intervention erfolgen.  
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde es auch nach einer Verurteilung bzw. vor oder während der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel möglich, dass ein Verurteilter eine bestimmte, seiner Rehabilitation dienende Behandlung wahrnehmen kann. Die praktische Konsequenz des wörtlich genaueren Ansatzes: „Therapie statt Strafvollstreckung“ (Malek, 2008) war dabei, dass der bereits verurteilte betäubungsmittelabhängige Straftäter unter bestimmten Voraussetzungen und trotz eines Aufenthaltes im [[Strafvollzug]] oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Behandlung in einer externen Therapieeinrichtung absolvieren konnte. Zu diesem Zweck sollte fortan eine an Bedingungen geknüpfte Zurückstellung der [[Strafvollstreckung]] (§ 35 BtMG), d.h. ein vorläufiger Vollstreckungsverzicht zugunsten einer suchttherapeutischen Intervention erfolgen.  
    
    
Trotz einiger Überarbeitungen des BtMG blieben die Regelungen zur Strafzurückstellung unverändert. 1994 scheiterte das Bemühen, die Anordnung der Zurückstellung bereits dem anerkennenden Gericht im Rahmen des Strafurteils zu überlassen, um so eine schnellere Überleitung in eine Therapie zu ermöglichen. Seit 2004 ist die Zuständigkeit für die Entscheidung von Anträgen auf eine Strafzurückstellung den Rechtspflegern der Vollstreckungsbehörden überlassen worden.
Trotz einiger Überarbeitungen des BtMG blieben die Regelungen zur Strafzurückstellung unverändert. 1994 scheiterte das Bemühen, die Anordnung der Zurückstellung bereits dem anerkennenden Gericht im Rahmen des Strafurteils zu überlassen, um so eine schnellere Überleitung in eine Therapie zu ermöglichen. Seit 2004 ist die Zuständigkeit für die Entscheidung von Anträgen auf eine Strafzurückstellung den Rechtspflegern der Vollstreckungsbehörden überlassen worden.
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*Die geplante Therapiemaßnahme muss der Rehabilitation dienen.
*Die geplante Therapiemaßnahme muss der Rehabilitation dienen.
*Der Beginn der Behandlung muss gewährleistet sein.  
*Der Beginn der Behandlung muss gewährleistet sein.  
*Das Gericht des ersten Rechtszuges muss der Strafzurückstellung zugestimmt haben.
*Das Gericht des ersten Rechtszuges (Gericht, das in der erster Instanz für die Verurteilung zuständig war) muss der Strafzurückstellung zugestimmt haben.


===Die rechtskräftige Verurteilung===
===Die rechtskräftige Verurteilung===


Sofern im Verlauf des Strafverfahrens kein vorläufiger Verzicht auf die die  Anklageerhebung gem. § 37 BtMG zugunsten einer Therapiemaßnahme erfolgt, muss der drogenabhängige Angeklagte den Ausgang des Strafverfahrens abwarten. Vor einer rechtskräftigen Verurteilung kann keine Zurückstellung einer Strafe oder Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfolgen. Mögliche strafprozessuale Maßnahmen, wie z.B. die Anordnung einer Untersuchungshaft, stehen einer schnellen Überleitung des betäubungsmittelabhängigen Täters in eine Drogentherapie entgegen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für eine Strafzurückstellung in diesen Fällen ist daher unmittelbar nachdem das Urteil seine Rechtskraft erlangt und eine Entlassung aus der Untersuchungshaft angeordnet wird.
Sofern im Verlauf des Strafverfahrens kein vorläufiger Verzicht auf die Anklageerhebung gem. § 37 BtMG zugunsten einer Therapiemaßnahme erfolgt, muss der drogenabhängige Angeklagte den Ausgang des Strafverfahrens abwarten. Vor einer rechtskräftigen Verurteilung kann keine Zurückstellung einer Strafe oder Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfolgen. Mögliche strafprozessuale Maßnahmen, wie z.B. die Anordnung einer Untersuchungshaft, stehen einer schnellen Überleitung des betäubungsmittelabhängigen Täters in eine Drogentherapie entgegen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für eine Strafzurückstellung in diesen Fällen ist daher unmittelbar nachdem das Urteil seine Rechtskraft erlangt und eine Entlassung aus der Untersuchungshaft angeordnet wird.


===Betäubungsmittelabhängigkeit und Tatumstände===
===Betäubungsmittelabhängigkeit und Tatumstände===
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Grundsätzlich gilt die Regelung, dass neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur eine Freiheits- bzw. Gesamtfreiheitsstrafe zurückstellungsfähig sein kann. Für eine Geldstrafe oder bei deren Nichterbringung einer zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafe findet die Regelung keine Anwendung.   
Grundsätzlich gilt die Regelung, dass neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur eine Freiheits- bzw. Gesamtfreiheitsstrafe zurückstellungsfähig sein kann. Für eine Geldstrafe oder bei deren Nichterbringung einer zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafe findet die Regelung keine Anwendung.   


Bei einer Strafe bzw. einer Reststrafe von mehr als 2 Jahren kann die Vollstreckung gem. § 35 BtMG nicht zurückgestellt werden. Über die Zurückstellung von Strafen, die diesen Rahmen übersteigen, kann in der Praxis nur die jeweilige [[Gnade]]nbehörde entscheiden.
Bei einer Strafe bzw. einer Reststrafe von mehr als zwei Jahren kann die Vollstreckung gem. § 35 BtMG nicht zurückgestellt werden. Über die Zurückstellung von Strafen, die diesen Rahmen übersteigen, kann in der Praxis nur die jeweilige [[Gnade]]nbehörde entscheiden.
Die Zurückstellung der Strafvollstreckung mehrerer Strafen ist möglich, sofern jede einzelne Strafe die Höchstgrenze von 2 Jahren nicht übersteigt. Wenn darunter allerdings eine Strafe ist, die wegen Handlungen verhängt wurde, die nicht mit der Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten im Zusammenhang standen, kann die Zurückstellung  gem. § 35 BtMG bis zu deren vollständigen Vollstreckung nicht gewährt werden. Neben der Änderung der Vollstreckungsreihenfolge, die ebenfalls an bestimmte Vorgaben gebunden ist, bleibt auch hier dem Verurteilten nur die Möglichkeit, eine Entscheidung der jeweiligen Gnadenbehörde herbeizuführen.
Die Zurückstellung der Strafvollstreckung mehrerer Strafen ist möglich, sofern jede einzelne Strafe die Höchstgrenze von zwei Jahren nicht übersteigt. Wenn darunter allerdings eine Strafe ist, die wegen Handlungen verhängt wurde, die nicht mit der Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten in Zusammenhang standen, kann die Zurückstellung  gem. § 35 BtMG bis zu deren vollständigen Vollstreckung nicht gewährt werden. Neben der Änderung der Vollstreckungsreihenfolge, die ebenfalls an bestimmte Vorgaben gebunden ist, bleibt auch hier dem Verurteilten nur die Möglichkeit, eine Entscheidung der jeweiligen Gnadenbehörde herbeizuführen.


===Art der Rehabilitationsmaßnahme===
===Art der Rehabilitationsmaßnahme===


Formelle Anforderungen an die Art der Rehabilitationsmaßnahme (Therapie) stellt die gesetzliche Regelung nur insofern, dass diese die [[Abhängigkeit]] beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenwirken muss. So kann die Rehabilitation insgesamt mehrere Phasen der Behandlung (z. B. in Übergangseinrichtung, Therapie und Nachsorge) einschließen. Ob eine stationäre oder ambulante Maßnahme und eine entsprechende Dauer diesem Ziel genügen, ist im Gesetzestext nicht festgeschrieben. Die Arten suchttherapeutischer Interventionen sind in den letzten Jahren, nicht zuletzt mit Anerkennung der Substitutionstherapie in ihrer Anzahl und Vielfältigkeit gewachsen. Drogenhilfeeinrichtungen und Therapieeinrichtungen werden ggf. von den zuständigen regionalen staatlichen Institutionen bezüglich einer Anerkennung der Voraussetzungen gem. § 35 BtMG klassifiziert.
Formelle Anforderungen an die Art der Rehabilitationsmaßnahme (Therapie) stellt die gesetzliche Regelung nur insofern, dass diese die [[Abhängigkeit]] beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenwirken muss. So kann die Rehabilitation insgesamt mehrere Phasen der Behandlung (z. B. Übergangseinrichtung, Therapie und Nachsorge) einschließen. Ob eine stationäre oder ambulante Maßnahme und eine entsprechende Dauer diesem Ziel genügen, ist im Gesetzestext nicht festgeschrieben. Die Arten suchttherapeutischer Interventionen sind in den letzten Jahren, nicht zuletzt mit Anerkennung der Substitutionstherapie in ihrer Anzahl und Vielfältigkeit gewachsen. Drogenhilfeeinrichtungen und Therapieeinrichtungen werden ggf. von den zuständigen regionalen staatlichen Institutionen bezüglich einer Anerkennung der Voraussetzungen gem. § 35 BtMG klassifiziert.


===Sicherstellung des Behandlungsbeginns===  
===Sicherstellung des Behandlungsbeginns===  


Die Strafzurückstellung kann nur erfolgen, wenn die Aufnahme der Rehabilitationsmaßnahme tatsächlich sichergestellt ist. Hierfür sind im Gesetz selbst keine konkreten Vorgaben gemacht worden. In der Praxis ist neben der Zusage des Verurteilten sich in eine Therapie zu begeben (Antrag), die Bestätigung eines Therapieplatzes (Aufnahmetermin) und zudem die Klärung der Finanzierung der Maßnahme (Kostenübernahme) erforderlich. Die Kosten kann z. B. der Rentenversicherungsträger oder die örtlichen Sozialbehörden übernehmen. Dies kann aber die Überleitung in eine Therapie, z. B. bei ausländischen Staatsangehörigen ohne jegliche Ansprüche darauf, auch erheblich erschweren. Bei wiederholten Zurückstellungsmaßnahmen wird oft die aktuelle Therapiemotivation des Antragstellers hinterfragt und ggf. die Vollzugsbehörde oder das Krankenhaus des Maßregelvollzuges um eine Einschätzung (Stellungnahme) gebeten.
Die Strafzurückstellung kann nur erfolgen, wenn die Aufnahme der Rehabilitationsmaßnahme tatsächlich sichergestellt ist. Hierfür sind im Gesetz selbst keine konkreten Vorgaben gemacht worden. In der Praxis ist neben der Zusage des Verurteilten, sich in eine Therapie zu begeben (Antrag), die Bestätigung eines Therapieplatzes (Aufnahmetermin) und zudem die Klärung der Finanzierung der Maßnahme (Kostenübernahme) erforderlich. Die Kosten kann z. B. der Rentenversicherungsträger oder die örtlichen Sozialbehörden übernehmen. Bei ausländischen Staatsangehörigen ohne Leistungsansprüche kann dies aber die Überleitung in eine Therapie auch erheblich erschweren. Bei wiederholten Zurückstellungsmaßnahmen wird oft die aktuelle Therapiemotivation des Antragstellers hinterfragt und ggf. die Vollzugsbehörde oder das Krankenhaus des Maßregelvollzuges um eine Einschätzung (Stellungnahme) gebeten.


===Zustimmung des Gerichts===  
===Zustimmung des Gerichts===  


Sofern die Vollstreckungsbehörde eine oder eine wiederholte Strafzurückstellung gewähren will, ist in jedem Fall zuvor die Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges (Gericht das in der erster Instanz für die Verurteilung zuständig war) erforderlich. Hierauf kann nicht verzichtet werden, selbst wenn eine Therapiemaßnahme bzw. ein Zurückstellung im Urteil bereits befürwortet oder in Aussicht gestellt wurde. Die Versagung dieser Zustimmung kann nur in Verbindung mit einer ausreichenden und nachvollziehbaren Begründung erfolgen, stellt dann aber ein absolutes Zurückstellungshindernis dar, das die Ablehnung des Ersuchens durch die Vollstreckungsbehörde zur Folge hat.
Sofern die Vollstreckungsbehörde eine oder eine wiederholte Strafzurückstellung gewähren will, ist in jedem Fall zuvor die Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges erforderlich. Hierauf kann nicht verzichtet werden, selbst wenn eine Therapiemaßnahme bzw. ein Zurückstellung im Urteil bereits befürwortet oder in Aussicht gestellt wurde. Die Versagung dieser Zustimmung kann nur in Verbindung mit einer ausreichenden und nachvollziehbaren Begründung erfolgen, stellt dann aber ein absolutes Zurückstellungshindernis dar, das die Ablehnung des Ersuchens durch die Vollstreckungsbehörde zur Folge hat.


==Verlauf und Beendigung der Strafzurückstellung==
==Verlauf und Beendigung der Strafzurückstellung==


Die Strafzurückstellung wird nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag des Verurteilten geprüft und von der Vollstreckungsbehörde zeitlich befristet (maximal für 2 Jahre) bewilligt. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Behandlung besteht eine besondere Möglichkeit, die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung (§ 36 Abs. 2 BtMG) zu prüfen. Die Gewährung der Strafaussetzung beendet in diesem Fall die Zurückstellung der Strafvollstreckung.
Die Strafzurückstellung wird nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag des Verurteilten geprüft und von der Vollstreckungsbehörde zeitlich befristet (maximal für zwei Jahre) bewilligt. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Behandlung besteht eine besondere Möglichkeit, die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung (§ 36 Abs. 2 BtMG) zu prüfen. Die Gewährung der Strafaussetzung beendet in diesem Fall die Zurückstellung der Strafvollstreckung.


Wird die jeweils geplante Therapiemaßnahme nicht angetreten oder nicht erfolgreich beendet und ist nicht gewährleistet, dass der Betroffene eine andere Behandlung antritt, so ist ein Widerruf der Strafzurückstellung zu prüfen. Dieser Widerruf erfolgt durch die Strafvollstreckungsbehörde, steht aber einer wiederholten Zurückstellungsentscheidung ausdrücklich nicht entgegen. Die Widerrufsprüfung wird auch erforderlich, wenn zwischenzeitlich eine weitere Verurteilung erfolgt und die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe oder Maßregel nicht zurückgestellt werden kann.  
Wird die jeweils geplante Therapiemaßnahme nicht angetreten oder nicht erfolgreich beendet und ist nicht gewährleistet, dass der Betroffene eine andere Behandlung antritt, so ist ein Widerruf der Strafzurückstellung zu prüfen. Dieser Widerruf erfolgt durch die Strafvollstreckungsbehörde, steht aber einer wiederholten Zurückstellungsentscheidung ausdrücklich nicht entgegen. Die Widerrufsprüfung wird auch erforderlich, wenn zwischenzeitlich eine weitere Verurteilung erfolgt und die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe oder Maßregel nicht zurückgestellt werden kann.  
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==Alternative Regelungen==  
==Alternative Regelungen==  


Das Strafrecht in Deutschland beschreibt neben der „Zurückstellungslösung“ in § 35 BtMG verschiedene andere Möglichkeiten des Umgangs mit drogenabhängigen Straftätern und offeriert mehrere Wege, die eine Überleitung in eine Drogentherapie zulassen.  
Neben der „Zurückstellungslösung“ in § 35 BtMG gibt es noch andere gesetzliche Möglichkeiten, die  drogenabhängigen Straftätern einen Weg in die Therapie eröffnen. Soweit nicht bereits vor der Erhebung einer Anklage zugunsten einer Therapiemaßnahme abgesehen wird, sieht das [[Strafgesetzbuch]] ([[StGB]]) vor, dass einem Verurteilten eine ggf. mit einer Therapieweisung verbundene Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. §§ 56 ff. StGB) gewährt werden kann. Obwohl diese „Bewährungslösung“ der Strafzurückstellung vorgezogen werden soll, scheitert dies oft an der ungünstigen Prognose, die mit der fortbestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begründet wird. Die [[Strafprozeßordnung]] ([[StPO]]) bietet dem verurteilten Drogenabhängigen vor einer Strafzurückstellung oder dem Antritt einer Strafe noch die Möglichkeit, einen Strafaufschub (§ 455 StPO) zu erwirken, um eine Therapiemaßnahme außerhalb des Vollzuges zu absolvieren.
Soweit nicht bereits vor der Erhebung einer Anklage zugunsten einer Therapiemaßnahme abgesehen wird, kann einem Verurteilten eine ggf. mit einer Therapieweisung verbundene Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. §§ 56 ff. [[StGB]]) gewährt werden. Die sogenannten „Bewährungslösung“ soll der Strafzurückstellung grundsätzlich vorgezogen werden. Das scheitert jedoch oft an der ungünstigen Prognose, die mit der fortbestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begründet wird.  
Die [[Strafprozeßordnung]] ([[StPO]]) bietet dem verurteilten Drogenabhängigen vor einer Strafzurückstellung oder dem Antritt einer Strafe noch die Möglichkeit, einen Strafaufschub (§ 455 StPO) zu erwirken, um eine Therapiemaßnahme außerhalb des Vollzuges zu absolvieren.


Bei Betäubungsmittelabhängigen kann die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet werden. Diese Form der Maßregel wird als „Unterbringungslösung“ bezeichnet. Sie soll bei der Abwägung ihrer Anordnung einer Zurückstellungsmaßnahme nach dem BtMG vorgezogen werden, schließt jedoch eine spätere Maßnhame gem. § 35 BtMG nicht aus (Patzak 2012, 1247). Nicht nur nach der Beendigung einer Maßregel, sondern auch bei Nichtgewährung einer Strafzurückstellung kann eine Behandlung des Drogenabhängigen im [[Strafvollzug]] erforderlich werden. Diese „Strafvollzugslösung“ kann beispielsweise durch das Angebot einer Substitutionstherapie oder in seltenen Fällen auch in einer Einrichtung des offenen Vollzuges (§ 10 [[StVollzG]]) realisiert werden.
Bei Betäubungsmittelabhängigen kann die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet werden. Diese Form der Maßregel wird als „Unterbringungslösung“ bezeichnet. Sie soll bei der Abwägung ihrer Anordnung einer Zurückstellungsmaßnahme nach dem BtMG vorgezogen werden, schließt jedoch eine spätere Maßnhame gem. § 35 BtMG nicht aus (Patzak, 2012, S. 1247). Nicht nur nach der Beendigung einer Maßregel, sondern auch bei Nichtgewährung einer Strafzurückstellung kann eine Behandlung des Drogenabhängigen nach den Vorschriften des [[Strafvollzugsgesetz]]es ([[StVollzG]]) in einer [[Justizvollzugsanstalt]] erforderlich werden. Diese „Strafvollzugslösung“ kann beispielsweise durch das Angebot einer Substitutionstherapie oder in seltenen Fällen auch in einer Einrichtung des offenen Vollzuges (§ 10 StVollzG) realisiert werden.


==Statistiken und Studien zur Strafzurückstellungspraxis in Deutschland==
==Statistiken und Studien zur Strafzurückstellungspraxis in Deutschland==
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Eine zentrale, bundesweite Erfassung der Anzahl aller Strafzurückstellungen gem. § 35 BtMG in Deutschland gibt es nicht. Es erfolgt lediglich eine Erfassung der Anzahl der Einzelmaßnahmen im Bundeszentralregister für den jeweiligen Verurteilten.  Einzelne Institutionen bzw. unterschiedliche Vollstreckungsbehörden der Länder erheben jeweils eigene Daten. Nach deren Angaben bzw. einer Erhebung der [[Generalbundesanwalt]]schaft beim Bundesgerichtshof wird von einer stetig steigenden Anzahl von Strafzurückstellungen ausgegangen. Wurden 1993 noch knapp 4.500 Fälle von Strafverfahren mit Zurückstellung der Strafvollstreckung gezählt, waren es 2003 bereits nahezu 11.000 Fälle. Die Statistiken des Bundes und der Länder zeigen, dass zwischen 70 und 90 % aller Anträge auf eine Strafzurückstellung positiv entschieden werden (Patzak, 2012).
Eine zentrale, bundesweite Erfassung der Anzahl aller Strafzurückstellungen gem. § 35 BtMG in Deutschland gibt es nicht. Es erfolgt lediglich eine Erfassung der Anzahl der Einzelmaßnahmen im Bundeszentralregister für den jeweiligen Verurteilten.  Einzelne Institutionen bzw. unterschiedliche Vollstreckungsbehörden der Länder erheben jeweils eigene Daten. Nach deren Angaben bzw. einer Erhebung der [[Generalbundesanwalt]]schaft beim Bundesgerichtshof wird von einer stetig steigenden Anzahl von Strafzurückstellungen ausgegangen. Wurden 1993 noch knapp 4.500 Fälle von Strafverfahren mit Zurückstellung der Strafvollstreckung gezählt, waren es 2003 bereits nahezu 11.000 Fälle. Die Statistiken des Bundes und der Länder zeigen, dass zwischen 70 und 90 % aller Anträge auf eine Strafzurückstellung positiv entschieden werden (Patzak, 2012).


Eine "Implementationsstudie zu den Therapieregelungen des Betäubungsmittelrechts" wurde von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden 1987 im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Titel "Praxis und Bewährung der §§ 35 ff. BtMG" begonnen. Ein wesentliches Ergebnis dieser Studie ist, dass die Regelungen zur Strafzurückstellung eine Hilfe für die Rehabilitation betäubungsmittelabhängiger Straftäter sein können (Kurze, 1994). Eine bereits 1990 veröffentlichte "Effektivitätsanalyse" nimmt hingegen eine Betrachtung der Wirksamkkeitseinschätzung der Vorschriften, bezogen auf die beabsichtigten politischen Zielen des Gesetzgebers bei der Einführung des BtMG vor. Hier kommen die Autoren bei der Analyse eines sehr frühen Zeitraumes (1982-1986) zu dem Ergebnis, dass die Therapievorschriften gerade unter gesundheitspolitischen Aspekten keine höhere Effektivität erreichten, als die Maßnahmen, die bis 1981 zur Verfügung standen (Lück/Becker, 1990, S. 201).
Eine "Implementationsstudie zu den Therapieregelungen des Betäubungsmittelrechts" wurde von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden 1987 im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Titel "Praxis und Bewährung der §§ 35 ff. BtMG" begonnen. Ein wesentliches Ergebnis dieser Studie ist, dass die Regelungen zur Strafzurückstellung eine Hilfe für die Rehabilitation betäubungsmittelabhängiger Straftäter sein können (Kurze, 1994). Eine bereits 1990 veröffentlichte "Effektivitätsanalyse" nimmt hingegen eine Betrachtung der Wirksamkkeitseinschätzung der Vorschriften, bezogen auf die beabsichtigten politischen Ziele des Gesetzgebers bei der Einführung des BtMG, vor. Hier kommen die Autoren bei der Analyse eines sehr frühen Zeitraumes (1982-1986) zu dem Ergebnis, dass die Therapievorschriften gerade unter gesundheitspolitischen Aspekten keine höhere Effektivität erreichten, als die Maßnahmen, die bis 1981 zur Verfügung standen (Lück/Becker, 1990, S. 201).


==Kritik und kriminologische Relevanz==
==Kritik und kriminologische Relevanz==
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